Entscheidungsdatum
07.11.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W234 2211282-1/26E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Thomas HORVATH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch den Verein Menschenreche Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.11.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.06.2019 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Nach seiner Einreise in das Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer am 12.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dort gab er im Wesentlichen an, er sei am XXXX in Qoryooley, Somalia, geboren worden und habe dort von 2005 bis 2009 die Grundschule besucht. Er bekenne sich zum moslemischen Glauben. Er habe bislang keine Ehe geschlossen und sei nicht berufstätig gewesen. Seine Muttersprache sei Somali. Bei der Erstbefragung begründete der Beschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz damit, dass er Somalia wegen mangelnder Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten für junge Männer sowie wegen des Bürgerkrieges verlassen habe (AS 7).
2. Am 04.09.2018 fand eine schriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) statt. Der Beschwerdeführer brachte im Wesentlichen vor, dass er gesund sei, sich zum sunnitischen Glauben bekenne und dem Clan der Gabooye und dessen Sub-Clan XXXX angehöre. Von 2005 bis 2009 habe er die Schule in Qoryooley besucht. In Mogadischu habe er zwei Tage beim Be- und Entladen von Autos geholfen und mit dem verdienten Geld seine Flucht finanziert. Seiner Familie sei es finanziell gut gegangen. Seine Eltern hätten zusammen insgesamt sieben Häuser und ein Feld besessen. Seine Eltern, drei Brüder, zwei Schwestern und ein Onkel würden noch in Somalia leben. Im April 2016 habe er Somalia zum ersten Mal verlassen und sei in den Iran gegangen. Von dort sei er nach Somalia abgeschoben worden, wo er ohne Gerichtsverfahren zu sieben Jahren Haft veurteilt worden sei. Nach zwei Tagen Haft habe er aus dem Gefängnis fliehen können.
Zu seinen Fluchtgründen brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er in Somalia einer Minderheit angehöre und deshalb rassistischer Behandlung in der Schule ausgesetzt gewesen sei. Er sei von Mitschülern diskriminiert worden. Diese hätten sich daran gestoßen, dass er als Gabooye die Schule besuche, weil Angehörige dieses Clans normalerweise keine Schulbildung erhalten würden. Weiters sei der Familie deren Feld im Jahr 2015 weggenommen worden, weil der Clan der Gabooye nur bestimmte Berufe ausüben dürfe (AS 218).
3. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX , rechtskräftig am XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen § 28a Abs. 1 5. Fall SMG, §§ 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von XXXX Monaten und einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX XXXX vom XXXX , rechtskräftig am XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 27 Abs. 2a 2. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von XXXX Monaten verurteilt. Die Probezeit wurde auf insgesamt fünf Jahre verlängert.
4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 13.11.2018 wies das Bundesamt den Antrag vom 12.05.2016 für den Status des Asyl- wie subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Unter einem wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise wurde dem Beschwerdeführer eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI.).
5. Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer - durch seine bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation - die vorliegende Beschwerde erhoben. Der Bescheid wird in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens wegen fehlerhafter bzw. unzureichender Ermittlungen und mangelhafter Beweiswürdigung angefochten.
6. Mit Schriftsatz des Bundesamtes vom 14.12.2018 wurde die Beschwerde samt den dazugehörigen Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
7. Am 26.06.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Somali eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und eine Vertreterin seiner gewillkürten Rechtsberatungsorganisation teilnahmen. Das Bundesamt nahm entschuldigt nicht teil. In der mündlichen Verhandlung hielt der Beschwerdeführer sein Vorbringen aufrecht, aufgrund seiner Clanzugehörigkeit geflohen zu sein. Weiters brachte er vor, dass sein älterer Bruder wegen seiner Clanzugehörigkeit im Juni 2016 umgebracht worden sei. Im weiteren Verlauf der Verhandlung korrigierte der Beschwerdeführer das Sterbedatum seines Bruders auf Juni 2018. Sein Onkel sei in der Zwischenzeit im Iran verstorben. Zuletzt habe er Ende 2018 mit seiner Familie telefonischen Kontakt gehabt, ehe er sein Handy verloren habe. Seine Mutter habe ihm beim letzten Telefonat mitgeteilt, dass die Familie nach Äthiopien flüchten wolle. Zuletzt sei der Beschwerdeführer in Somalia in Mogadischu in einem Gefängnis aufhältig gewesen. Er sei inhaftiert gewesen, weil er mit einem gefälschten Reisepass in den Iran geflogen sei. Die iranischen Behörden hätten ihn nach Somalia abgeschoben. Ihm sei mitgeteilt worden, dass über ihn ohne Verfahren fünf Jahre Haft verhängt worden seien. Nach zwei Tagen sei er mit vier Mithäftlingen durch ein Loch in der Decke geflohen und anschließend ausgereist.
8. In seiner Stellungnahme vom 30.07.2019 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass kein Grund bestehe, an seiner Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Wegen seines Gesamtverhaltens, der langen Dauer seines Aufenthaltes in Österreich, seines Alters und seiner familiären und privaten Situation sowie seiner nur minimal ausgeprägten Bindungen zum Herkunftsstaat sei nicht davon auszugehen, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Eine Gefährdung iSd § 67 FPG sei nicht anzunehmen. Konkrete Anhaltspunkte für eine nach wie vor bestehende und in ihrer Intensität jedenfalls als "hinreichend schwer" zu qualifizierenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit seien weder aus den Umständen, die zur Verurteilung des Beschwerdeführers geführt hätten, noch aus dem Gesamtverhalten seit seinem Strafantritt ersichtlich.
9. Mit Schreiben vom 10.10.2019 übersandte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer die hier herangezogenen Länderberichte verbunden mit der Möglichkeit, zu diesen Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 24.10.2019 erstattete der Beschwerdeführer die betreffende Stellungnahme. Im Wesentlichen verweist der Beschwerdeführer darauf, dass die Minderheit der Gabooye von anderen Bevölkerungsteilen Somalias als unberührbar angesehen werde und über geringes Ansehen und wenige Verbindungen verfüge. Zudem seien Angehöriger dieser Minderheit einem erhöhten Risiko ausgesetzt, Opfer von Geschlechts- und Arbeitshandel zu werden. Ferner verwies der Beschwerdeführer darauf, dass nach wie vor die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln infolge von wiederkehrenden Dürreperioden nicht gesichert sei und deswegen die Lebensmittelpreise in manchen Regionen Somalias nach wie vor überhöht seien. Auch die Gesundheitsversorgung und Versorgung mit Trinkwasser sowie die Abwasserversorgung würden sich als prekär darstellen. Jedoch werde dieser Situation auch durch massive Hilfsoperationen in- und ausländischer Akteure begegnet. Schließlich wohne die Familie des Beschwerdeführers seit Ende 2018 nicht mehr in Somalia; ihr gegenwärtiger Aufenthaltsort sei ihm nicht bekannt. Angesichts der Clanzugehörigkeit des Beschwerdeführers, seines mangelnden familiären Netzwerks und des schwierigen Zugangs zu Nahrungsmitteln könne es nicht ausgeschlossen werden, dass er nach seiner Rückkehr in eine aussichtslose Lage geraten würde. Schließlich stelle sich die allgemeine Sicherheitslage in Somalia nach wie vor als unzureichend dar, sodass dem Beschwerdeführer jedenfalls der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grund des Antrags auf internationalen Schutz vom 12.05.2016, der Erstbefragung des Beschwerdeführers durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, seiner Einvernahme durch das Bundesamt vom 04.09.2018, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid, der Ergebnisse der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Stellungnahmen der Parteien im Verfahren, der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer ist somalischer Staatsbürger. Der Geburtsort des Beschwerdeführers kann nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer gehört dem Clan Gabooye und dessen Sub-Clan XXXX an. Der Beschwerdeführer ist sunnitischer Moslem. Er beherrscht die somalische Sprache auf muttersprachlichem Niveau.
Die Heimatprovinz und der Wohnort des Beschwerdeführers können nicht festgestellt werden. Festgestellt wird, dass sich der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise in Mogadischu aufhielt; wie lange er sich in Mogadischu aufhielt, kann nicht festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer hat von 2005 bis 2009 die Schule besucht. Er hat keine Berufsausbildung absolviert. In Mogadischu hat er zwei Tage lang beim Säubern und dem Be- und Entladen von Autos geholfen und damit $ 200 verdient.
Die Kernfamilie des Beschwerdeführers besteht aus seinen Eltern, drei Brüdern und zwei Schwestern. Dass ein Bruder des Beschwerdeführers getötet wurde, kann nicht festgestellt werden. Ein Onkel des Beschwerdeführers ist bereits verstorben. Bis zu seiner Ausreise lebte der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie in einem Haus auf eigenem Grund.
Die Familie des Beschwerdeführers besitzt mehrere Grundstücke und lebt seit 2015 von den Mieteinnahmen. Es kann nicht festgestellt werden, wo die Grundstücke der Familie des Beschwerdeführers liegen. Vor 2015 betrieb der Vater des Beschwerdeführers eine Landwirtschaft. Der Bruder des Beschwerdeführers betrieb seit 2016 selbstständig einen Autohandel. Jedenfalls bis Ende des Jahres 2018 hatte der Beschwerdeführer regelmäßigen telefonischen Kontakt zu seiner Mutter. Ob der Beschwerdeführer seit Ende des Jahres 2018 telefonischen Kontakt zu seiner Mutter oder anderen Familienangehörigen hat, kann nicht festgestellt werden. Die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers hielten sich beim letzten Kontakt des Beschwerdeführers Ende 2018 in Somalia auf und hatten vor, nach Äthiopien auszureisen. Nicht festgestellt werden kann, ob die Familienangehörigen des Beschwerdeführers tatsächlich aus Somalia ausgereist sind.
Der Beschwerdeführer ist ledig, alleinstehend und hat keine Kinder.
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer weist folgende strafgerichtliche Verurteilungen auf:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX , rechtskräftig am XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen § 28a Abs. 1 5. Fall SMG, §§ 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von XXXX Monaten und einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX XXXX vom XXXX , rechtskräftig am XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 27 Abs. 2a 2. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von XXXX Monaten verurteilt. Die Probezeit wurde auf insgesamt fünf Jahre verlängert.
Der Beschwerdeführer wird seit seiner Haftentlassung am XXXX vom Verein XXXX im Rahmen der Bewährungshilfe betreut und nimmt die Bewährungshilfe bislang gut an.
Der Beschwerdeführer ist nicht erwerbstätig. Er lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.
Der Beschwerdeführer nahm von XXXX bis XXXX an einer Bildungsmaßnahme des XXXX und von XXXX bis XXXX an einem Lehrgang des XXXX teil. Von XXXX bis XXXX nahm er an dem Integrationsprojekt zur Berufsorientierung des Vereines XXXX teil, bei dem er bei der Renovierung eines Hauses mithalf. Er war von XXXX bis XXXX außerordentlicher Schüler der XXXX . Er beabsichtigt, den Pflichtschulabschluss nachzuholen und ist für einen Aufnahmetest für einen externen Pflichtschulabschluss angemeldet.
Der Beschwerdeführer hat ein Deutschzertifikat des Niveaus A1 erworben. Gegenwärtig versteht er alltägliches Deutsch gut und kann sich mit grammatikalischen Mängeln behaftet auf Deutsch ausdrücken. Mehrmals engagierte er sich ehrenamtlich in seiner Wohnsitzgemeinde durch Straßenreinigung. Hobbymäßig spielt der Beschwerdeführer Fußball. Er unterhält Freundschaften zu dauerhaft in Österreich aufenthaltsberechtigten Personen.
Der Aufenthalt des Beschwerdeführers ist nicht gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen notwendig. Sein Aufenthalt ist auch nicht zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit gerichtlich strafbaren Handlungen notwendig. Der Beschwerdeführer wurde auch nicht Opfer von Gewalt; es wurde keine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen und eine solche hätte auch nicht erlassen werden können.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zielgerichtet gegen ihn gerichtete Übergriffe staatlicher Organe oder Privater mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten hätte.
Der Beschwerdeführer wurde wegen eines gefälschten Reisepasses in Somalia nicht zu einer mehrjährigen Haftstrafe ohne gerichtliches Verfahren verurteilt. Ein solcher Haftgrund wird nicht festgestellt. Der Beschwerdeführer brach in weiterer Folge auch nicht aus einem Gefängnis in Mogadischu aus. Ihm droht wegen dieses behaupteten Vorfalls keine Verfolgung durch staatliche Organe.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Clan Gabooye und dessen Sub-Clan XXXX ernstlich Gefahr liefe, zielgerichteten, hinreichend intensiven Übergriffen anderer Bevölkerungsteile ausgesetzt zu sein. Insb für Mogadischu kann dies nicht festgestellt werden.
Weiters kann nicht festgestellt werden, dass ein Bruder des Beschwerdeführers umgebracht worden ist. Mithin kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Ermordung auf die Clanzugehörigkeit dieses Bruders zurückzuführen ist.
1.3. Zur Situation in Somalia enthält das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.09.2019 folgende Ausführungen, die das Bundesverwaltungsgericht als örtliche Gegebenheiten im Herkunftsstaat feststellt:
"Politische Lage
Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).
Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf Clan-Basis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).
Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017).
Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).
Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).
Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).
Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)
Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).
Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).
Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).
Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance.
Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).
Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).
Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017).
1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Im Jahr 2013 kam es zu einem Abkommen zwischen der Bundesregierung und Delegierten von Jubaland über die Bildung des Bundesstaates Jubaland. Im gleichen Jahr wurde Ahmed Mohamed Islam "Madobe" zum Präsidenten gewählt (USDOS 3.3.2017). Der JIA ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Die Machtbalance in Jubaland wurde verbessert, seit die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden (BFA 8.2017).
2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Nach einer Gründungskonferenz im Jahr 2014 formierte sich im Dezember 2015 das Parlament des Bundesstaates South West State. Dieses wählte Sharif Hassan Sheikh Adam zum Übergangspräsidenten (USDOS 3.3.2017). Insgesamt befindet sich der SWS immer noch im Aufbau, die Regierungsstrukturen sind schwach, Ministerien bestehen nur auf dem Papier. Es gibt kaum Beamte, und in der Politik kommt es zu Streitigkeiten. Die Region Bakool ist besser an den SWS angebunden, als dies bei Lower Shabelle der Fall ist. Die Beziehungen von Lower Shabelle zur Bundesregierung und zum SWS sind kompliziert, der SWS hat dort kaum Mitsprache (BFA 8.2017).
3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): Bei der Bildung des Bundesstaates HirShabelle wurde längere Zeit über gestritten. Beide Regionen (Hiiraan und Middle Shabelle) haben erklärt, dass sie genügend Einwohner hätten, um jeweils einen eigenen Bundesstaat gründen zu können. Trotzdem wurden die Regionen fusioniert (BFA 8.2017). Im Jänner 2016 fand eine Konferenz zur Bildung eines Bundesstaates aus Hiiraan und Middle Shabelle statt. In der Folge wurde im Oktober 2016 der Bundesstaat Hirshabelle eingerichtet: Ein Parlament wurde zusammengestellt und ein Präsident - Ali Abdullahi Osoble - gewählt. Anführer der Hawadle haben eine Teilnahme verweigert (USDOS 3.3.2017). Das Kabinett wurde Mitte März 2017 vom Parlament bestätigt (BFA 8.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Der Großteil der Regierung von HirShabelle befindet sich in Mogadischu. Die Bildung des Bundesstaates scheint alte Clan-Konflikte neu angeheizt zu haben, die Hawadle fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).
4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): 2015 wurde eine Regionalversammlung gebildet und Abdikarim Hussein Guled als Präsident gewählt hat (EASO 2.2016). Die Regionalversammlung war von der Bundesregierung eingesetzt worden. Ausgewählt wurden die 89 Mitglieder von 40 Ältesten, welche wiederum 11 Clans repräsentierten. Die Gruppe Ahlu Sunna wal Jama'a (ASWJ), die Teile der Region Galgaduud kontrolliert, hat den Prozess boykottiert und eine eigene Verwaltung eingerichtet (USDOS 3.3.2017). Die GIA wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016). Am 25.2.2017 trat der Präsident von Galmudug, Abdikarim Hussein Guled, zurück (UNSC 9.5.2017). Am 3.5.2017 wurde Ahmed Duale Geele "Xaaf" vom Regionalparlament von Galmudug zum neuen Präsidenten gewählt (UNSC 5.9.2017). Auch der neue Präsident hat noch keine Lösung mit der ASWJ herbeigeführt (UNSOM 13.9.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.9.2017
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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017
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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,
https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017
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DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 24.11.2017
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EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,
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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,
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NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):
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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
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UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017
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UNNS - UN News Service (13.9.2017): Somalia facing complex immediate and long-term challenges, UN Security Council told, http://www.refworld.org/docid/59bfc8b34.html, Zugriff 11.11.2017
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UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
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UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (13.9.2017):
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017
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WB - World Bank (18.7.2017): Somalia Economic Update, http://documents.worldbank.org/curated/en/552691501679650925/Somalia-economic-update-mobilizing-domestic-revenue-to-rebuild-Somalia, Zugriff 20.11.2017
Puntland
Der so genannte Puntland State of Somalia hat sich 1998 mit internationaler Unterstützung konstituiert. Er strebt keine Unabhängigkeit von Somalia an. Es konnten einigermaßen stabile staatliche Strukturen etabliert werden (AA 1.1.2017; vgl. BS 2016). Die staatlichen Organe in Puntland sind insgesamt weniger fragil als die zentralstaatlichen (AA 1.1.2017). Dabei konnte Puntland die Verwaltungskapazitäten weiter ausbauen. Gleichzeitig ist Puntland auf Bundesebene ein wichtiger Akteur. Grundlegende staatliche Dienste (z.B. Infrastruktur, Behörden) sind in Puntland gegeben. Das Verwaltungssystem ist aber urban konzentriert und reicht nicht bis in entlegene Gebiete (BS 2016).
Im Jänner 2014 kam es zum dritten Mal zu einem friedlichen Machtwechsel an der Spitze von Puntland. Allerdings fand dieser Machtwechsel nicht auf der Grundlage einer allgemeinen Wahl statt (AA 1.1.2017). Zwar war eine solche geplant, doch wurde die Wahl aufgrund gewaltsamer Proteste abgesagt. Gewählt wurde Präsident Abdiweli Mohamed Ali "Gaas" im Prinzip von Ältesten (BS 2016). Das Parlament, das den Präsidenten wählte, war unter Einbeziehung traditioneller Strukturen mit Clan-Bezug von einem durch den vorherigen Präsidenten eingesetzten Auswahlausschuss ernannt worden (AA 1.1.2017). Dabei folgte die Wahl von Präsident Gaas dem Rotationsprinzip der drei Hauptclans von Puntland (BS 2016).
Obwohl das Parlament schon im Jahr 2012 eine Verfassung beschlossen hat, die ein Mehrparteiensystem vorsieht (USDOS 3.3.2017), hat Puntland noch keine wirklich demokratischen Strukturen geschaffen. Präsident und Parlament werden durch den Beschluss von Ältesten entschieden (BS 2016).
Politische Auseinandersetzungen werden in der Regel zwar nicht gewaltsam ausgetragen, aber die Sicherheitslage ist im Umfeld der Wahlen sehr angespannt. Staatliche Sicherheitskräfte agieren mit Sondervollmachten (AA 1.1.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,
https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017
Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten
Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).
Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017).
Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2016; vgl. ACLED 2017).
Quellen:
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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), https://www.acleddata.com/data/, Zugriff 10.1.2018
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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 21.12.2017
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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017
Süd-/Zentralsomalia
Die Präsenz von AMISOM in Somalia bleibt auch mittelfristig essentiell, um die Sicherheit in Somalia zu gewährleisten. Sollte AMISOM überhastet abziehen oder die Verantwortung zu früh an somalische Sicherheitsbehörden übergeben, besteht das Risiko von Rückschritten bei der Sicherheit (UNSC 5.9.2017; vgl. ICG 20.10.2017).
AMISOM hat große Erfolge erzielt, was die Einschränkung der territorialen Kontrolle der al Shabaab anbelangt (ICG 20.10.2017). Weite Teile des Landes wurden durch AMISOM und durch die somalische Armee aus den Händen der al Shabaab zurückgeholt (UNHRC 6.9.2017), und AMISOM hat al Shabaab weitgehend zurückgedrängt (ÖB 9.2016). AMISOM und die somalische Regierung konnten ihre Kontrolle in zurückgewonnenen Gebieten etwas konsolidieren (AI 22.2.2017). Es ist aber kaum zur Einrichtung von Verwaltungen gekommen (BFA 8.2017).
Gleichzeitig hat AMISOM ihre Kräfte überdehnt. Die Mission tut sich schwer dabei, nunmehr den Kampf gegen eine Rebellion führen zu müssen, welche sich von lokalen Konflikten nährt. Die al Shabaab ist weiterhin resilient (ICG 20.10.2017). Außerdem beherrschen einige der neu errichteten Bundesstaaten nicht viel mehr, als ein paar zentrale Städte. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt jedoch in vielen Fällen auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert, auch wenn es teils zu weiteren Exkursionen kommt. In einigen Städten ist es in jüngerer Vergangenheit zu Verbesserungen gekommen. Dies gilt mehrheitlich auch für Mogadischu (BFA 8.2017).
Seit Beginn des Bürgerkrieges 1991 gab es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden. In Süd-/Zentralsomalia herrscht weiterhin in vielen Gebieten Bürgerkrieg. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) gegen die radikalislamistische Miliz al Shabaab. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016) oder sind von AMISOM Offensiven betroffen (ÖB 9.2016). Kämpfe - vor allem unter Beteiligung von al Shabaab, aber auch unter Beteiligung von Clans - sowie Zwangsräumungen haben zu Vertreibungen und Verlusten geführt (HRW 12.1.2017). Dabei haben AMISOM und die somalische Armee seit Juli 2015 keine großen Offensive mehr geführt (SEMG 8.11.2017). Im Jahr 2016 gab es zwar Kämpfe zwischen AMISOM/Regierung und al Shabaab, es kam aber kaum zu Gebietswechseln (AI 22.2.2017). Im Jahr 2017 ist es zu weniger direkten militärischen Auseinandersetzungen zwischen al Shabaab und AMISOM gekommen. Die am meisten vom militärischen Konflikt betroffenen Gebiete sind die Frontbereiche, wo Ortschaften und Städte wechselnder Herrschaft unterworfen sind; sowie das Dreieck Mogadischu-Afgooye-Merka (BFA 8.2017).
Die reduzierten Kapazitäten der al Shabaab haben dazu geführt, dass sich die Gruppe auf Guerilla-Taktik und asymmetrische Kriegsführung verlegt hat. Al Shabaab begeht verübt komplexe Angriffe, Selbstmordattentate, und gezielte Attentate auf Einzelpersonen (UKHO 7.2017). Die Gruppe setzt den Guerillakampf im ländlichen Raum Süd-/Zentralsomalias fort. Regelmäßig kommt es zu Angriffen auf somalische und AMISOM-Truppen, die sich auf Verbindungsstraßen bewegen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNSC 9.5.2017).
Al Shabaab kontrolliert weiterhin wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierungskräften Blockaden aufrecht (HRW 12.1.2017). Durch Guerilla-Aktivitäten isoliert al Shabaab mehrere Städte, die teils als Inseln im Gebiet der Gruppe aufscheinen (BFA 8.2017). AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS aus der Luft versorgt werden, da die Überlandrouten nicht ausreichend abgesichert sind (UNSC 5.9.2017).
Es hat mehrere Fälle gegeben, wo internationale Truppen Gebiete in Bakool, Galgaduud, Hiiraan und Lower Shabelle ohne große Ankündigung geräumt haben. In der Folge ist al Shabaab unmittelbar in diese Gebiete zurückgekehrt und hat an der lokalen Bevölkerung zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Mord, Folter, Entführung, Vernichtung humanitärer Güter, Zwangsrekrutierung) begangen (SEMG 8.11.2017). Die Vergangenheit hat gezeigt, dass eben jene Orte, aus denen die ENDF oder AMISOM rasch abgezogen sind, am meisten unter dem Konflikt leiden. Sobald die Regierungskräfte abziehen, füllt nämlich al Shabaab das entstandene Vakuum auf. Vergeltungsmaßnahmen gegen Zivilisten folgen umgehend. Es gibt regelmäßig Berichte darüber, dass AS mutmaßliche Kollaborateure hingerichtet hat. Die Menschen dort leben unter ständiger Bedrohung (BFA 8.2017).
Im September 2017 überrannte al Shabaab mehrere Stützpunkte der somalischen Armee, namentlich in Bulo Gaduud, Belet Xawo, Ceel Waaq und Bariire (19.12.2017 VOA).
Eine Infiltration von unter Kontrolle der Regierung stehenden Städten mittels größerer Kampfverbände der al Shabaab kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure der al Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017). Al Shabaab ist dadurch nach wie vor in der Lage, auch auf die am schwersten bewachten Teile von Mogadischu oder anderer Städte tödliche Angriffe zu führen (AI 22.2.2017).
Die Unsicherheit in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, einschließlich Mogadischu, sowie politische Machtkämpfe behindern Fortschritte im Bereich der Justiz und die Reform des Sicherheitssektors (ÖB 9.2016). Politische Anstrengungen zur Etablierung bzw. Stärkung von Bundesländern verstärkten Clankonflikte in manchen Bereichen (ÖB 9.2016; vgl. BS 2016, BFA 8.2017). Auch dabei kommen Zivilisten zu Schaden (HRW 12.1.2017).
Auch Regierungstruppen und Clanmilizen geraten regelmäßig aneinander. Dadurch werden viele Zivilisten schwerverletzt bzw. getötet. In solchen Fällen bleibt Zivilisten nichts andres übrig als die Flucht zu ergreifen, da weder Clan- noch staatlicher Schutz gegeben ist (ÖB 9.2016).
Gezielte Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur mittels Selbstmordattentätern und anderen Sprengstoffanschlägen durch die al Shabaab haben weiterhin gravierende Folgen (HRW 12.1.2017). Zivilisten kommen im Kreuzfeuer, bei gezielten Attentaten, durch Sprengsätze oder Handgranaten und bei komplexen Anschlägen ums Leben oder werden verwundet (AI 22.2.2017). Generell hat al Shabaab vermehrt Gewalt gegen Zivilisten angewandt, nötigt oder bestraft in den Gebieten unter ihrer Kontrolle ganze Gemeinden. Aufgrund der durch die Dürre verstärkten Ressourcenknappheit hat al Shabaab Dörfern niedergebrannt und Älteste enthauptet, um ihre Steuerforderungen durchzusetzen - so z.B. im Raum Xaradheere im November 2016 (SEMG 8.11.2017). Im ersten Trimester 2017 wurden von al Shabaab 36 Personen entführt, davon wurden 15 später wieder freigelassen (UNSC 9.5.2017).
UNSOM hat für den Zeitraum 1.1.2016-14.10.2017 insgesamt 2.078 getötete zivile Opfer in Somalia dokumentiert; hinzu kommen 2.507 Verletzte. Für 60% der Opfer ist die al Shabaab verantwortlich (UNHRC 10.12.2017a).
Für das Jahr 2016 berichtet das UN Mine Action Service von 267 durch Sprengstoffanschläge getötete und 727 verletzte Personen. Bei Kämpfen kamen zwischen Jänner und August 2016 492 Zivilisten ums Leben (USDOS 3.3.2017). Andererseits beruft sich die SEMG auf Zahlen von ACLED. Demnach seien im Zeitraum Jänner 2016 bis Mitte August 2017 bei 533 Zwischenfällen mit improvisierten Sprengsätzen insgesamt 1.432 Zivilisten zu Schaden gekommen, 931 davon wurden getötet (SEMG 8.11.2017). Das Rote Kreuz wiederum berichtet, dass im Jahr 2016 ca. 5.300 durch Waffen verletzte Personen in vom IKRK unterstützten Spitälern eine Behandlung erhalten haben; v.a. in Mogadischu, Baidoa und Kismayo (ICRC 23.5.2017). Es ist offenbar schwierig, die genaue Zahl festzustellen (AI 22.2.2017).
Im ersten Trimester 2017 wurden 646 Zivilisten getötet oder verletzt (UNSC 9.5.2017), im zweiten Trimester waren es 582 (ca. die Hälfte der letztgenannten Zahl ist al Shabaab zuzuschreiben, 12 Opfer der AMISOM, 41 den staatlichen Sicherheitskräften; bei durch die Dürre verschärften Ressourcenkonflikten kamen 175 Zivilisten zu Schaden) (UNSC 5.9.2017). Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 11 Millionen Einwohnern (CIA 6.11.2017) liegt die Quote getöteter Zivilisten:Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia im ersten Trimester 2017 bei ca. 1:17.000, im zweiten Trimester bei 1:18.900.
Auch wenn die Zahl von Gewalt gegen Zivilisten seit dem Jahr 2013 relativ konstant bleibt, so hat sich die Letalität - etwa aufgrund der Proliferation von destruktiveren Methoden - erhöht. Im Durchschnitt kommen bei jedem Vorfall also mehr Menschen zu Schaden (SEMG 8.11.2017). Absolutes Beispiel dieses Trends ist der Anschlag vom 14.10.2017 in Mogadischu, bei welchem mehr als 500 Menschen getötet wurden - wiewohl sich al Shabaab bislang nicht zu dem Anschlag bekannt hat (DS 2.12.2017).
Dahingegen ist bei den staatlichen Sicherheitskräften ein positiver Trend zu erkennen. Sie sind in keine größeren Angriffshandlungen gegen Zivilisten verwickelt (SEMG 8.11.2017).
Im zweiten Trimester 2017 kam es in ganz Somalia zu 16 Luftangriffen, die meisten davon in den Regionen Gedo (8), Lower Shabelle (4) und Lower Juba (3). Insgesamt kamen dabei 18 Zivilisten zu Schaden (UNSC 5.9.2017). Eine andere Quelle nennt als Gesamtzahl für die ersten beiden Trimester 2017 32 Luftangriffe durch Kenia, die USA und nicht identifizierte Kräfte (SEMG 8.11.2017). Insgesamt sollen alleine die USA im Jahr 2017 30 Luftschläge in Somalia durchgeführt haben (BBC 22.12.2017). Jedenfalls haben die USA ihre Angriffe verstärkt: Während sie im gesamten Jahr 2016 nur dreizehn Luftschläge führte, waren es alleine im Zeitraum Juni-September 2017 neun. Seit 2016 haben sich die Auswirkungen von Luftschlägen auf Zivilisten aufgrund gezielterer Angriffe verringert. Insgesamt wurden im Zeitraum Jänner 2016 bis Juni 2017 bei 58 Luftschlägen 36 zivile Opfer dokumentiert (SEMG 8.11.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/336580/479258_de.html, Zugriff 14.9.2017