Entscheidungsdatum
05.12.2019Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W133 2222967-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Vorsitzende und den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 25.06.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wie folgt abgeändert:
Dem Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass vom 07.12.2018 wird stattgegeben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer ist seit 04.08.2017 Inhaber eines Behindertenpasses mit einem festgestellten Gesamtgrad der Behinderung (GdB) von 50 von Hundert (v.H.). Ursächlich dafür ist ein Morbus Crohn-Leiden bei Zustand nach Entfernung des endlagigen Dickdarms und Beginns des Dickdarms mit anhaltenden Durchfällen.
Der Beschwerdeführer beantragte zuletzt am 07.12.2018 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich (Kurztitel: Sozialministeriumservice; im Folgenden als belangte Behörde bezeichnet), die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass und die Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO. Dem Antrag wurden aktuelle medizinische Befunde beigelegt.
Seitens der belangten Behörde wurden in der Folge Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Psychiatrie vom 05.03.2019 und Allgemeinmedizin vom 10.05.2019 auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, sowie ein, beide Gutachten zusammenfassendes Gutachten vom 14.05.2019 eingeholt. In dem zusammenfassenden Gutachten vom 14.05.2019 wurde folgendes Begutachtungsergebnis medizinisch festgestellt:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1
Morbus Crohn, therapieresistent, Zustand nach Ileocäcalresektion bei Fistelbildung und Darmnekrose. Zustand nach Karcoinid des Dickdarms und operativer Sanierung, chronische Durchfälle, multiple Nahrungsmittelunverträglichkeiten
2
Chronische rheumatoide Beschwerden des Bewegungsapparates, Cerviko-und Lumbalgie
3
Asthma Bronchiale, Gräser/Pollenallergie, Bedarfsmedikation
4
Latente Hypertonie, Bedarfsmedikation
5
Anpassungsstörung
Zur Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde aus medizinischer Sicht Folgendes ausgeführt:
"1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Die komplexe Funktionsstörung des Magendarmtraktes mit latent vorliegender Stuhlinkontinenz und der Notwendigkeit einer präventiven Versorgung mit Inkontinenzprodukten bewirken zweifellos eine massive Beeinträchtigung der Lebensqualität. Trotzdem ist zum Untersuchungszeitpunkt der Gesamtgesundheitszustand als gut zu bewerten. Eine gravierende Einschränkung der Mobilität liegt nicht vor. Das Zurücklegen kurzer Wegstrecken ist problemlos möglich, das sichere Ein- und Aussteigen sowie der sichere Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel sind gewährleistet."
Das Gutachten enthält weiters noch folgende ergänzende Stellungnahme
:
"Gutachterliche Stellungnahme:
Durch Persistieren der chronischen Darmproblematik, permanent drohender Stuhlinkontinenz sowie der Notwendigkeit der Verwendung von Inkontinenzprodukten ist zweifellos ein sehr hoher Leidensdruck gegeben.
Die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels basiert jedoch auf der Einschätzung der vorhandenen Mobilität, der Einschränkung durch psychische, neurologische oder intellektuelle Fähigkeiten, sowie dem Vorliegen von schweren Erkrankungen des Immunsystems und hochgradiger Einschränkung des Hör- oder Sehvermögens.
Es liegt weder eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor, noch eine gravierende Beeinträchtigung der Funktion der Sinnesorgane. Es sind keine Beeinträchtigung der intellektuellen Fähigkeiten oder schwere neurologische Defizite nachzuweisen, die erforderliche Mobilität ist gegeben. Der Gesamtgesundheitszustand ist zum Untersuchungszeitpunkt als insgesamt gut zu bewerten. Ein vorliegender Bedarf an Inkontinenzprodukten muss aus ärztlicher Sicht grundsätzlich als zumutbar beurteilt werden. Konsekutive, verständlicherweise belastende und beschämende Situationen wie z.B. Geruchsbelästigung haben keinerlei gutachterliche Relevanz. Aus psychiatrisch fachärztlicher Sicht liegt zwar derzeit eine Anpassungsstörung als adäquate Belastungsreaktion bei M. Crohn vor, jedoch kein psychiatrisches Leiden, das eine Unzumutbarkeit bedingt."
Aus der Anamneseerhebung ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer in Bezug auf die bestehenden Stuhlinkontinenzprobleme angegeben hatte, an chronischen Bauchschmerzen zu leiden und ständig imperativen Stuhldrang und Durchfälle zu haben. Aus den vorgelegten relevanten Befunden ergibt sich unter anderem, dass der Beschwerdeführer regelmäßig Rehabilitationsaufenthalte in Anspruch nehmen muss und sich nach einer Darmoperation 2016 wegen Darmfisteln und Nekrosen eine Verschlechterung der Durchfälle ergeben hat. Aus dem Stuhlprotokoll ergibt sich, dass derzeit 7 bis 15 flüssige bis maximal breiige Stühle pro Tag, praktisch nie geformt, sehr oft auch mit Schleimbeimengungen vorliegen. Aus dem gastroenterologischen Befund vom 16.10.2018 ergibt sich unter anderem, dass der Beschwerdeführer trotz Therapie unter Diarrhoen mit imperativem Stuhldrang mit bis zu 12x/Tag sowie weiters an Stuhlinkontinenz leidet und er entsprechende Inkontinenzprodukte benötigt.
Die Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Psychiatrie vom 05.03.2019, Allgemeinmedizin vom 10.05.2019 auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers sowie das, beide Gutachten zusammenfassende Gutachten vom 14.05.2019 wurden dem Beschwerdeführer mit Schreiben der belangten Behörde vom 15.05.2019 in Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 45 AVG zur Kenntnis gebracht und ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt.
Der Beschwerdeführer erstattete keine Stellungnahme zu den Gutachten.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 25.06.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 07.12.2018 auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in dem Behindertenpass abgewiesen. Begründend stützte sich die belangte Behörde auf die Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens, wonach die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht gegeben seien.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben der rechtlichen Vertretung vom 09.08.2018 fristgerecht die gegenständliche Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wird zusammengefasst vorgebracht, der Beschwerdeführer leide trotz aller bisher vorgenommenen Therapiemaßnahmen an einer Vielzahl von täglichen Stuhlgängen (zumindest unter 8 breiigen bis flüssigen Stühlen pro Tag ) und könne sich - auch wenn er Inkontinenzartikel verwende - in der Regel erst nach Abschluss der Fahrt mit dem öffentlichen Verkehrsmittel reinigen und umziehen und sei durch die Geruchsbelästigung, die ihm zuordenbar sei, während der Fahrt den Reaktionen der übrigen Fahrgäste ausgesetzt. Der Beschwerdeführer müsse auch bei Fahrten mit seinem PKW immer einen Reinigungskoffer mitführen, der auch Ersatzkleidung beinhalte. Es sei nicht zumutbar, dass bei der Schwere der Beeinträchtigung des Beschwerdeführers das Auslangen mit Inkontinenzmaterial gefunden werde müsse, wie dies im Gutachten ausgeführt worden sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist Inhaber eines Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 v.H.
Am 07.12.2018 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass.
Beim Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Morbus Crohn, therapieresistent, Zustand nach Ileocäcalresektion bei Fistelbildung und Darmnekrose. Zustand nach Karcoinid des Dickdarms und operativer Sanierung, chronische Durchfälle, multiple Nahrungsmittelunverträglichkeiten
Chronische rheumatoide Beschwerden des Bewegungsapparates, Cerviko-und Lumbalgie
Asthma Bronchiale, Gräser/Pollenallergie, Bedarfsmedikation
Latente Hypertonie, Bedarfsmedikation
Anpassungsstörung
Beim Beschwerdeführer
besteht als Folge seiner therapieresistenten Morbus Crohn-Erkrankung - trotz Behandlung mit medizinischer Maximaltherapie - Stuhlgang mit teils flüssigen und breiigen Durchfällen teilweise mit Schleimbeimengungen, die oftmals am Tag (mindestens 7 bis 8 Mal bis zu 15 Mal pro Tag) auftreten, verbunden mit imperativem Stuhldrang. Es besteht permanent drohende Stuhlinkontinenz. Der Beschwerdeführer ist gezwungen, immer kurzfristig und raschest eine Toilette aufzusuchen.
Im Sachverständigengutachten vom 14.05.2019 wurde ausdrücklich bereits von der Gutachterin festgestellt, dass eine therapieresistente Morbus Crohn-Erkrankung vorliegt und die komplexe Funktionsstörung des Magendarmtraktes mit latent vorliegender Stuhlinkontinenz und der Notwendigkeit einer präventiven Versorgung mit Inkontinenzprodukten verbunden ist. Durch Persistieren der chronischen Darmproblematik, permanent drohender Stuhlinkontinenz sowie der Notwendigkeit der Verwendung von Inkontinenzprodukten sei zweifellos - so die gutachterliche Stellungnahme - ein sehr hoher Leidensdruck gegeben.
Die weiteren Schlussfolgerungen im Gutachten, dass die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels jedoch lediglich auf der Einschätzung der vorhandenen Mobilität, der Einschränkung durch psychische, neurologische oder intellektuelle Fähigkeiten, sowie dem Vorliegen von schweren Erkrankungen des Immunsystems und hochgradiger Einschränkung des Hör- oder Sehvermögens basiert, sind unzutreffend; vgl. dazu die nachfolgende rechtliche Beurteilung.
Dem Beschwerdeführer ist - unter Berücksichtigung der zu dieser Problematik bereits vorliegenden Rechtsprechung beider Höchstgerichte - die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar; vgl. auch dazu die nachfolgende rechtliche Beurteilung.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" liegen zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt somit vor.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Behindertenpass und zur gegenständlichen Antragstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zu den bestehenden Leidenszuständen und Funktionseinschränkungen gründen sich auf das, seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers.
Die Feststellungen zur häufigen Stuhlfrequenz und zur Schwere der Erkrankung gründen sich auf die vom Beschwerdeführer vorgelegten Befunde und auf die Feststellungen zur Schwere der vorliegenden komplexen Funktionsstörung des Magen-Darmtraktes in den Gutachten, welche bereits die belangte Behörde dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt hat.
Im Sachverständigengutachten vom 14.05.2019 wurde ausdrücklich bereits von der Gutachterin festgestellt, dass eine therapieresistente Morbus Crohn-Erkrankung vorliegt und die komplexe Funktionsstörung des Magendarmtraktes mit latent vorliegender Stuhlinkontinenz und der Notwendigkeit einer präventiven Versorgung mit Inkontinenzprodukten verbunden ist. Es wurde weiters ein Persistieren der chronischen Darmproblematik, permanent drohende Stuhlinkontinenz sowie die Notwendigkeit der Verwendung von Inkontinenzprodukten festgestellt.
Vor dem Hintergrund dieser eindeutigen gutachterlichen Feststellungen konnten weitere Ermittlungen zur Schwere dieses vorliegenden Leidenszustandes unterbleiben.
Da sich diese Ausführungen im Gutachten mit den Angaben des Beschwerdeführers und den vorliegenden Befunden decken, legt das Bundesverwaltungsgericht die Angaben zu Schwere und Häufigkeit des Stuhlverhaltens aus dem Sachverständigengutachten vom 14.05.2019 seiner Entscheidung zugrunde.
Die Feststellung zur Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bei einem Leidenszustand wie im Beschwerdefall vorliegend, beruht auf der aktuellen Rechtsprechung beider Höchstgerichte; diesbezüglich wird auf die nachfolgenden rechtlichen Ausführungen verwiesen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) BGBl. Nr. 283/1990, idF des BGBl. I Nr. 100/2018, lauten auszugsweise:
"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
...
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
...
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
...
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
......
§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.
§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen."
§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 in der Fassung des BGBl. II Nr. 263/2016, lautet auszugsweise:
"§ 1 ....
(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen: 1. die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes
a)......
b)......
......
2. ...... 3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des
Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und - erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder - erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder - erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder - eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder - eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
(6)......"
Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).
In den auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz veröffentlichten Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen zur Stammfassung BGBl. II 495/2013 wird - soweit im Beschwerdefall relevant - Folgendes ausgeführt:
Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise) - (nunmehr seit der Novelle BGBl. II Nr. 263/2016 unter § 1 Abs. 4 Z. 3 geregelt):
"Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
..........
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Die Begriffe "erheblich" und "schwer" werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.
.........
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
-
arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
-
Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
-
hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
-
Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
-
COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
-
Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
-
mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss benützt werden.
.........
Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:
-
Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,
-
hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,
-
schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,
-
nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden - Begleitperson ist erforderlich.
Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:
-
anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID - sever combined immundeficiency),
-
schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),
-
fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,
-
selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.
......."
Keine Einschränkung im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben:
-
vorübergehende Funktionseinschränkungen des Immunsystem als Nebenwirkung im Rahmen von Chemo-und /oder Strahlentherapien,
-
laufende Erhaltungstherapien mit dem therapeutischen Ziel, Abstoßreaktionen von Transplantaten zu verhindern oder die Aktivität von Autoimmunerkrankungen einzuschränken,
-
Kleinwuchs
-
gut versorgte Ileostoma, Colostoma und Ähnliches mit dichtem Verschluss. Es kommt weder zu Austritt von Stuhl oder Stuhlwasser noch zu Geruchsbelästigungen. Lediglich bei ungünstiger Lokalisation und deswegen permanent undichter Versorgung ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar,
-
bei Inkontinenz, da die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen. Lediglich bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar.
......."
Aus diesen Erläuterungen ist ersichtlich, dass der Verordnungsgeber zwar grundsätzlich die Verwendung von Inkontinenzprodukten als zumutbare Maßnahme ansieht, jedoch bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar sein kann. Ein solcher Ausnahmefall ist im Beschwerdefall gegeben:
Der Verwaltungsgerichtshof erachtete in seiner Entscheidung vom 21.04.2016, Zl. Ra 2016/11/0018, beim Bestehen eines Krankheitsbildes einer Morbus Crohn-Erkrankung mit teilweise entferntem Dick- und Dünndarm und häufigem und imperativem Stuhlgang mit einer Stuhlfrequenz von 20mal pro Tag, wobei der Zeitpunkt in der Regel weder vorhersehbar noch beeinflussbar ist, die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel als offenkundig unzumutbar, ohne dass es einer weiteren Begutachtung bedarf.
Der Verfassungsgerichtshof erachtete in seiner Entscheidung vom 23.09.2016, Zl. E 439/2016-13, beim Bestehen einer fistulierenden Morbus Crohn-Erkrankung mit entferntem Darmabschnitt und einem Zustand mit 5 - 10 täglichen Stühlen bei Dranginkontinenz, wobei der Zeitpunkt in der Regel weder vorhersehbar noch beeinflussbar ist, die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel als unzumutbar.
Da beim Beschwerdeführer eine therapieresistente Morbus Crohn-Erkrankung vorliegt, welche - lt. Gutachten - mit permanent drohender Stuhlinkontinenz und mehrfachen teils flüssigen, teils breiigen Stühlen und einer Stuhlfrequenz von 7 - 15 Mal/Tag verbunden ist, wobei der Zeitpunkt in der Regel weder vorhersehbar noch beeinflussbar ist, liegt im Beschwerdefall somit zum Entscheidungszeitpunkt eine schwere anhaltende Erkrankung des Verdauungstraktes im Sinne der zitierten Entscheidungen der Höchstgerichte vor. Es war somit im Beschwerdefall unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Rechtsprechung die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel rechtlich als dem Beschwerdeführer unzumutbar zu beurteilen.
Im gegenständlichen Fall ist die Frage der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grundlage der vorliegenden Rechtsprechung des VwGH zu einem vergleichbaren Sachverhalt geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf die oben angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W133.2222967.1.00Zuletzt aktualisiert am
09.03.2020