Entscheidungsdatum
28.11.2019Norm
BBG §40Spruch
W207 2220016-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER als Vorsitzender und die Richterin Mag. Natascha GRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 03.06.2019, OB: XXXX , betreffend Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 1 Abs. 2, § 40 Abs. 1, § 41 Abs. 1, § 42 Abs. 1 und 2 und § 45 Abs. 1 und 2 Bundesbehindertengesetz (BBG) stattgegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses liegen auf Grund des festgestellten Grades der Behinderung in Höhe von 50 (fünfzig) von Hundert (v.H.) vor.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin war von 21.03.2017 bis 30.09.2018 Inhaberin eines (bis 30.09.2018) befristet ausgestellten Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H., dies auf Grundlage von damals eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten von zwei Ärzten für Allgemeinmedizin vom 19.07.2017 und vom 20.09.2017 sowie eines Facharztes für Orthopädie vom 31.08.2017. In der Gesamtbeurteilung des Arztes für Allgemeinmedizin, welcher auch das Gutachten vom 20.09.2017 erstellte, vom 21.09.2017 wurden auf Grundlage der Bestimmungen der Anlage der Einschätzungsverordnung die Funktionseinschränkungen 1. "Cirrhosis hepatis", bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 50 v.H. nach der Positionsnummer 07.05.05 der Anlage der Einschätzungsverordnung, 2. "Degenerative Wirbelsäulenveränderungen", bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 30 v.H. nach der Positionsnummer 02.01.02 der Anlage der Einschätzungsverordnung, 3. "Polyarthrosen im Bereiche beider Hände", bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 20 v.H. nach der Positionsnummer 02.02.01 der Anlage der Einschätzungsverordnung, 4. "Arterielle Hypertonie", bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 20 v.H. nach der Positionsnummer 05.01.02 der Anlage der Einschätzungsverordnung, 5. "Asthma bronchiale", bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 20 v.H. nach der Positionsnummer 06.05.01 der Anlage der Einschätzungsverordnung, 6. "Funktionseinschränkung geringen Grades im Bereiche des linken Schultergelenkes bei Zustand nach Totalendoprothese", bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 10 v.H. nach der Positionsnummer 02.06.01 der Anlage der Einschätzungsverordnung und 7. "Autoimmunthyreopathie bei Hypothyreose", bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 10 v.H. nach der Positionsnummer 09.01.01 der Anlage der Einschätzungsverordnung, festgestellt. Es wurde ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. festgestellt, welcher seit März 2017 vorliege. Es wurde ausgeführt, dass die Leiden 2 bis 7 mit dem führenden Leiden 1 nicht maßgeblich funktionell negativ zusammenwirken würden und daher den festgestellten Grad der Behinderung nicht erhöhen würden. Weiters wurde eine Nachuntersuchung für September 2018 für erforderlich erachtet, da eine Besserung des Leidens 1 möglich sei.
Am 24.07.2018 stellte die Beschwerdeführerin mit einem handschriftlichen Schreiben beim Sozialministeriumservice (in der Folge auch als belangte Behörde bezeichnet) den gegenständlichen Antrag "auf Verlängerung ihres Behindertenpasses", der nach Ablauf des befristet ausgestellten Behindertenpasses als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu werten ist. Sie führte in ihrem Schreiben aus, dass es bei ihrer Krankheit keine Besserung gegeben habe und auch in Zukunft keine Besserung zu erwarten sei, sie stehe seit 2006 unter ärztlicher Kontrolle. Sie ersuche daher den Behindertenpass zu verlängern oder auf Dauer auszustellen. Diesem Antrag legte die Beschwerdeführerin ein umfangreiches Konvolut an medizinischen Unterlagen und eine Kopie ihres befristeten Behindertenpasses bei.
Die belangte Behörde holte in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin auf Grundlage der Bestimmungen der Anlage der Einschätzungsverordnung vom 12.02.2019, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 14.11.2018, ein. In diesem medizinischen Sachverständigengutachten wurde - hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben - Folgendes ausgeführt:
"...
Anamnese:
Auf die Vorgutachten - Letztuntersuchung 2017 -
1) Cirrhosis hepatis (50%)
2) Degenerative Wirbelsäulenveränderungen (30%)
3) Polyarthrosen im Bereich beider Hände (20%)
4) Arterielle Hypertonie (20%)
5) Asthma bronchiale (20%)
6) Funktionseinschränkung geringen Grades im Bereich des linken Schultergelenkes bei Zustand nach Totalendoprothese (10%)
7) Autoimmunthyreopathie bei Hypothyreose (10%) -
mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50% - wird eingangs verwiesen - nun amtswegige Nachuntersuchung.
Derzeitige Beschwerden:
Frau M. berichtet über ihre Beschwerden mit der Leber (der Verdacht einer Leberzirrhose konnte nicht bestätigt werden), mit der Speiseröhre und dass ihre Milz 21 cm groß ist. Dann hat sie auch noch Kreuzbeschwerden und Probleme mit dem rechten Daumen.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Thyrex, Amilostad, Dilatrend, Cipralex, Zolpidem; Parkemed bei Bedarf.
Sozialanamnese:
Pensionist, verheiratet, keine Kinder.
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Befundnachreichung XXX-Spital vom 9.10.2018: Lumboischialgie, Ösophagusvarizen ohne Blutung - Grad II - portal hypertensive Gastropathie, Hepatopathie unklarer Genese, Splenomegalie, Autoimmunthyreoiditis mit Hypothyreose, essentielle Hypertonie, Störungen des Fruktosestoffwechsels, Laktoseintoleranz.
Laborbefundnachreichung - XXX - 12.10.2018: GGT: 61, Elektrolyte unauffällig, TSH:
0,99, BSG: 35/59.
Befundnachreichung XXX - 5.4.2018:
Schilddrüsenfunktionsparameter bei Hashimoto im Normbereich.
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
Normal.
Ernährungszustand:
Adipös.
Größe: 161,00 cm Gewicht: 91,00 kg Blutdruck: 145/85
Klinischer Status - Fachstatus:
Kopf/Hals: Haut und sichtbare Schleimhäute gut durchblutet, Visus (Brillenträger) und Gehör altersentsprechend unauffällig, unauffällige Halsorgane.
Thorax/Herz/Lunge: inspektorisch und auskultatorisch unauffällig, Nichtraucherin, keine Atemauffälligkeiten.
Abdomen: über TN, reizlose Narbe, unauffällige Organgrenzen, keine Druckempfindlichkeit.
Extremitäten: Z. n. Schulter-TEP links mit gutem Ergebnis, mäßige Rhizarthrose rechts, kein Tremor, keine Ödeme, keine sensomotorischen Defizite.
Wirbelsäule: unauffällig strukturiert, frei bewegliche HWS/BWS/LWS -
FBA im Stehen: 20 cm.
Gesamtmobilität - Gangbild:
frei, sicher, unbehindert.
Status Psychicus:
voll orientiert, Stimmung und Antrieb unauffällig, kooperativ.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos. Nr.
GdB %
1
Hepatopathie Eine Stufe unter dem oberen Rahmensatz, da nachvollziehbare Beschwerden durch die dokumentierten Ösophagusvarizen (Grad II) und durch die portal hypertensive Gastropathie bei nur gering erhöhten Leberfunktionsparametern vorliegen; Splenomegalie in dieser Beurteilung mitberücksichtigt.
07.05.01
30
2
Degenerative und postoperative Veränderungen am Stütz- und Bewegungsorgan Unterer Rahmensatz, da nachvollziehbare polytope Beschwerden, leichtergradige vertebragene Funktionseinschränkungen und auch leichtergradige Funktionseinschränkungen an den Extremitätengelenken vorliegen; Schultergelenkstotalendoprothese links in der Beurteilung mitberücksichtigt.
02.02.02
30
3
Arterielle Hypertonie
05.01.02
20
4
(Allergisches) Asthma bronchiale Oberer Rahmensatz, da nur Bedarfstherapie erforderlich.
06.05.01
20
5
Autoimmunthyreopathie - Morbus Hashimoto Unterer Rahmensatz, da medikamentös gut behandelbar.
09.01.01
10
Gesamtgrad der Behinderung 30 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Das klinisch führende Leiden 1 wird durch die Leiden 2-5 wegen fehlender maßgeblicher ungünstiger Beeinflussung von Leiden 1 und fehlender maßgeblicher funktioneller Zusatzrelevanz nicht weiter erhöht.
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Leiden 1 hat sich geändert - das definitive Vorliegen einer Leberzirrhose konnte nicht bestätigt werden. Leiden 2, 3 und 6 des Vorgutachtens werden im neuen Leiden 2 zusammengefasst berücksichtigt.
Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:
Durch die Änderung betreffend Leiden 1 reduziert sich der neue Gesamtgrad der Behinderung um zwei Stufen.
[X] Dauerzustand
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Keine - es liegt ein unauffälliges Gangbild vor.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Nein.
Begründung:
Schultertotalendoprothese links
..."
Mit Schreiben der belangten Behörde vom 12.02.2019 wurde die Beschwerdeführerin über das Ergebnis der Beweisaufnahme in Kenntnis gesetzt. Der Beschwerdeführerin wurde in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens eine Stellungnahme abzugeben. Das medizinische Sachverständigengutachten vom 12.02.2019 wurde der Beschwerdeführerin gemeinsam mit diesem Schreiben übermittelt.
Die belangte Behörde vereinbarte mit der Beschwerdeführerin telefonisch eine Fristverlängerung für einen allfälligen Einspruch zum Parteiengehör bis 15.04.2019.
Am 08.04.2019 langte eine handschriftliche Stellungnahme der Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde ein. In dieser Stellungnahme führt die Beschwerdeführerin erneut aus, dass es keine Besserung ihres Leidens gegeben habe und dass es auch keine Besserung geben werde. Da es ihr körperlich nicht bessergehe, verstehe sie die Entscheidung nicht und werde diese auch nicht akzeptieren. Der Stellungnahme wurden neue medizinische Unterlagen beigelegt.
Aufgrund der Stellungnahme und der neu vorgelegten medizinischen Unterlagen holte die belangte Behörde eine Stellungnahme des medizinischen Sachverständigen, welcher das Gutachten vom 12.02.2019 erstellt hatte, vom 03.06.2019 ein. In dieser Stellungnahme führte der Gutachter - hier in anonymisierter Form wiedergegeben - Folgendes aus:
"...
Stellungnahme zu den Einwendungen zum Parteiengehör betreffend SVGA vom 14.11.2018
Frau M. wurde am 14.11.2018 im SMS, Landesstelle Wien, nach Anamneseerhebung (nach-)untersucht und dabei wurde ein Gesamtgrad der Behinderung von 30 v. H. festgestellt.
Zu den Einwendungen zum Parteiengehör werden Befunde nachgereicht.
Einwendungen: Frau M. schreibt, dass es keine Besserung gibt und auch keine geben wird und dass sie die Entscheidung der Behörde nicht akzeptieren wird.
Befundnachreichung:
Befund XXX-Spital vom 3.4.2019:
Pankreas: Soweit einsehbar normgroß, D. wirsungianus nicht erweitert.
Leber: Annähernd normale Größe, erhöhte Echogenität, wellig-akzentuierte Konturen, in den einsehbaren Abschnitten deutlich vergröberte Binnentextur, keine umschriebenen echodifferenten Herde abgrenzbar, torquierte Lebervenen, keine
Cholestasezeichen. St. p. CHE. DHC: Normal kalibriert.
Milz: Beträchtlich vergrößert mit einem Längsdurchmesser von ca. 21 cm, homogene Binnentextur. Zwischen Milz und linker Niere kommt ein Venenkonvolut (Umgehungskreislauf) zur Ansicht.
Laborbefund - vom 5.3.2019: RBB im Normbereich, GGT: 49,
Thrombozyten: geringfügigst erniedrigt, Ammoniak: geringfügig erhöht.
Gutachterliche Stellungnahme:
Aus gutachterlicher Sicht ist anzumerken, dass sich durch den (offensichtlich für die Stellungnahme zum Parteiengehör - siehe dazu die eher unübliche schriftliche Anmerkung am Laborbefund) - extra neu eingeholten Befund - keine Änderung zum Vorbefund im Oktober 2018 vorliegt. Beide Befunde wurden im XXX-Spital erstellt. Beim Letztbefund aus 2019 wurde die Vordiagnose aus 2018 - Hepatopathie unklarer Genese - nun wieder auf Leberzirrhose abgeändert - ohne dass sich im neuen Ultraschallbefund oder im neuen Laborbefund maßgebliche Änderungen ergeben hätten.
Es wird abschließend festgehalten, dass aus gutachterlicher Sicht nach neuerlicher Durchsicht des vorliegenden Aktenmaterials eine Änderung der getroffenen Beurteilung nicht vorgeschlagen wird, da die relevanten objektivierbaren Gesundheitsschädigungen und Funktionsbehinderungen nach dem BBG entsprechend berücksichtigt und bewertet wurden.
Der aktuell vorliegende "Leberschaden" - ohne relevante Störung der Syntheseleistung - ist mit einem Einzelgrad der Behinderung von 30 v. H. ausreichend hoch bewertet."
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 03.06.2019 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin vom 24.07.2018 auf Ausstellung eines Behindertenpasses ab und führte begründend aus, dass das durchgeführte medizinische Beweisverfahren einen Grad der Behinderung von 30 v.H. ergeben habe und somit die Voraussetzungen zur Ausstellung eines Behindertenpasses nicht gegeben seien. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Das medizinische Sachverständigengutachten vom 12.02.2019 sowie die gutachterliche Stellungnahme vom 03.06.2019 wurden der Beschwerdeführerin gemeinsam mit dem Bescheid übermittelt.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit E-Mail vom 07.06.2019 fristgerecht eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, in der sie in inhaltlicher Hinsicht, hier in anonymisierter Form wiedergegeben, Folgendes ausführt:
"OB: XXXX - ich erhebe einspruch gegen meiner rückstufung auf 30% - da ich im jahre 2017 und 2018 50% für cirrhosis hepatis erhalten habe und sich meine beschwerden nicht gebessert haben und laut dr.
l. (XXX) sich meine beschwerden nicht bessern werden und ich zur regelmässigen nachkontolle gehen muss verstehe ich diese rückstufung nicht und fühle mich nicht ernst genommen - ich ersuche Sie dieses zu prüfen und verbleibe mit freundlichen grüssen Name der Beschwerdeführerin"
Die belangte Behörde legte den Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht am 13.06.2019 zur Entscheidung vor.
Das Bundesverwaltungsgericht holte ein ergänzendes medizinisches Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Innere Medizin vom 21.10.2019 auf Grundlage der Bestimmungen der Anlage der Einschätzungsverordnung ein. Insbesondere wurde um ausführliche sachverständige Stellungnahme ersucht, ob und gegebenenfalls inwiefern im aktuell erhobenen Befund im Vergleich zum Vorgutachten vom 29.08.2017 im Hinblick auf den damals festgestellten Leidenszustand "Cirrhosis hepatis" allenfalls eine Verbesserung objektivierbar ist oder ob es sich gegebenenfalls "nur" um eine andere Beurteilung des Leidens handelt. In diesem Zusammenhang erging - unter Bezugnahme auf die im Vorgutachten vom 19.09.2017 bzw. in dessen Gesamtbeurteilung vom 20.09.2017 unter der Leidensposition 1 noch unter der Pos.Nr. 07.05.05 eingestufte "Cirrhosis hepatis", damals bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 50 v.H. (anders als im nachfolgenden SVG vom 12.02.2019 mit einer Einstufung unter der Pos.Nr. 07.05.01, "Hepatopathie", bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 30 v.H.) - das Ersuchen des Bundesverwaltungsgerichtes, im Hinblick auf die bei der Beschwerdeführerin offenbar bestehenden und dokumentierten Ösophagusvarizen (Grad II) und die portal hypertensive Gastropathie (bei nur gering erhöhten Leberfunktionsparametern) die vorgenommene Wahl der entsprechenden Positionsnummer genau zu begründen.
Nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin am 21.10.2019 wurde - hier auszugsweise und in anonymisierter Form dargestellt - Folgendes ausgeführt:
"...
Beschwerdeverfahren XXX
SVG Dr. B., Allgemeinmedizin, 29.05.2017, GdB 30%
SVG Dr. K., Orthopädie, 30.08.2017, GdB 30%
SVG Dr. K., 19.09.2017, GdB 50%
SVG Dr. L., 14.11.2018, GdB, 30% - Nachuntersuchung
Stellungnahme Dr. L., 03.06.2019
Bei der Pat. besteht seit Jahren eine beträchtliche
Cirrhosis hepatis mit Splenomegalie (21x15cm)
Ösohagusvarizen Grad II
portal-hepatale Gastropathie
Hashimoto Thyreoiditis
deg. Wirbelsäulenveränderungen
Polyarthrosen beider Hände
arterielle Hypertonie
Asthma bronchiale
Funktionseinschränkungen geringem Grades im Bereich des linken Schultergelenkes bei Zustand nach Totalendoprothese
Die Erkrankung ist progredient - eine Besserung ist bei chronisch fortschreitendem Verlauf nicht zu erwarten.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Thyrex, Amilostad, Dilatrend, Ciprsilex, Zolpidem
Sozialanamnese:
Pensionistin, verheiratet, keine Kinder
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Befundbericht, XXX, 08.05.2017:
Ösophagusvarizen Grad II
Fibrinbelegte Erosionen im Magen
Schleimhauterythem im Antrum
V.a. portal-hypertensive Gastropathie
Koloskopiebefund, XXX, 08.05.2019:
Kleine Polypenknospen im Rektum, im proximalen Sigma und im mittleren Colon trans- versum
Gastroskopiebefund, XXX, 16.05.2017:
siehe Befundbericht XXX, 08.05.2017
Sonographie der Oberbauchorgane, 18.02.2016:
Bild wie bei chronischem Leberparenchymschaden, Z.n. CHE, Milzvergrößerung 20,3x15,1x7,4
Befund XXX, 05.04.2018:
Substitutionstherapie bei Hashimoto Autoimmunthyreoiditis
Laborbefund 05.03.2019, XXX:
CRP 13.3, BSG 53, Ammoniak 52.5, GGT 49, Bili 1.22, Ferritin 243
Befundbericht XXX, 03.04.2019:
Cirr.hep mit beträchtlicher Splenomegalie, St.p. CHE, im Übrigen unauffällige Sonographie des Oberbauches und beider Nieren
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
normal
Ernährungszustand:
adipös
Größe: 161 cm Gewicht: 89 kg
Klinischer Status - Fachstatus:
Kopf frei beweglich, Hirnnervenaustrittspunkte frei,
Hörvermögen gut, Sehvermögen gut (Brillenträgerin)
Hals: keine vergrößerten Lymphknoten tastbar, Schilddrüse schluckverschieblich,
Herz: Herztöne rhythmisch, rein, normofrequent,
Lunge: Vesiculäratmen, keine Rasselgeräusche, Lungenbasen verschieblich
Bauch: weich, geringer Druckschmerz am rechten RIBO, keine Abwehrspannung,
Milz vergrößert, tastbar
Wirbelsäule: nicht klopfdolent, frei beweglich in der HWS/BWS/LWS
OE:
Schulter: rechts frei beweglich, links TEP
EBO und Handgelenke: frei beweglich
Finger: frei beweglich, Rhizarthrosen bds.,
UE:
Hüfte: frei beweglich
Knie: frei beweglich
OSG und Vorfüße: frei beweglich
Sensibilität unauffällig, keine Ödeme
Gesamtmobilität - Gangbild:
unauffälliges Gangbild, Pat. kommt in normaler Straßenkleidung zur Untersuchung, an und auskleiden erfolgt frei im stehen und sitzen, Lagewechsel uneingeschränkt möglich.
Status Psychicus:
unauffällig, Ductus kohärent, orientiert in allen Qualitäten
FRAGE 1 und 2)
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
1.) Leberzirrhose g.z.
Pos. Nr 07.05.05 GdB 50%
Unterer Rahmensatz da kompensiert, auffallende Ösophagusvarizen (Zeichen eines Um-gehungskreislaufes) Grad II, portal hypertensive Gastropathie und wesentliche Milzvergrößerung auf > 20cm.
2.) Degenerative und postoperative Veränderungen am Stütz und Bewegungsapparat
Pos. Nr. 02.02.02 GdB 30%
Unterer Rahmensatz da polytope Beschwerden, Fingerpolyarthrosen und Zustand nach Implantation einer Schulterprothese links mit teilweiser Funktionseinschränkung vor allem in der Rotation.
3.) Hypertonie
Pos. Nr. 05.01.02 GdB 20%
Fixer Richtsatz
4.) Asthma bronchiale
Pos. Nr. 06.05.01 GdB 20%
Oberer Rahmensatz bei Notwendigkeit einer Bedarfsmedikation und saisonal bedingte Asthma Anfälle.
5.) Autoimmunthyreopathie - Morbus Hashimoto
Pos. Nr. 09.01.01. GdB 10%
Unterer Rahmensatz da medikamentös gut behandelbar.
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Das führende Leiden 1 wird aufgrund fehlender negativer Leidensbeeinflussung durch die übrigen Leiden um keine weitere Stufe erhöht.
FRAGE 3)
In der gutachterlichen Beurteilung hier wird das führenden Leiden 1 in der Positionsnummer 07.05.05 abgebildet.
Die ist idem wie im SVG Dr. K., 19.09.2017.
Das Leiden wird in dieser Positionsnummer in vollem Umfang abgebildet, als Dekompensationszeichen zu werten sind die bestehenden Ösophagusvarizen Grad II, die portal-hepatale Gastropathie und die im Laborbefund vom 05.03.2019 erhöhten Ammoniakwerte. Bei chronisch progredienter Erkrankung ist eine Verbesserung im Vergleich zum Vorgutachten aus 19.09.2017 nicht zu verzeichnen - dies auch belegt durch die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen im XXX (Abl.56).
FRAGE 4)
In Bezug auf die Einwendungen der Beschwerdeführerin kann wie bereits in Frage 3 erörtert folgendes festgehalten werden.
Es liegt bei Frau M. eine chronisch progrediente Erkrankung vor die einer regelmäßigen Kontrolle bedarf. Es ist keine Besserung der Beschwerden zu erwarten und auch keine Rückbildung der Ösophagusvarizen oder der portal - hepatalen Gastropathie.
Somit können die Einwendungen aus gutachterlicher Sicht in vollem Umfang nachvollzogen werden. Die Einschätzung der Leiden erfolgt nach EVO in den entsprechenden Positionsnummern.
FRAGE 5)
In diesem SVG erfolgt eine abweichende Beurteilung zum SVG Abl 42-48, 58, 59.
Die Positionsnummer 07.05.01 kann nach Durchsicht der Befunde nicht nachvollzogen werden und wird hier abweichend in der Positionsnummer 07.05.05 beurteilt.
Die übrigen Leiden idem zum Vorgutachten.
Insgesamt eine höhere Einschätzung denn im SVG Abl. 42-48, 58, 59, da eine höhere Einschätzung des führenden Leiden 1 vorgenommen wurde.
FRAGE 6)
Eine Nachuntersuchung ist aus gutachterlicher Sicht nicht indiziert, da von keiner Verbesserung der Beschwerden ausgegangen werden kann und somit ein Behinderungsgrad unter 50% nicht zu erwarten ist.
FRAGE 7)
Neue Befunde wurden nicht beigebracht.
..."
Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.11.2019 wurden die Beschwerdeführerin und die belangte Behörde, sohin die Parteien des Verfahrens, der Beschwerdeführerin entsprechend dem im Akt aufliegenden Zustellnachweis zugestellt am 11.11.2019, der belangten Behörde per Fax zugestellt am 06.11.2019, unter Übermittlung des Sachverständigengutachtens vom 21.10.2019, das von einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. ausgeht, über das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert und ihnen in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, zum Ergebnis der Beweisaufnahme binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens eine Stellungnahme beim Bundesverwaltungsgericht abzugeben. Die Parteien des Verfahrens erhoben innerhalb der eingeräumten Fist - und bis zum heutigen Tag - keine Einwendungen zum Ergebnis der Beweisaufnahme.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin brachte am 24.07.2018 den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Sozialministeriumservice ein.
Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.
Die Beschwerdeführerin leidet unter folgenden objektivierten Funktionseinschränkungen:
1. Leberzirrhose; kompensiert, auffallende Ösophagusvarizen (Zeichen eines Um-gehungskreislaufes) Grad II, portal hypertensive Gastropathie und wesentliche Milzvergrößerung auf > 20 cm.
2. Degenerative und postoperative Veränderungen am Stütz- und Bewegungsapparat; polytope Beschwerden, Fingerpolyarthrosen und Zustand nach Implantation einer Schulterprothese links mit teilweiser Funktionseinschränkung vor allem in der Rotation.
3. Hypertonie
4. Asthma bronchiale; Notwendigkeit einer Bedarfsmedikation und saisonal bedingte Asthma Anfälle.
5. Autoimmunthyreopathie - Morbus Hashimoto; medikamentös gut behandelbar.
Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt 50 v. H.
Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen und deren Ausmaß werden die diesbezüglichen Beurteilungen im oben wiedergegebenen, vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten medizinische Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Innere Medizin vom 21.10.2019 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt, dies insbesondere hinsichtlich des führenden Leidens
1. Hinsichtlich der weiteren Leiden 2 bis 5 entspricht dieses Sachverständigengutachten im Wesentlichen den Beurteilungen im oben wiedergegebenen Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 12.02.2019.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellung zum Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses basiert auf dem Akteninhalt.
Die Feststellung zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland ergibt sich ebenfalls aus dem Akteninhalt und ist unstrittig. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen sind.
Der Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. gründet sich auf das oben wiedergegebene, vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte, insbesondere in Bezug auf das führende Leiden 1 ergangene medizinische Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Innere Medizin vom 21.10.2019, dies in Verbindung mit dem allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten vom 12.02.2019 hinsichtlich der weiteren Leiden 2 bis 5. Aus dem internistischen Sachverständigengutachten vom 21.10.2019 ergibt sich hinsichtlich des führenden Leidens 1 nachvollziehbar ein Grad der Behinderung von 50 v.H., dies auf Grundlage einer neuerlichen persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 21.10.2019. Die sachverständige Gutachterin legt nachvollziehbar dar, dass das führenden Leiden 1 in der Positionsnummer 07.05.05 - wie auch im im Vorverfahren eingeholten Gutachten vom 19.09.2017 - abgebildet wird. Das Leiden wird in dieser Positionsnummer in vollem Umfang abgebildet, als Dekompensationszeichen sind die bestehenden Ösophagusvarizen Grad II, die portal-hepatale Gastropathie und die im Laborbefund vom 05.03.2019 erhöhten Ammoniakwerte zu werten. Bei einer chronisch progredienten Erkrankung war eine Verbesserung im Vergleich zum im Vorverfahren eingeholten Gutachten vom 19.09.2017 nicht zu verzeichnen, dies ist auch belegt durch die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen. Bei der Beschwerdeführerin liegt daher eine chronisch progrediente Erkrankung vor, die einer regelmäßigen Kontrolle bedarf. Es ist keine Besserung der Beschwerden zu erwarten und auch keine Rückbildung der Ösophagusvarizen oder der portal-hepatalen Gastropathie.
Zu einer im Hinblick auf die Leidensposition 1 abweichenden Beurteilung zum von der belangten Behörde eingeholten allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten vom 12.02.2019 kommt es, da aus Sicht der Fachärztin für Innere Medizin die vom Arzt für Allgemeinmedizin in dessen Gutachten vom 12.02.2019 herangezogene Positionsnummer 07.05.01 nach Durchsicht der Befunde nicht geteilt wurde. Das führende Leiden 1, das dem Fachbereich der Inneren Medizin zuzurechnen ist, wird nunmehr abweichend vom allgemeinmedizinischen Gutachten vom 12.02.2019 wieder nach der Positionsnummer 07.05.05 - wie auch bereits im Gutachten des Vorverfahrens vom 19.09.2017 - beurteilt.
Das medizinische Sachverständigengutachten der Fachärztin für Innere Medizin vom 21.10.2019 blieb von den Parteien des Verfahrens unbestritten; sie erhoben trotz eingeräumten Parteiengehörs bis zum heutigen Tag keine Einwendungen. Dieses Gutachten vom 21.10.2019, das auch eine höhere Aktualität aufweist als das Vorgutachten vom 12.02.2019, wird im Hinblick auf die Leidensposition 1 in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt; im Hinblick auf die weiteren Leiden 2 bis 5 werden sowohl das internistische, als auch das allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten von 12.02.2019 der Entscheidung zugrunde gelegt. In ihrem Gutachten vom 21.10.2019 zieht die Fachärztin für Innere Medizin in Bezug auf das führende Leiden 1 eine andere Positionsnummer als der Arzt für Allgemeinmedizin in seinem Gutachten vom 12.02.2019 heran, was sich in der Folge auch erhöhend auf den Gesamtgrad der Behinderung auswirkt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
1. Zur Entscheidung in der Sache
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:
"§ 1. (2) Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
...
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
...
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
...
§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden."
Wie oben unter Punkt II.2. im Rahmen der beweiswürdigenden Ausführungen, auf die verwiesen wird, ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung - insbesondere hinsichtlich des führenden Leidens 1 - das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte, schlüssige, nachvollziehbare und widerspruchsfreie und von den Parteien des Verfahrens nicht bestrittene Sachverständigengutachten vom 21.10.2019, wonach der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin 50 v.H. beträgt, zu Grunde gelegt, dies hinsichtlich der Leiden 2 bis 5 in Verbindung mit dem allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten vom 12.02.2019.
Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf einer aktuellen persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 21.10.2019 und den von der Beschwerdeführerin vorgelegten medizinischen Unterlagen, entsprechen den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen.
Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, liegen daher vor.
Der Beschwerde war daher spruchgemäß stattzugeben und der Grad der Behinderung mit 50 v.H. festzusetzen.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Die Frage der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung wurde unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die Tatsachenfragen (Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen) gehören dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht bestrittenen schlüssigen medizinischen Sachverständigengutachtens vom 21.10.2019 geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) und des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH 09.06.2017, E 1162/2017) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass, Grad der Behinderung, SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W207.2220016.1.00Zuletzt aktualisiert am
09.03.2020