TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/7 W191 2135068-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.11.2019
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Entscheidungsdatum

07.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W191 2135068-1/12E

W191 2135068-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. ROSENAUER als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich

1) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.08.2016, Zahl 1058852908-150348506, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.04.2019

2) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.09.2019, Zahl 1058852908-190909582

zu Recht:

Ad 1)

A)

Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 24.08.2016 wird gemäß § 3 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Ad 2)

A)

I. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., III., IV., V., VI. und VII. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall Asylgesetz 2005 stattgegeben, und werden diese ersatzlos behoben.

II. Spruchpunkt II. des Bescheides vom 20.09.2019 wird dahingehend geändert, dass dem Antrag vom 04.06.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 stattgegeben und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 24.08.2021 erteilt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 07.04.2015 irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und wurde gemeinsam mit mehreren anderen Fremden im Ortsgebiet von 7111 Parndorf aufgegriffen und mangels eines gültigen Aufenthaltstitels vorläufig festgenommen. Er stellte einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass der BF am 13.07.2014 in Chios (Griechenland) erkennungsdienstlich behandelt worden war.

1.2. In seiner Erstbefragung am 08.04.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes des CC (Competence Center) Eisenstadt gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu im Wesentlichen Folgendes an:

Er stamme aus XXXX , Distrikt Chahar Dara, Provinz Kunduz, Afghanistan, sei Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, sunnitischer Moslem und ledig. Als Geburtsdatum wurde nach den Altersangaben des BF der XXXX festgehalten. Er habe fünf Jahre lang die Grundschule besucht, könne jedoch nicht lesen. Zu Hause würden noch seine Mutter und seine beiden jüngeren Brüder leben. Sein Vater sei gestorben.

Der BF schilderte seine Reiseroute. In Griechenland sei er zehn Monate lang in Haft gewesen.

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass er Afghanistan aus Angst vor den Taliban verlassen habe. Vor ca. zweieinhalb Jahren hätten diese seinen Vater getötet, weil er Lehrer gewesen sei. Sie hätten den BF aufgefordert, sich ihnen anzuschließen. Weil er sich geweigert habe, hätten sie ihn mit dem Tod bedroht.

1.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) hatte offenbar Zweifel an dem vom BF angegebenen Alter und veranlasste eine medizinische sachverständige Altersschätzung. Nach einer multifaktoriellen Untersuchung am 29.04. und 16.05.2015 (körperliche Untersuchung, Röntgenbild der linken Handwurzel, Orthopantomogramm - Zahnpanorama und Röntgenbild der medialen Sternoclaviculargelenke - Schlüsselbeine) ergab sich laut Gesamtgutachten vom 19.06.2015 ein Mindestalter von XXXX und daraus folgend das fiktives Geburtsdatum XXXX .

1.4. Mit Verfahrensanordnung vom 10.07.2015 stellte das BFA dieses Geburtsdatum für den BF fest.

1.5. Bei seiner Einvernahme am 11.05.2016 vor dem BFA, Regionaldirektion Steiermark, im Beisein einer Vertrauensperson und eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu, bestätigte der BF die Richtigkeit seiner bisher gemachten Angaben und gab im Wesentlichen Folgendes an:

Er habe Afghanistan im April 2014 verlassen. Seine Mutter habe ein Grundstück verkauft, um seine Reise zu finanzieren, sein Onkel mütterlicherseits habe die Reise organisiert.

Zu seinem Fluchtvorbringen gab der BF an (Auszug aus der Verhandlungsschrift, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"[...] VP [Verfahrenspartei]: Meine Familie besaß das o.a. Grundstück. Sie leben in einem eigenen Haus. Mein Onkel besitzt noch ein Grundstück, wo er Mais anbaut. Meine Mutter ist Hausfrau, und mein Onkel hat Lebensmittel verkauft und die ganze Familie ernährt, seit mein Vater von den Taliban erschossen wurde. Das war vor ca. drei Jahren. Mein Vater war zur Schule unterwegs, er war Englischlehrer. Ich kann auch Englisch. Mein Vater wurde von den Taliban als Spion beschuldigt, weil er u.a. Leute von den Behörden unterrichtet hatte. Deshalb haben ihn die Taliban ermordet.

LA [Leiter der Amtshandlung]: Waren Sie dabei, als er getötet wurde?

VP: Ich war damals zuhause. Es kamen Dorfbewohner vorbei, die es uns mitteilten. Sie sagten, dass maskierte Leute ihn umgebracht haben.

LA: Woher wissen Sie, dass es die Taliban waren?

VP: Mein Vater erhielt vorher schon einen Drohbrief von den Taliban. Darin stand, dass Leute von den Behörden bei ihm Englisch lernen und er solle damit aufhören, sonst würde es für ihn schlecht enden.

LA: Wo befindet sich dieser Brief jetzt?

VP: Ich hatte den Brief und andere Beweismittel dabei. Diese habe ich leider beim Überqueren des Meeres nach Griechenland verloren, weil das Boot umgekippt ist.

LA: Hatten Sie wirtschaftliche Gründe, Ihre Heimat zu verlassen?

VP: Nein, ich hatte keine finanziellen Probleme.

LA: Wie geht es Ihrer Familie heute?

VP: In der Türkei hatte ich noch Kontakt zu meiner Mutter. Ich habe mein Handy ebenfalls beim Überqueren des Mittelmeeres verloren. Ich hatte zuletzt nur mehr in Griechenland Kontakt mit meinem Onkel. Diesen Kontakt hat ein Freund in Griechenland herstellen können. Ich habe über ein Handy telefoniert, dessen Tel.-Nr. ich leider nicht mehr erfahren habe. Den Freund habe ich leider auch nicht getroffen.

LA: Haben Sie hier in Österreich je jemanden getroffen, der aus Ihrer Region abstammt?

VP: Ich habe zwar zwei Personen getroffen, jedoch hatten diese auch keinen Kontakt.

LA: Könnten Sie im Falle der Rückkehr in Ihr Herkunftsland wieder an Ihrer Wohnadresse wohnen?

VP: Nein, weil die Taliban unser Dorf noch immer unter Kontrolle haben.

LA: Warum haben Sie eigentlich direkt das Land verlassen? Warum sind Sie nicht in einen sichereren Bereich Afghanistans gegangen?

VP: In Afghanistan ist es nirgendwo sicher. Die Taliban sind überall. [...] Ca. sechs Monate nachdem mein Vater von den Taliban umgebracht wurde, kamen die Leute von den Behörden/Regierung zu uns in die Schule und zu uns nachhause, um uns privat finanziell und mit Naturalien zu unterstützen. Danach haben mich Leute beobachtet und es den Taliban weitergeleitet, dass Leute der Regierung zu uns gekommen sind. Ca. sechs Monate später erhielt ich einen Drohbrief. Im Brief stand, dass die Leute, die uns unterstützen, für die Regierung arbeiten, und dass ich Informationen von Dorf an die Leute weiterleite und die Taliban deshalb ausspionieren würde. Ich solle damit aufhören und mich den Taliban anschließen, sonst würden sie mich wie meinen Vater vernichten. Ich habe den Brief meiner Mutter gezeigt. Sie erzählte es meinem Onkel. Er sagte, dass ich dagegen nichts unternehmen kann, weil die Taliban sehr mächtig sind. Die einzige Lösung wäre, dass ich das Land verlassen soll. Meine Mutter verkaufte danach unser Grundstück, und mein Onkel organisierte einen Schlepper, der mich nach Pakistan brachte.

LA: Für den zeitlichen Ablauf, den Sie mir schilderten, fehlt nach meiner Durchrechnung ein halbes Jahr. Wie können Sie mir das erklären?

VP: Ich blieb noch ca. zwei Monate in Griechenland. Die restlichen vier Monate weiß ich nicht.

LA: Schildern Sie mir den letzten Tag Ihrer Abreise!

VP: Als ich aufstand, ging ich mit meinem Onkel bis zum Nachmittag einkaufen. Um 17:00 Uhr kam jemand bei mir zuhause vorbei, der mich mit dem Auto in Richtung Kabul mitnahm. Wir fuhren ca. sechs Stunden. In Kabul übernachtete ich in einem Hotel. Am nächsten Tag fuhr ich von dort mit dem Bus nach Turkham zur Grenze nach Pakistan.

LA: Haben Sie oder Ihre Mutter sich an die Polizei oder den Dorfältesten gewandt?

VP: Unser Dorf ist unter Kontrolle der Taliban, hätte ich eine Anzeige gemacht, hätte man mich erschossen.

LA: Warum sind Sie nicht in Kabul geblieben? Es gibt in Afghanistan keine Meldepflicht. Man würde Sie dort nicht finden?

VP: Die Taliban haben überall ihre Leute, außerdem kannte ich dort niemanden. Ich bin ein einfacher Bürger, sie hätten mich überall gefunden.

LA: Glauben Sie, dass die Taliban Sie erkennen würden?

VP: Sie würden mich überall finden. Ich bin in meinem Dorf aufgewachsen, dort kennen mich alle. Ich habe gesehen, wenn die Taliban wen suchen, dann finden sie ihn. Wenn mein Leben in Kabul sicher gewesen wäre, hätte ich meine Familie nicht verlassen.

LA: Warum sind Sie in den Iran geflohen und nicht nach Tadschikistan? Wäre doch um einiges näher gewesen?

VP: Ich habe das getan, was mein Onkel mir gesagt hat. In Tadschikistan war ich noch nie.

LA: Haben Sie alle Fluchtgründe genannt?

VP: Ja, ich habe alles gesagt. Nach meiner Ausreise wurde Kunduz angegriffen. Ich weiß jetzt nicht mehr, ob meine Familie noch am Leben ist. [...]"

Dem BF schilderte seine Integrationsbemühungen in Österreich und legte Belege dafür vor.

1.6. Mit Bescheid vom 24.08.2016 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 08.04.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm in Spruchpunkt III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 24.08.2017.

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen - glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Sein Fluchtvorbringen beurteilte das BF als nicht glaubhaft und begründete dies im Wesentlichen mit zeitlichen Unstimmigkeiten. Zudem sei aus seinen Angaben eine Todesdrohung der Taliban nicht ersichtlich bzw. abzuleiten. Auch habe er den erwähnten Drohbrief nicht vorlegen können. Schließlich habe der BF bewusst ein falsches Geburtsdatum angegeben, der ihn in den Genuss einer bevorzugten Behandlung von "unbegleitend" Minderjährigen gebracht hätte. Seine Ausführungen zu seinem Fluchtgrund seien widersprüchlich, kurz gehalten und vage gewesen und somit nicht glaubhaft gemacht worden.

Die Gewährung von subsidiärem Schutz begründete das BFA damit, dass sich aufgrund der vorliegenden Länderfeststellungen im Fall des BF eine Rückkehrgefährdung ergebe. Er würde mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr ausgesetzt sein und die Rechte nach Art. 3 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) würden verletzt werden. Seine Rückkehr erscheine derzeit unter den dargelegten Umständen als unzumutbar.

1.7. Mit von seinem Rechtsberater unterstützt erstelltem Schreiben vom 24.08.2016 brachte der BF gegen diesen Bescheid fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein, mit dem dieser Bescheid vom 24.08.2016 bezüglich Spruchpunkt I. (Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten) wegen "Verletzung von Verfahrensvorschriften" angefochten wurde.

In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen moniert, dass der BF sein Fluchtvorbringen detailliert und schlüssig erzählt habe. Die in der Beweiswürdigung angeführten angeblichen Unstimmigkeiten bezögen sich ausschließlich auf die Erstbefragung, in der der BF jedoch nur sehr kurz zu seinem Fluchtgrund befragt worden sei.

Beantragt wurde unter anderem, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen.

1.8. Mit Schreiben vom 01.08.2017 stellte der BF einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung. Das BFA gab diesem Antrag mit Bescheid statt und verlängerte die Aufenthaltsberechtigung bis zum 24.08.2019.

1.9. Mit Schreiben vom 11.04.2019 legte der BF dem BVwG weitere Belege zu seiner Integration in Österreich vor.

1.10. Das BVwG führte bezüglich des angefochtenen Bescheides vom 24.08.2016 (betreffend § 3 AsylG - Asyl) am 29.04.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu durch, zu der der BF im Beisein seiner nunmehr zur Vertretung bevollmächtigten Rechtsberaterin persönlich erschien. Das BFA verzichtete mit Schreiben vom 14.09.2016 auf die Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

In der Verhandlung gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"[...] RI [Richter]: Paschtu. Darüber hinaus spreche ich Dari und ein bisschen Englisch und verstehe ein bisschen Urdu. Meine Sprachkenntnisse in Dari habe ich in Österreich verbessert. RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für den BF?

D: Paschtu.

RI befragt BF, ob er D gut verstehe; dies wird bejaht.

[...]

Der BF hat bisher keine Beweis- oder Bescheinigungsmittel für seine Identität oder sein Fluchtvorbringen vorgelegt und legt auch heute keine vor.

BF: Ich habe schon angegeben, dass ich auf dem Weg von der Türkei nach Griechenland meine Papiere im Meer verloren habe. Es waren die Tazkira meines Vaters, eine Bestätigung, dass er als Lehrer gearbeitet hat, sowie ein Drohbrief der Taliban.

Bezüglich seiner Integration hat er Belege vorgelegt (Deutschprüfungszeugnis A2, Zertifikat Hubstaplerführer, Seminarbestätigung Vorqualifizierung Technische Rampe, Teilnahmebestätigung Deutschkurs B1, Arbeitszeugnis als Küchenhilfe vom Mai bis Dezember 2017).

BF: Nach meiner technischen Ausbildung habe ich ein Monat lang bei einer Firma in der Steiermark als Staplerfahrer gearbeitet. Seit November 2018 bin ich bei MAGNA beschäftigt.

[...]

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?

BF: Mein Name ist richtig. Meine Mutter hat mir gesagt, dass ich im Jahr XXXX geboren bin, ich kann das aber nicht belegen. [...] In Österreich habe ich eine österreichische Freundin.

[...]

RI: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

BF: Zu meiner Mutter und meinen beiden jüngeren Brüdern habe ich genauso wie zu meinem Onkel mütterlicherseits keinen Kontakt.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Nein.

RI: Haben Sie Kontakt zu Österreichern? Haben Sie in Österreich wichtige Kontaktpersonen, und wie heißen diese?

BF: Ja, mit sehr vielen. Mit meiner Freundin bin ich seit ca. acht Monaten zusammen.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?

BF: Ja, ich habe Sie in großen Teilen verstanden, obwohl Sie manchmal schnell gesprochen haben.

RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und auf Deutsch beantwortet hat.

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach? Wie ist Ihr Tagesablauf?

BF: Ich gehe ca. zwei bis dreimal wöchentlich ins Fitnessstudio und besuche ca. einmal im Monat Musikveranstaltungen von Freunden (Rockmusik).

[...]

RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF: Nein.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI: Sie wurden bereits im Verfahren vor dem Bundesasylamt zu den Gründen, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe), einvernommen. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein.

Sind Ihnen diese Angaben noch erinnerlich und, wenn ja, halten Sie diese Angaben vollinhaltlich und unverändert aufrecht, oder wollen Sie zu Ihren Fluchtgründen noch etwas ergänzen oder berichtigen, das Ihnen wichtig erscheint? Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.

BF: Ich habe die Wahrheit gesagt. Beim Verein Menschenrechte Österreich wurden mir drei Fragen gestellt bzw. es wurden mir vorgehalten meine Angabe, dass ich über den Iran nach Europa gekommen bin. Die ursprüngliche Frage vor dem BFA lautete, ob ich über den Iran nach Europa gereist bin. Ich habe damals die Frage falsch verstanden.

RI: Sie haben keinerlei Belege für Ihr Vorbringen vorgelegt. Warum war es Ihnen nicht möglich, etwa über Ihren Onkel, der doch Ihre Reise organisiert hat, Belege nachschicken zu lassen?

BF: Ich habe keinen Kontakt zu ihm. Ein einziges Mal in Griechenland hatte ich die Chance, über einen anderen Asylwerber aus Kunduz eventuell mit meinem Onkel telefonieren zu können, dies ist aber nicht gelungen.

RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF: Im Falle einer Rückkehr hätte ich Probleme mit den Taliban in Afghanistan. Ich stamme aus einer problematischen Provinz.

Der RI bringt unter Berücksichtigung des Vorbringens des BF auf Grund der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Informationen die dieser Niederschrift beiliegenden Feststellungen und Berichte [...] in das gegenständliche Verfahren ein.

Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.

RI: Sie haben gesagt, dass Ihr Vater getötet worden ist. Können Sie das genauer erzählen?

BF: Mein Vater war Englischlehrer. Die Menschen kamen zu meinem Vater, um von ihm zu lernen. Insbesondere jene, die entweder für die Regierung gearbeitet haben oder als Dolmetscher gearbeitet haben. Irgendwer hat meinen Vater an die Taliban verraten. Er wurde der Spionage beschuldigt. Mein Vater wurde von ihnen ermahnt. Er sollte aufhören mit seiner Tätigkeit, Englisch zu unterrichten. Das sei gegen die Taliban.

RI: Können Sie nicht genauer erzählen, wie sie ihn umgebracht haben?

BF: Mein Vater wurde ermahnt durch einen Brief, er sollte mit seiner Tätigkeit aufhören. Mein Vater sagte, dass er das nicht tun würde, weil sonst die Kinder so wie die Taliban sein würden. Mein Vater wollte, dass die Kinder unseres Landes weiter lernen.

RI wiederholt die Frage.

BF: Mein Vater war in der Früh auf einem Rad unterwegs zur Schule. 10 bis 15 Minuten nachdem er das Haus verlassen hatte, kamen die Kinder des Dorfes zu uns und klopften an der Tür. Die Kinder haben erzählt, dass zwei Motorradfahrer bzw. zwei Personen auf einem Motorrad unterwegs waren und meinen Vater erschossen haben. Nachdem ich das gehört habe, bin ich schnell aus dem Haus zu meinem Vater gelaufen. Ich sah, dass mein Vater am Boden lag.

RI: Warum haben Sie das so beim Bundesamt nicht erzählt?

BF: Das habe ich damals auch erzählt. Ich habe damals alles erzählt, auch in Graz vor der Behörde. Zwei oder dreimal habe ich dem Dolmetscher vor der Behörde gesagt, dass er alles ausführlich erzählen soll.

RI: Wann war das Begräbnis?

BF: Wie meinen Sie?

RI erklärt die Frage.

BF: Er wurde am Vormittag in der Früh erschossen, und beigesetzt wurde er am Nachmittag. Ich war dabei.

RI: Da haben Sie keine Angst vor den Taliban gehabt?

BF: Ich hatte Angst, warum nicht? Nach dem Tod unseres Vaters fragten meine jüngeren Brüder ca. ein Monat danach, wann unser Vater nachhause kommt. Weder ich noch meine Mutter konnten gut essen. Das haben sie immer wiederholt. Mein jüngerer Bruder hatte keine Ahnung, dass unser Vater gestorben ist.

RI folgt BFV Kopien dieser Erkenntnisquellen aus und gibt ihr die Möglichkeit, dazu sowie zu den bisherigen Angaben des BF eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.

BFV verzichtet auf Fragen sowie auf eine Stellungnahme.

Ermittlungsermächtigung:

RI: Sind Sie damit einverstanden, dass entsprechend den vom Bundesverwaltungsgericht zu treffenden Anordnungen in Ihrem Herkunftsstaat allenfalls Erhebungen unter Verwendung Ihrer personenbezogenen Daten durchgeführt werden, wobei diese jedenfalls nicht an staatliche Stellen Ihres Herkunftsstaates weitergegeben werden?

BF: Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das tun würden.

RI befragt BFV, ob sie noch etwas Ergänzendes vorbringen will; dies wird verneint.

Dem BF wird auf sein Ersuchen eine Frist von - vier Monaten - zur Nachbringung allfälliger Belege bezüglich seines Fluchtvorbringens eingeräumt. Ihm wird mitgeteilt, dass allenfalls [die Möglichkeit für] eine Familiensuche über das internationale Rote Kreuz besteht.

[...]"

Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.

1.11. Innerhalb der dem BF eingeräumten Nachfrist hat er - bis dato - keine Belege für sein Vorbringen nachgebracht.

Mit Schreiben vom 30.08. sowie 03.09.2019 hat er weitere Belege bezüglich seiner Integration in Österreich vorgelegt.

1.12. Mit von einer Hilfsorganisation unterstützt erstelltem Schreiben vom 04.06.2019 stellte der BF einen weiteren Antrag auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 AsylG (subsidiärer Schutz)

1.13. Bei seiner Einvernahme am 21.08.2019 vor dem BFA, Regionaldirektion Steiermark, Betreff: "Einvernahme §8 Verlängerung, Prüfung des Aberkennungsverfahrens", im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu, wurde der BF zu seinen Lebensumständen in Österreich sowie zu seinen Kontakten nach Afghanistan befragt.

Der BF gab an, mit seiner Familie habe er zuletzt in Griechenland im Jahr 2015 Kontakt gehabt. Das BFA behauptete, die Rückkehr des BF ins Heimatland nach Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif sei für ihn grundsätzlich zumutbar, worauf der BF antwortete, er sei seit vier Jahren hier und integriert und habe Zukunftspläne. Er könne seine Pläne nicht woanders realisieren. In den "sicheren Provinzen seines Heimatlandes oder Kabul Stadt oder Mazar-e Sharif oder Herat" habe er niemanden und es sei für ihn schwierig, dort Fuß zu fassen.

In Österreich habe er seit acht Monaten eine Freundin aus Kärnten, die er am Wochenende sehe, da er unter der Woche in der Steiermark und sie in Kärnten arbeite.

Der BF legte weitere Belege bezüglich seiner Integration vor (betreffend Erwerbstätigkeit, Führerschein, Werte- und Orientierungskurs).

Dem BF wurde die Möglichkeit eingeräumt, in die "allgemeinen aktuellen Länderfeststellungen des BFA" [gemeint wohl: in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, mit Erstellungsdatum] zu seinem Heimatland Einsicht und Stellung zu nehmen, worauf er verzichtete.

1.14. Mit Bescheid vom 20.09.2019 wurde der dem BF mit Bescheid vom 24.08.2016 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). In Spruchpunkt II. wurde ihm die mit Bescheid vom 24.08.2016 erteilte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen und in Spruchpunkt III. sein Antrag vom 07.06.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen.

In den Spruchpunkten III. - VII. wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat.

Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

Die Aufhebung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass zum heutigen Zeitpunkt für ihn als alleinstehenden, jungen, arbeitsfähigen und gesunden Mann die Möglichkeit einer Rückkehr in sein Heimatland bestehe. Er habe sich in Österreich wertvolle Kenntnisse aneignen können, welche ihm bei seiner Rückkehr von Vorteil sein könnten. Aufgrund der aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan hätte keine allgemeine relevante Gefährdungslage festgestellt werden können. Seine Heimatprovinz Kunduz sei zwar (noch) als volatil einzustufen, jedoch sei in seinem Fall eine "innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul Stadt, Herat (City) und Mazar-e Sharif aus heutiger Sicht möglich".

1.15. Gegen diesen Bescheid des BFA vom 20.09.2019 (Aberkennung von subsidiärem Schutz) erhob der BF mit Schreiben der ihn vertretenden rechtsberatenden Hilfsorganisation vom 25.09.2019 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, mit dem der Bescheid gesamtinhaltlich wegen "Verletzung von Verfahrensvorschriften" angefochten wurde.

In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Gründe, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den BF geführt haben, sich im Wesentlichen nicht geändert hätten. Die Voraussetzungen für die Aberkennung gemäß § 9 lägen sohin mangels wesentlicher Änderung der maßgeblichen Umstände nicht vor.

Der BF habe ausdrücklich angegeben, dass er aus Kunduz stamme und nie in anderen Provinzen gelebt habe. Er habe seit 2015 keinen Kontakt mehr zu seiner Familie und wisse überhaupt nicht, wer von ihnen noch lebe oder ob sie sich noch in Afghanistan aufhielten. Aus diesem Grund habe er auch keine Beweismittel für sein Fluchtvorbringen herbeischaffen können. Er verfüge demnach in Afghanistan über kein soziales Netzwerk.

Zudem sei der BF mit fortwährender Dauer seines Aufenthaltes im Aufnahmestaat dem Heimatstaat zunehmend entfremdet.

Der BF sei seit April 2015 in Österreich aufhältig, sein Aufenthalt sei somit seit mehr als viereinhalb Jahren rechtmäßig gewesen. Er habe viele Integrationsbemühungen erfolgreich gesetzt. Er habe sehr gute Sprachkenntnisse erworben, soziale Beziehungen geknüpft, wohne privat und sei erwerbstätig, wofür er Belege (Arbeitszeugnis, Empfehlungsschreiben von Freunden und vom Vermieter) vorlegte.

1.16. Das BFA legte die Beschwerde gegen den Bescheid vom 20.09.2019 samt Verwaltungsakt vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in die dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakten des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 08.04.2015 und der Einvernahmen vor dem BFA am 11.05.2016 und 21.08.2019, die eingeholte sachverständige multifaktorielle Altersschätzung vom 19.06.2015, die vom BF vorgelegten Belege bezüglich seiner Integration sowie die gegenständlichen Beschwerden vom 24.08.2016 und vom 17.10.2019, sowie Einsicht in die Gerichtsakten des BVwG

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF in den erstbehördlichen Verfahren (Auszüge aus den jeweils aktuellen Länderinformationsblättern der Staatendokumentation des BFA)

* Einsicht in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat sowie in der Provinz Kunduz (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 26.03.2019)

o ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Sippenhaft durch Taliban von Familienmitgliedern von (angeblichen) Unterstützern der Regierungstruppen [...] vom 30.08.2017 sowie

o Auszug aus Landinfo report Afghanistan: Rekrutierung durch die Taliban, vom 29.06.2017 (Arbeitsübersetzung)

Der BF hat keine Beweismittel oder sonstige Belege für sein Fluchtvorbringen vorgelegt.

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen, glaubhaft gemachten Sachverhalt aus:

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Paschtu, er spricht auch etwas Dari, Urdu und Englisch.

3.1.2. Lebensumstände des BF in Afghanistan:

Der BF stammt aus der Provinz Kunduz und lebte mit seinen Eltern und seinen zwei jüngeren Brüdern in XXXX , Distrikt Chahar Dara. Er besuchte fünf Jahre die Schule.

Der BF verfügt in Afghanistan seit seiner Ausreise im Jahr 2015 nach seinen Angaben über keine familiären oder sonstigen sozialen Kontakte oder Anknüpfungspunkte und hatte zuletzt telefonischen Kontakt mit seiner Mutter bzw. seinem Onkel mütterlicherseits im Jahr 2015.

3.1.3. Der BF hat Afghanistan im Alter von 20 Jahren aus angegebenen Problemen verlassen und hier am 07.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

3.1.4. Lebensumstände des BF in Österreich:

Der BF bemüht sich in Österreich ernsthaft und erfolgreich um seine Integration. Er hat sich gute Deutschkenntnisse angeeignet, wohnt privat, hat viele soziale Kontakte mit Österreichern und ist erwerbstätig. Er ist strafgerichtlich unbescholten.

3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

3.2.1. Der BF wurde nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nicht politisch tätig und gehörte nicht einer politischen Partei an.

3.2.2. Der BF hat sein Vorbringen, dass sein Vater ca. zweieinhalb Jahre vor seiner Ausreise von den Taliban getötet worden sei und er selbst von den Taliban aufgefordert worden sei, für sie zu kämpfen, und dass er nach seiner Weigerung mit dem Tod bedroht worden sei, nicht glaubhaft gemacht.

3.3. Zum subsidiären Schutz:

Dem BF wurde mit Bescheid des BFA vom 24.08.2016 rechtskräftig der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt: Mit Bescheid wurde seine befristete Aufenthaltsberechtigung um weitere zwei Jahre verlängert.

Eine im Vergleich zum Bescheid vom 24.08.2016 eingetretene grundlegende und dauerhafte Änderung jener Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, liegt nicht vor.

3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

3.4.1. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", zuletzt aktualisiert am 04.06.2019, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"[...] 2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.03.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 06.05.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.05.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 151.2016; vgl. AB 295.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 21.08.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).

Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich Am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).

[...]

2. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.2016).

[...]

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.08.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.02.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.02.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.02.2018).

[...]

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 06.06.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.02.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.02.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.02.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.02.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.02.2018, NZZ 21.03.2018, UNGASC 27.02.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.03.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 01.06. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.02.2018; vgl. Slate 22.04.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.03.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.03.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.01.2018; vgl. BBC 29.01.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.01.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um aus

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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