Entscheidungsdatum
14.11.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W142 2128652-1/24E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.05.2016, Zl.1085384306/151237982, nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG
2005 i.d.g.F. der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 leg. cit. wird unter einem festgestellt, dass damit XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in Österreich ein und stellte am 01.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. In seiner Erstbefragung am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers im Wesentlichen Folgendes an: Er sei am XXXX in Afghanistan geboren. Er sei Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, moslemischer Schiit und ledig. Er spreche Dari und habe in Türkisch, Urdu, Deutsch und Englisch mittlere bis schlechte Sprachkenntnisse. Er habe 11 Klassen der Grundschule (Schule für Elektromechanik und technische Schule) in Kabul besucht. Er habe in Afghanistan noch seinen Vater, seine Mutter sowie zwei Schwestern und zwei Brüder. Er habe in Afghanistan in der Stadt Kabul, XXXX gelebt. Er habe als Schneider gearbeitet. Seine Familie habe in Ghazni Besitzeigentümer, zu welchen jedoch kein Zugang bestehe. Zudem würden sie ein einfaches Haus in Kabul besitzen. Die finanzielle Situation sei mittelmäßig. Der Bruder und die Schwester würden arbeiten und die Familie versorgen. Die letzten 8 Jahre vor seiner Ausreise habe er illegal im Iran (in Teheran) gelebt. Zu seinem Reiseweg gab der Beschwerdeführer an, dass er vor 3 Monaten den Iran verlassen und in die Türkei gekommen sei. Von der Türkei sei er nach Griechenland, über Mazedonien nach Serbien, in weiterer Folge über Ungarn nach Österreich gereist. Nachgefragt gab er an, keinen Schlepper gehabt zu haben, sondern selbständig gereist zu sein.
3. Am 27.04.2016 wurde der Beschwerdeführer von dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines beigegebenen Dolmetschers, welcher für den Beschwerdeführer in die Sprache Dari übersetzte, niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer führte anfangs aus, bei seiner Erstbefragung die Wahrheit gesagt zu haben. Nachgefragt gab er an, keine strafbaren Handlungen begangen zu haben und nie in Haft gewesen zu sein. Er sei in Afghanistan weder politisch noch religiös tätig geworden und auch in Pakistan kein Mitglied eines Vereines oder einer Organisation gewesen. In Afghanistan habe er keine Probleme mit Behörden, Polizei, Gerichten oder Staatsanwaltschaft gehabt, werde nicht gesucht und habe sich nicht an sie gewandt. Weiters gab er an, er sei in der Provinz Ghazni ( XXXX ) geboren und im Alter von 7 Jahren gemeinsam mit seinem Vater, seiner Mutter, seinen beiden Brüdern und Schwestern nach Kabul ( XXXX ) gezogen und hätte dort mit diesen gelebt. Er habe bis zur 11. Klasse die Schule besucht und diese wegen der schlechten Sicherheitslage zur damaligen Talibanzeit nicht fortsetzen können. Er sei zweimal im Iran gewesen, das erste Mal in den Jahren 2000-2004 und das zweite Mal von 2008- ca. Juli oder August 2015. Auf Vorhalt, zuerst angegeben zu haben, dass er ununterbrochen in Kabul gelebt habe, gab er an, er habe gesagt, dass er seit 29 Jahren in Kabul lebe. Er sei bei seiner ersten Einvernahme nicht nach anderen Aufenthaltsorten gefragt worden. Ab 2008 bis zu seiner Ausreise habe er sich im Iran aufgehalten.
Zu seinem Aufenthalt im Iran gab er an, in Teheran ( XXXX ) gewohnt zu haben. Den genauen Straßennamen (sowie auch den Namen der Moschee und des Imam) wisse er nicht, da er dort die letzten 6 Monate vor seiner Ausreise illegal für Afghanen und Iraner als Schneider in einem Keller gearbeitet habe und nur ein bis zweimal wöchentlich rausgegangen sei. Befragt, wie der größere Platz in der Nähe seiner Wohnanschrift heiße, gab er an, er wisse es nicht, da er sich nicht bewegen habe können. Er sei schlepperunterstützt vom Iran ausgereist. Die "Jungs" von der Schneiderei hätten die Nummer des Schleppers gehabt. Er habe in verschiedenen Vierteln im Iran gearbeitet und gelebt. Auf weitere Befragung gab er an, er habe sich ca. 3 Monate im Viertel XXXX , in der Nähe von XXXX aufgehalten und als Schneider gearbeitet, genaue Angaben (zu benützten Straßen, nahegelegene Moschee, Name des Imam) könne er nicht machen. Er habe sich die Telefonnummern der gut bezahlenden Arbeitgeber von den "Jungs" genommen, angerufen und sei dann mit dem Bus hingefahren. Befragt, gab er dann an, dass er weder die Nummer des Busses, noch die der Station, noch die Busstrecke kenne.
Befragt, ob er in der Lage gewesen sei, seinen Lebensunterhalt durch seine berufliche Tätigkeit zu finanzieren, gab er an, dass die Sicherheitslage in Afghanistan sehr schlecht gewesen sei, deshalb sei er auch geflohen. Im Iran sei es besser gewesen, wenn er dort legale Dokumente bekommen hätte, wäre er auch dort geblieben. Die Familie (Vater, Mutter, zwei Brüder und zwei Schwestern) würde noch in Afghanistan (Kabul, Stadtteil XXXX) in einem Lehmhausviertel in einem Mietshaus leben. Die jüngere Schwester und sein Bruder würden als Schneider die Familie finanzieren. Ein Bruder suche Arbeit, dies sei schwer, da sie die Stadt Kabul nicht verlassen können. Weiters gab der Beschwerdeführer an, er sei Hazara und Moslem-Schiit, ledig und habe keine Sorgepflichten. Er sei nicht stark religiös und habe deshalb keine Schwierigkeiten mit anderen Leuten oder Andersgläubigen. Im Jahr 2008 sei er (im dritten oder vierten Monat) illegal von Kabul in den Iran gegangen. Es sei Krieg gewesen. Schlepperunterstützt sei er dann im siebten oder achten Monat 2015 aus dem Iran in die Türkei gegangen. Auf Vorhalt der Behörde, es sei im Jahr 2008 Kriegsende und eine Aufbruchsstimmung gewesen, gab er an, es sei damals die "Kazai-Regierung" an der Macht gewesen und es habe für Leute, welche Macht, Geld oder "jemanden kannten" Arbeit gegeben, dies aber nicht für seine Familie.
Befragt zu seinen Fluchtgründen gab er an: "Jetzt ist die Stadt Kabul umzingelt, Jalalabad liegt 150 Kilometer entfernt und in den Händen der Daesh. Sie haben ihre eigene Radiostation dort. Ca. 170 Kilometer von Kabul entfernt liegt Ghazni, dort wurde unser Haus geplündert, wir konnten nicht einmal hinfahren um zu sehen was passiert ist. Wir sind in Kabul gefangen und wenn sie Kabul einnehmen werden, bringen sie uns alle um. Deshalb habe ich mit meinem Vater gesprochen und er sagte ich soll weggehen. Deshalb habe ich mich zur Ausreise entschlossen." Andere Gründe habe er nicht. Auf die Frage, ob der Beschwerdeführer zusammengefasst Afghanistan ausschließlich zum Zweck der Verbesserung seiner persönlichen Lebenssituation aufgrund der schlechten allgemeinen Sicherheitslage verlassen habe, gab er an, dass er Afghanistan ausschließlich aus diesem Grund verlassen habe. Andere Gründe habe er keine. Er könne sich in Afghanistan nicht frei bewegen und nicht aus Kabul raus, das Leben sei in Gefahr, es werde von Tag zu Tag schlimmer und es sei Krieg. Er sei nach Österreich gekommen um sich und seinen Angehörigen eine andere Zukunft zu verschaffen und um sie herzuholen. Das Leben seiner Angehörigen in Kabul "könne man nicht Leben nennen, sie sind zwar noch am Leben, leben aber nicht." An einem anderen Ort in Afghanistan könne er nicht leben und arbeiten. Befragt, was er in Afghanistan zu befürchten hätte, gab er an, er wisse nicht wohin er gehen solle, Kabul sei ein "Käfig", es sei kein Leben dort. Befragt, was passieren müsse, damit er wieder nach Afghanistan zurückkehre, gab er an, die Regierung müsse aufhören die unterschiedlichen Volksgruppen ungerecht zu behandeln und es dürfe keine Morde und Plünderungen mehr geben und es müsse Sicherheit für alle geben. Ergänzend gab er an, bei seiner ersten Rückkehr nach Afghanistan in Kabul bei seiner Familie gelebt zu haben.
Der Beschwerdeführer legte Zeugnisse über die Absolvierung eines Deutschkurses vor und gab an in Österreich kein Mitglied einer Organisation, eines Vereins oder einer religiösen Vereinigung zu sein. Er habe viele österreichische Bekannte, wolle sich weiterbilden, die Sprache lernen und eine Lehre machen. Auf eine Stellungnahme der Länderberichte zu Afghanistan verzichte er, er wisse wie die Situation dort sei.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 14.05.2016, Zahl:
1085384306/151237982 des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde innerhalb des Spruches aufgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu den Gründen des Verlassens des Herkunftsstaates, zur Situation im Falle der Rückkehr des Beschwerdeführers in sein Herkunftsland sowie zur Lage in seinem Herkunftsstaat.
Zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) führte die Behörde im Wesentlichen aus, dass keine konkrete, gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete Verfolgung durch staatliche Stellen, heimatliche Behörden, Militär oder Privatpersonen behauptet worden sei. Seine Angaben, Afghanistan zur Verbesserung seiner persönlichen Lebenssituation, im Zusammenhang mit der allgemeinen Sicherheitslage verlassen zu haben, seien als glaubhaft anzusehen. Sein Vorbringen sei nicht geeignet eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK glaubhaft zu machen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt war bzw. solche zu befürchten hätte.
Zur Nichtgewährung subsidiären Schutzes (Spruchpunkt II.) wurde ausgeführt, dass keine besondere Gefährdung für die Person des Beschwerdeführers festgestellt werden könne. Es liege keine exzeptionelle Gefährdungslage in Afghanistan (insbesondere in Kabul) vor. Der Beschwerdeführer habe glaubhaft dargelegt, dass er über familiäre Anknüpfungspunkte (Eltern und Geschwister) in Kabul verfüge, welche dort in einem Haus leben würden. Der Beschwerdeführer sei gesund, im arbeitsfähigen Alter und könne in Afghanistan einer Arbeit nachgehen. Er könne Kabul erreichen, ohne einer besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein. Es liege keine lebensbedrohliche Notlage im Herkunftsstaat, welche bei einer Rückkehr eine reale Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK indizieren würde, vor.
Zu Spruchpunkt III. wurde ausgeführt, dass mangels familiärer Anknüpfungspunkte in Österreich kein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK festgestellt werden könne. Sein Aufenthalt sei lediglich für die Dauer des Asylverfahrens legalisiert. Er gehe keiner Arbeit nach, bestreite seinen Aufenthalt durch Zuwendungen aus öffentlichen Mittel und lebe in einer Unterkunft der Bundesbetreuung. Nach einer Interessensabwägung kam die Behörde zum Schluss, dass eine Rückkehrentscheidung gerechtfertigt sei. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG sei mangels eines Privat- und Familienlebens nicht in Betracht gekommen.
5. Mit Verfahrensanordnung vom 20.05.2016 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
6. Mit dem am 17.06.2016 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl per E-Mail eingebrachten Schriftsatz, erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt I., II. und III. des oben genannten Bescheides. Darin wurde beantragt, den Bescheid zur Gänze zu beheben und dem Beschwerdeführer Asyl zu gewähren, in eventu dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen, sowie festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und die Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltsberechtigungen (plus) vorliegen und dem Beschwerdeführer daher Aufenthaltsberechtigungen (plus) von Amts wegen zu erteilen seien sowie eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
Hinsichtlich Spruchpunkt I. und II. führte der Beschwerdeführer aus, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe Verfahrensvorschriften verletzt, da sie ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Die Länderfeststellungen der Behörde seien unvollständig, teilweise unrichtig und würden sich kaum mit der ethnischen Volksgruppe der schiitischen Hazara, welcher der Beschwerdeführer angehöre, befassen. Eine von der belangten Behörde verwendete "vertrauliche" Quelle (welche besage, dass Hazara keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt seien), sei nicht in der Staatendokumentation aufzufinden. Auch die Sicherheitslage in Afghanistan sei sehr prekär, diesbezüglich werde auf einen Zeitungsartikel sowie auf ein Gutachten eines Sachverständigen für Afghanistan (Erkenntnis des BVwG) verwiesen. Außerdem gebe es in Verbindung mit der ethnischen Minderheit der Hazara gehäuft Anschläge und Gewalttaten (vor allem Mordanschläge und Entführungen) durch die Taliban, dies insbesondere auch in Ghazni und Umgebung. Verwiesen werde diesbezüglich auf zahlreiche, öffentlich zugängliche Medienberichte. Betreffend der Allgemeinen Sicherheitslage in Kabul werde ebenfalls auf Berichte der Medien verwiesen. Auch seien Afghanen, welche im Iran gelebt haben und dann nach Afghanistan zurückkehren müssen, unter anderem einer Ausgrenzung sowie Belästigungen durch die Taliban ausgesetzt (verwiesen werde auf eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 12.06.2015). Zudem sei die Beweiswürdigung der Behörde unschlüssig, die Sachverhaltsermittlung und auch die Begründung mangelhaft. Die Behörde hätte den Angaben des Beschwerdeführers bezüglich seines Aufenthaltes im Iran Glauben schenken müssen. Hinsichtlich Spruchpunkt I. sei der Behörde eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorzuwerfen und hätte die Behörde dem Antrag auf Asyl stattgeben müssen. Insbesondere betone auch der VwGH (in seiner Entscheidung vom 13.10.2015, Ra 2015/19/0106), dass eine Gruppenverfolgung von Hazara in Ghazni nicht ohne weiteres auszuschließen sei. Auch das BVwG habe in einem ähnlichen Fall entschieden. Es seien im gegenständlichen Bescheid nur sehr kurze und oberflächliche Länderfeststellungen zu schiitischen Hazara enthalten. Da die Sicherheitslage in ganz Afghanistan (insbesondere für schiitische Hazara) derzeit sehr prekär sei und sich der Beschwerdeführer in keinem Landesteil niederlassen könne, stehe diesem auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Hinsichtlich Spruchpunkt II. liege ebenfalls eine unrichtige rechtliche Beurteilung durch die Behörde vor. Die Behörde habe sich unzureichend mit der aktuellen Sicherheitslage der schiitischen Hazara und den zahlreichen gegen diese Personengruppe gerichteten Anschläge (insbesondere durch Taliban) befasst. Die belangte Behörde habe sich auch nicht mit der Situation von Afghanen, die im Iran gelebt haben und nach Afghanistan zurückkehren müssen, unzureichend auseinandergesetzt und somit ihre Ermittlungspflicht verletzt. Dem Beschwerdeführer sei der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Zudem habe die Behörde mit Spruchpunkt III. das Refoulementverbot verletzt. Eine Abschiebung nach Afghanistan, egal in welchen Landesteil, würde eine Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK bedeuten.
Mit der Beschwerde wurden 4 Zeugnisse als Bestätigung für die Absolvierung von Deutschkursen vorgelegt (Stufen A 1.2, A 2.1, A 2.2 und B 1.1).
7. Am 21.03.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter teilgenommen haben. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verzichtete auf die Teilnahme an der Verhandlung.
Im Rahmen der Verhandlung führte der Beschwerdeführer aus, dass er am XXXX in der Provinz Ghazni, XXXX geboren sei. Er habe bis zum Jahr 2000 in Afghanistan gelebt, im Jahre 2000 habe er Afghanistan verlassen und sei in den Iran gereist. Von 2000-2004 habe er sich im Iran aufgehalten. 2004 habe er dann den Iran nach Afghanistan verlassen und sei bis zum Jahre 2008 geblieben. Im Jahr 2008 habe er Afghanistan wieder Richtung Iran verlassen und sei bis 2015 im Iran geblieben. In Afghanistan habe er (bis 2004) die meiste Zeit in Kabul gelebt. Als er dann vom Iran nach Afghanistan gereist sei, habe er wieder in Kabul bei seiner Verwandtschaft gelebt. Dort würden seine beiden Eltern, seine zwei Schwestern und seine zwei Brüder leben. Nach der genauen Adresse der Verwandten in Kabul befragt, gab er an, dass diese sehr wechselhaft sei. Sie hätten kein eigenes Haus und hätten "da und dort" gelebt. Er könne keine genaue Adresse nennen. Zurzeit würden seine Eltern in XXXX (am Stadtrand von Kabul) leben. Eine Hausnummer gebe es nicht, da das Gebiet nicht nach Plan gebaut sei. Eine Schwester sowie seine Brüder würden auch bei den Eltern leben. Seine verheiratete Schwester lebe in der Provinz Baghlan, in einem Konfliktgebiet der Taliban. Weiters führte der Beschwerdeführer aus, dass er 11 Jahre Schulausbildung habe und Elektrotechnik studieren habe wollen. Wegen des Krieges habe er das Studium nicht beenden können. Auf die Frage der Richterin, wie er seinen Lebensunterhalt verdient habe, gab er an, dass er manchmal zu Hause Teppiche geknüpft habe. Nach sonstigen Tätigkeiten befragt, führte er aus, dass es aufgrund des Krieges außer dem Teppich knüpfen keine Arbeit gegeben habe. Nach seiner Tätigkeit im Iran befragt, gab er an, 2,5 Jahre Schneider gelernt und in einer Schneiderei als Helfer gearbeitet zu haben.
Nach dem Grund gefragt, warum er Afghanistan das Erste Mal verlassen habe, führte er aus, dass im Jahre 2000 die Taliban das Land beherrscht hätten. Sie hätten die Menschen und auch ihn unter Druck gesetzt. Sie hätten beispielsweise verlangt, dass sich Männer ihre Bärte wachsen lassen müssen, die Leute geschlagen und auch die Frauen unterdrückt. Befragt, warum er dann wieder nach Afghanistan zurückgekehrt sei, führte er aus, dass er Sehnsucht nach seiner Familie gehabt habe. Er habe auch gedacht, dass die Taliban schon weg seien und er studieren könne. Die Lage sei aber doch angespannt gewesen und er habe nicht studieren können und es habe keine Arbeit gegeben.
Nach dem Grund für das zweite Verlassen Afghanistans gefragt, führte er aus, dass sich die Lage nach und nach verschlechtert habe. Er habe sich gedacht, dass das Land nicht mehr zum Leben geeignet sei. Er sei Schiit und bei Zeremonien seien die Taliban gekommen und hätten Selbstmordanschläge verübt. Nachgefragt gab er an, dass zur Hazara-Minderheit gehöre.
Von der Richterin nach dem Grund, warum er nicht mehr in sein Heimatland zurückkehren könne, befragt, führte er aus, dass es keine Hoffnungen in Afghanistan gebe. Es gebe Attentate wo Menschen ums Leben kommen würden. In seiner Heimat habe "ein Mensch nicht mehr wert wie ein Vogel". In Österreich besuche er Deutschkurse und arbeite bei der Gemeinde XXXX . Er kehre dort die Straße und sammle Abfall mit der Müllabfuhr. Er wolle sich weiterbilden, Sport betreiben und arbeiten. Er habe sich die Kurse selbst finanziert und sich einen Laptop gekauft um sich weiterzubilden.
Abschließend von der Richterin befragt, ob er zu seinen Eltern zurückkehren könne, gab er an, dass er seine Eltern und seine Geschwister von ihrer Lage befreien wolle und sie nach Österreich holen wolle.
Auf Befragung des Rechtsvertreters, warum der Beschwerdeführer aus Ghazni weggegangen sei, führte der Beschwerdeführer aus, dass die Mudschahedin seinen Vater mitnehmen und bewaffnen haben wollen. Der Vater habe für die afghanische Regierung kämpfen sollen. Sein Vater habe dies nicht gewollt und darum seien sie nach Kabul geflohen. Sein Vater sei bedroht worden. Auf die weitere Frage des Rechtsvertreters, ob der Beschwerdeführer in Afghanistan bleiben würde, wenn er dorthin zurückmüsse, gab er an, dass dies nicht möglich sei. Ihm würde nichts anderes übrigbleiben, als zu flüchten. Der Beschwerdeführer bat abschließend um eine Chance in Österreich.
Der Beschwerdeführer legte zwei Kursbesuchsbestätigungen der Wiener Volkshochschule für die Stufen "Deutsch B2" und "Deutsch C1" sowie vier Zeugnisse für den Besuch von Deutschkursen (Stufe A1.2, A2.1, A2.2, B1.1) vor.
Mit Schreiben vom 20.03.2019 wurde seitens des Vertreters des BF mitgeteilt, dass der BF bisexuell sei und er erst durch das Beratungsangebot in der "Rosa Lila Villa" darauf aufmerksam gemacht wurde, dass seine Bisexualität von Relevanz in seinem Asylverfahren sei. Bereits in Afghanistan habe der BF homoerotische Gedanken gehabt und habe sich zu Männern hingezogen gefühlt. Bei seinem Aufenthalt im Iran habe er erstmals seinen sexuellen Bedürfnissen nach gleichgeschlechtlichem sexuellen Kontakt nachgehen können. Als er vom Iran wieder nach Afghanistan zurückgekehrt sei, sei er gezwungen gewesen, seine Bisexualität und die Neigung gleichgeschlechtlichen Verkehr auszuüben, zu unterdrücken. In Griechenland habe er sich dann wieder seiner sexuellen Neigung hingeben können. Auch in Österreich lebe er seine Bisexualität frei aus.
Am 17.05.2019 wurde eine weitere Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführt. Dabei brachte er entscheidungswesentlich wie folgt vor:
RI: Wo sind Sie geboren?
BF: In der Provinz Ghazni, im XXXX .
RI: In welcher Stadt oder welchem Dorf haben Sie gelebt, haben Sie in der Stadt Ghazni gelebt?
BF: Nein, der XXXX liegt weit entfernt von der Stadt Ghazni.
RI: Wo haben Sie genau gewohnt, können Sie mir die genaue Adresse angeben?
BF: Ich habe im XXXX gelebt. Ich war entweder sechs oder sieben Jahre alt, als ich den Wohnort verlassen habe und bin nach Kabul geflohen.
RI: Was bedeutet XXXX ? Sie müssen bis zu Ihrem sechsten oder siebenten Lebensjahr in einem Dorf oder einer Stadt gelebt haben.
BF: Ich kann mich nicht daran erinnern. Nach Erzählung meines Vaters haben wir im XXXX gelebt, im XXXX ist der Ort gewesen bzw. die Moschee des Ortes wurde nach XXXX benannt.
RI: Wieso konnten Sie den Namen des Dorfes nicht in der Erstinstanz nennen?
BF: Nach meiner Einvernahme habe ich mit meinem Vater Kontakt aufgenommen und ihn darüber nachgefragt. Er gab mir manche Informationen.
RI: Wie lange haben Sie in Kabul gelebt?
BF: Ich habe mein ganzes Leben in Kabul verbracht, bis ich zweimal in den Iran gereist bin. Einmal reiste ich in den Iran im Jahr 2000. Dort blieb ich 2000-2004. Das zweite Mal reiste ich im Jahr 2008 in den Iran und blieb dort bis zum Jahr 2015.
RI: Ab dem Jahr 2015 sind Sie wohin gereist?
BF: Ich bin nach Europa gereist.
RI: Können Sie mir das genaue Datum nennen, wann Sie im Jahr 2015 den Iran verlassen haben, um in Richtung Europa zu reisen?
BF: Ende Juli.
RI: Wie sind Sie nach Europa gelangt?
BF: Vom Iran bin ich in die Türkei gereist, von der Türkei nach Griechenland. Ungefähr einen Monat bin ich in Griechenland geblieben. Es war August.
RI: Wann sind Sie dann in Österreich eingereist?
BF: Danach bin ich nach Mazedonien gereist und weiter nach Serbien und dann weiter nach Österreich - zuerst nach Ungarn und dann weiter nach Österreich.
RI: Wann sind Sie in Österreich eingereist?
BF: Ich glaube, es war am 09.09 oder 08.09.
RI: Wieso haben Sie den Iran verlassen, um Richtung Europa zu reisen? Was war der Grund?
BF: Ich haben den Iran verlassen, weil die Iraner "Faschisten" sind. Sie haben uns schikaniert, belästigt und geschlagen. Jeden Tag wurden Afghanen dort aufgegriffen. Ich hatte Angst, in den Krieg nach Syrien geschickt zu werden.
RI: Wo leben Ihre Eltern?
BF: In Afghanistan, in Kabul.
RI: Können Sie mir die genaue Adresse angeben, wo Ihre Eltern in Kabul leben?
BF: Wir haben kein Eigentumshaus, daher übersiedeln sie von Haus zu Haus. Derzeit leben sie im XXXX . Wir wissen nicht, wann sie dieses Haus verlassen werden.
RI: Das heißt, sie leben in einem Mietshaus?
BF: Ja.
RI: Hat Ihr Vater Geschwister?
BF: Ob mein Vater Geschwister hat. Mein Vater hat keine Schwester. Die Schwester meines Vaters ist etwa vor 30 oder 40 Jahren gestorben, aber Brüder hat er. Seine Brüder sind auch alle verstorben.
RI: Wie viele sind verstorben?
BF: Drei. Sie waren alle älter als mein Vater.
RI: Hat Ihre Mutter Geschwister?
BF: Meine Mutter hat Geschwister, ja.
RI: Wie viele Geschwister hat Ihre Mutter?
BF: Meine Mutter hat drei Schwestern und zwei Brüder.
RI: Wo leben die drei Schwestern Ihrer Mutter?
BF: Auch in Kabul, Afghanistan.
RI: Wissen Sie, in welchem Stadtteil die drei Schwestern leben?
BF: Eine Schwester lebt in XXXX , die andere Schwester lebt in XXXX und die dritte Schwester lebt in XXXX . Sie leben alle in Kabul.
RI: Wo leben nun die beiden Brüder mütterlicherseits?
BF: Einer meiner Onkel lebt auch in XXXX und der andere Onkel lebt in Kanada, dieser ist der älteste Onkel.
RI: Haben Sie Geschwister?
BF: Ja.
RI Wie viele Schwestern und Brüder haben Sie?
BF: Ich habe zwei Schwestern und zwei Brüder.
RI: Wo leben Ihre beiden Schwestern?
BF: Eine meiner Schwestern, die ein Jahr jünger ist als ich, lebt in einer Provinz und sie ist verheiratet und die anderen Geschwister leben mit meinen Eltern.
RI: In welcher Provinz lebt Ihre Schwester?
BF: In der Provinz Baghlan. Dort herrscht der Krieg, nämlich jeden Tag gibt es Gefechte zwischen den Taliban und der Regierung - jeden Tag.
RI: Haben Ihre Eltern immer in Afghanistan gelebt oder haben sie auch im Iran gelebt?
BF: Nein, ich war der Einzige, der in den Iran gereist ist. Der Rest der Familienangehörigen hat immer in Afghanistan gelebt.
RI: Was haben Sie im Iran gearbeitet?
BF: Am Anfang im Iran hatte ich keinen Beruf. Damals habe ich als Lehrling bei einer Schneiderei gearbeitet. Dann habe ich den Schneidereiberuf erlernt.
RI: Haben Sie eine Schule besucht?
BF: Bis zur 11. Klasse habe ich das Technikum in Kabul absolviert. Meine Schule war nicht zu Ende. Dann kamen die Mujaheddin an die Macht. Sie haben die Stadt ruiniert und geplündert.
RI: Wovon leben Ihre Eltern in Kabul?
BF: Zwei meiner Brüder arbeiten, was sie finden. Es gib keinen Job in Afghanistan. Sie halten sich über Wasser.
RI: Haben Ihre Brüder einen Beruf erlernt?
BF: Sie haben die Schule besucht. Aufgrund der schlechten finanziellen Situation konnten sie keinen Beruf erlernen.
RI: Wieso kann man aufgrund einer schlechten finanziellen Situation keinen Beruf erlernen?
BF: Man ist nicht fähig, etwas zu lernen, wenn man unter psychischem Druckt steht. Das Gehirn macht nicht mit, um einen Beruf richtig zu erlernen, weil man unter Druck steht. Man muss dann den Lebensunterhalt verdienen, anstatt einen Beruf zu erlernen.
RI: Das heißt, Ihre beiden Brüder machen Gelegenheitsarbeiten?
BF: Ja, sie sind Tageslohnnehmer.
RI: Wieviel haben Sie für die Reise bezahlt, um nach Österreich zu gelangen?
BF: Insgesamt ungefähr 800 EUR kostete mich die Reise bis nach Österreich.
RI: Woher hatten Sie das viele Geld?
BF: Ich habe im Iran gearbeitet und hatte Ersparnisse. Ich habe gesehen, insbesondere in den letzten zwei bis drei Jahren, dass die Lage im Iran schwierig geworden war.
RI: Deswegen haben Sie dann den Iran verlassen?
BF: Ja, weil jeden Tag Afghanen aufgegriffen und in den Krieg nach Syrien geschickt wurden. Die Bevölkerung hat jeden Tag Afghanen misshandelt.
RI: Sind Sie Hazara?
BF: Ja.
RI: Welches Glaubensbekenntnis haben Sie?
BF: Wir sind Schiiten.
RI: Was glauben Sie, würden Ihnen passieren, wenn Sie in Ihr Heimatland zurückkehren müssten?
BF: Die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan ist prekär. Insbesondere für uns Hazara. Derzeit können die Hazara nicht aus Kabul heraus und in die anderen Provinzen reisen, dass wissen Sie schon. Auf dem Weg in die anderen Provinzen werden Hazara aufgehalten, aus Fahrzeugen geschleppt und getötet, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur der Volksgruppe Hazara. Sogar Kinder, Frauen und natürlich Männer. Wenn sie erwischt werden, werden sie getötet.
RI: Das heißt, Sie könnten nicht in Herat oder Mazar-e Sharif leben?
BF: Der erste Grund dafür ist, dass ich nicht dorthin zurückkehren kann, ist das finanzielle Problem. Ich hätte ein finanzielles Problem, ich hätte kein Dach über dem Kopf und davon abgesehen, ist die Sicherheit für mein Leben nicht gewährleistet. Davon abgesehen, sind die Taliban in nördlichen Provinzen präsent und aktiv. Es gibt Kämpfe in der Nordregion Afghanistans. Die Taliban sind fast bei den Toren der Städte im Norden Afghanistans.
RI: Wieso können Sie nicht zu Ihrer Familie nach Kabul zurückkehren?
BF: Afghanistan hat keine stabile Regierung. Es gibt keine guten Gesetze in Afghanistan. Tagtäglich werden Menschen in Afghanistan umgebracht. Abgesehen gibt es auch Kriminalität, Diebstähle, Raub. In Kabul, in der Hauptstadt, kann man nicht ab acht Uhr am Abend aus dem Haus gehen. Man hat Angst, wenn man ein Handy in der Tasche hat oder ein bisschen Geld. Entweder wird man Opfer eines bewaffneten Raubes, entweder wird man getötet oder verletzt mit einem Messer, Klappmesser oder einer Pistole. Man wird zum Opfer, wenn man den Wert von 10 oder 20 EUR in der Tasche hat.
RI: Gibt es sonst noch Gründe, wieso Sie nicht in Ihr Heimatland zurückkehren können?
BF: Wie ich zuvor erzählt bzw. geschildert habe, hätte ich im Falle einer Rückkehr nach Kabul keinen Job, kein Dach über dem Kopf. Die Sicherheitslage verschlechtert sich nämlich Tag für Tag. Es besteht keine Hoffnung.
RI: Haben Sie Verwandte, die in Europa leben?
BF: Nein. Ich habe lediglich einen Onkel. Dieser lebt in Kanada.
RI: Was machen Sie in Österreich, arbeiten Sie derzeit?
BF: Ich habe mehrmals die Caritas gebeten, dass sie mir einen Job gibt. Diese sagte, wir dürfen nicht arbeiten. Ich habe ihnen gesagt, dass ich nicht von Sozialleistungen leben möchte.
RI: Wann haben Sie dann zuletzt bei der Marktgemeinde XXXX gearbeitet?
BF: In den Jahren 2016, 2017 und 2018. Heuer habe ich auch im April gearbeitet. Die Arbeitsbestätigung werde ich am Ende des Jahres kriegen.
Die RV legt eine Bestätigung der Marktgemeinde XXXX vom 04.09.2017 vor. Diese wird als Beilage. /A zum Akt genommen. Des Weiteren legt die RV eine Bestätigung der Marktgemeinde XXXX vom 11.09.2018 vor. Diese wird als Beilage ./B zum Akt genommen.
RI: Sie haben gesagt, Sie haben im Jahr 2017 auch bei der Marktgemeinde XXXX gearbeitet. Haben Sie da auch eine Bestätigung?
BF: Ende 2018 habe ich eine Arbeitsbestätigung bekommen. Diese habe ich einer Dame bei der Diakonie weitergegeben.
RI: Meinen Sie die Bestätigung vom 11.09.2018?
BF: Nein, die Arbeitsbestätigung war für 2017 und ich weiß nicht, ob die Dame von der Diakonie diese Arbeitsbestätigung für das Jahr 2017 beim Bundesamt eingereicht hat.
RI an BFV: Haben Sie eine Bestätigung für das Jahr 2017?
BFV: Nein, ich habe keine.
RV: Haben Sie die Bestätigung mit?
BF: Meinen Sie vom Jahr 2017?
BFV: Ja.
BF: Nein, sie wird nachgereicht. Wenn Sie möchten, könnte ich diese Bestätigung nachreichen. RI: Ja, reichen Sie sie bitte nach und zwar binnen einer Woche.
RI: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
BF: In meiner Freizeit, die Stadt XXXX ist klein. Ich habe keine besondere Beschäftigung. Im Heim verrichte ich Reinigungsarbeit und wenn ich bei der Gemeinde dran bin, dann arbeite ich auch für die Gemeinde.
RI: Haben Sie Deutschkurse besucht?
BF: Ja, ich habe bis C1 Deutschkurse besucht. Die Kosten habe ich auch von jenem Geld bezahlt, dass ich als Taschengeld erhalten habe, von meinem Einkommen, von der Arbeit für die Gemeinde und auch vom Heim.
RI: Können Sie irgendwelche Zertifikate für Prüfungen bezüglich der Deutschkurse vorlegen?
BF: Die Prüfungen habe ich nicht abgelegt, weil ich kein Geld hatte. Ich habe nur die Kurse besucht und habe Zeugnisse vom Kurs selbst bei mir.
RI: Das heißt, Sie haben die Kurse abgeschlossen, aber keine Prüfungen gemacht?
BF: Ja.
BFV: B2 C1 sind laut Protokoll in der ersten Verhandlung im Jahr 2017 vorgelegt worden.
RI: Haben Sie sonst noch irgendwelche Integrationsunterlagen, die Sie vorlegen möchte?
BF: Nein.
Die BFV legt ein Schreiben der Quartierbetreuerin vom Asylheim in XXXX vor. Dieses wird als Beilage ./D zum Akt genommen.
RI an RV: Haben Sie noch Fragen?
BFV: Würden Sie in Afghanistan aufgrund Ihrer sexuellen Orientierung Probleme bekommen?
BF: Ja, hundertprozentig. Afghanistan ist eine islamische Republik bzw. ein islamischer Staat. Dort würde ich dafür bestraft werden. Ich habe auch Angst, dass meine Familie mich verstoßen würde.
RI: Seit wann sind Sie bisexuell?
BF: Ungefähr seit 2002.
RI: Wieso haben Sie das erst jetzt nachträglich angegeben und warum haben Sie das nicht schon bei der Erstvernahme angegeben?
BF: Ich habe mich nicht getraut. Ich dachte, es wäre ein Verbrechen, eine kriminelle Tat. Aufgrund dessen hatte ich Angst, deshalb habe ich das nicht vorgebracht.
RI: Was verstehen Sie unter bisexuell?
BF: Was meinen Sie?
RI: Das müssen Sie mir sagen.
BF: Was ich darunter verstehe, ist, dass man mehr zu Männern eine Neigung im Vergleich zu den Frauen hat. Ich weiß nicht viel darüber, um das zu erklären, weil ich erst seit kurzer Zeit in Europa lebe. Was ich weiß, ist, dass man sich mehr zu Männer hingezogen fühlt im Vergleich zu Frauen.
BFV: Was haben Sie in Österreich unternommen, um Ihre Sexualität ausleben zu können?
BF: Ich habe einen Mann namens XXXX kennengelernt. Er hat mir alles erklärt, dass Bisexualität in Europa kein Verbrechen sei. Er sagte auch, dass in Europa Freiheit herrscht, in der Mann mit Mann und Frau mit Frau Sex haben kann. Sie können sogar miteinander zusammenleben.
RI: Wie heißt dieser XXXX mit Nachnamen?
BF: Wir haben uns insgesamt dreimal getroffen. Er hat sich nicht vollständig vorgestellt. Ich weiß, dass er XXXX heißt und ein weißes Auto hat. Ich habe ihn um seine Nummer gebeten, er sagte, dass er mir seine Nummer nicht geben wolle. Er sagte, dass er mir zu einem späteren Zeitpunkt seine Telefonnummer geben würde.
BFV: Hatten Sie sexuellen Kontakt mit XXXX ?
BF Ja, dreimal.
BFV: Kennen Sie Schwulenlokale in Wien?
BF: Eines von denen kenne ich, "Queer Base". Das andere Lokal heißt "Hosi". Es gibt auch eine Bar. Diese befindet sich auf der Gumpendorfer Straße 28. Es gibt einen Laden dort und auch eine Bar befindet sich in diesem Laden. Diese Bar schaut wie ein Laden aus und sie ist klein. Diese heißt "Mira Alta" (phonetisch). Dazu gibt die BFV an: "Diese heißt Maria Alta".
BFV: Wie oft gehen Sie zu "Queer Base"?
BF: Einmal in der Woche, donnerstags.
BFV: Wen kennen Sie bei "Queer Base"?
BF: XXXX .
RI: Was für Personen sind das?
BF: Diese Personen gehören einer Gruppe an. Diese Gruppe heißt "Queer Base-Kaffeegruppe".
RI: Was machen Sie dort, wenn Sie da jeden Donnerstag hingehen?
BF: Ich gehe dort hin, um einen Partner zu finden und Menschen kennenzulernen.
BFV zeigt die What's App-Gruppe vom "Queer Base-Café".
BF: Es gibt sehr viele Menschen dort. Ich habe einige von ihnen kennengelernt.
Die BFV gibt dazu an: "Es ist ein Chat, in dem sich "Gleichgesinnte" unterhalten und Treffen ausmachen."
BFV: Wünschen Sie sich in Zukunft eine Beziehung mit einem Mann oder mit einer Frau?
BF: Mit einem Mann.
RI: Haben Sie sonst noch irgendwelche Berichte, die Sie vorlegen möchten?
BFV: Nein.
Erörtert werden
das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, 22.01.2019,
die UNHCR-Richtlinien, 30.08.2018
[...]
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans, gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist moslemischer Schiit und ledig. Er ist am XXXX in der Provinz Ghazni, XXXX , XXXX geboren und hat dort bis zu seinem 7. Lebensjahr mit seiner Familie gelebt. Im Alter von 7 Jahren ist er mit seiner Familie, bestehend aus seinem Vater, Mutter, zwei Brüdern und zwei Schwestern nach Kabul ( XXXX ) gezogen und hat dort gelebt. Der Beschwerdeführer hat elf Klassen der Grundschule (Schule für Elektromechanik und technische Schule) in Kabul besucht und seinen Lebensunterhalt durch das Knüpfen von Teppichen verdient. In den Jahren 2000 bis 2004 hat er das erste Mal im Iran gelebt. In den Jahren 2004 bis 2008 hat er dann wieder in Kabul bei seiner Familie gelebt. In den Jahren 2008 bis Juli/August 2015 hat er das zweite Mal im Iran gelebt und als Schneider gearbeitet. Seine Mutter, sein Vater, eine Schwester sowie seine zwei Brüder leben nach wie vor in der Stadt Kabul in Afghanistan. Eine Schwester lebt in der Provinz Baghlan.
Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse bis zum C1 Niveau besucht.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer bezeichnet sich selbst als bisexuell. Er ist jedoch eher als homosexuell anzusehen, zumal er sich mehr zu Männern hingezogen fühlt und sich eine Beziehung mit einem Mann wünscht. Der Beschwerdeführer verspürt diese Neigung bereits seit seinem Aufenthalt in seinem Heimatland, seit 2002. Es fällt ihm jedoch schwer, über seine sexuelle Orientierung (Homosexualität) offen zu sprechen, da dieses Thema für ihn äußerst schambehaftet ist.
Auch in Österreich hatte der Beschwerdeführer bereits sexuellen Kontakt zu Männern. Er nimmt das Beratungsangebot des Vereines Queerbase in Anspruch. Dabei handelt es sich um eine in Wien ansässige Organisation, die rechtliche und soziale Beratung für LGBTIQ-Geflüchtete anbietet.
Der Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Afghanistan seine sexuelle Orientierung (Homosexualität) weiter ausleben. Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner sexuellen Orientierung (Homosexualität) physische und/oder psychische Gewalt.
Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Sicherheitslage
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).
Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).
Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).
Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).
Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielten Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).
Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).
Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:
Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).
Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptstädte von den Taliban angegriffen: Farah-Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).
Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).
Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).
Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele
Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).
Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).
Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).
Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).
Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).
• Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).
• Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)
• Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).
• Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).