TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/28 W238 2223278-1

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Veröffentlicht am 28.11.2019
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Entscheidungsdatum

28.11.2019

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W238 2223278-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Claudia MARIK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Julia JERABEK sowie den fachkundigen Laienrichter Dr. Ludwig RHOMBERG als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Burgenland, vom 30.07.2019, OB XXXX , betreffend Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG, §§ 1 Abs. 2, 40 Abs. 1 und 2, 41 Abs. 1, 42 Abs. 1 und 2 sowie 45 Abs. 1 und 2 BBG Folge gegeben und der angefochtene Bescheid wie folgt abgeändert:

Mit einem festgestellten Grad der Behinderung von fünfzig von Hundert (50 v.H.) erfüllt XXXX die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses, sodass ihrem darauf gerichteten Antrag vom 09.05.2019 stattzugeben ist.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Am 09.05.2019 stellte die nunmehrige Beschwerdeführerin unter Vorlage medizinischer Beweismittel einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.

2. Seitens des Sozialministeriumservice, Landesstelle Burgenland (im Folgenden als belangte Behörde bezeichnet), wurde daraufhin ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin eingeholt. In dem - auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 24.06.2019 erstatteten - Gutachten vom 27.06.2019 wurden als Ergebnis der Begutachtung die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden

Pos.Nr.

GdB%

1

Seropositive rheumatoide Arthritis, Osteopenie Oberer Rahmensatz, da höhere entzündliche Aktivität in den Handgelenken, die geringer auch in den Füßen vorliegt und die begleitende Kortisontherapie noch nicht beendet werden konnte.

02.02.02

40

2

Substituierte Schilddrüsenunterfunktion Unterer Rahmensatz bei problemloser Substitutionstherapie

09.01.01

10

zugeordnet und

nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. festgestellt. Begründend wurde ausgeführt, dass das führende Leiden 1 durch Leiden 2 nicht erhöht werde, da dieses von zu geringer funktioneller Relevanz sei. Ein relevantes einschätzungswürdiges Augenleiden liege nicht vor. Es handle sich um einen Dauerzustand.

3. Das Gutachten wurde mit Schreiben der belangten Behörde vom 03.07.2019 dem Parteiengehör unterzogen. In ihrer Stellungnahme vom 18.07.2019 erhob die Beschwerdeführerin umfangreiche Einwendungen gegen das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens und legte weitere Befunde vor.

4. Zu den Einwendungen der Beschwerdeführerin erstattete der mit der Erstellung des Gutachtens befasste Sachverständige am 26.07.2019 eine Stellungnahme, in der mit näherer Begründung an der bisherigen Einschätzung festgehalten wurde.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 30.07.2019 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 BBG abgewiesen, da sie mit dem festgestellten Grad der Behinderung von 40 v.H. die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien dem Sachverständigengutachten zu entnehmen, das einen Bestandteil der Begründung bilde. Aufgrund der im Zuge des Parteiengehörs erhobenen Einwände sei eine abermalige Überprüfung durch den ärztlichen Sachverständigen durchgeführt und festgestellt worden, dass die Einwendungen nicht geeignet seien, die Beweiskraft des Gutachtens zu entkräften. Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses sei daher abzuweisen. Als Beilagen zum Bescheid wurden der Beschwerdeführerin das Gutachten vom 27.06.2019 und die gutachterliche Stellungnahme vom 26.07.2019 übermittelt

6. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründend führte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, dass sie sich bereits seit Jahren einer immunsuppressiven Medikation unterziehe, die im Bescheid nicht erwähnt worden sei. Da Immunsuppressiva die Immunabwehr des Körpers beeinträchtigen würden, sei eine erhöhte Infektanfälligkeit gegeben; dies sollte auch ein maßgebender Faktor für die Beurteilung des Grades der Behinderung sein. Im Übrigen wurde kritisiert, dass das von der belangten Behörde eingeholte Gutachten weder ausreichend noch vollständig und teilweise falsch sei. Zuletzt ersuchte die Beschwerdeführerin um erneute Überprüfung durch einen Facharzt (Rheumatologen), da die bisherige Beurteilung nur durch einen Arzt für Allgemeinmedizin erfolgt sei.

7. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht seitens der belangten Behörde am 10.09.2019 vorgelegt.

8. Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes wurde eine Begutachtung der Beschwerdeführerin durch eine Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie veranlasst. In dem auf Basis einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin erstatteten Sachverständigengutachten vom 09.10.2019 wurde auszugsweise Folgendes ausgeführt (Wiedergabe ergänzt um die zugehörigen Fragestellungen des Bundesverwaltungsgerichtes):

"Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: normal

Ernährungszustand: normal

Klinischer Status - Fachstatus:

Kopf frei beweglich, Hirnnervenaustrittspunkte frei, Hörvermögen gut, Sehvermögen gut.

Hals: keine vergrößerten Lymphknoten tastbar, Schilddrüse schluckverschieblich.

Herz: Herztöne rhythmisch, rein, normofrequent.

Lunge: Vesiculäratmen, keine Rasselgeräusche, Lungenbasen verschieblich.

Bauch: weich, kein Druckschmerz, keine Abwehrspannung, Leber und Milz nicht tastbar.

Wirbelsäule: klopfdolent, p.m über der LWS

OE:

Schulter: endlagig eingeschränkte Beweglichkeit der Schultern, Nackengriff eingeschränkt bds., Schürzengriff möglich.

EBO: frei beweglich.

Handgelenke: Schwellungen beide Handgelenken, Flexionsdefizit, Ulnardeviation, prominenter Proc. styl. Ulnae.

Finger: Faustschluss eingeschränkt, Kraftgrad beidseitig vermindert, Schwellung MCP Il bis IV re > li., Schwelleng. PIP Il und III li > re.

UE:

Hüfte: endlagig schmerzbedingt eingeschränkt.

Knie: endlagig schmerzbedingt eingeschränkt.

OSG und Vorfüße: frei beweglich, Druckschmerz über den Zehengrundgelenken, Druckschmerz über der med. und lat. Bandgrube am Sprunggelenk.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Unauffälliges Gangbild, normale Straßenkleidung wird getragen, Beschwerden beim Auskleiden der unteren Extremität aufgrund der verminderten Handkraft und Beschwerden beim Anziehen der Schuhe, der Gatte ist hier behilflich.

Status Psychicus:

Unauffällig, im Ductus kohärent und klar orientiert.

BEURTEILUNG

1) Gesonderte Einschätzung des Grades der Behinderung für jede festgestellte Gesundheitsschädigung:

1. Rheumatoide Arthritis

Pos.: 02.02.03 GdB 50 %

Unterer Rahmensatz, da erhebliche Funktionseinschränkungen insbesondere der Hände mit dauerhaftem Tragen von Funktionsschienen bei krankheitsbedingt beträchtlicher Beeinträchtigung der Greiffunktion und der Handkraft, eine dauerhaft medikamentöse Therapie wird eingenommen, laufende fachärztliche Kontrollen finden statt, eine Therapiereserve ist derzeit nicht bestehend. Die Fatigue und Müdigkeit sind in dieser Positionsnummer mit abgebildet.

2. Hashimoto Thyreoiditis/substituierte Schilddrüsenfunktionsstörung

Pos.: 09.01.01 GdB 10 %

Unterer Rahmensatz bei problemloser Substitutionstherapie.

2) Einschätzung und Begründung des Gesamtgrades der Behinderung, wobei auch auf eine allfällige Erhöhung durch wechselseitige Leidensbeeinflussung eingegangen werden möge:

Gesamtgrad der Behinderung 50 %

Das führende Leiden 1 wird aufgrund der zu geringen funktionellen Relevanz des Leidens 2 um keine weitere Stufe erhöht.

3) Stellungnahme, ab wann der Gesamtgrad der Behinderung anzunehmen ist (ab Antrag 09.05.2019? wenn später, bitte begründen):

Der GdB ist ab Antragstellung anzunehmen, da das Leiden bereits damals in vollem Umfang vorliegend war (Abl. 1-101)

4) Fachspezifische Stellungnahme zu den im Verfahren vorgelegten Unterlagen und Befunden:

Aus den Unterlagen und vorgelegten Befunden wie o.g. lässt sich klar die Diagnose einer wie bereits angegebenen rheumatoiden Arthritis ableiten, insbesondere kommt durch das MRT beider Hände (Abl. 109) und den ergotherapeutischen Befund (Abl. 110) das Ausmaß der entzündlichen Veränderung zur Darstellung und damit begründet das funktionelle Defizit.

Aus den vorgelegten Laborbefunden Abl. 1-60 lässt sich die Seropositivität der Erkrankung klar erkennen, dies ist wesentlich für die Therapie und die weiterführende Behandlung. Fachärztliche Befunde XXXX Abl. 61, 64, 69, 70, 78, 80, 90, 93 zeichnen den Erkrankungsverlauf nach.

Ebenso die Stellungnahme XXXX , Abl. 100, die eine dauerhafte Therapienotwendigkeit dokumentiert.

Abl. 85, 83, 81, 75, 73-72, Befund aus dem Diagnosezentrum Mödling, Schilddrüsensonografie, dokumentiert die Kontrollen der Schilddrüsenerkrankung.

Die übrigen Abl. ergänzend in der Diagnostik einer chronisch rheumatischen Erkrankung, aber nicht weiterführend aussagekräftig bzw. einflussgebend für die gutachterliche Beurteilung.

5) Fachspezifische Stellungnahme zu den Einwendungen in der Beschwerde und in der Stellungnahme vom 18.07.2019:

Die Einwendungen der Patientin können aus gutachterlicher Sicht teilweise nachvollzogen werden.

Es besteht eine chronisch entzündliche Erkrankung, die zu einer wesentlichen Einschränkung im Hinblick auf Alltagstätigkeiten aufgrund der funktionellen Defizite in den Gelenken führt wie in der Beschwerde angegeben (Reißverschlüsse zumachen, Flaschen öffnen, Brotschneiden, Tragen von Gegenständen, Zähneputzen in der Früh etc). Fatigue und Müdigkeit sind nachvollziehbare Begleiterkrankungen im Rahmen einer chronisch entzündlichen Erkrankung und wurden in Leiden 1 in der Positionsnummer mit abgebildet.

Eine Gangunsicherheit war zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung nicht auffallend, ebenso keine Unterschiede im Seitenvergleich die Kraft betreffend.

Das in der Beschwerde zitierte MRT wurde inhaltlich in der entsprechenden Positionsnummer mit abgebildet und somit in vollem Umfang berücksichtigt.

...

6) Begründung zu einer allfälligen zum angefochtenen Sachverständigengutachten vom 27.06.2016 inkl. Stellungnahme vom 26.07.2019 abweichenden Beurteilung:

Aufgrund der Befundzusammenschau sowie der körperlichen Untersuchung wird, wie bereits in der Frage 1 und 2 detailliert dargestellt, eine höhere Einschätzung des Leidens 1 in die Beurteilung mit aufgenommen.

Leiden 2 ist idem zum Vorgutachten.

7) Stellungnahme, ob bzw. wann eine Nachuntersuchung erforderlich ist:

Eine Nachuntersuchung ist aus gutachterlicher Sicht nicht indiziert, da eine wesentliche Verbesserung bei chronisch entzündlicher Erkrankung nicht zu erwarten ist."

9. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.10.2019 wurden die Beschwerdeführerin und die belangte Behörde über das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert und ihnen in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben. Weiters wurde in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht in Aussicht nehme, über die Beschwerde ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung aufgrund der Aktenlage zu entscheiden, sofern die Beschwerdeführerin eine mündliche Verhandlung vor Gericht nicht ausdrücklich beantrage.

10. Die Verfahrensparteien ließen dieses Schreiben unbeantwortet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin stellte am 09.05.2019 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.

Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1) Rheumatoide Arthritis: erhebliche Funktionseinschränkungen insbesondere der Hände mit dauerhaftem Tragen von Funktionsschienen bei krankheitsbedingt beträchtlicher Beeinträchtigung der Greiffunktion und der Handkraft, medikamentöse Dauertherapie, laufende fachärztliche Kontrollen, derzeit keine Therapiereserve, Fatigue und Müdigkeit mitberücksichtigt;

2) Hashimoto Thyreoiditis/substituierte Schilddrüsenfunktionsstörung bei problemloser Substitutionstherapie.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen, deren Ausmaßes, medizinischer Einschätzung und wechselseitiges Leidensbeeinflussung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie vom 09.10.2019 der nunmehrigen Entscheidung zugrunde gelegt.

Der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt 50 v.H.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Das Datum der Einbringung des Antrags stützt sich auf den Akteninhalt.

2.2. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ergibt sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht erstellten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

2.3. Der festgestellte Grad der Behinderung basiert auf dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie vom 09.10.2019. Darin wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin, deren Ausmaß und wechselseitige Leidensbeeinflussung vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Das Gutachten setzt sich umfassend und nachvollziehbar mit den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befunden, den von ihr erhobenen Einwendungen und dem durch die belangte Behörde eingeholten Sachverständigengutachten auseinander. Die getroffenen Einschätzungen stimmen mit den im Rahmen der Untersuchung der Beschwerdeführerin und anhand der Befundlage festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen überein. Diese wurden auch entsprechend den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung richtig zugeordnet.

Das im Beschwerdeverfahren eingeholte Gutachten weicht im Ergebnis vom Vorgutachten ab und begründet widerspruchsfrei und schlüssig die nunmehr höhere Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung. Im internistischen Sachverständigengutachten erfolgte eine Anhebung des Behinderungsgrades des führenden Leidens 1 (Rheumatoide Arthritis) um eine Stufe. Dies wurde von der befassten Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie schlüssig damit begründet, dass bei der Beschwerdeführerin erhebliche Funktionseinschränkungen insbesondere der Hände mit dauerhaftem Tragen von Funktionsschienen bei krankheitsbedingt beträchtlicher Beeinträchtigung der Greiffunktion und der Handkraft bestehen. Anhand der Befundlage und der klinischen Untersuchung der Beschwerdeführerin konnten somit Funktionseinschränkungen des Bewegungsapparates mit funktionellen Auswirkungen fortgeschrittenen Grades festgestellt werden, die einen höheren Grad der Behinderung begründen als im Vorgutachten.

Hinsichtlich des Leidens 2 (Hashimoto Thyreoiditis) ergab sich keine Änderung. Eine Anhebung des Gesamtgrades der Behinderung erfolgte aufgrund zu geringer funktioneller Relevanz von Leiden 2 nicht.

Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Gutachten wurde der belangten Behörde und der Beschwerdeführerin unter Einräumung einer Frist zur Äußerung übermittelt. Keine der Parteien hat Einwände gegen das Sachverständigengutachten erhoben.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des Sachverständigengutachtens vom 09.10.2019. Es wird in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung eines fachkundigen Laienrichters ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

3.2. Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

"BEHINDERTENPASS

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist."

"§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

(...)"

"§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(...)"

"§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

(...)"

3.3. §§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:

"Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen."

"Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine."

3.4. Festzuhalten ist, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war. Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen hat nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 Einschätzungsverordnung sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN). Bei ihrer Beurteilung hat sich die Behörde eines oder mehrerer Sachverständiger zu bedienen, wobei es dem Antragsteller freisteht, zu versuchen, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. VwGH 30.04.2014, 2011/11/0098; 21.08.2014, Ro 2014/11/0023; 20.05.2015, 2013/11/0200).

Gegenständlich wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes zwecks Beurteilung des Beschwerdevorbringens ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet Innere Medizin und Rheumatologie eingeholt, das auf Basis einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin erstattet wurde und - sowohl hinsichtlich der Einschätzung der einzelnen Funktionseinschränkungen als auch hinsichtlich der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung - den von der Judikatur (sowie von der Einschätzungsverordnung) aufgestellten Anforderungen entspricht.

3.5. Wie unter Punkt II.2.3. eingehend ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung das schlüssige Sachverständigengutachten vom 09.10.2019 zugrunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin - entgegen der Feststellung im angefochtenen Bescheid - 50 v.H. beträgt. Wie ebenfalls bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, wurde das vorliegenden Gutachten von den Verfahrensparteien nicht bestritten.

Mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, erfüllt.

Der Beschwerde war daher stattzugeben und der angefochtene Bescheid spruchgemäß abzuändern. Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin folglich einen unbefristeten Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. auszustellen.

3.6. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und dem im Beschwerdeverfahren eingeholten - vom erkennenden Gericht als schlüssig erachteten - Gutachten einer Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie, das von den Verfahrensparteien im Rahmen des Parteiengehörs unwidersprochen zur Kenntnis genommen wurde. Die strittigen Tatsachenfragen gehören dem Bereich an, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. All dies lässt - gerade auch vor dem Hintergrund des Umstandes, dass eine Verhandlung nicht beantragt wurde - die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Ergänzend ist im Beschwerdefall aus dem Blickwinkel von Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) auf den Umstand hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin vom Bundesverwaltungsgericht bei Einräumung des Parteiengehörs auf die Möglichkeit hingewiesen wurde, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu beantragen, indem ihr seitens des Verwaltungsgerichtes mitgeteilt wurde, dass - sollte sie eine mündliche Verhandlung vor Gericht nicht ausdrücklich beantragen - eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung in Aussicht genommen werde. Die Beschwerdeführerin hat sich daraufhin nicht mehr geäußert.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat ein Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung bereits in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Zu den einen Entfall der Verhandlung nach Art. 6 EMRK rechtfertigenden Umständen gehört auch der (ausdrückliche oder schlüssige) Verzicht auf die mündliche Verhandlung. Nach der Rechtsprechung kann die Unterlassung eines Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung von der Rechtsordnung unter bestimmten Umständen als (schlüssiger) Verzicht auf eine solche gewertet werden. Zwar liegt ein solcher Verzicht dann nicht vor, wenn eine unvertretene Partei weder über die Möglichkeit einer Antragstellung belehrt wurde, noch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen (vgl. VfSlg. 16.894/2003 und 17.121/2004; VwGH 26.04.2010, 2004/10/0024; VwGH 12.08.2010, 2008/10/0315; VwGH 30.01.2014, 2012/10/0193). Dies ist hier aber angesichts des erwähnten Umstands eines entsprechenden Hinweises an die Beschwerdeführerin und der ihr explizit eingeräumten Gelegenheit zur Antragstellung nicht der Fall. Die unterbliebene Antragstellung kann vor diesem Hintergrund als schlüssiger Verzicht im Sinne der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK gewertet werden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die angewendeten Teile des Bundesbehindertengesetzes sind - soweit im Beschwerdefall relevant - eindeutig. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W238.2223278.1.00

Zuletzt aktualisiert am

09.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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