Entscheidungsdatum
08.11.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W273 2163123-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabel FUNK-LEISCH als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , alias XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 09.06.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Am XXXX fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, dass er in Afghanistan aufgrund seiner Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit als Hazare und Schiite Probleme gehabt habe.
3. Am XXXX fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden "Bundesamt" oder "BFA") statt. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass er das Lebensmittelgeschäft seines Vaters übernommen habe und im Jahr vor seiner Ausreise Alkohol verkauft hätte. Einen Tag vor seiner Flucht sei ein Freund zu ihm gekommen und hätte ihm berichtet, dass die Mullahs aus dem Dorf davon erfahren hätten und planen würden, ihn nach dem Freitagsgebet aus seinem Geschäft zu holen und zu steinigen. Er sei am nächsten Tag mit seiner Frau, seinem Bruder und seinen Eltern schlepperunterstützt nach Pakistan gereist.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.) und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
5. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass er aufgrund des von ihm gesetzten Verhaltens, nämlich des Verkaufs von Alkohol, sowohl von der afghanischen Polizei als auch von den Mullahs in seinem Heimatdorf verfolgt werde.
6. In seiner Beschwerdeergänzung vom XXXX brachte der Beschwerdeführer vor, dass er in Österreich erstmals mit dem Christentum in Kontakt getreten sei beschlossen habe, seinen Glauben zu wechseln. Von XXXX habe er einen Taufvorbereitungskurs besucht und sei am XXXX in der iranisch-christlichen Gemeinde getauft worden. Selbst für den Fall, dass sich die Nachricht über die Konversion des Beschwerdeführers in Afghanistan noch nicht herumgesprochen hätte, würde der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan augenblicklich als "Ungläubiger" auffallen.
7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Vorgelegt wurde zudem ein Schreiben des Pastors der Iranischen Christlichen Gemeinde, datiert mit XXXX .
8. Mit Stellungnahme vom XXXX legte der Beschwerdeführer erneute seine Fluchtgeschichte und seine Konversion zum Christentum dar. Weiters nahm er Stellung zur aktualisierten Fassung des Länderinformationsblattes.
9. Am XXXX führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari, der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers und eines Vertreters des Bundesamtes eine weitere öffentliche mündliche Verhandlung durch. In dieser wurde der Pastor der iranisch-christlichen Glaubensgemeinschaft als Zeuge zum Vorbringen der Konversion des Beschwerdeführers einvernommen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , alias XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger. Der Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist traditionell verheiratet. Seine Muttersprache ist Dari.
Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Ghazni, Distrikt XXXX , geboren und lebte dort bis 2015. Von XXXX bis XXXX besuchte er die Grundschule in seinem Heimatdistrikt. Neben der Schule war der Beschwerdeführer in der elterlichen Landwirtschaft tätig. Nach der Schulzeit arbeitete er sieben Jahre lang in der Landwirtschaft. Dann übernahm er das Lebensmittelgeschäft seines Vaters und führte dieses bis zu seiner Ausreise. Der Beschwerdeführer verkaufte keinen Alkohol in seinem Geschäft.
Der Beschwerdeführer lebte bis zu seiner Ausreise in seinem Elternhaus in der Provinz Ghazni, Distrikt XXXX . Er lebte dort mit seiner Ehefrau, seinen Eltern und seinem Bruder. Eine ältere Schwester ist schon verstorben. Im Jahr 2015 reiste die Familie des Beschwerdeführers gemeinsam nach Pakistan. Das Haus, die Grundstücke und das Lebensmittelgeschäft wurden verkauft. Ende des Jahres 2015 verstarben die Eltern und der Bruder des Beschwerdeführers in Pakistan. Die Ehefrau des Beschwerdeführers lebt nach wie vor in Pakistan. Sie arbeitet als Englischlehrerin. Ihre wirtschaftliche Situation ist durchschnittlich. Der Beschwerdeführer steht in regelmäßigem Kontakt zu seiner Ehefrau.
In Afghanistan, in der Provinz Ghazni, leben noch drei Onkel mütterlicherseits. Zu diesen steht der Beschwerdeführer seit seiner Kindheit nicht mehr in Kontakt.
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer wurde nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert und ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.
1.3. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich
Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Antragstellung am XXXX aufgrund der vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Der Beschwerdeführer hat bisher zwei Deutschkurse (ÖSD-Zertifikat A1 vom XXXX , ÖSD-Zertifikat A2 vom XXXX , Bestätigung des Volksbildungsvereines XXXX vom XXXX, Kursteilnahmebestätigung des Vereins XXXX vom XXXX ) besucht. Der Beschwerdeführer kann sich auf Deutsch verständlich machen und versteht auch einfache Aspekte einer Unterhaltung. Er hat weiters einen Integrationskurs (Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs vom XXXX ) besucht.
Der Beschwerdeführer ist ehrenamtlich für seine Wohnsitzgemeinde tätig (Bestätigung der Stadtgemeinde Stockerau vom XXXX ).
Der Beschwerdeführer würde gerne als Bauarbeiter oder Tischler arbeiten.
Der Beschwerdeführer hat einige afghanische sowie österreichische Freunde im Bundesgebiet.
Der Beschwerdeführer ist nicht Mitglied eines Vereins oder einer anderen Gemeinschaftseinrichtung.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten.
Der Beschwerdeführer nahm erstmals im Juni 2017 Kontakt zur iranisch-christlichen Gemeinde Wien auf und besuchte von XXXX einen Taufvorbereitungskurs der iranisch-christlichen Gemeinde. Er wurde dort am XXXX gemeinsam mit neun bis zehn anderen Personen getauft und ist seitdem Angehöriger der iranisch-christlichen Gemeinde (Freikirche). Er besucht ein- bis zweimal wöchentlich den Gottesdienst.
Der Beschwerdeführer geht keiner Erwerbstätigkeit nach und lebt von der Grundversorgung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig (Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem vom XXXX ).
Der Beschwerdeführer ist unbescholten (Strafregisterauszug vom XXXX , Verfahrensakt).
1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Da der Beschwerdeführer keinen Alkohol in Afghanistan verkaufte, war der der Beschwerdeführer aus diesem Grund auch keiner persönlichen Bedrohung oder Verfolgung durch die Taliban, die Mullahs, die afghanischen Behörden oder andere Personen in Afghanistan ausgesetzt.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer oder aus anderen Gründen individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die Taliban, den Mullahs, den afghanischen Behörden oder durch andere Personen.
Der Beschwerdeführer wuchs als Angehöriger der muslimischen Religion schiitischer Ausrichtung auf. Er tritt nicht religionsfeindlich oder spezifisch gegen den Islam auf.
Der Beschwerdeführer hat sich nicht nach reiflicher Überlegung und aus innerer Glaubensüberzeugung von muslimischen Glauben und vom Islam abgewendet. Er hat einen christlichen Glauben nicht verinnerlicht und dieser ist nicht wesentlicher Teil seiner Persönlichkeit geworden. Er würde seinem Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nicht weiter nachkommen und dieses auch nicht nach außen zur Schau tragen.
Es ist abgesehen von seiner Ehefrau, die in Pakistan lebt, keinen Familienmitgliedern des Beschwerdeführers noch anderen Personen in Afghanistan bekannt, dass der Beschwerdeführer in Österreich einen christlichen Glaubenskurs besucht hat und sich taufen ließ. Er steht mit seinen Familienangehörigen in Afghanistan nicht in Kontakt und hat niemandem in Afghanistan mitgeteilt, dass er sich in Österreich für das Christentum interessiert.
Der Beschwerdeführer hat keine Verhaltensweisen verinnerlicht, die bei einer Rückkehr nach Afghanistan als Glaubensabfall gewertet werden würde. Der Beschwerdeführer wird mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit weder sein Interesse für das Christentum, noch die erfolgte Taufe in der afghanisch-christlichen Glaubensgemeinschaft, noch andere Umstände in Afghanistan nach außen tragen, die in der Gefahr physischer oder psychischer Gewalt und/oder Verfolgung des Beschwerdeführers durch staatliche Stellen resultieren würden.
Der Beschwerdeführer ist im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund des Besuchs eines christlichen Glaubenskurses bzw. seines Interesses am Christentum und der Taufe in der iranisch-christlichen Glaubensgemeinschaft nicht psychischer und/oder physischer Gewalt von staatlichen Stellen oder Privatpersonen ausgesetzt.
Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten und/oder zur Volksgruppe der Hazara konkret und individuell keine physische und/oder psychische Gewalt. Angehörige der Religionsgemeinschaft der Schiiten und/oder der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan sind nicht allein aufgrund der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.
Der Beschwerdeführer ist aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land in Afghanistan keiner psychischen oder physischen Gewalt ausgesetzt. Ebenso wenig ist jeder Rückkehrer aus Europa, allein aufgrund des Aufenthaltes in Europa, in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.
1.4. Zu einer Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat
Dem Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Ghazni aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
In den Städten Mazar-e Sharif und Herat droht dem Beschwerdeführer im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Der Beschwerdeführer kann die Städte Mazar-e Sharif und Herat von Österreich sicher mit dem Flugzeug erreichen.
Die Wohnraum- und Versorgungslage in Mazar- e Sharif und Herat ist angespannt. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan in die Städte Mazar-e Sharif oder Herat kann der Beschwerdeführer jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen, sich eine Existenz aufbauen und diese - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Der Beschwerdeführer kann sich in Mazar-e Sharif oder Herat niederlassen und sich eine Existenz aufbauen, die mit jener andere vor Ort ansässiger Personen vergleichbar ist. Der Beschwerdeführer kann Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.
1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan
1.5.1. Allgemeine Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung.
(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 mit integrierter Kurzinformation vom 04.06.2019 - im Folgenden "LIB 04.06.2019", S. 22 ff; das LIB 04.06.2018 wurde für die Zwecke dieser Feststellungen um Quellenangaben bereinigt und wir auszugsweise wiedergegeben). Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen. Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (LIB 04.06.2019, S. 14).
Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (LIB 04.06.2019, S. 22).
1.5.2. Regierungsfeindliche Gruppierungen
Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: Das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden (LIB 04.06.2019, S. 76f.).
Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 04.06.2019, S. 68).
1.5.3. Ghazni
Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni grenzt im Norden an die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan, im Osten an Logar, Paktia und Paktika, im Süden an Zabul und im Westen an Uruzgan und Daikundi. Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl, die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird. Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung Paschtunen sind (LIB 04.06.2019, S. 129).
Nach mehr als zwei Jahrzehnten ohne Mohnanbau in der Provinz Ghazni (seit 1995), wird nun wieder Mohn angebaut. Mit Stand November 2017 wurden 1.027 Hektar Mohn angebaut: Opium/Mohn wurde insbesondere im Distrikt Ajrestan angebaut, in dem die Sicherheitslage schwach ist
Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass die Provinz Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv. In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen.
Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden - in absteigender Reihenfolge - in den Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt.
Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.
Miliärische Operationen werden in der Provinz Ghazni durchgeführt; Aufständische werden getötet und festgenommen. Luftangriffe werden ebenso durchgeführt, bei denen auch Taliban getötet werden. Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt.
1.5.4. Zur Provinz Balkh und der Hauptstadt Mazar-e Sharif
Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan. Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan] und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 04.06.2019, S. 108f.). Die Infrastruktur ist noch unzureichend, da viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, in schlechtem Zustand und in den Wintermonaten unpassierbar sind (LIB 04.06.2019, S. 109). Mazar-e Sharif ist jedoch grundsätzlich auf dem Straßenweg mittels Bus erreichbar, eine Fahrt kostet zwischen 400 und 1.000 Afghani (LIB 04.06.2019, S. 264).
In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist (LIB 04.06.2019, S. 266). Der Flughafen befindet sich 9 km östlich der Stadt (s. EASO Leitlinien Afghanistan vom Juni 2019 (EASO Country Guidance Afghanistan of June 2019), S. 130), die Verbindungsroute in die Stadt ist bei Tageslicht jedenfalls sicher.
Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (LIB 04.06.2019, S. 109, ECOI.net Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 26.07.2019). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt. Im Herbst 2018 wurde im Norden Afghanistans - darunter u.a. in der Provinz Balkh - eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden registriert; Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan (LIB 04.06.2019, S. 108-109).
Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer (LIB 04.06.2019, S. 110).
Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachte Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB 04.06.2019, S. 111).
1.5.5. Zu den aktuellen sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen in der Stadt Mazar-e Sharif (EASO Bericht Sozio-Ökonomie 2019 zu den angegebenen Seitenzahlen):
In der Stadt leben Tadschiken und Paschtunen, Usbeken und Hazara und weitere Ethnien gemischt (EASO Bericht Sozio-Ökonomie 2019, S. 12). 38 % der Bevölkerung - hauptsächlich ökonomische MigrantInnen - davon nur 17 % Rückkehrer aus dem Ausland (Iran und andere Länder) sind IPD und Rückkehrer (EASO Bericht Sozio-Ökonomie 2019, S. 14f).
Die Stadt ist ein Industriezentrum. Es bestehen Arbeitsmöglichkeiten im Bereich Handel und Handwerk. Mazar-e Sharif ist im Vergleich zu Kabul und Herat (auch wirtschaftlich) stabiler. Die größten Gruppen sind DienstleistungsmitarbeiterInnen und Handelsangestellte (23%), gefolgt von Managern/Technikern/ Angestellten (20,9 %). Familiennetzwerke sind lebensnotwendig für Rückkehrer, um Arbeit und Unterkunft zu finden. (EASO Bericht Sozio-Ökonomie 2019, S. 29).
Lt. IOM arbeiten der Großteil der IDPs und der Rückkehrer als Gelegenheitsarbeiter. Wenige arbeiten in der Landwirtschaft oder haben eigenes Vieh. Märkte und kleine Geschäfte bieten Arbeitsmöglichkeiten, welche aber oft zeitlich begrenzt sind (EASO Bericht Sozio-Ökonomie 2019, S. 30).
Laut Prognose des FEWS befindet sich Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 in Phase 1 des Klassifizierungssystems für Nahrungsmittelversorgung und im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 (stressed). In Phase 1, auch "minimal" genannt, sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI.net Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 26.07.2019, 3.1.)
Zum Gesundheitswesen wird berichtet, dass in Mazar-e Sharif das größte Krankenhaus das Abu Ali Sinha Regional Hospital ist, welches für die gesamte Region tätig ist. Es gibt 10 - 15 Spitäler in Mazar, der Großteil davon ist privat, und 30 bis 50 Gesundheitskliniken. (EASO Bericht Sozio-Ökonomie 2019, S. 50ff).
Zu den Themen Unterkunft, Wasser und sanitäre Einrichtungen wird berichtet, dass 66,5 % der Menschen in Mazar-e Sharif im eigenen Haus leben, während 24,5 % ihre Unterkunft gemietet haben (2015). Mehr als die Hälfte der Häuser in Mazar besteht aus Lehm, Erde oder Holz, der Rest ist aus Ziegeln und Metall, Zement oder anderen Materialien errichtet. Die meisten Menschen haben Zugang zu verbesserten Trinkwasser (76 %), das normalerweise aus Brunnen stammt. 92% der Haushalte hat eine verbesserte sanitäre Einrichtung (EASO Bericht Sozio-Ökonomie 2019, S. 56f).
1.5.6. Zur Provinz Herat
Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Es kommt manchmal zu Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Gruppen und afghanischen Sicherheitskräften (ECOI.net Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 26.07.2019). Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen. Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden. ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (LIB 04.06.2019, S. 146-148).
Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge.
In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt; dabei wurden Taliban getötet. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen.
1.5.7. Zu den aktuellen sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen in der Stadt Herat
Die Provinz Herat hat im Zeitraum 2017-2018 ca. 507.000 EinwohnerInnen (EASO Bericht Sozio-Ökonomie 2019, S.12f). Die Bevölkerung in Herat setzt sich aus Tadschiken (Hauptbevölkerung Herats), einer paschtunischen Minderheit und Hazara (ca. ein Viertel der Bevölkerung) zusammen. Viele davon sind aus dem Exil zurückgekehrt und leben im Stadtteil Jebrael im Westen der Stadt, wo insgesamt ca. 60.000 Menschen leben. Die Ethnien leben meist getrennt voneinander (EASO Bericht Sozio-Ökonomie 2019, S.12f). 47 % der Bevölkerung besteht aus intern Vertriebenen und Rückkehrern, wobei es sich hauptsächlich um ökonomische MigrantInnen handelt (EASO "Afghanistan Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City", April 2019, S.14f). Da Stämme in Herat weniger Rolle spielen, ist es für MigrantInnen leichter, sich dort niederzulassen. Lt. IOM ist Herat am meisten von MigrantInnen betroffen. Daher ist Herat geprägt von sozialer Instabilität, inadäquatem Zugang zu Grundservices und es besteht ein begrenzter Zugang zum Arbeitsmarkt. Aufgrund der Dürre im Herbst 2018 kamen zusätzlich ca. 60.000 Personen aus dem Umfeld in die Stadt Herat (S.14f). Herat hat einen Flughafen, der außerhalb der Stadt, ca. 13 km nördlich des Zentrums liegt (S.21f).
Die Hälfte der Beschäftigten in Herat sind Tagelöhner (Handel, Bergbau und Handwerk). Herats Industrie wächst. Die Gefahr von Entführungen von Geschäftsleuten und deren Familienangehörigen durch Kriminelle, Energiemangel und Schwierigkeiten, im Wettbewerb mit Produkten aus dem Iran und dem Ausland zu konkurrieren, sowie steigende Arbeitslosigkeit, machen einen Aufschwung der Industrie unsicher (EASO Bericht Sozio-Ökonomie 2019, S.28f). Familiennetzwerke sind lebensnotwendig für Rückkehrer, um Arbeit und Unterkunft zu finden (S.29).
Stammeskonflikte spielen in Herat weniger eine Rolle, als die Konkurrenz um Arbeitsplätze, vor allem, da der Großteil der Rückkehrer als ungelernte Hilfskräfte arbeiten. Die Probleme der IDPs/Rückkehrer sind vor allem, so viel zu verdienen, dass sie sich Nahrung leisten zu können und Arbeitslosigkeit, mangelnde Ausbildung, Fähigkeiten und Kenntnisse, um eine Arbeit zu finden (EASO Bericht Sozio-Ökonomie 2019, S. 30).
Herat ist relativ sicher, was Beschäftigung und Business-Möglichkeiten anbelangt, was die Stadt für Rückkehrer attraktiv macht. Herat kommt derzeit an die Grenze der Aufnahmekapazitäten, vor allem, weil viele Familien der Rückkehrer nachziehen. Shahrak Saadat wurde von der afghanischen Regierung im Jahr 2010 als Bezirk für Rückkehrer etabliert. Bisher wurde erst eine der geplanten 13 Phasen implementiert. Ca. 300 Familien bekamen Land und Häuser, davon sind nur noch 66 Familien dort. Es gibt viele leere Häuser, die von IDPs besiedelt werden. Es gibt dort Wasser und Strom, Schulen und medizinische Versorgung. Die Menschen wollen dort nicht leben, weil es weit weg von der Stadt Herat ist, es kaum Transportmöglichkeiten und es so gut wie keine Arbeitsmöglichkeiten dort gibt. Ein weiterer Bezirk ist Shegofan, der näher zur Stadt Herat gelegen ist. Auch dort gibt es Unterkunft, Wasser, Strom, Schulen und medizinische Versorgung. Dort leben IDPs und Rückkehrer samt ihren Familien. Es gibt dort einen Community Development Council (CDC), an welchem IDPs und Rückkehrer gemeinsam mit der Zivilbevölkerung von Herat teilnehmen, um deren Integration zu forcieren. Der Großteil der IDPs und Rückkehrer arbeitet als Gelegenheitsarbeiter, die Männer arbeiten am Bau, als Auf- und Abladearbeiter am Markt, Frauen arbeiten als Reinigungskräfte (EASO Bericht Sozio-Ökonomie 2019, S.30).
Laut Prognose des FEWS befindet sich Herat im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in der zweithöchsten Stufe (Phase 2) des Klassifizierungssystems für Nahrungsmittelversorgung. In Phase 2, auch "stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentlich, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI.net Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 26.07.2019, 3.1.).
Zugang zum Gesundheitswesen ist in Herat auch für Arme möglich. Das Herat Regional Hospital liegt im Zentrum von Herat. Die große Anzahl der aufgrund der Dürre nach Herat drängenden IDPs ist eine Herausforderung für das Gesundheitswesen in Herat. Dies führte zu einer 150%igen Auslastung des Herat Regional Hospital. Das Jebrael Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt stellte Gesundheitsversorgung für ca. 60.000 Menschen zur Verfügung (S.50ff).
Seit dem Jahr 2011 steigen die Grundstückspreise in Herat, ausgelöst durch einen Bauboom, der teilweise aus Drogengeldern finanziert wurde. Nach 2014 sind die Preise um 20 % - 30 % gesunken. 61,3 % der Haushalte lebte im Jahr 2016 im eigenen Haus, 23,4 lebten in einer gemieteten Unterkunft. 92,1 % der Haushalte hatten verbesserte sanitäre Einrichtungen, 42,8 % lebten in Häusern mit Dächern aus Zement. In der Stadt Herat lebt ca. 5 % der Bevölkerung in Zelten. 81,2 % der Bevölkerung Herats hat Zugang zu Wasser. 90,7 % nutzt Elektrizität für Licht, 92,1 % hat verbesserte sanitäre Einrichtungen. 30 % haben Zugang zum Kanalisationssystem (04/2016 lt. APPRO). Herat hat kein zentrales Abwasserentsorgungssystem. Die Versickerung von Abwasser in das Grundwasser stellt ein großes Problem dar. Der Grundwasserspiegel ist gesunken und das Grundwasser ist verschmutzt. Der Großteil der Bevölkerung nutzt Trinkwasser aus der Leitung oder aus Brunnen. Innerhalb der sieben IDP Siedlungen in Herat sind lt. UNHCR die meisten 1- Raum Lehmhütten, die nicht ausreichenden Schutz vor den Elementen bieten. Eine große Anzahl der Familien lebt in Zelten, die noch weniger Schutz bieten. Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen war in diesen Siedlungen lt. UNHCR eine Herausforderung. Viele Familien hatten keinen Zugang zu Latrinen und die meisten waren auf Gemeinschaftswasserzugänge für Wasser angewiesen, wo es Probleme mit Stau und der Wasserqualität gab. Bedingt durch die Dürre 2018 haben sich zusätzlich 60.000 Menschen in Herat angesiedelt. Dies führte zu einer Überbevölkerung der Camps in und um Herat. Viele dieser Menschen litten an Unterernährung und keines der Kinder aus diesen Verdrängungscamps besuchte die Schule (S.56)
1.5.8. Versorgung mit Nahrungsmitteln und Auswirkungen von Dürre und Überflutungen
Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO-Leitlinien 2019, Seite 132), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR RL 2018, Seite 35) ausgesetzt.
Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt. Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen. Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und
94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (LIB 04.06.2019, S. 18).
Aufgrund der Dürre 2018 wird die Getreideernte geringer ausfallen, als in den vergangenen Jahren. Da die Getreideernte in Pakistan und im Iran gut ausfallen wird, kann ein Defizit in Afghanistan ausgeglichen werden. Die Preise für Getreide waren im Mai 2018 verglichen zum Vormonat in den meisten großen Städten unverändert und lagen sowohl in Herat-Stadt als auch in Mazar-e Sharif etwas unter dem Durchschnitt der Jahre 2013-2017 (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan: Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif auf Grund anhaltender Dürre, 13.9.2018, im Folgenden "ABSD Dürre", S. 3). Das Angebot an Weizenmehl ist relativ stabil (Anfragebeantwortung von ACCORD zu Afghanistan, Folge von Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif vom 12.10.2018 - im Folgenden "Accord Dürre", S. 8). Aufgrund der Dürre wurde bisher kein nationaler Notstand ausgerufen (ABSD Dürre, S. 11).
Für die Landflucht spielen die Sicherheitslage und die fehlende Beschäftigung eine Rolle. Durch die Dürre wird die Situation verstärkt, sodass viele Haushalte sich in städtischen Gebieten ansiedeln. Diese Personen - Vertriebene, Rückkehrer und Flüchtlinge - siedeln sich in informellen Siedlungen an (Accord Dürre, S. 2, S. 5). Dort ist die größte Sorge der Vertriebenen die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, diese sind jedoch mit der Menge und der Regelmäßigkeit des Trinkwassers in den informellen Siedlungen und den erhaltenen Hygienesets zufrieden. Viele Familien, die Bargeld für Lebensmittel erhalten, gaben das Geld jedoch für Schulden, für Gesundheitsleistungen und für Material für provisorische Unterkünfte aus. Vielen Familien der Binnenvertriebenen gehen die Nahrungsmittel aus bzw. können sich diese nur Brot und Tee leisten (Accord Dürre, S. 6). Arme Haushalte, die von einer wassergespeisten Weizenproduktion abhängig sind, werden bis zur Frühjahrsernte sowie im nächsten Jahr Schwierigkeiten haben, den Konsumbedarf zu decken (Accord Dürre, S. 11). Es werden, um die Folgen der Dürre entgegen zu treten, nationale und internationale Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen gesetzt (Accord Dürre, S. 17ff).
Die Abnahme der landwirtschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten zusammen mit der steigenden Migration sowie der hohen Anzahl an Rückkehrerin und Binnenvertriebenen führt zu einer Senkung der Löhne für Gelegenheitsarbeit in Afghanistan und zu einer angespannten Wohnraum- und Arbeitsmarktlage in urbanen Gebieten (Accord Dürre, S. 15f).
Von Mai bis Mitte August 2018 sind ca. 12.000 Familie aufgrund der Dürre aus den Provinzen Badghis und Ghor geflohen um sich in der Stadt Herat anzusiedeln. Diese leben am westlichen Stadtrand von Herat in behelfsmäßigen Zelten, sodass am Rand der Stadt Herat die Auswirkungen der Dürre am deutlichsten sind (ABSD Dürre, S. 5f). Mittlerweile sind 60.000 Personen nach Herat geflohen (Accord Dürre, S. 5). Es ist besonders die ländliche Bevölkerung, insbesondere in der Provinz Herat, betroffen (Accord Dürre, S. 7). Personen die von der Dürre fliehen, siedeln sich in Herat-Stadt, in Qala-e-Naw sowie in Chaghcharan an, dort wurden unter anderem Zelte, Wasser, Nahrungsmittel sowie Geld verteilt (ABSD Dürre, S. 10).
Während das Lohnniveau in Mazar-e Sharif weiterhin über dem Fünfjahresdurchschnitt liegt, liegt dieses in Herat-Stadt 17% unter dem Fünfjahresdurchschnitt (ABSD Dürre, S. 8). Es gibt keine signifikante dürrebedingte Vertreibung bzw. Zwangsmigration nach Mazar-e Sharif- Stadt (Accord Dürre, S. 3; ABSD Dürre, S. 1 und 3). Im Umland der Stadt Mazar-e Sharif kommt es zu Wasserknappheit und unzureichender Wasserversorgung (ABSD Dürre, S. 1).
Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (LIB 04.06.2019, S. 18).
1.5.9. Zu Lage ethnischer Minderheiten, insbesondere Hazara
In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen. Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (LIB 04.06.2019, S.319).
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB 04.06.2019, 319-320).
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden; andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (LIB 04.06.2019, S. 321).
Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können.
Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert.
So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft. So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt; Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke.
Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen. Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (LIB 04.06.2019, S. 321-323).
1.5.10. Religionsfreiheit
Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. (LIB 04.06.2019, S. 309).
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben.
Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechung unter die Kapitalverbrechen fällt und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte.
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert.
Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert; so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion. Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für NichtMuslime geltende Gesetze.
Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen.
Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben. Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt. Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet.
Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung. Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (LIB 04.06.2019, S. 309-311).
Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt. Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara. Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen. Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (LIB 04.06.2019, S. 312).
Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS.
Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten (LIB 04.06.2019, S. 312-313).
1.5.11. Christentum und Konversionen zum Christentum
Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha'i, Hindus und Christen machen ca. 0.3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen und Bahai-Gemeinschaften sind nicht vorhanden. Die einzige im Land bekannte christliche Kirche hat ihren Sitz in der italienischen Botschaft und wird von der katholischen Mission betrieben. Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung einer katholischen Kapelle unter den strengen Bedingungen, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Form des Proselytismus vermieden werde. Öffentlich zugängliche Kirchen existieren in Afghanistan nicht. Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen gibt (abgesehen von einer katholischen Kapelle auf dem Gelände der italienischen Botschaft). Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NGOs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen. Ausländische Christen dürfen ihren Glauben diskret ausüben (LIB 04.06.2019, S. 313f.).
Berichten zufolge gibt es im Land weiterhin keine christlichen Schulen; ein christliches Krankenhaus ist in Kabul aktiv. Auch gibt es in Kabul den Verein "Pro Bambini di Kabul", der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht, und eine Schule für Kinder mit Behinderung betreibt. Des Weiteren sind je zwei jesuitische und evangelische Missionare in Afghanistan aktiv. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Christen berichteten von einer feindseligen Haltung gegenüber christlichen Konvertiten und der vermeintlichen christlichen Proselytenmacherei. Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel nur deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. In städtischen Gebieten sind Repressionen gegen Konvertiten aufgrund der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften. Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und Proselytismus betreiben. Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Quellen zufolge müssen Christen ihren Glauben unbedingt geheim halten. Konvertiten werden oft als geisteskrank bezeichnet, da man davon ausgeht, dass sich niemand bei klarem Verstand vom Islam abwenden würde; im Falle einer Verweigerung, zu ihrem alten Glauben zurückzukehren, können Christen in psychiatrische Kliniken zwangseingewiesen, von Nachbarn oder Fremden angegriffen und ihr Eigentum oder Betrieb zerstört werden; es kann auch zu Tötungen innerhalb der Familie kommen. Andererseits wird auch von Fällen berichtet, wo die gesamte Familie den christlichen Glauben annahm; dies muss jedoch absolut geheim gehalten werden. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die oft während ihres Aufenthalts im Ausland konvertierten, üben aus Angst vor Diskriminierung und Verfolgung ihre Religion alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern aus. Zwischen 2014 und 2016 gab es keine Berichte zu staatlicher Verfolgung wegen Apostasie oder Blasphemie. Der Druck durch die Nachbarschaft oder der Einfluss des IS und der Taliban stellen Gefahren für Christen dar (LIB 04.06.2019, S. 313-315).
1.5.12. Verkauf von Alkohol
Der Verkauf von Alkohol ist in Afghanistan verboten. Alkoholische Getränke werden in großem Ausmaß nach Afghanistan geschmuggelt und dann offen in bestimmten Märkten und Hotels verkauft. Die Behörden haben noch keine Schritte gesetzt, den Verkauf zu unterbinden. Der Großteil der Schmuggelware kommt aus Pakistan und den zentralasiatischen Staaten. Alkoholische Getränke werden auch im Inland produziert. Der Konsum und das Schmuggeln von Alkohol sind unislamisch und ein Verstoß gegen die Afghanische Verfassung.
Art. 45 desselben Gesetzes besagt, dass eine Person, die des Schmuggels alkoholischer Getränke jedweder Art schuldig befunden wird, zu Haft zwischen zwei Monaten und mehreren Jahren verurteilt wird. BBC berichtet am 1. Juni 2011, dass ein Mann für das Trinken von Alkohol öffentlich durch Auspeitschen bestraft wurde. Die Bestrafung fand in einem Gerichtsgebäude in Jalalabad statt. Solche Bestrafungen sind in Afghanistan legal, werden jedoch selten angewandt. Die meisten Bestrafungen dieser Art werden von den Taliban durchgeführt.
Quellen ist zu entnehmen, dass im afghanischen Gesetz der Konsum, Handel und Besitz von Alkohol mit dem Konsum anderer illegaler Drogen gleichgestellt ist. Wer Alkohol verkauft, kann mit Haft von zehn Tagen bis 20 Jahren bestraft werden.
Verschiedene Arten von alkoholischen Getränke können in zahlreichen Kabuler Stadtvierteln, in den Städten Mazar-e Sharif und Jalalabad sowie in den Provinzen Kunduz und Bamyan in Geschäften und Hotels, auf Märkten oder von Privatpersonen erworben werden. Verschiedene einheimische und ausländische Marken sind verfügbar, der Preis pro Flasche liegt zwischen 350 und 7000 Afghani. Die Händler zahlen Bestechungsgelder an die Polizei und andere Exekutivbeamte.
Den Quellen ist zu entnehmen, dass Alkoholkonsum in Afghanistan sowohl nach dem zivilen wie auch nach dem islamischen Recht strafbar ist. Strafen nach dem zivilen Recht umfassen Haft- und/oder Geldstrafen. Strafen nach islamischem Recht werden nur gegen Muslime verhängt und umfassen 80 Peitschenschläge. Nach dem afghanischen Zivilrecht gibt es keine Milderungsgründe bei Verbrechen, die im Zustand freiwilliger Berauschung begangen wurden. Die Quellen beinhalten Berichte, dass körperliche Bestrafungen wegen Alkohol durchgeführt wurden, sind jedoch widersprüchlich was die Häufigkeit der Bestrafungen betrifft (Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus folgenden Quellen:
ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Alkohol: Konsum, Verkauf, Produktion, Import, Schwarzmarkt; Alkoholismus, Bestrafungen, Stigma vom 13.03.2018; ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Strafe bei Verkauf von Alkohol vom 08.05.2012).
1.5.13. Medizinische Versorgung
Medizinische Behandlung ist in Afghanistan in großen Städten wie Mazar-e Sharif und Herat in öffentliche und privaten Krankenhäusern verfügbar. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (LIB 04.06.2019, S. 362-363).
1.5.14. Grundversorgung und Wirtschaft:
Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Januar 2018, Seite 29-31)
In Kabul und in großen Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich an Stelle eine