TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/10 L517 2215467-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.12.2019
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Entscheidungsdatum

10.12.2019

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

L517 2215467-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. NIEDERWIMMER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Dr. STEININGER und den fachkundigen Laienrichter Mag. SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den vom Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX , als Bescheid ausgestellten Behindertenpass vom 30.01.2019, OB: XXXX in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, iVm § 1 Abs. 2, § 40 Abs. 1, § 41 Abs. 1, § 42 Abs. 1 und 2, § 43 Abs. 1, § 45 Abs. 1 und 2 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl. Nr. 283/1990 idgF, als unbegründet abgewiesen und darüber hinaus festgestellt, dass der Gesamtgrad der Behinderung 60 vH beträgt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

08.11.2018-Antrag der beschwerdeführenden Partei (in Folge "bP") auf Neuausstellung des Behindertenpasses beim Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX (in Folge belangte Behörde bzw "bB")

28.01.2019-Erstellung eines allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens; GdB 60 vH; Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, ZE: Träger von Osteosynthesematerial, NU: 05/2021 Ablauf der Heilungsbewährung

29.01.2019-Mitteilung an die bP, GdB 60%, Voraussetzungen für Zusatzeintragungen; "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist TrägerIn von Osteosynthesematerial" und "Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs.1 dritter Teilstrich VO 303/1996 (D3)" liegen vor

30.01.2019-Versand des Behindertenpasses

18.02.2019-Beschwerde der bP

05.03.2019-Beschwerdevorlage am BVwG

23.08.2019 - Verbesserungsauftrag: Aufforderung zur Befundvorlage

02.09.2019 - Nachreichung aktueller Befunde

II. Feststellungen (Sachverhalt)

Die bP ist österreichischer Staatsbürger und an der im Akt ersichtlichen XXXX Adresse wohnhaft. Seit 15.09.2017 war die bP in Besitz eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 70 vH sowie seit 03.01.2018 mit den Zusatzeintragungen "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" und "Gesundheitsschädigung gem. §2 Abs.1 dritter Teilstrich VO 303/1996 liegt vor". Der Behindertenpass wurde befristet bis 31.12.2018 ausgestellt mit der Begründung "eine Besserung der Mobilität sei möglich". Eine weitere Nachuntersuchung werde im Mai 2021 aufgrund der abgeschlossenen Heilungsbewährung notwendig.

Am 08.11.2018 stellte die bP unter Beibringung aktueller Befunde einen Antrag auf Neuausstellung des Behindertenpasses.

Laut Aktenvermerk vom 15.11.2018 und der ärztlichen Vorschreibung ging die bB davon aus, dass von der bP nur die Ausstellung eines neuen Behindertenpasses nicht aber die Zusatzeintragung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" beantragt wurde.

In der Folge wurde am 28.01.2019 ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten erstellt. Es wurde ein Gesamtgrad der Behinderung mit 60 vH und die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt. Das nach der geltenden Einschätzungsverordnung BGBl II Nr. 261/2010 erstellte Sachverständigengutachten weist folgenden relevanten Inhalt auf:

"Anamnese:

VGA 12/2017 70% Coloncarcinom

CHE -13, KHK- Z.n.VWI -98 - keine Intervention - Apex betroffen, -13 PFO Verschluß mit Okklusionsstent bei Z.n.2x TIA, Discektomie L4/L5 1/15 - Re - Discektomie L4/L5 2/15 - ventrale Discektomie

u. Spondylodese C5/C6 8/15, 5/16 wenig diff. Adenocarcinom mit ausgeprägter Lymphangiosis carcinomatosa G3 mikrosatellitenstabil pT3apN1b (2/28) R0L1V0perineal 0 - Hemicolektomie rechts mit Seit - Seit Ileotransversotomie - Chemotherapie mit Capecitabine+Oxaliplatin bis 12/16 - 6/17 komplette Remission, sensible PNP nach Chemo, Mb.Raynaud, pertrochantäre Fract.re. - Gammanagel 8/17, Heberdenarthrosen bds., benigne Prostatahyperplasie

Derzeitige Beschwerden:

Gelegentlich Durchfall, halbjährliche Kontrollen nach Hemikolektomie. Vollremission.

Polyneuropathie in den Zehen beidseits nach Chemotherapie.

Er stolpert gelegentlich und ist schon einige Male gestürzt.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Gehstock

Clopidogrel 75, Bezalip, Cenipress, Tradolan b.B.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

2018-07-04 XXXX : Kolonkarzinom, ED 05/2016

-

Lokalisation: Zökum

-

Histologie: wenig differenziertes Adenokarzinom mit ausgeprägter Lymphangiosis carcinomatosa G3,

mikrosatellitenstabil, All-RAS-WT, BFSAF-WT

-

Tumorstadium: pT3a pN1b (2/28) RO L1 VO perineural 0

Onkologiegerechte Hemikolektomie rechts mit Seit-zu-Seitlleotransversostomie am 16.06.2016 ( XXXX )

+ Plan: adjuvante Systemtherapie mit Capecitabine + Oxaliplatin für 6 Monate

Aktuell: unauffällige onkologische Nachsorge, Erstdiagnose

einer aneurysmatischen Ausweitung der Arteria iliaca extera rechts (22 mm) - Kontrolle mit Ultraschall in 6 Monaten empfohlen

2. Koronare Herzerkrankung, Z.n. Vorderwandinfarkt 1998, dabei anamnestisch keine Intervention

3. Z.n. 2-maligem Insult

4. Z.n. HWS-OP 2015

5. Z.n. Cholezystektomie 2012

6. Morbus Raynaud

7. Z.n. PFO Occlutech device-lmplantation 2013

CT Befund: Zustand nach rechtsseitiger Hemikolektomie und Ileotransversostomie Keine thorakale und abdominopelvine Lymphadenopathie.

Keine suspekten Lungenrundherde. Keine Leberläsionen.

Beginnende aneurysmatische Aufweitung der Arteria iliaca communis rechts - Verlaufskontrolle empfohlen.

Bildgebend komplette Remission.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

Gut

Ernährungszustand:

Normal

Größe: 170,00 cm Gewicht: 71,00 kg Blutdruck: 120/80

Klinischer Status - Fachstatus:

Caput und Collum o.B.

Haut- und Schleimhäute ausreichend durchblutet.

Cor: reine, rh HT, 80/min, normale Herzgrenzen

Pulmo: VA, normaler KS, Basen gut verschieblich

Abdomen: im Thoraxniveau, Hepar am Rippenbogen, keine pathologischen Resistenzen pp, normale Bauchdeckenreflexe, normale Darmgeräusche. Blande Narbe nach Laparatomie.

Beine: keine Varizen, keine Ödeme. Pulse pp,

Gesamtmobilität - Gangbild:

Unauffälliges Gangbild. Einbeinstand und Hocke durchführbar. Wird durch Gehstock unterstützt.

Fersen- und Spitzengang bds. möglich, Einbeinstand und Hocke durchführbar.

WS: FBA 20cm, Rückwärtsneigen, Seitneigen und Drehung endlagig eingeschränkt. Lasegue bds. neg, PSR und ASR seitengleich auslösbar.

HWS: Bewegung ca. 1/3 eingeschränkt, keine neurologischen Ausfälle.

Hüftgelenk: re Beugung bis 90°, li bis 110°, Rotation re endlagig schmerzhaft, li frei

Kniegelenk: bds. 0-0-130°

Sprunggelenke bds. frei beweglich

Sensibilitätsstörung an beiden Vorfüßen - Zehen.

Obere Extremitäten: Sensibilität und grobe Kraft stgl.erhalten, Schultertiefstand re.2cm, kein DS über d.Schultergelenken, mäßiger Rotationsschmerz re.,

Ellbogen- und Handgelenke bds. frei beweglich.

Arthrose dig.II/III, geringer dig.IV/V bds., Endglied dig.IV bds. nach radial abweichend, Streckung/Beugung bds.erhalten, kein DS, Feinmotorik bds.erhalten, keine neurolog. Ausfälle

Funktionsgriffe durchführbar.

Status Psychicus:

Zeitlich und örtlich orientiert. Konzentration, Stimmung und Antrieb unauffällig, gute Gedächtnislage. Emotionen situationsgerecht, soziale Funktion aufrecht. Logische Denkabläufe

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs

Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

1. Zustand nach Koloncarcinom

Polyneuropathie nach Chemotherapie, Hemikolektomie. Pos.Nr. 13.01.03 Gdb 50 %

2. Zustand nach Oberschenkelhalsbruch rechts

Gammanagel. Gering-mittelgradige Bewegungseinschränkung rechte Hüfte Pos.Nr. 02.05.09 Gdb 30 %

3. Koronare Herzkrankheit

Unverändert Pos.Nr. 05.05.02 Gdb 30 %

4. Degenerative Wirbelsäulenveränderungen

Zustand nach mehreren Bandscheibenoperationen.

Wiederkehrende Beschwerden in der Hals- und Lendenwirbelsäule.

Keine neurologischen Ausfälle.

Keine Dauermedikation Pos.Nr. 02.01.02 Gdb 30 %

5. Fingergelenksarthrosen bds.

Unverändert Pos.Nr. 02.06.26 Gdb 10 %

6. Prostatahyperplasie

Miktionsbeschwerden Pos.Nr. 08.01.06 Gdb 10 %

Gesamtgrad der Behinderung 60 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Das Leiden in Pkt. 1 führt den Gesamtgrad an. Zusätzlich erschwerend wirken sich die Beschwerden im Bewegungsapparat (Wirbelsäule, Hüfte, Sensibilitätsstörung in den Füßen) aus, es kommt zu einer Erhöhung um 1 Stufe auf 60%. Die übrigen Leiden steigern nicht weiter.

Die KHK mit lange zurückliegendem Infarkt, geschildert als Ischämie des Apex ist einschließlich des PFO Verschlusses asymptomatisch, sodass daraus keine Erhöhung resultiert, auch nicht bei einem GdB von 30% aufgrund von abgelaufenem Infarkt. Auch die Fingergelenksarthrosen bei weitgehender Asymptomatik erhöhen nicht, ebensowenig wie die Prostatahyperplasie.

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Bessere Beweglichkeit der Wirbelsäule - Änderung auf 30%.

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

Verbesserung der Beweglichkeit der Wirbelsäule - Einstufung mit 30%. Es ergibt sich ein Gesamtgrad von 60%.

Nachuntersuchung 05/2021-Heilungsbewährung

Aufgrund der vorliegenden funktionellen Einschränkungen liegen die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme nachstehender Zusatzeintragungen vor:

Die / Der Untersuchte ist Trägerin oder Träger von Osteosynthesematerial

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Eine kurze Wegstrecke über 400m kann trotz der Polyneuropathie mit Stolperneigung unter Zuhilfenahme eines Gehstockes zurückgelegt werden. Aus- und Einsteigen in öffentliche Verkehrsmittel ist unter Zuhilfenahme der oberen Extremitäten möglich. Der sichere Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist gegeben.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

Nein

Mit Schreiben vom 29.01.2019 wurde die bP darüber informiert, dass laut Ergebnis des medizinischen Ermittlungsverfahrens ein Grad der Behinderung von 60% festgestellt wurde und die Voraussetzungen für die Zusatzeintragungen; "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist TrägerIn von Osteosynthesematerial" und "Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs.1 dritter Teilstrich VO 303/1996" vorliegen.

Der Behindertenpass wurde mit 31.05.2021 befristet ausgestellt, weil nach diesem Zeitpunkt eine Überprüfung des Gesundheitszustandes erforderlich sei.

Am 30.01.2019 erfolgte der Versand des Behindertenpasses.

Mit Schreiben vom 16.02.2019, eingelangt am 18.02.2019 erhob die bP gegen den ausgestellten Behindertenpass Beschwerde und brachte vor:

Die Erkrankungen seien gegenüber der Entscheidung vor einem Jahr schlechter geworden. Sie habe für die neue Entscheidung bezüglich des Behindertenpasses eine Untersuchung in XXXX gehabt. Diese Untersuchung sei in keinerlei Hinsicht eine "fachgerechte" Untersuchung gewesen. Die bP habe lediglich die Arme und Beine etwas in die Höhe heben müssen und es sei nicht um die eigentlichen Erkrankungen und deren Folgeerscheinungen gegangen. Aufgrund so einer Untersuchung könne man unmöglich eine 10 prozentige Minderung bezüglich des Behindertenpasses ableiten. Aufgrund dieser Entscheidung würde die bP keinen Parkschein mehr bekommen, obwohl die Folgeerscheinungen der Chemotherapie, die Beschwerden in ihren Füßen weitaus schlechter wären, als vor einem Jahr und es für die bP ein größeres Problem darstelle weitere Strecken zu gehen. Auch die drei Bandscheiben Operationen, sowie der Oberschenkelhalsbruch würden immer größere Schmerzen machen. Dies sei jedoch bei der Untersuchung in XXXX nicht beachtet worden. Falls weitere neue Befunde für eine Neubearbeitung benötigt werden, sei die bP gerne bereit diese vorzulegen.

Am 05.03.2019 erfolgte die Beschwerdevorlage am BVwG.

Mit Verbesserungsauftrag vom 23.08.2019 wurde die bP aufgefordert der Beschwerde entsprechend, weitere Befunde vorzulegen.

Mit Schreiben vom 30.08.2019 eingelangt am 02.09.2019 führte die bP zusätzlich aus:

Aufgrund der "symptomatischen Polyneuropathie im Bereich beider unterer Extremitäten" (im Befund markiert), sei es für sie oft unmöglich gewisse Dinge zu erledigen, weil sie zu weite Entfernungen zu Fuß zurücklegen müsse, weil sie nicht auf den "Behindertenparkplätzen" parken könne. Sie sei deswegen oft auf fremde Hilfe angewiesen.

Die Prozente im Behindertenpass würden keine so große Rolle spielen, viel wichtiger sei für sie der Parkausweis.

Die bP legte dazu einen hämatoonkologischen Befund des XXXX vom 24.07.2019 sowie einen unfallchirurgischen Befund vom 20.02.2019 - letzterer mit folgendem Ergebnis - vor: Schmerzen rechte Hüfte bei Coxarthrose, op. pertr. Fraktur, Exostosen Troch min und maj., Bursitis trochanterica, AMD Grad III bd. Beine, Discusprolaqps L3L4 operat. Therapie: HTEP und Abklärung Gefäßstatus empfohlen.

Weiters im Anhang befand sich ein Auszug aus der Patientenkarte des XXXX vom 06.08.2019 Diagnose: Rupt tend supraspin sin sowie eine Überweisung zur Physiotherapie.

2.0. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der bB und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Der oben unter Punkt II.1. festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.

Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich durch Einsicht in das zentrale Melderegister sowie die sonstigen relevanten Unterlagen.

2.2. Aufgrund des vorliegenden Verwaltungsaktes ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch-empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76). Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens,

5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: "Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen (...)."; vgl dazu auch VwGH vom 18.06.2014, Ra 2014/01/0032.

Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).

Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).

Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der gegen die Gutachten gerichteten sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt. (VwGH vom 23.11.1978, GZ 0705/77)

Der Verwaltungsgerichtshof führte aber in diesem Zusammenhang auch aus, dass keine Verletzung des Parteiengehörs vorliegt, wenn einem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht stattgegeben wird (VwGH vom 25.06.1987, 87/06/0017).

Ebenso kann die Partei Sachverständigengutachten erfolgreich bekämpfen, ohne diesem auf gleichem fachlichem Niveau entgegentreten zu müssen, wenn es Widersprüche bzw. Ungereimtheiten im Gutachten aufzeigt (vgl. z. B. VwGH vom 20.10.2008, GZ 2005/07/0108).

Das im Verfahren vor der bB eingeholte medizinische Sachverständigengutachten zum Grad der Behinderung bedarf nach der Rsp des VwGH (vom 21.06.2017, Ra 2017/11/0040) einer ausreichenden, auf die vorgelegten Befunde eingehenden und die Rahmensätze der Einschätzungsverordnung vergleichenden (vgl. zu den diesbezüglichen Anforderungen das hg. Erkenntnis vom 08.07.2015, Ra 2015/11/0036) Begründung.

Unter dem Blickwinkel der Judikatur der Höchstgerichte, insbesondere der zitierten Entscheidungen, ist das eingeholte Sachverständigengutachten schlüssig, nachvollziehbar und weist keine Widersprüche auf.

Von der bP wurde mit dem Antrag ein ambulanter Bericht der hämatoonkologischen Ambulanz des Krankenhauses der XXXX vom 04.07.2018 über eine, das Kolonkarzinom betreffend unauffällige onkologische Nachsorge, sowie ein bildgebender TBS Bericht der Wirbelsäule vom 17.09.2018 ohne diagnostischen Zusatz vorgelegt.

Sämtliche Feststellungen der Sachverständigen betreffend die Wirbelsäule gründen sich in ihrem Ergebnis daher hauptsächlich auf die stattgefundene persönliche Untersuchung.

Sowohl das Vorgutachten aus dem Jahr 2017 als auch das aktuelle Gutachten nehmen eine Einschätzung des Wirbelsäulenleidens, bei bereits mehrfach zurückliegenden Bandscheibenoperationen, nach der Positionsnummer 02.01.02 der Einschätzungsverordnung vor.

Positionsnummer 02.01.02 Wirbelsäule - "Funktionseinschränkung mittleren Grades" lautet bei einem Rahmen von 30 - 40 % wie folgt:

Rezidivierende Episoden (mehrmals pro Jahr) über Wochen andauernd, radiologische Veränderungen, andauernder Therapiebedarf wie Heilgymnastik, physikalische Therapie, Analgetika, Beispiel:

Bandscheibenvorfall ohne Wurzelbedrängung (pseudoradikuläre Symptomatik)

30 %: Rezidivierende Episoden (mehrmals pro Jahr) über Wochen andauernd, radiologische Veränderungen andauernder Therapiebedarf wie Heilgymnastik, physikalische Therapie, Analgetika

40 %: Rezidivierend und anhaltend, Dauerschmerzen eventuell episodische Verschlechterungen, radiologische und/oder morphologische Veränderungen, maßgebliche Einschränkungen im Alltag

Die Einschätzung des Wirbelsäulenleidens im aktuellen Gutachten wird von der Sachverständigen damit begründet, dass bei wiederkehrenden Beschwerden in der Hals- und Lendenwirbelsäule der bP, keine neurologischen Ausfälle bestehen und eine Dauermedikation nicht erforderlich ist.

Ein Vergleich der Behandlungen und der Medikamentenliste aus dem Jahr 2017 und 2019 ergab, dass von der bP weiterhin gleichbleibend die Medikamente Clopidogrel 75mg (Blutgerinnung), Bezalip (Senkung der Blutfettwerte) sowie Tradolan (Schmerzmittel 2017: 2 x 1, 2019: bei Bedarf) eingenommen werden und 2019 zusätzlich Cenipres (Anwendung bei Herzerkrankungen) verschrieben wurde. Nicht mehr durchgeführt werden 2019 Rehabilitations- und physiotherapeutische Maßnahmen.

Während zum Untersuchungszeitpunkt 2017 die bP noch auf die Verwendung von 2 Stützkrücken angewiesen war und das Heben des linken Beines gerade bis zum Sesselniveau, und des rechten Beines bis etwa der Hälfte des Sesselniveaus möglich war. (Anmerkung zurückzuführen wahrscheinlich auf den Oberschenkelhalsbruch im August 2017) war die bP im Jänner 2019 nur mehr auf die Verwendung eines Gehstockes angewiesen.

Die Herabstufung des Wirbelsäulenleidens um 10 % bewegt sich innerhalb dem von der Einschätzungsverordnung vorgegebenen Rahmen und scheint im Hinblick auf die verbesserte Gesamtmobilität als schlüssig nachvollziehbar. Zwar ist aus dem Gutachten 2017 nicht ersichtlich inwieweit die durchgeführten physikalischen Maßnahmen für die Wirbelsäule oder den damals erst kürzlich zurückliegenden Oberschenkelhalsbruch angeordnet wurden, doch liegt es innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung, dass diese sich auch positiv auf das bestehende Wirbelsäulenleiden auswirkten und so insgesamt zu einer Gesamtverbesserung beitrugen. Zudem wäre bei dem gewählten Rahmensatz von 30 % auch die Notwendigkeit eines dauernden Therapiebedarfs mitumfassen.

Die Feststellung der Sachverständigen, dass bei der bP keine neurologischen Ausfälle bestehen, eine Dauermedikation nicht indiziert ist, die Beweglichkeit der Halswirbelsäule endlagig 1/3 eingeschränkt ist und kein Druckschmerz über den Schultergelenken - und nur mäßiger Rotationsschmerz rechts besteht, vermittelt entgegen der Behauptung der bP sehr wohl das Bild, die Sachverständige habe sich ausreichend mit den Leiden auseinandergesetzt. Auch die neu beigebrachten Befunde ließen keinen Zweifel an der richtigen Einschätzung zu.

Bei der Anordnung einer neuerlichen Physiotherapie für die diagnostizierte "Rupt tend supraspin sin" (Anmerkung: Rotatorenmanschettenriss) linkes Schultergelenk handelt es sich, da diese erst am 06.08.2019 und somit nach Antragstellung sowie Beschwerdeeinbringung diagnostiziert wurde, um eine im Rechtsmittelverfahren neu vorgebrachte Tatsache, welche dem Neuerungsverbot unterliegt und hier bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung nicht zu berücksichtigen ist.

Das bei der bP bestehende Hüftleiden wurde ausweislich des Gutachtens bereits von der Sachverständigen berücksichtigt und einer Bewertung zugeführt. Ein aktueller Befund der Orthopädischen Ambulanz des XXXX für welche eine Überweisung ausgestellt wurde, liegt dem BVwG nicht vor.

Eine bescheidmäßige Absprache seitens der bB über die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" erfolgte nicht. Trotz Befristung des BP samt Zusatzeintragung, ging die bB davon aus, von der bP werde nur die Neufeststellung und nicht auch die bisherige Zusatzeintragung beantragt. Der Beschwerdelaut der bP richtet sich demgegenüber eindeutig auch gegen die nicht erfolgte Eintragung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel".

Die Befristung des Behindertenpasses bis Mai 2021 ergibt sich aus der noch nicht abgelaufenen Heilungsbewährung der führenden Positionsnummer Coloncarcinom.

Nach Würdigung des erkennenden Gerichtes erfüllt das Gutachten die an ein ärztliches Sachverständigengutachten gestellten Anforderungen. Seitens des Gerichts bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens.

Die vorgelegten Beweismittel stehen nicht im Widerspruch zum Ergebnis des eingeholten Sachverständigenbeweises.

Auf die Art der Leiden und deren Ausmaß, sowie die vorgelegten Befunde der bP wurde von der Sachverständigen ausführlich eingegangen.

Das eingeholte Sachverständigengutachten steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch.

Die von der bP eingebrachte Beschwerde enthält kein substanzielles Vorbringen, welches die Einholung eines weiteren Gutachtens erfordern würde und mangelt es dieser darüber hinaus an einer ausreichenden Begründung für die behauptete Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides (VwGH vom 27.05.2014, Ro 2014/11/0030-5). Sowohl die in der Beschwerde angeführten Leiden der mehrfachen Bandscheibenoperationen, als auch der zurückliegende Oberschenkelhalsbruch sowie die mobilitätseinschränkenden Folgeschäden der Chemotherapie fanden Eingang ins Sachverständigengutachten und wurden einer Bewertung zugeführt.

Es lag daher kein Grund vor, von den schlüssigen, widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen abzugehen.

Das Sachverständigengutachten wurde im oben beschriebenen Umfang in freier Beweiswürdigung der Entscheidung des Gerichtes zu Grunde gelegt. Gemäß diesem Gutachten besteht

ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 v.H.

Soweit seitens der bB das Parteiengehör verletzt wurde (durch Nichtvorhalten des Sachverständigengutachtens vom 28.01.2019), ist festzuhalten, dass die Verletzung des Parteiengehörs in diesem Einzelfall - bei ansonsten ordnungsgemäßem Ermittlungsverfahren - durch die Möglichkeit der Einbringung der Beschwerde (allenfalls nach Akteneinsicht) in diesem konkreten Fall als saniert anzusehen ist (vgl für viele: VwGH vom 11.09.2003, 99/07/0062; VwGH vom 27.02.2003, 2000/18/0040; VwGH vom 26.02.2002, 98/21/0299). Es ist jedoch auch festzuhalten, dass durch diese Feststellung die bB nicht generell vom ihrer Obliegenheit das Parteiengehör zu wahren, entbunden wird.

3.0. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Entscheidungsrelevante Rechtsgrundlagen:

-

Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idgF

-

Bundesbehindertengesetz BBG, BGBl. Nr. 283/1990 idgF

-

Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idgF

-

Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010 idgF

-

Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idgF

-

Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF

-

Verwaltungsgerichtshofgesetz VwGG, BGBl. Nr. 10/1985 idgF

Nachfolgende Bestimmungen beziehen sich auf die im Pkt. 3.1. angeführten Rechtsgrundlagen in der jeweils geltenden Fassung.

3.2. Gemäß Art. 130 Abs 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden

1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit; ...

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Gemäß § 45 Abs. 4 BBG hat bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs 3 eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

Gemäß § 45 Abs. 5 BBG entsendet die im § 10 Abs. 1 Z 6 des BBG genannte Vereinigung die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs 2 des BBG anzuwenden. Für jede Vertreterin und jeden Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.

In Anwendung des Art. 130 Abs 1 Z 1 B-VG iVm § 45 Abs 3 BBG wird die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes in der zugrundeliegenden Beschwerdeangelegenheit begründet und fällt die Entscheidung der gegenständlichen Rechtssache jenem Richtersenat zu, der unter Berücksichtigung der zitierten Bestimmungen in der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes dafür vorgesehen ist. Der erkennende Senat ist daher in diesem Beschwerdeverfahren zuständig.

3.3. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 45 Abs. 3 AVG des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.

Der Mangel des Parteiengehörs wird im Beschwerdeverfahren durch die mit der Beschwerde gegebene Möglichkeit der Stellungnahme zu einem Beweismittel saniert (vgl. VwGH vom 27.02.2003, 2000/18/0040; VwGH vom 24.11.1995, 95/17/0009 mit Hinweis auf E 30.9.1958, 338/56).

Eine im erstinstanzlichen Verfahren unterlaufene Verletzung des Parteiengehörs wird jedenfalls dadurch saniert, dass die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung und sodann im Zuge des Berufungsverfahrens ihren Rechtsstandpunkt darzulegen und sohin an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mitzuwirken (VwGH vom 28.05.1993, 92/17/0248 mit Hinweis auf E vom 20.11.1967, 0907/67).

Wenn der Beschwerdeführer Gelegenheit gehabt hat, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid Stellung zu nehmen, und davon auch Gebrauch gemacht hat, so ist eine allfällige Verletzung des Parteiengehörs durch die erste Instanz damit als saniert anzusehen (VwGH vom 11.09.2003, 99/07/0062; VwGH vom 26.02.2002, 98/21/0299).

Seit Einführung der Neuerungsbeschränkung mit 01.07.2015, BGBl. Nr. 57/2015, welche konkret in § 46 BBG geregelt ist, wurde vom Gesetzgeber ein Beschwerdevorbringungsregulativ geschaffen. Ziel und Zweck der Novelle des Behindertenrechtes ist u.a. die grundsätzliche Beschleunigung des erstinstanzlichen Verfahrens. Unter Heranziehung der finalen Programmierung der Norm versteht man unter "neuen Tatsachen" jene Zustände der Gesundheit, welche zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Verfahrens nicht bekannt waren bzw. sein mussten. Werden nunmehr im Beschwerdeverfahren vor dem BVwG von der bP "neue Tatsachen" vorgebracht, so sind diese in der Entscheidungsfindung des Gerichtes nicht zu berücksichtigen. Nach Ansicht des Gerichtes unterliegen nicht dem Neuerungsverbot jene Beeinträchtigungen, Schädigungen und dergleichen, welche nach gegenwärtigem Stand der Medizin als bekannte Folgen der Grunderkrankungen zu qualifizieren sind. Die Neuerungsbeschränkung entfaltet ihre Rechtswirkung mit dem Einbringen der Beschwerde bei Gericht.

Die neu geschaffene Bestimmung des § 46 3. Satz hat zur Folge, dass der bP bei Verletzung des Parteiengehörs durch die bB jedwede Möglichkeit eines Vorbringens, insbesondere zu den eingeholten Sachverständigengutachten, genommen wird. In Verbindung mit der Neuerungsbeschränkung wird dadurch die Stellung der bP im Rechtsmittelverfahren derart eingeschränkt, dass dadurch kein faires Verfahren nach den Grundprinzipien eines Rechtsstaates gewährleistet ist. Beispielsweise wird dies der Fall sein, wenn eine medizinisch relevante Tatsache von der bP zwar vorgebracht wurde, aber keinerlei Berücksichtigung im erstinstanzlichen Ermittlungsverfahren gefunden hat. Bedingt durch das Beschwerdevorbringungsregulativ kann seitens des Gerichtes im Zuge des Beschwerdeverfahrens dieser Umstand, je nach konkretem Sachverhalt, nicht berücksichtigt werden.

Die Nichtvornahme eines Parteiengehörs wird in aller Regel zur Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides führen, außer wenn die Gewährleistung der Parteienrechte keinen umfassenderen, entscheidungsrelevanten Sachverhalt ergeben hätte.

Aufgrund der obigen Ausführungen deckt sich die Ansicht des BVwG grundsätzlich mit der Rechtsprechung des VwGH betreffend mangelhaftes Parteiengehör. Wie eingangs ausgeführt, sieht der VwGH das Parteiengehör nicht verletzt, wenn die bP im Berufungsverfahren die rechtliche Möglichkeit besitzt, Stellung zu nehmen. Unter dem Aspekt der mit 01.07.2015 in Kraft getretenen Neuerungsbeschränkung ist dies aber nicht mehr gewährleistet.

Im gegenständlichen Fall wurde der bP das Sachverständigengutachten vom 28.01.2019 nicht zur Kenntnis gebracht. Damit wurde das Recht auf Parteiengehör verletzt und der bP in Verbindung mit der Neuerungsbeschränkung (im Beschwerdeverfahren vor dem BVwG vorgebrachte "neue Tatsachen" sind nicht zu berücksichtigen) jedwede Möglichkeit eines Vorbringens genommen, was in aller Regel zur Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides führt. Da die bP gegenständlich in ihrer Beschwerde vom 18.02.2019 das Vorhandensein aktueller Befunde angab und in weiterer Folge diese auch durch das BVwG angefordert wurden, die beigebrachten Befunde aber keine Änderung im festgestellten Sachverhalt und resultierend daraus, in der Einschätzung der bereits bekannten Funktionseinschränkungen brachten, führte hier der Verbesserungsauftrag zur Sanierung des Parteiengehörs.

Bei der am 06.08.2019 festgestellten Rupt tend supraspin sin (Anm.: Rotatorenmanschettenriss linkes Schultergelenk) handelt es sich um eine "neue Tatsache" welche zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Verfahrens weder bekannt war, noch bekannt sein musste und welche dem im Beschwerdeverfahren geltenden Neuerungsverbot unterliegt.

Die bP sei darauf hingewiesen, dass es ihr gem. § 41 Abs. 2 BBG freisteht, glaubhaft zu machen - auch innerhalb der geltenden 1-Jahres-Frist ab der letzten rechtskräftigen Entscheidung - dass eine "offenkundigen Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung" eingetreten ist, und eine neue Bewertung des Gesundheitszustandes vorzunehmen ist.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs 3) zu überprüfen.

Gemäß § 9 Abs 1 VwGVG hat die Beschwerde zu enthalten:

1. die Bezeichnung des angefochtenen Bescheides, der angefochtenen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder der angefochtenen Weisung,

2. die Bezeichnung der belangten Behörde,

3. die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,

4. das Begehren und

5. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob die Beschwerde rechtzeitig eingebracht ist.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Bezugnehmend auf die zitierten Bestimmungen waren die unter Pkt. 3.1. im Generellen und die unter Pkt. 3.2 ff im Speziellen angeführten Rechtsgrundlagen für dieses Verfahren in Anwendung zu bringen.

3.4. Gemäß § 1 Abs 1 BBG soll Behinderten und von konkreter Behinderung bedrohten Menschen durch die in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Maßnahmen die bestmögliche Teilnahme am gesellschaftlichen Leben gesichert werden.

Gemäß § 1 Abs 2 BBG ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen

Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 40 Abs 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

Gemäß § 40 Abs 2 BBG ist behinderten Menschen, die nicht dem im Abs 1 angeführten Personenkreis angehören, ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

Gemäß § 41 Abs 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376.

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs 2 vorliegt.

Gemäß § 41 Abs 2 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

Gemäß § 42 Abs 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Gemäß § 42 Abs 2 BBG ist der Behindertenpass unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.

Gemäß § 43 Abs 1 BBG hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, sofern Änderungen eintreten, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpass berührt werden, erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpass auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpass einzuziehen.

Gemäß § 43 Abs 2 BBG ist der Besitzer des Behindertenpasses verpflichtet, dem Bundesam

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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