TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/5 W279 2225897-1

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Veröffentlicht am 05.12.2019
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Entscheidungsdatum

05.12.2019

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z3
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §76
FPG §76 Abs2 Z1
VwGVG §35

Spruch

W279 2225897-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX .1975, StA. Georgien, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Schubhaftbescheid des BFA, Regionaldirektion XXXX vom XXXX .11.2019, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 Z. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG stattgegeben, der Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .11.2019, Zl. XXXX , sowie die Anhaltung in Schubhaft von XXXX .11.2019 bis 02.12.2019 für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

III. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

IV. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger Georgiens, wurde am XXXX .11.2019 in XXXX einer Kontrolle und mangels Ausweis einer Identitätsprüfung unterzogen. Der BF gab an, seinen Reisepass in seiner Wohnung in XXXX aufzubewahren. Während der Fahrt zur angegebenen Wohnadresse gab der BF an, dass der Reisepass doch nicht in seiner Wohnung, sondern in XXXX bei einem Freund sei. Daraufhin wurde ein Festnahmeauftrag gem. §34 Abs. 3 Z1 BFA-VG erlassen und der BF in das PAZ XXXX überstellt, wo er bei der amtsärztlichen Untersuchung einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Daraufhin wurde dem BF ein Aktenvermerk gemäß §40 Abs. 5 BFA-VG, nach dem Gründe zur Annahme, dass der gestellte Antrag auf internationalen Schutz zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeenden Maßnahme gestellt wurde, bestehen, ausgefolgt.

Verfahrensgegenständlich ist die sodann - ohne Vorliegen des Gefährdungstatbestandes nach §67 FPG - verhängte Schubhaft nach §76 Abs. 2 Z 1 FPG und die sich dagegen richtende Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF stellte unter falschem Namen ( XXXX ) im Jahr 2014 einen Asylantrag in Österreich, tauchte in die Anonymität ab und stellte im Februar 2016 einen Asylantrag in Deutschland. Der erste in Österreich gestellte Asylantrag aus dem Jahr 2014 wurde schließlich im Mai 2017 als unbegründet abgewiesen und ein zweijähriges Einreiseverbot verhängt. Im Juli 2017 ist der BF freiwillig nach Georgien ausgereist und im August 2019 - somit ohne Verstoß gegen das zweijährige Einreiseverbot - wieder in das Bundesgebiet eingereist.

Der BF ist zunächst legal zu touristischen Zwecken im Bundesgebiet aufhältig gewesen. Fünf Tage vor der Inschubhaftnahme überstieg sein Aufenthalt die Dauer von 90 Tagen innerhalb von 180 Tagen und wurde dadurch illegal.

Der BF wurde mehrmals - insbesondere nach §127 StGB - von österreichischen Strafgerichten verurteilt. Eine Aufenthaltsermittlung eines Bezirksgerichtes ist seit November 2018 aufrecht.

Der BF verfügt in Österreich über Freunde, die bereit sind, ihn finanziell zu unterstützen. Er verfügt sonst über keine berufliche oder soziale Verankerung in Österreich.

Bei einer medizinischen Untersuchung - eine Woche nach gegenständlicher Schubhaftnahme - schrie der BF mit dem anwesenden Sanitätspersonal.

Der BF ist haftfähig.

Der BF verfügt über einen gültigen georgischen Reisepass.

Aufgrund des anhängigen Asylverfahrens, verfügte der BF bis zur Erlassung des Bescheides vom 02.12.2019 über faktischen Abschiebeschutz.

Der faktische Abschiebeschutz wurde dem BF nicht aberkannt.

Mit Bescheid vom 02.12.2019 - dem BVwG am 05.12.2019 zugestellt - wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung festgestellt, die aufschiebende Wirkung aberkannt, eine Frist für die freiwillige Ausreise verneint und ein Einreiseverbot auf die Dauer von 4 Jahren erlassen.

2. Beweiswürdigung:

Während die Behörde im Bescheid davon ausgeht, dass der BF weder beruflich noch sozial verankert ist, bringt der BF in der Beschwerde vor, er habe in Österreich Freunde, die bereit sind, ihn finanziell zu unterstützen. Aufgrund des mehrmaligen Aufenthalts des BF im Bundesgebiet wird von der Behauptung des BF ausgegangen.

Sofern der BF vorgibt, er habe "damals die Entscheidung der Behörde akzeptiert" und sei "freiwillig" ausgereist, wird dies durch den Nachweis, dass der BF 2016 in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat ( XXXX ), widerlegt. Die freiwillige Ausreise des BF im Juli 2017 nach Georgien wird durch das BFA bestätigt.

Die übrigen getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt und sind nicht strittig.

Eine mündliche Verhandlung der Sache wurde weder von der Behörde noch vom Beschwerdeführer beantragt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zu Spruchpunkt I - Schubhaftbescheid:

§76 FPG lautet:

"§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

...."

Die Behörde stützt die gegenständliche Schubhaft auf §76 Abs. 2 Z1 FPG, wonach Fluchtgefahr, Verhältnismäßigkeit der Schubhaft sowie der Gefährdungstatbestand nach §67 FPG gegeben sein muss. Der Gefährdungstatbestand nach §67 FPG liegt - trotz mehrerer strafgerichtlicher Verurteilungen - nicht vor, und wird von der Behörde auch nicht behauptet. Vielmehr stützt sich die Behörde auf §76 Abs. 2 letzter Satz, wonach in den Fällen des §40 Abs. 5 BFA-VG eine Schubhaft nach Z1 leg.cit. ohne Erfüllung des Gefährdungstatbestandes nach §67 FPG zulässig ist.

Die Argumentation der Behörde findet im Wortlaut des §76 Abs. 2 letzter Satz sowie auch in den Erläuterungen zu §40 Abs. 5 BFA-VG (189 der Beilagen XXVI.GP) zwar Deckung:

"Wie sonst, so gilt auch im Fall des vorgeschlagenen Abs. 5, dass eine Fortsetzung der Anhaltung über die 72-stündige Frist hinaus nur zulässig ist, wenn vor deren Ablauf die Schubhaft angeordnet wurde. Der vorgeschlagene Schlussteil des § 76 Abs. 2 FPG sieht diesbezüglich vor, dass die Schubhaft in diesem Fall gemäß Z 1 leg. cit. angeordnet werden kann und eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht voraussetzt."

Wie §76 Abs. 6 FPG normiert §40 Abs. 5 BFA-VG die Bedingungen, unter denen ein Freiheitsentzug trotz eines Antrags auf internationalen Schutz aufrechterhalten werden kann. Durch beide Normen soll verhindert werden, dass jede Artikulation eines Antrages auf internationalen Schutz automatisch zu einer Beendigung des Freiheitsentzuges führt.

Durch den letzten Satz des §76 Abs. 2 FPG wird über den Umweg des §40 Abs. 5 BFA-VG im Ergebnis allerdings ein über 72 Stunden hinausgehender Freiheitsentzug auf einen - wenn auch vielleicht vom Asylwerber aus taktischen Gründen vorgebrachten - Asylantrag gestützt und erst ermöglicht.

Die Richtlinie 2013/33/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26.Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Aufnahme-RL) unterscheidet zwar im Gegensatz zum österreichischen Gesetzgeber nicht zwischen mehreren Arten der Haft. Selbst wenn der gegenständliche Fall in einer in Art 8 der Aufnahme-RL aufgezählten Tatbestände Deckung findet, widerspricht eine Schubhaft wie sie hier verhängt wurde dem 15. Erwägungsgrund der Aufnahme-RL: "Die Inhaftnahme von Antragstellern sollte im Einklang mit dem Grundsatz erfolgen, wonach eine Person nicht allein deshalb in Haft genommen werden darf, weil sie um internationalen Schutz nachsucht...". Bei Hinwegdenken des gestellten Antrages, hätte eine Schubhaft nach §76 Abs. 2 Z1 nicht verhängt werden können. Die gegenständliche Schubhaft stützt sich im Ergebnis somit auf die Artikulation eines Asylgesuchs.

Die in Frage stehende nationale Regelung des §76 Abs. 2 letzter Satz erscheint dem erkennenden Richter in gegenständlichem Fall daher als dem Europarecht widersprechend.

Der europarechtliche Anwendungsvorgang hat zur Folge, dass entgegenstehendes innerstaatliches Recht ohne Weiteres unanwendbar wird (vgl. VwGH Zl. 2002/11/0175 vom 28.10.2002).

Aufgrund dieses Anwendungsvorranges bleibt die Norm des §76 Abs. 2 letzter Satz in gegenständlichem Fall unangewandt. Dies führt im Ergebnis zur Rechtswidrigkeit der Schubhaft bis zur Erlasssung des Bescheides am 02.12.2019.

Zu Spruchpunkt II - Fortsetzungsausspruch:

Da ab 02.12.2019 eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung vorliegt, ist die Erfüllung der Z2 des §76 Abs. 2 gegeben, da es in dieser Ziffer nicht auf eine Gefährdungslage oder die Stellung eines Asylantrages ankommt.

Den Sicherungsbedarf, die Fluchtgefahr und die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft hat die Behörde in ihrem Bescheid hinreichend begründet. Das Nichtvorliegen beruflicher oder familiärer Anknüpfungspunkte wird vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Vielmehr lebt seine Ehefrau in den Vereinigten Staaten Amerikas. Das mögliche Vorhandensein eines Cousins im Bundesgebiet vermag an der vom Bundesamt getroffen und vom Gericht geteilten Abwägung hinsichtlich Verhältnismäßigkeit nichts zu ändern. Auch die mehrmalige Asylantragstellung in Österreich und Deutschland sowie die regelmäßige Straffälligkeit des Beschwerdeführers wird nicht bestritten und stützt die Ansicht des Bundesamtes.

Die getroffenen wesentlichen Feststellungen und Abwägungen des Bundesamtes hinsichtlich Sicherungsbedarf, Fluchtgefahr und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft werden durch das BVwG geteilt.

Zu Spruchpunkt III und IV - Kosten:

Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Da geteiltes Obsiegen vorliegt, werden weder dem Beschwerdeführer, noch der Behörde Kosten zugesprochen.

Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen. Eine mündliche Verhandlung wurde weder von der Behörde noch vom Beschwerdeführer beantragt.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt und es an diesbezüglicher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt.

Nach dem Erkenntnis Ro 2017/21/0009 des Verwaltungsgerichtshofes, kam es mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2018 BGBl. I Nr. 56/2018 zu einer Neufassung des §76 FPG. Zu der in Frage stehenden Regelung des §76 Abs. 2 letzter Satz fehlt es an Rechtsprechung des VwGH.

Die Revision ist schon aus dem Grund, dass sich die Argumentation der unterlegenen Behörde mit dem Gesetzeswortlaut der nationalen Regelung deckt, zuzulassen.

Schlagworte

Asylantragstellung, Fluchtgefahr, Fortsetzung der Schubhaft,
Rechtswidrigkeit, Revision zulässig, Rückkehrentscheidung,
Schubhaft, Sicherungsbedarf, Straffälligkeit, Teilstattgebung,
Unionsrecht, Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W279.2225897.1.00

Zuletzt aktualisiert am

09.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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