Entscheidungsdatum
27.11.2019Norm
BBG §40Spruch
W200 2223704-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Scherz als Vorsitzende und durch den Richter Mag. Kuzminski sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Meierschitz als Beisitzerin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (SMS) vom 12.08.2019, Zl. 38905108000022 (Abweisung des Antrages auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung) zu Recht beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerden wird der angefochtene Bescheid
gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Vorverfahren:
Die Beschwerdeführerin war seit 10.03.2017 in Besitz eines bis 01.08.2019 befristeten Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 von 100.
Dem zugrundeliegenden psychiatrischen Gutachten ist folgende
Einstufung zu entnehmen:
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden
Pos. Nr.
GdB
Posttraumatische Belastungsstörung mit anhaltender Persönlichkeitsveränderung Unterer Rahmensatz, da ernsthafte Beeinträchtigung der meisten sozialen Bereiche, aber als Alleinerzieherin noch handlungsfähig.
03.05.02
50
Gegenständliches
Verfahren:
Am 19.04.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung.
Dem Antrag angeschlossen waren ein Konvolut von Unterlagen, unter anderem
-
Stellungnahme der FEM Frauenassistenz vom 16.05.2019,
-
ein neurologischer Befundbericht einer Gruppenpraxis für Neurologie vom 04.03.2019 mit den Diagnosen PTBS, Z.n. Pannikattacke, rez. Ischialgien links, Handschmerz rechts, Panikstörung,
-
ein Befundbericht der die Beschwerdeführerin behandelnden Psychotherapeutin vom 16.03.2019,
-
MRT der LWS
In weiterer Folge holte das Sozialministeriumservice ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin nach erfolgter Untersuchung ein, das folgende Einstufung ergab:
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
Posttraumatische Belastungsstörung Oberer Rahmensatz, da im Intervall stabilisierbar und Besserung der Symptome, jedoch nicht dauerhaft stabilisiert.
03.05.01
40
Gesamtgrad der Behinderung 40 v. H.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Von Seiten der Wirbelsäule und des rechten Handgelenks konnten keine Funktionseinschränkungen festgestellt werden.
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Besserung im Vergleich zum VGA."
In weiterer Folge erging folgender Bescheid vom 12.08.2019:
"Mit einem Grad der Behinderung von 40% erfüllen sie nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Ihr Antrag vom 19.04.2019 ist daher abzuweisen."
In der dagegen erhobenen Beschwerde wurde die Untersuchung durch eine Allgemeinmedizinerin gerügt sowie, dass im Vergleich zum Gutachten im Vorverfahren kein Unterschied im psychischen Zustand der Beschwerdeführerin vorliege.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, sofern die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt hervorgehoben (vgl etwa das hg. Erkenntnis vom 10. September 2014, Ra 2014/08/0005), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.
Der Umstand, dass gegebenenfalls (punktuelle) ergänzende Einvernahmen durchzuführen wären, rechtfertigt nicht die Zurückverweisung; vielmehr wären diese Einvernahmen, sollten sie wirklich erforderlich sein, vom Verwaltungsgericht - zweckmäßigerweise im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - durchzuführen. (Ra 2015/08/0178 vom 27.01.2016)
In § 28 VwGVG 2014 ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs 3 zweiter Satz leg cit vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (Hinweis E vom 17. Dezember 2014, Ro 2014/03/0066, mwN). Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Hinweis E vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/22/0087, mwN). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (Hinweis E vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, mwN). (Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016)
Wie im Verfahrensgang ausgeführt, hat die Beschwerdeführerin im Antrag geltend gemacht, dass sie weiterhin an der mit 50% im Vorverfahren eingestuften PTBS leide.
Die befasste allgemeinmedizinische Gutachterin hielt dazu fest, dass bei der Beschwerdeführerin eine Verbesserung im Vergleich zum Vorgutachten vorliege. Allerdings erwähnt sie mit keinem Wort, worin die Besserung besteht.
Die belangte Behörde hat es nach Ansicht des erkennenden Senates primär unterlassen ein entsprechendes psychiatrisches Gutachten zum Vorbringen der Beschwerdeführerin einzuholen. Im konkreten Fall leidet die Beschwerdeführerin nur an einer einzigen gravierenden Erkrankung - diese aus dem psychiatrischen Formenkreis, weshalb es dem erkennenden Senat völlig unerklärlich ist, warum die Antragstellerin nicht von einer/m Fachärztin/-arzt für Psychiatrie (wie bereits im Vorverfahren) begutachtet wurde.
Der Vollständigkeit halber ist noch darauf hinzuweisen, dass es die belangte Behörde darüberhinaus unterlassen hat, das eingeholte allgemeinmedizinische Gutachten mit dem Vorgutachten zu vergleichen, und das aktuelle Gutachten damit einer Schlüssigkeitsprüfung zu unterziehen. Spätestens dann hätte ihr auffallen müssen, dass ein Vergleich der beiden Gutachten mangels Beschreibung der Besserung nicht möglich ist.
Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes erfolgte die Entscheidung über die Höhe des Gesamtgrades der Behinderung ohne hinreichende Ermittlungstätigkeiten bzw. hat das SMS bloß ansatzweise Ermittlungen getätigt.
Im weiteren Verfahren wird daher ein psychiatrisches Gutachten nach erfolgter Untersuchung einzuholen sein. In diesem Gutachten wird eine Beschreibung des Zustandes der Beschwerdeführerin zu erfolgen haben und bei einer vom Vorgutachten abweichenden Beurteilung diese zu begründen zu sein. Nach Gewährung des Parteiengehörs an die Beschwerdeführerin hat das SMS die Entscheidung zur Höhe des Gesamtgrades der Behinderung zu treffen.
Zum Spruchinhalt des angefochtenen Bescheides, dass die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt, wir auf das das Erkenntnis des VwGH Ra 2018/11/0204-7, Rz 24 vom 13. Dezember 2018 betreffend die Einziehung eines Behindertenpasses verwiesen:
§ 43 Abs. 1 BBG ermächtigt die Behörde daher zwar zu einem amtswegigen Vorgehen, allerdings nach den bisherigen Ausführungen nur zu einem Ausspruch der Einziehung des Behindertenpasses. Ein Bescheid, in dem ausgesprochen wird, dass die Betreffende mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 % nicht mehr die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfülle, oder in dem festgestellt wird, dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50 % besteht, findet in § 43 Abs. 1 BBG keine Deckung.
Analog dazu wird darauf hingewiesen, dass weder die §§ 40 und 41 noch § 45 BBG die Voraussetzungen für die von der belangen Behörde gewählte Formulierung "Mit einem Grad der Behinderung von 40% erfüllen Sie nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses." bieten.
Auch die Formulierung "Ihr Antrag ist daher abzuweisen." ist insofern falsch als sie eine Handlungsanweisung bzw. eine Forderung an einen Dritten beinhaltet, den Antrag abzuweisen. Die korrekte Formulierung für den vom SMS gewünschten Spruch wäre: "Ihr Antrag wird abgewiesen."
Zu Spruchpunkt B):
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W200.2223704.1.00Zuletzt aktualisiert am
09.03.2020