TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/28 W262 2218719-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.11.2019
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Entscheidungsdatum

28.11.2019

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W262 2218719-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia JERABEK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Claudia MARIK sowie den fachkundigen Laienrichter Dr. Ludwig RHOMBERG als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch den Verein ChronischKrank, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 14.03.2019, OB XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentliche Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG in Verbindung mit § 42 Abs. 1 BBG und § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen stattgegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass dem Antrag des Beschwerdeführers vom 05.11.2018 auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass Folge gegeben wird.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist seit 18.09.2017 Inhaber eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. und der Zusatzeintragung "Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 dritter Teilstrich VO 303/1996 liegt vor". Er stellte am 05.11.2018 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich (in der Folge als "belangte Behörde" bezeichnet), einen Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO und legte diverse medizinische Unterlagen vor. Auf dem Antragsformular der belangten Behörde ist folgender Hinweis enthalten:

"Wenn Sie noch nicht im Besitz eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung ‚Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel' sind, gilt dieser Antrag auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. auf Vornahme der Zusatzeintragung ‚Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel' in den Behindertenpass."

2. Die belangte Behörde holte in der Folge ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin ein. In dem - auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 21.01.2019 erstatteten - Gutachten vom 10.02.2019 wurde auszugsweise Folgendes festgehalten:

"...

Anamnese:

Herr XXXX klagt über unverändert gehäufte Stuhlgänge. Der Zustand hat sich seit der Voruntersuchung nicht gebessert. Er steht in Betreuung durch das KH XXXX . Der Zustand ist nach Auskunft der behandelnden Ärzte nicht veränderbar. Es werden weiterhin Einläufe durchgeführt und er erhält medikamentöse Therapie. Es werden 20-25 Stuhlgänge/Tag angegeben. Er kann den Stuhl nicht halten und verwendet daher Inkontinenzeinlagen. Er trägt immer Reservewäsche und Einlagen mit sich.

Derzeitige Beschwerden:

LARS Syndrom, Anastomosenstenose, tiefes vorderes Rektumresektionssyndrom, St.p. Ileostoma Verschluss 05/2017, St.p. tiefe vordere Resektion bei Darmperforation mit einem Fremdkörper im Okt. 2016 und Anlage eines doppelläufigen lleostomas im KH XXXX , erektile Dysfunktion.

...

Untersuchungsbefund:

...

Klinischer Status - Fachstatus:

Atmung: reguläre Atemfrequenz in Ruhe, Lymphknotenstatus: keine vergrößerten Lymphknoten tastbar; Schädel: Augen: Pupillen isokor, mittelweit, prompte Lichtreaktion, Brillenversorgung; Zähne:

saniert; Halsorgane: Arterien: bds. tastbar; Venen: nicht gestaut;

Schilddrüse: unauff. Tastbefund; Thorax: symmetrisch, Lunge:

vesikuläre Atmung, Basen atemverschieblich; Herz: Herztöne rein, rhythmisch; Abdomen: im Thoraxniveau, Bauchdecken: blande Narbe nach med. Laparotomie und Ileostoma weich, kein Druckschmerz,

Nierenlager: frei; Wirbelsäule: WS nicht klopfempfindlich, ISG bds. frei, WS: frei beweglich, Extremitäten: Obere Extremitäten: Grobe

Kraft: seitengleich, Faustschluss: beidseits komplett, Spitzgriff und Fingerspreizen bds frei, Gelenke äußerlich unauffällig, Gelenke frei beweglich, Sensibilität: beidseits gleich, Schürzen-und Nackengriff beidseits durchführbar, Keine signifikante

Umfangdifferenz, Narbenbildungen: keine.

Untere Extremitäten: Aktives Heben bds. frei; Hüftgelenke:

Beweglichkeit beidseits nicht eingeschränkt; Kniegelenke: bds. frei beweglich; Sprunggelenke: beidseits ohne Einschränkung; Knie anheben beidseits über 20cm möglich; Kraft: grobe Kraft beidseits vorhanden; grob neurologisch unauffällig

Gesamtmobilität - Gangbild:

Trägt Konfektionsschuhe, selbständiges An-/Ausziehen möglich, Transfer Untersuchungsliege selbständig, im Alltag selbständig, Gehstrecke nicht eingeschränkt; Gangbild frei, flüssig, sicher, harmonisches Gangbild

...

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1

g. Z. Zustand nach operativer Versorgung einer Dickdarmperforation aufgrund eines Fremdkörpers (tiefe vordere Rektumresektion) mit vorübergehender Anlage eines künstlichen Darmausganges 10/2016, Zustand nach Rückoperation des künstlichen Darmausganges 05/2017; LARS-Syndrom mit Erfordernis von Einlagenversorgung und Erektionsstörung als Folge der Erstoperation

Es handelt sich um einen Dauerzustand.

Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Eine kurze Wegstrecke ist ohne Hilfsmittel bewältigbar. Ein- und Aussteigen und der sichere Transport sind aufgrund der ausreichenden Beweglichkeit, Greiffunktion und Kraft in den oberen und unteren Extremitäten gegeben. Es liegen keine schwerwiegenden cardiopulmonalen Funktionseinschränkungen vor. Der Ernährungszustand ist konstant. Der Antragswerber ist im Alltag selbständig. Es liegt somit keine durchgehende körperliche Schwäche in einem Ausmaß vor, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel als unzumutbar beurteilt werden kann. Mit am Markt üblichen Produkten kann bei Stuhlinkontinenz ausreichend sicher vor einer Verunreinigung der Person durch Stuhl geschützt werden. Die Angabe von mehr als 20 Stühlen pro Tag alleine ist nicht geeignet, eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu attestieren. Ebenso ist der psychische Zustand stabil, die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel ist zumutbar.

Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

Nein.

Gutachterliche Stellungnahme:

Unter Berücksichtigung der Befunde und durchgeführter Untersuchung erscheint die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar."

3. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 06.08.2018 wurde der Beschwerdeführer vom Ergebnis der Beweisaufnahme in Kenntnis gesetzt und eine zweiwöchige Frist zur Erstattung einer Stellungnahme gewährt. Der Beschwerdeführer hat sich innerhalb dieser Frist nicht geäußert.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 14.03.2019 wurde der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG abgewiesen. Begründend stützte sich die belangte Behörde im Bescheid auf das Sachverständigengutachten vom 21.01.2019, wonach die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht gegeben seien. Das Sachverständigengutachten wurde dem Beschwerdeführer als Beilage des Bescheides übermittelt. Hinsichtlich des Antrages auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO findet sich im angefochtenen Bescheid lediglich die Anmerkung, dass aufgrund des Nichtvorliegens der Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" kein Parkausweis ausgestellt werden könne.

5. Mit Schreiben vom 22.04.2019 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den Verein ChronischKrank, fristgerecht Beschwerde und führte zusammengefasst aus, er habe schon seit mehreren Jahren imperativen Stuhlgang, welcher nicht vorhersehbar und nicht beeinflussbar sei. Dies werde durch weitere medizinische Befunde belegt. Er befinde sich zur Krankheitsbewältigung seit über einem Jahr in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung. Abschließend stellte der Beschwerdeführer die Anträge, der Beschwerde Folge zu geben, den Bescheid aufzuheben und dem Antrag auf Vornahme der begehrten Zusatzeintragung in den Behindertenpass stattzugeben, in eventu eine mündliche Verhandlung durchzuführen und ein Gutachten eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet Gastroenterologie einzuholen.

6. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 13.05.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Das Bundesverwaltungsgericht holte in der Folge ein Sachverständigengutachten eines (bisher nicht befassten) Facharztes für Anästhesiologie und Intensivmedizin und Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dem - auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 20.08.2019 erstatteten - Gutachten vom 28.08.2019 wurde auszugsweise Folgendes ausgeführt (Wiedergabe ergänzt um die zugehörigen Fragestellungen des Bundesverwaltungsgerichts):

"...

ANAMNESE

10/2016: Tiefe vordere Rektumresektion nach Dickdarmperforation aufgrund eines Fremdkörpers, Anlage eines künstlichen Darmausgangs.

05/2017: Rückoperation des künstlichen Darmausgangs, GdB 60 % als Dauerzustand, die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel ist zumutbar.

...

BESCHWERDEN

Er ist nach wie vor zu Hause, bezieht Rehageld. Der Tagesablauf ist von der ständigen Notwendigkeit geprägt, eine Toilette in der Nähe zu haben. Unabhängig von der Nahrungsaufnahme und den Nahrungsmitteln kommt es zwischen 15-25 Mal pro Tag zu einem imperativen Stuhldrang, die Stuhlkonsistenz immer flüssig, an den letzten geformten Stuhl kann er sich gar nicht erinnern. Wenn er spürt, dass die Stuhlwalze kommt, muss er unmittelbar eine Toilette aufsuchen, oftmals ist sogar der Weg vom Wohnzimmer auf die Toilette zu weit. Er trägt permanent Hygieneeinlagen, auswärts ist sein erster Blick die Suche nach der nächstgelegenen Toilette, er hat auch immer Wechselkleidung mit sich, oftmals sind sämtliche Hilfsmittel jedoch zu wenig. Auch nachts muss er immer wieder die Toilette aufsuchen, es ist auch bereits wiederholt vorgekommen, dass er den Stuhlgang verschlafen hat. Die hygienische Beeinträchtigung im Alltag ist ausgeprägt, oftmals helfen die im Handel erhältlichen Hilfsmittel nicht aus. Er hat nach wie vor regelmäßige Psychotherapie, auch bezüglich der erektilen Dysfunktion wurde bis dato keine geeignete Therapie gefunden. Das Gewichtsverhalten ist stabil, gelegentlich ziehende Schmerzen im Bereich der Narbe im Bereich des ehemaligen Darmausgangs. Vor auswärtigen Terminen (wie beispielsweise dieser Untersuchung) lässt er am Vortag das Abendessen aus, heute hat er auch nicht gefrühstückt, führt bei Bedarf zu Hause einen Einlauf durch, um den Darm weitestgehend zu entleeren. Gelegentlich sind auch diese Maßnahmen unzureichend.

...

STATUS

Caput: Sichtbare Häute und ... heute gut durchblutet, Bulbusmotorik

seitengleich, beidseits prompte Pupillenreaktion.

Wirbelsäule: Im Lot, kein Schulter- oder Beckenschiefstand, kein Klopfschmerz, im Seitaspekt physiologischer Verlauf, FBA 0 cm.

Obere, untere Extremitäten: Sämtliche Gelenke werden altersentsprechend endlagig frei, schmerzlos bewegt, MER seitengleich prompt, periphere DMS in Ordnung. Die Beinachse im Lot, keine Längendifferenz.

Thorax: Symmetrisch, Herzaktion rein, rhythmisch, Pulmo beidseits

VA.

Abdomen: Weich, auf Thoraxniveau, diffuser leichter Druckschmerz, keine Abwehrspannung. Mediane Laparotomie, den Nabel links umschreitend, bland abgeheilte Narbe im rechten Unterbauch nach künstlichem Darmausgang.

Er kommt alleine, selbstständig gehend zu Untersuchung, trägt normales Schuhwerk ohne Einlagen. Im Alltag keinerlei Beeinträchtigung der Mobilität oder des Bewegungsumfangs, selbstständiges An- und Auskleiden auch im Stehen möglich.

Örtlich, räumlich, zeitlich, zur eigenen Person orientiert, der Ductus kohärent, gut affizierbar.

...

STELLUNGNAHME Ad 1) Diagnoseliste:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1

Zustand nach operativer Versorgung einer Dickdarmperforation aufgrund eines Fremdkörpers (tiefe vordere Rektumresektion) mit vorübergehender Anlage eines künstlichen Darmausgangs 10/2016, Zustand nach Rückoperation des künstlichen Darmausganges 05/2017; LARS-Syndrom mit Erfordernis von Einlagenversorgung und Erektionsstörung als Folge der Erstoperation.

Ad 2a, 2b) Vorliegen

einer Stuhlinkontinenz, Ausmaß, Häufigkeit, Unvorhersehbarkeit, Unabwendbarkeit und deren Auswirkung auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:

Es ist aufgrund der geschilderten Beschwerden sowie der Anamnese davon auszugehen, dass eine Stuhlinkontinenz vorliegt, ebenfalls liegt die fachärztliche Diagnose LARS-Syndrom (= gestörte Defäkation nach Rektumresektion, welche zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität führt) vor. Bezüglich Häufigkeit lassen sich keine Angaben machen, hier muss auf die Angaben des BF vertraut werden, die Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit sind bei regelmäßiger Nahrungszufuhr, welche sich durch den guten Ernährungszustand des BF glaubhaft nachvollziehen lässt, gegeben.

Ad 2c) Besteht ein schubartiges Beschwerdebild?

Nein.

Ad 2d) Sind Stuhlgänge für den Beschwerdeführer vorhersehbar, abwendbar und/oder beeinflussbar?

Abwendbar durch längere Nahrungskarenz, abführende Hilfsmittel. Vorhersehbar nur in Maßen; nach Nahrungsaufnahme kommt es zu einem Stuhldrang, die Häufigkeit lässt sich nicht vorhersehen, die Defäkation lässt sich auch nicht abwenden.

Ad 2e) Bestehen Therapiereserven? Ist Besserung zu erwarten/wahrscheinlich?

Bezüglich Therapiereserve kann ich in meiner Fachrichtung keine Aussage treffen, da die Beschwerdesymptomatik seit über 2 Jahren besteht, gehe ich jedoch davon aus, dass der Beschwerdeführer alles getan hat, um diese Beschwerdesymptomatik in den Griff zu bekommen, von einer Besserung ist wohl nicht mehr auszugehen.

Ad 3) Liegen erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten vor?

Nein.

Ad 4) Liegen erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vor?

Nein.

Ad 5) Liegt eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vor?

Nein.

Ad 6) Liegt eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit vor?

Nein.

Ad 7) Liegen erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten vor?

Nein. Zwar ist die Behauptung, dass die Inkontinenz eine psychische Belastungssituation darstellt, nachvollziehbar, dies ist jedoch keinesfalls mit einer Einschränkung der psychischen Fähigkeiten gleichzusetzen.

Ad 8) Stellungnahme zu den im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vorgelegten Befunden und Unterlagen:

Die angeführten Unterlagen wurden gesehen und gewertet.

Ab 9) Stellungnahme zu den im Rahmen der Beschwerde erhobenen Einwendungen: Die erhobenen Einwendungen, insbesondere der imperative Stuhldrang, der weder vorhersehbar noch beeinflussbar sei, die massiven Stuhlhalteprobleme sowie die unzureichende Versorgungsmöglichkeit mit marktüblichen Produkten, um sicher vor einer Verunreinigung durch Stuhl geschützt zu sein, sind glaubhaft nachvollziehbar. Der geltend gemachte psychisch labile Zustand aufgrund dieser Beschwerdesymptomatik ist keinesfalls als maßgeblich oder schwerwiegend zu werten.

Ad 10) Stellungnahme zur konkreten Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:

Es liegen keinerlei körperliche, psychische oder intellektuelle Beeinträchtigungen vor, aus welchen sich nach den derzeitigen Vorgaben die Unzumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ableiten ließe. Bezüglich der Argumentation, dass mit den im Handel erhältlichen Inkontinenzprodukte das Auslagen gefunden werden könne, wird auf das Erkenntnis des VwGH vom 21.04.2016, Ra 2016/11/0018 verwiesen, wonach es bei einer anhaltend schweren Erkrankung des Verdauungsapparates mit häufigem und imperativem Stuhldrang keiner weiteren Erörterung bedarf, dass in diesen Fällen die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar ist.

Ad 11) Stellungnahme zu einer allfälligen zum angefochtenen Gutachten vom 10.02.2019 abweichenden Beurteilung: Die Leidenseinschätzung des angefochtenen Gutachtens vom 10.02.2019 wird bestätigt, die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung ‚Unzumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel' sind jedoch gegeben.

Ad 12) Feststellung ob bzw. wann eine Nachuntersuchung erforderlich ist: Es ist keine Nachuntersuchung erforderlich."

8. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.09.2019 wurden der Beschwerdeführer und die belangte Behörde über das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert und ihnen in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben. Weiters wurde in diesem Zusammenhang auf die Neuerungsbeschränkung im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht aufmerksam gemacht und mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht in Aussicht nehme, seine Entscheidung auf Basis der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zu erlassen, soweit eine eingelangte Stellungnahme nicht anderes erfordere.

Die Verfahrensparteien ließen dieses Schreiben unbeantwortet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist seit 18.09.2017 Inhaber eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. und der Zusatzeintragung "Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 dritter Teilstrich VO 303/1996 liegt vor". Er brachte am 05.11.2018 bei der belangten Behörde einen Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO ein, welcher auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" gewertet wurde.

Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Beim Beschwerdeführer besteht folgende Funktionseinschränkung, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern wird:

Zustand nach operativer Versorgung einer Dickdarmperforation aufgrund eines Fremdkörpers (tiefe vordere Rektumresektion) mit vorübergehender Anlage eines künstlichen Darmausgangs 10/2016, Zustand nach Rückoperation des künstlichen Darmausganges 05/2017; LARS-Syndrom mit Erfordernis von Einlagenversorgung und Erektionsstörung als Folge der Erstoperation.

Hinsichtlich der beim Beschwerdeführer festgestellten Gesundheitsschädigung, ihrer Art und Schwere sowie ihrer Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werden die diesbezüglichen Beurteilungen in dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten eines Facharztes für Anästhesiologie und Intensivmedizin und Arztes für Allgemeinmedizin vom 28.08.2019 der nunmehrigen Entscheidung zugrunde gelegt.

Der Beschwerdeführer leidet am LARS-Syndrom mit Erfordernis einer Einlagenversorgung und an Erektionsstörung als Folge einer operativen Versorgung einer Dickdarmperforation aufgrund eines Fremdkörpers (tiefe vordere Rektumresektion) mit vorübergehender Anlage eines künstlichen Darmausgangs 10/2016 und Rückoperation 05/2017. Beim Beschwerdeführer bestehen ein imperativer Stuhlgang mit täglich ca. fünfzehn- bis fünfundzwanzigmaliger flüssiger Stuhlentleerung sowie eine rezidivierende Stuhlinkontinenz. Die Zeitpunkte, wann der Beschwerdeführer Stuhl absetzt, sind für ihn bei normaler Nahrungsaufnahme nicht vorhersehbar und können von ihm in der Regel aufgrund der Dranginkontinenz auch nicht beeinflusst werden. Der Druck im Darm ist dann so groß, dass der Beschwerdeführer den Stuhl nicht halten kann und aufgrund des Stuhldranges unmittelbar eine nahe gelegene Örtlichkeit aufsuchen muss, um den Stuhl absetzen zu können. Die Stuhlinkontinenz tritt auch nachts auf. Eine Kompensation mit handelsüblichen Hygieneeinlagen ist aufgrund der abgehenden Stuhlmengen idR nicht möglich.

Aufgrund der festgestellten Funktionseinschränkung kann dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus medizinischer Sicht nicht zugemutet werden.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen über Datum der Einbringung und Wertung des Antrags auf Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" und über die Ausstellung eines Behindertenpasses basieren auf dem Akteninhalt.

2.2. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ergibt sich aus einem durch das Bundesverwaltungsgericht erstellten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

2.3. Die Feststellungen zur bestehenden Funktionseinschränkung bzw. Gesundheitsschädigung sowie zur Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung gründen sich auf das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Anästhesiologie und Intensivmedizin und Arztes für Allgemeinmedizin vom 28.08.2019.

Darin wurde auf die Art und Schwere des Leidens des Beschwerdeführers sowie dessen Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Die getroffene medizinische Beurteilung basiert auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befund und entspricht der festgestellten Funktionsbeeinträchtigung (diesbezüglich wird auch auf die auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen im Gutachten verwiesen).

Der befasste Sachverständige führte nachvollziehbar aus, dass aufgrund des häufigen und imperativen Stuhldranges, der bei normaler Nahrungsaufnahme weder vorhersehbar noch beeinflussbar ist, die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar ist, zumal mit den handelsüblichen Hygieneeinlagen nicht das Auslangen gefunden werden könne.

Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Gutachten wurde der belangten Behörde und dem Beschwerdeführer unter Einräumung einer Frist zur Äußerung übermittelt. Beide Verfahrensparteien haben sich dazu nicht mehr geäußert.

2.4. Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden Gutachtens eines Facharztes für Anästhesiologie und Intensivmedizin und Arztes für Allgemeinmedizin vom 28.08.2019.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung eines fachkundigen Laienrichters ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.

3.2. Zur Wertung des Antrages auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO:

3.2.1. Im vorliegenden Fall wurde die Eingabe des Beschwerdeführers vom 05.11.2018 auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO von der belangten Behörde auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gewertet. Dazu ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen.

Demnach ist bei der Beurteilung von Parteienanbringen grundsätzlich das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteischrittes maßgebend und es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss, wobei Parteienerklärungen im Zweifel nicht so auszulegen sind, dass ein von vornherein aussichtsloses Rechtsschutzbegehren unterstellt wird (VwGH 24.07.2008, 2008/07/0060 mwH).

Dabei sind Parteienerklärungen im Zweifel so auszulegen, dass die sie abgebende Partei nicht um ihren Rechtsschutz gebracht wird (VwGH 19.05.1994, 92/07/0070), und es ist der Behörde nicht gestattet, einem unklaren Antrag von vornherein einen für den Antragsteller ungünstigen Inhalt zu unterstellen (VwGH 16.12.1992, 89/12/0146). In einem solchen Fall hat die Behörde vielmehr von Amts wegen den wahren Willen der Partei und damit den Gegenstand des Anbringens von Amts wegen zu ermitteln und klarzustellen (VwGH 27.07.1994, 90/10/0046).

Im vorliegenden Fall wurde vom Beschwerdeführer am 05.11.2018 ein Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO eingebracht.

Dieses Anbringen wurde von der belangten Behörde - wie sich zweifelsfrei aus dem Bescheid ergibt - auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gewertet. Im Übrigen findet sich diesbezüglich im Antragsformular ein ausdrücklicher Hinweis (vgl. dazu Punkt I.1.).

Nach Ansicht des erkennenden Gerichtes wurde die Beurteilung des Parteienanbringens seitens der belangten Behörde schon deshalb in nachvollziehbarer Weise vorgenommen, weil der Beschwerdeführer mit seiner Eingabe erkennbar das Ziel verfolgt hat, letztlich in den Genuss der Berechtigungen nach § 29b Abs. 2 bis 4 StVO zu kommen. Angesichts des Umstandes, dass dies ausschließlich Inhabern eines Behindertenpasses nach dem Bundesbehindertengesetz möglich ist, die bereits über die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" verfügen, wurde das Anbringen seitens der belangten Behörde im Lichte einer rechtsschutzfreundlichen und für das Ziel des Beschwerdeführers günstigen Weise ausgelegt.

Der Beschwerdeführer ist der Wertung seines Anbringens - ausweislich des Verwaltungsaktes - weder im vorangegangenen Verwaltungsverfahren noch im Rahmen der Beschwerde entgegengetreten.

Die Behörde konnte daher zu Recht davon ausgehen, dass das Anbringen des Beschwerdeführers vom 05.11.2018 auf die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass und letztlich auf die Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO gerichtet war.

3.2.2. Ausgehend von dieser Wertung des Anbringens durch die belangte Behörde ist aus Sicht des erkennenden Gerichtes allerdings nicht nachvollziehbar, dass über den Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO nicht (auch) - entweder im Rahmen eines gesonderten Bescheides oder im Wege eines zusätzlichen Spruchpunktes im angefochtenen Bescheid - abgesprochen wurde. Die belangte Behörde hat sich lediglich mit einem diesbezüglichen Hinweis am Ende des Bescheides begnügt, dass die Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO mangels Vorliegens der Voraussetzung für die Vornahme der begehrten Zusatzeintragung in den Behindertenpass nicht möglich sei.

Es trifft zwar zu, dass dem Begehren des Beschwerdeführers auf Ausfolgung eines Parkausweises nach § 29b StVO erst dann entsprochen werden könnte, wenn im Behindertenpass die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung" vorgenommen wurde, dies hindert die belangte Behörde aber nicht daran, über den Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO zu entscheiden.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

3.3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

"§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(...)"

"§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

(...)"

"§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen."

3.4. Die in Ausübung der Ermächtigung des § 47 BBG erlassene Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, ist am 01.01.2014 in Kraft getreten und wurde mit 22.09.2016, BGBl. II Nr. 263/2016, novelliert. § 1 dieser Verordnung lautet auszugsweise:

"§ 1. ...

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

...

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-

erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten

-

erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-

erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-

eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-

eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

..."

3.5. In den Erläuterungen zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen wird hinsichtlich der hier maßgeblichen Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 (vormals: § 1 Abs. 2 Z 3) - soweit relevant - insbesondere Folgendes ausgeführt:

"Zu § 1 Abs. 2 Z 3:

Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.

Die Voraussetzung des vollendeten 36. Lebensmonats wurde deshalb gewählt, da im Durchschnitt auch ein nicht behindertes Kind vor dem vollendeten 3. Lebensjahr im Zusammenhang mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Wegstrecken nicht ohne Begleitung selbständig gehen kann.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.

Durch die Verwendung des Begriffes ‚dauerhafte Mobilitätseinschränkung' hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.

Die Begriffe ‚erheblich' und ‚schwer' werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.

Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-

arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-

Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-

hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-

Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-

COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-

Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-

mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:

-

Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,

-

hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,

-

schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,

-

nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden - Begleitperson ist erforderlich.

Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:

-

anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID - sever combined immundeficiency),

-

schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B.: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),

-

fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,

-

selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktionen nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.

Bei Chemo- und/oder Strahlentherapien im Rahmen der Behandlung onkologischer Erkrankungen kommt es im Zuge des zyklenhaften Therapieverlaufes zu tageweisem Absinken der Abwehrkraft. Eine anhaltende Funktionseinschränkung resultiert daraus nicht.

Anzumerken ist noch, dass in dieser kurzen Phase die Patienten in einem stark reduzierten Allgemeinzustand sind und im Bedarfsfall ein Krankentransport indiziert ist.

Bei allen frisch transplantierten Patienten kommt es nach einer anfänglichen Akutphase mit hochdosierter Immunsuppression, nach etwa 3 Monaten zu einer Reduktion auf eine Dauermedikation, die keinen wesentlichen Einfluss auf die Abwehrkräfte bei üblicher Exposition im öffentlichen Raum hat.

...

Keine Einschränkung im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben:

--bei Inkontinenz, da die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen. Lediglich bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar."

3.6. Nach der (noch zur Rechtslage nach der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen, BGBl. 86/1991, ergangenen) ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde, um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 20.04.2004, 2003/11/0078 [= VwSlg. 16.340 A/2004]; VwGH 01.06.2005, 2003/10/0108; VwGH 29.06.2006, 2006/10/0050; VwGH 18.12.2006, 2006/11/0211; VwGH 17.11.2009, 2006/11/0178; VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142; VwGH 23.05.2012, 2008/11/0128; VwGH 17.06.2013, 2010/11/0021; VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013; 27.01.2015, 2012/11/0186; 01.03.2016, Ro 2014/11/0024, je mwN).

Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an ihrer Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321 [= VwSlg. 15.577 A/2001]). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).

Dabei kommt es entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Allgemeinen an, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus sonstigen, von der Gesundheitsbeeinträchtigung unabhängigen Gründen erschweren, wie etwa die Entfernung des Wohnorts des Beschwerdeführers vom nächstgelegenen Bahnhof (vgl. VwGH 22.10.2002, 2001/11/0258 und VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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