TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/7 W258 2147519-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.11.2019
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Entscheidungsdatum

07.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W258 2147519-1/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Afghanistan, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, 1090 Wien, Pulverturmgasse 4/2/R01, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.04.2018 in einer asylrechtlichen Angelegenheit zu Recht:

A) Die Beschwerde wird abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (in Folge "BF") stellte am 17.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. In seiner Einvernahme vor Organen der Sicherheitspolizei am 19.09.2015 gab der BF im Wesentlichen an, am XXXX in XXXX , in der Islamischen Republik Iran (in Folge "Iran"), geboren worden und afghanischer Staatsbürger zu sein. Er gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an und sei schiitischer Moslem. Er habe fünf Jahre in XXXX gelebt. Anschließend habe er in Herat gelebt und zwölf Jahre die Schule besucht. Vor etwa sechs Wochen sei er legal in den Iran ausgereist und bis nach Österreich weitergereist. Die Islamische Republik Afghanistan (in Folge kurz "Afghanistan") habe er verlassen, weil er eine Zeit lang für die ISAF gearbeitet habe. Obwohl er die Arbeit aufgrund der drohenden Lebensgefahr niedergelegt habe, wurde er bedroht; man habe sein Motorrad gestohlen und er sei auch tätlich angegriffen worden.

In seiner Einvernahme vor der dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge "belangte Behörde") am 12.01.2017 gab der BF ergänzend an, seine Eltern, seine beiden Schwestern und sein Bruder XXXX würden noch in Herat leben; sein Bruder XXXX lebe im Iran. Er habe zu ihnen Kontakt und ein gutes Verhältnis; es gehe ihnen gut. Der BF habe Berufserfahrung in einer Glaserei und im Gerüstbau und habe auch bei der Firma " XXXX " gearbeitet. Etwa ein Jahr habe er als Reinigungskraft für ISAF, XXXX , und anschließend fünf bis sechs Monate in einem Fitnesscenter gearbeitet. Er habe sich danach entschlossen Afghanistan zu verlassen, weil ihn zwei Monate vor seiner Ausreise drei Leute auf einem Motorrad verfolgt und versucht hätten, auf ihn einzustechen bzw ihn zu schlagen; er habe fliehen können, sein Motorrad sei bei diesem Vorfall aber gestohlen worden. Hinsichtlich seiner Integration führte er unter Vorlage diverser Urkunden aus, er besuche einen Deutschkurs und habe im Fitnessclub viele österreichische Freunde kennengelernt.

Mit Bescheid vom XXXX wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise des BF mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Verfolgung aufgrund seiner Tätigkeit bei ISAF nicht glaubhaft sei und sich aus dem Übergriff durch die Motorradfahrer nicht ableiten lasse. Dem BF sei es zumutbar, sich in Herat niederzulassen, insbesondere da er dort aufgewachsen sei und seine Familie dort lebe. Eine maßgebliche Integration des BF sei nicht feststellbar.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde des BF vom 11.02.2017 wegen Verfahrensmängel, unrichtige rechtliche Beurteilung und unrichtige Feststellungen aufgrund mangelhafter Beweiswürdigung, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, er sei in Afghanistan asylrelevant gefährdet, weil er für ausländische Truppen tätig war und nunmehr schon jahrelang im Ausland gelebt habe. Jedenfalls sei dem BF subsidiärer Schutz zuzuerkennen, weil sich die Sicherheitslage in Afghanistan massiv verschlechtert habe und er als entwurzelter Flüchtling nicht in der Lage sei, sich ein neues Leben in Afghanistan aufzubauen. Diesbezüglich stellte der BF unter anderem den Antrag auf Beauftragung eines landeskundigen Sachverständigen. Unter Vorlage von diversen Urkunden brachte er weiters vor, dass sein in Österreich bestehendes Privat- und Familienleben eine Rückführung in seinen Herkunftsstaat entgegensehen würde.

Mit Schriftsätzen vom 17.08.2017, 31.08.2018, 14.11.2017, 16.01.2018, 10.07.2018, 28.11.2018 und 26.07.2019 legte der BF weitere Urkunden zum Nachweis seiner Integration in Österreich, sein Maturazeugnis aus Afghanistan, Kopien der Aufenthaltsberechtigungskarten der Familie XXXX im Iran und diverse Länderberichte zu seinem Herkunftsstaat vor.

In der am 26.04.2018 hg durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde der BF neuerlich zu seinen Fluchtgründen befragt.

Am 02.07.2019 wurden dem BF sowie der belangten Behörde wegen Zeitablauf Parteiengehör zu den aktuellen Länderberichten eingeräumt und ihnen eine Frist zur allfälligen Stellungnahme von 14 Tagen eingeräumt. Mit Schriftsatz vom 18.07.2019 nahm der BF dazu Stellung.

Beweise wurden aufgenommen durch Einvernahme des BF als Partei, Einsicht in den Verwaltungsakt des BF (OZ 1) sowie in die folgenden Urkunden:

* ÖSD Zertifikat A2 Deutsch vom 18.01.2017 und 29.06.2017, ÖSD Zertifikat B1 Deutsch vom 02.11.2017 und diverse Bestätigungen über die Teilnahme an Deutschkursen (OZ 4, 6, 7/8, 20),

* Empfehlungsschreiben des XXXX vom 01.10.2016,

* Bestätigungen für die Teilnahme an diversen Kursen und Workshops im Oktober, November und Dezember 2016 und am 23.02.2017,

* Abrechnung des XXXX über die Tätigkeit des BF für Sortiertätigkeit im Spendenlager vom 20. bis 24.06.216,

* Bestätigung der Team Österreich Tafel vom 08.07.2017 über die ehrenamtliche Tätigkeit des BF,

* Bestätigungen der Magistratsabteilung 45, Wien, über die ehrenamtliche Tätigkeit des BF (Reinigung und Landschaftspflege) vom 09.01.2018 und 09.11.2018 (OZ 7, 20),

* Vereinbarung der Magistratsabteilung 45 über ehrenamtliche Tätigkeit von April bis Ende Oktober 2019 (OZ 23),

* Empfehlungsschreiben vom 23.04.2018 von XXXX sowie vom 17.04.2018 vom XXXX als Konvolut (Beilage ./1),

* Urkunde der Austrian Bodybuilding & Physique Sports Federation vom 19.05.2018 über den 9. Platz bei der Österreichischen Neulingsmeisterschaft (OZ 18),

* Maturazeugnis des BF der Islamischen Republik Afghanistan (OZ 4),

* diverse Lichtbilder über Anschläge in bzw bei Herat als Konvolut (Beilage ./2),

* Lichtbilder diverser Ausweise (OZ 5),

* UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarf afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in Folge kurz "UNHCR 30.08.2018" bezeichnet),

* Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation vom 04.06.2019 (in Folge kurz "LIB" bezeichnet),

* Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 14.11.2016 zu Afghanistan: Angriffe von Regierungsfeindlichen Gruppen auf Mitarbeitende der Regierung, ausländischer Firmen und international Streitkräfte; Drohbriefe; Rekrutierung; psychische Erkrankungen (in Folge kurz als "SFH 14.11.2016" bezeichnet; Beilage ./III),

* Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan:

Taliban Drohbriefe, Bedrohung militärischer Mitarbeiter vom 28.07.2016 (in Folge kurz "Anfragebeantwortung 28.07.2016"),

* ACCORD, Afghanistan: Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018, die vom BF in OZ 22 zitiert wird (in Folge kurz "ACCORD"),

* Strafregisterauskunft des BF vom 07.11.2019.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Der folgende Sachverhalt steht fest:

1.1. Zur individuellen Situation des BF:

1.1.1. Allgemeines:

Der männliche, volljährige, ledige und kinderlose BF ist afghanischer Staatsbürger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist schiitischer Moslem. Er spricht als Muttersprache Farsi und wurde am XXXX in XXXX , Iran, geboren, wo er fünf Jahre lang gelebt hat. Der BF ist anschließend mit seiner Familie nach Herat gezogen, hat dort zwölf Jahre die Schule besucht, die Matura absolviert und sich dort bis zu seiner Flucht aufgehalten.

Er hat Arbeitserfahrung als Mitarbeiter einer Glaserei, einem Gerüstbau und der Firma " XXXX ". Er hat ungefähr von Anfang 2014 bis Ende 2014 in Herat für die International Security Assistance Force, eine Sicherheits- und Wiederaufbaumission unter NATO-Führung im Rahmen des Krieges in Afghanistan von 2001 bis 2014 ("ISAF"), als Reinigungskraft gearbeitet. Danach hat er etwa fünf bis sechs Monate in einem Buffetstand in einem Fitnesscenter gearbeitet.

Seine Eltern, seine beiden Schwestern und einer seiner Brüder leben in Herat. Der zweite Bruder des BF lebt im Iran. Sein Vater und sein in Herat lebender Bruder sind berufstätig und versorgen die Familie.

Der BF ist mit der afghanischen Lebensweise und Tradition vertraut. Er ist gesund und arbeitsfähig.

Der BF ist mit einem Visum etwa im Juli 2015 aus Afghanistan in den Iran ausgereist und von dort schleppergestützt bis nach Österreich weitergereist.

Der BF ist unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet Österreichs eingereist und hat am 17.09.2015 in Österreich den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

1.1.2. Zu den Fluchtgründen:

Der BF wurde aufgrund seiner Tätigkeit für die ISAF weder bedroht noch kam es zu Übergriffe gegen ihn. Insbesondere wurde der BF auf Grund dieser Tätigkeit nicht beim Weg von seiner Arbeitsstelle nach Hause von Männern auf Motorrädern überfallen.

1.1.3. Zum (Privat- und Familien-) Leben des BF in Österreich:

Der BF ist seit seiner Antragstellung am 17.09.2015 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Er bezieht seit seiner Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Der BF verfügt in Österreich über keine Verwandten. Er führt in Österreich seit ungefähr September 2017 eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsangehörigen, mit der er nicht gemeinsam wohnt, verlobt oder verheiratet ist und keine Kinder hat. Darüber hinaus hat der BF einige Freundschaften in Österreich geschlossen. Er hat mehrere Deutschkurse besucht und spricht Deutsch auf dem Niveau B1. Weiters hat der BF an diversen Kursen teilgenommen, die seine Integration fördern sollen, beispielsweise zum Thema Wohnen oder Soziales, und hat im Juni und im Dezember 2016 im Gesamtausmaß von 38,5 Stunden für den XXXX gearbeitet. Zusätzlich hat er von April bis Oktober 2018 gemeinnützige Hilfstätigkeiten für die XXXX erbracht und hilft ehrenamtlich einmal pro Woche beim XXXX . In seiner Freizeit geht der BF regelmäßig ins Fitnessstudio und hat an einem Bodybuilding-Wettbewerb teilgenommen.

Der BF kleidet sich westlich; darüber hinaus hat er keine westlichen Werte übernommen.

Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Im Falle einer Rückkehr des BF nach Afghanistan wäre seine Kernfamilie in der Lage, ihn im Notfall finanziell zu unterstützen.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat des BF:

1.2.1. Zur allgemeinen Lage, insbesondere Sicherheitslage, in Afghanistan im Allgemeinen und in der Stadt Herat im Besonderen:

1.2.1.1. Allgemeines (LIB Kapitel 1. und 3.):

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil. Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil.

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.08.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2 % gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5 % zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63 %) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37 % zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25 %. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. Bis Oktober 2018 fanden die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe.

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis. Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw Einfluss der afghanischen Regierung.

Die Regierung kontrolliert bzw beeinflusst mit Stand 22.10.2018 53,8 % der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9 % der Distrikte sind umkämpft und 12,3 % befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca 63,5 % der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8 % in Gegenden unter Einfluss bzw Kontrolle der Aufständischen und 25,6 % leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand.

Der sogenannte Islamische Staat Khorasan Provinz ("ISKP") ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus.

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5 % sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11 % gegenüber dem Vorjahreswert. 42 % der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22 % und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26 % aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16 % der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen.

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31 % der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3 % im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48 % gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren ua Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61 % und die Zahl der Todesopfer erreichte 82 %. 9 % aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009.

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63 % der gesamten zivilen Opfer. 37 % davon werden den Taliban, 20 % dem ISKP und 6 % unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten.

Ungefähr 24 % der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14 % den afghanischen Sicherheitskräften, 6 % den internationalen Streitkräften und 4 % unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4 % gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück.

Die verbleibenden 13 % der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10 %), durch Beschuss aus Pakistan (1 %) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht.

UNAMA registrierte im ersten Quartal 2019 (01.01.2019 - 31.03.2019)

1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23 % gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist. Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde. Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden. Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen. Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge).

1.2.1.2. Zur Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Herat, der Hauptstadt der Provinz Herat (LIB Kapitel 3.13.):

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken.

Die Provinz ist ua ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern.

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben ua tausende afghanische Binnenflüchtlinge.

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Dabei handelte es sich um folgende Art von Vorfällen: 6 Entführungen, Verschleppungen; 1 Brandstiftung, Feuer; 1 Flughäfen, Flugverkehr; 1 Angriff auf Logistik, Häfen, Fracht, Wasserstraßen; 1 Attentat, Attentatsversuche, 44 Bomben, Explosivstoffe, Attrappen; 13 Schießereien, Scharfschützen; 60 Verhaftungen, Tötungen; 12 Sonstige, undefiniert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt; dabei wurden Taliban getötet. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen.

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren. Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen. Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden. ACLED registrierte für den Zeitraum 01.01.2017 - 15.07.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat.

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden. Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet. Die Safran-Produktion garantierte zB auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es

6.5 Tonnen. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten.

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat.

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen. Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen. Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden.

Die Situation in der Stadt Herat ist wegen der Zahl der Binnenvertriebenen und einer Dürre im Jahr 2018 (UNHCR-Richtlinien 30.08.2018, Seite 35 f) angespannt. Die Lebensmittelversorgung wird mit Stufe 3 "crisis" (die vom Famine Early Warning System Network, FEWS NET, verwendete Skala zur Messung der Nahrungsmittelunsicherheit umfasst fünf Stufen; von "minimal" bis "famine") bewertet (ACCORD S 29). Demnach verfügt einer von fünf Haushalten trotz humanitärer Hilfe über eine Lücke im Nahrungsmittelverbrauch, der über der üblichen Unterernährung liegt, oder war gerade noch in der Lage, den Mindestbedarf an Nahrungsmitteln zu decken, wovon insbesondere Vertriebene betroffen sind. Eine Nahrungsmittelknappheit gibt es aber generell nicht; der Zugang zu Trinkwasser ist zwar eine Herausforderung, die meisten Menschen - in Herat Stadt 75,3 Prozent - haben jedoch Zugang zu verbesserten Wasserquellen und sanitären Einrichtungen (ACCORD S 30 f).

1.2.2. Zur Lage von Tadschiken in Afghanistan (LIB Kapitel 16.3.):

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte; und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan. Sie machen etwa 30 % der afghanischen Gesellschaft aus. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten:

In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pajshir) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession. Der Hauptführer der "Nordallianz", einer politisch-militärischen Koalition, ist Dr. Abdullah Abdullah dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist. Trotz seiner gemischten Abstammung, sehen ihn die Menschen als Tadschiken an. Auch er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war. Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan ein Amt, das speziell geschaffen wurde und ihm die Rolle eines Premierministers zuweist. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25 % in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

1.2.3. Zur Lage von Schiiten in Afghanistan (LIB Kapitel 15.1.):

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15 % geschätzt. Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara. Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen. Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran.

Die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen ua der Taliban und des IS.

1.2.4. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge (LIB Kapitel 20.):

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs). Im Zeitraum 2012 bis 2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen. Zwischen 01.01.2018 und 15.05.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23 % davon sind erwachsene Männer, 21 % erwachsene Frauen und 55 % minderjährige Kinder.

Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30 % der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.03.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt. Mit Stand Dezember 2017 lebten 54 % der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung.

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern. Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw.

1.2.5. Grundversorgung und Wirtschaft (LIB Kapitel 21.):

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu. Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich sechs Prozent prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1,4 % aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3,4 bzw 1,8 %. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3 % zurückgingen und die Importe um 8 % stiegen.

1.2.6. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit (LIB Kapitel 21.):

In den Jahren 2016 und 2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013 bis 2014 bei 22,6 % gelegen hatte, um 1 %. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40 % der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80 % davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner).

1.2.7. Projekte der afghanischen Regierung (LIB Kapitel 21.):

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern. Darunter fällt ua der fünfjährige (2017 bis 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind ua der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien. Das "Citizens' Charter National Priority Program" zB hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant.

1.2.8. Medizinische Versorgung (LIB Kapitel 22.):

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen. Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (va Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund zehn Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung.

In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Gründe dafür waren ua eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. Einer Umfrage der Asia Foundation zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert.

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011 bis 2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012 bis 2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren.

Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41 % der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel. In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 bis 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt. Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baghlan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt.

1.2.8.1. Krankenkassen und Gesundheitsversicherung (LIB Kapitel 22.):

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden. Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken. Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden.

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen. 90 % der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen.

1.2.8.2. Krankenhäuser in Afghanistan (LIB Kapitel 22.1.):

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw schnellere medizinische Versorgung zu bekommen. Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw der Tazkira erforderlich. In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw fachlicher Expertise nicht behandelt werden können. Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung.

1.2.9. Zur Lage von Personen, die längere Zeit im Ausland verbracht haben:

Personen, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten, wurden Berichten zufolge von regierungsfeindlichen Gruppen bedroht, gefoltert oder getötet, weil sie sich vermeintlich die diesen Ländern zugeschriebenen Werte zu eigen gemacht hätten, "Ausländer" geworden seien oder als Spione oder auf andere Weise ein westliches Land unterstützten. Heimkehrern wird von der örtlichen Gemeinschaft, aber auch von Staatsbeamten oft Misstrauen entgegengebracht, was zu Diskriminierung und Isolierung führt (UNHCR 30.08.2018 S 52 f).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (zB IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (zB IPSO und Anzahl der Rückkehrer/innen aus dem Ausland nach Provinzen). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung (LIB Kapitel 23.). Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 allerdings keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten (LIB Kapitel 1.).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (LIB Kapitel 23.).

1.2.10. Zum Risikoprofil von Personen, die für die Regierung, ausländische Firmen oder internationale Streitkräfte arbeiten:

Auszug aus der Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 14.11.2016 zu Afghanistan: Angriffe von regierungsfeindlichen Gruppen auf Mitarbeitende der Regierung, ausländischer Firmen und internationaler Streitkräfte; Drohbriefe; Rekrutierung; psychische Erkrankungen:

"[...] Zivilpersonen, welche für nationale oder internationale Institutionen arbeiten, gehören einer gefährdeten Personengruppe an. Gemäß Richtlinien des UN Flüchtlingshochkommissariats zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender (19. April 2016) und dem Afghanistan-Update zur Sicherheitslage der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (30. September 2016) gehören Personen, welche tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind, einer gefährdeten Personengruppe an. So werden nationale und lokale politische Führungskräfte, Regierungsmitarbeitende, Lehrerinnen und Lehrer und andere Staatsbedienstete, Polizisten außer Dienst, Stammesälteste, religiöse Führer, Frauen im öffentlichen Leben, Zivilpersonen, die der Spionage für regierungsnahe Kräfte bezichtigt werden, Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten, Mitarbeiter von humanitären Hilfs- oder Entwicklungsorganisationen und Bauarbeiter systematisch und gezielt von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen. Entführungen solcher Personen nehmen zu. Afghanische Zivilpersonen, welche als Fahrer, Dolmetscher oder in anderen zivilen Funktionen für die internationalen Streitkräfte arbeiten, werden ebenfalls von regierungsfeindlichen Gruppen angegriffen. Auch ehemalige Mitarbeiter der internationalen Streitkräfte und der Regierung werden gemäß UNHCR Opfer von Angriffen. UNHCR verweist auf Angaben der Taliban, gemäß denen sich ihre Frühlingsoffensive wie bereits in den Vorjahren gegen Personen richtete, die die Regierung vertreten oder diese sowie die internationale Gemeinschaft mutmaßlich unterstützen. Neben gezielten Tötungen setzen regierungsfeindliche Kräfte auch auf Bedrohungen, Entführungen und Brandanschläge, um Personen, welche ihre Autorität und Anschauungen infrage stellen, einzuschüchtern und ihren Einfluss und ihre Kontrolle auszuweiten. [...]"

Wenn ein Taliban-Kämpfer vermutet, dass jemand mit der Regierung oder den Sicherheitskräften arbeitet, wird dessen Familie kontaktiert und gefordert, diese Tätigkeit einzustellen (Anfragebeantwortung 28.07.2016).

Auszug aus den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018:

"[...] A. Risikoprofile

1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) greifen Berichten zufolge systematisch und gezielt Zivilisten an, die tatsächlich oder vermeintlich die afghanische Regierung, regierungsnahe bewaffnete Gruppen, die afghanische Zivilgesellschaft und die internationale Gemeinschaft in Afghanistan, einschließlich der internationalen Streitkräfte und internationaler humanitärer Hilfs- und Entwicklungsakteure, unterstützen bzw. mit diesen in Verbindung stehen. Auf eine (vermeintliche) Verbindung kann zum Beispiel durch ein bestehendes oder früheres Beschäftigungsverhältnis oder durch familiäre Bindungen geschlossen werden. Zu den Zivilisten, die gezielt aufs Korn genommen werden, zählen Distrikt- und Provinzgouverneure, Mitarbeiter der Justiz und der Staatsanwaltschaft, ehemalige Polizeibeamte und Polizisten außer Dienst, Stammesälteste, Religionsgelehrte und religiöse Führer, Frauen im öffentlichen Raum, Lehrer und andere Staatsbedienstete, Zivilisten, von denen angenommen wird, dass sie die Werte regierungsfeindlicher Kräften ablehnen, Menschenrechtsaktivisten sowie humanitäres Hilfspersonal und Entwicklungshelfer. Zwischen 1. Januar und 31. Dezember 2017 schrieb UNAMA 570 gezielte Tötungen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) zu, die 1 032 zivile Opfer (650 Tote und 382 Verletzte) forderten, was 10 Prozent aller zivilen Opfer des Jahres entsprach. Die Anzahl der von AGEs verübten derartigen Anschläge stieg von 483 im Jahr 2016 auf 570 im Jahr 2017 und die Zahl der dabei getöteten Zivilisten erhöhte sich um 13 Prozent. Im Januar 2018 führten die Taliban drei getrennte Angriffe in Kabul durch, bei denen 150 Zivilisten getötet und mehr als 300 verletzt wurden. In einer öffentlichen Erklärung begründeten die Taliban am 28. Januar 2018 einen dieser Angriffe, jenen auf das Innenministerium, mit folgenden Worten: "Dieses Ziel war der Feind, und auch die Mitarbeiter des Ministeriums waren die Hauptleidtragenden." Am 25. April 2018 kündigten die Taliban ihre Frühlingsoffensiven, die Al Khandaq Jihadi Operations an. Wie schon in den Jahren zuvor hieß es darin, die Offensive würde sich "gegen die ausländischen Besatzungskräfte und deren Unterstützer im Land" richten. Trotz des erklärten Ziels der Taliban, "besonders auf den Schutz des Lebens und Besitzes des zivilen Volkes zu achten", gibt es immer wieder Berichte, dass die Taliban und andere AGEs gezielt Zivilisten und nach humanitärem Völkerrecht geschützte Objekte angreifen würden. Über gezielte Tötungen hinaus setzen die regierungsfeindlichen Kräfte Berichten zufolge auch Drohungen, Einschüchterung und Entführungen ein, um Gemeinschaften und Einzelpersonen einzuschüchtern und auf diese Weise ihren Einfluss und ihre Kontrolle zu erweitern, indem diejenigen angegriffen werden, die ihre Autorität und Anschauungen infrage stellen. [...]"

2. Die Feststellungen gründen sich auf die folgende Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF, zum (Privat- und Familien-) Leben des BF in Österreich und zur allgemeinen Lage:

Die Feststellungen zu den persönlichen Daten, zum Leben, zur Muttersprache, zur Volksgruppe, zu den Familienangehörigen und zur Ausreise des BF ergeben sich aus seinen gleichbleibenden und glaubwürdigen Angaben im gesamten Verfahren auf internationalen Schutz sowie den vorgelegten unbedenklichen Urkunden.

Dass der BF mit der afghanischen Lebensweise und Tradition vertraut ist, ergibt sich daraus, dass er in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen ist und den größten Teil seines Lebens in Afghanistan verbracht hat. Die Feststellung zum Gesundheitszustand des BF ergibt sich aus seiner Einvernahme im Beschwerdeverfahren (OZ 1 S 3) sowie dem Umstand, dass im gesamten Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist. Seine Arbeitsfähigkeit ergibt sich aus seinem Alter und seinem allgemein guten Gesundheitszustand. Die Feststellungen zum Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung ergeben sich aus dem Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem.

Die Feststellung, wonach der BF keine weiteren westlichen Werte übernommen hat, gründet sich auf seine hg Vernehmung und der persönlichen Wahrnehmung des erkennenden Richters. So ist alleine daraus, dass sich der BF westlich kleidet kein substanzieller Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Afghanistan erkennbar.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des BF gründet in aus seinem Strafregisterauszug.

Die Feststellung der deutschen Sprachkompetenz des BF ergibt sich aus den vorgelegten ÖSD-Sprachzertifikaten und seiner hg Einvernahme, in der der BF einige Fragen des erkennenden Richters (auch) von sich aus auf Deutsch beantwortetet hat (Verhandlungsprotokoll vom 26.04.2018, OZ 17, S 4, 7).

Die Feststellungen zu den familiären und privaten Bindungen des BF und zu seiner sozialen Integration gründen auf seine gleichbleibenden Aussagen im Verfahren sowie die vorgelegten unbedenklichen Urkunden. Dass der BF nicht gemeinsam mit seiner Freundin wohnt, ergibt sich aus seiner hg Aussage, wonach er vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt mit ihr zusammenziehen werde (Verhandlungsprotokoll vom 26.04.2018, OZ 17, S 10).

Die Feststellungen zur Einreise in das österreichische Bundesgebiet und zum behördlichen Asylverfahren des BF ergeben sich aus dem unbedenklichen Verwaltungsakt.

Die Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan ergeben sich aus den bei den jeweiligen Feststellungen angeführten Quellen, die sich auf mehrere, im Wesentlichen übereinstimmende Berichte verschiedener, anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nicht staatlicher Institutionen und Personen gründen. Insoweit in den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zu Grunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuellen Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die vom BF zitierten Länderberichte steh

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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