Entscheidungsdatum
12.12.2019Norm
BFA-VG §22aSpruch
W137 2114984-1/28E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter HAMMER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch RAin Mag.a Nadja LORENZ, gegen die Festnahme der Beschwerdeführerin am 15.08.2015 (03:40 Uhr) und Anhaltung bis 16.08.2015 (23:10 Uhr) zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen die Festnahme und Anhaltung im Rahmen der Festnahme wird gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 iVm 40 Abs. 2 BFA-VG (in der damals geltenden Fassung) stattgegeben und festgestellt, dass die Festnahme und Anhaltung im Rahmen der Festnahme rechtswidrig waren.
II. Es wird überdies festgestellt, dass durch die Umstände der Anhaltung der Beschwerdeführerin ab 16.08.2015, 12:00 Uhr, eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC gewährleisteten Rechte verletzt worden ist.
III. Der Antrag auf Befreiung von der Eingabegebühr wird als unzulässig zurückgewiesen.
IV. Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat gemäß § 35 VwGVG dem Beschwerdeführer den Verfahrensaufwand in Höhe von 1659,60 Euro zu Handen ihrer ausgewiesenen Vertreterin binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
B)
Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Syrien. Sie kam (gemeinsam mit ihrer Familie) am 15.08.2015, kurz nach 01:00 Uhr, mit dem Zug in Wien an und wurde zunächst gemäß § 39 FPG festgenommen. Nach Abklärung, dass 22 Personen (darunter die Familie der Beschwerdeführerin) Asylanträge stellen wollen, wurde die Festnahme der Eltern der Beschwerdeführerin gemäß "§ 40 Abs. 2 BFA-VG" verfügt und die Familie wurde in eine Familienunterkunft überstellt.
2. Im Zuge eines von den Eltern der Beschwerdeführerin gewünschten ärztlichen Untersuchungstermins in den Morgenstunden des 16.08.2019 wurde eine genauere Untersuchung der Beschwerdeführerin von dieser und ihren Eltern verweigert.
3. Kurze Zeit später - am Vormittag desselben Tages - öffnete sich bei der Beschwerdeführerin eine bereits seit einigen Tagen entzündete Pilonidalzyste (Sinus pilonidalis), wovon die Betreuung der Unterkunft umgehend informiert wurde. Die diesbezügliche Untersuchung fand erst am folgenden Tag (nach Beendigung der Anhaltung) statt; die Beschwerdeführerin musste stationär in einem Krankenhaus aufgenommen werden.
4. Am 28.09.2015 brachte die Beschwerdeführerin (gemeinsam mit ihrem Vater) durch ihre bevollmächtigte Vertreterin eine Beschwerde gegen die Festnahme und Anhaltung ein. Begründend wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Festnahme in rechtswidriger Weise erfolgt und/oder die diesbezügliche Bestimmung unionsrechtswidrig sei. Überdies sei es durch die mangelnde Versorgung der Pilonidalzyste zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK durch Unterlassung gekommen.
Beantragt werde a) die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Festnahme; b) die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anhaltung;
c) die Feststellung der Verletzung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte der Beschwerdeführer; d) die Durchführung einer mündlichen Verhandlung; e) die Befreiung des Beschwerdeführers von der Eingabegebühr; f) die Verpflichtung der Behörde zum Ersatz der Aufwendungen; g) den Ersatz der Dolmetscherkosten und eines allfälligen Aufwandsersatzes.
5. Am 12.11.2015 übermittelte die Landespolizeidirektion (LPD) Wien den Verwaltungsakt und führte aus, dass aufgrund der Festnahme und Anhaltung gemäß § 40 Abs. 2 und 4 BFA-VG diese ausschließlich dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt/BFA) zurechenbar seien.
6. Am 23.09.2016 wurde den Beschwerdeführern in Deutschland subsidiärer Schutz zuerkannt. Dieser Status ist bis heute aufrecht.
7. Am 21.06.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und ihres Vaters statt. Zuvor hatten sowohl die LPD Wien als auch das BFA (die beide als belangte Behörde geladen worden waren) schriftlich ihren Verzicht auf eine Teilnahme an der Verhandlung mitgeteilt und die jeweils andere Behörde gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht als zuständig namhaft gemacht.
Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:
Die Beschwerdeführerin ist Staatsbürgerin von Syrien. Sie stellte in Österreich am 15.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Während des Verfahrens reiste sie mit ihrer Familie nach Deutschland weiter, wo sie subsidiären Schutz erhielt und nach wie vor lebt.
Die Eltern der Beschwerdeführerin wurden am 15.08.2015, 03:40 Uhr, gemäß "§ 40 Abs. 2 FPG" festgenommen, was auch unmittelbar auf die minderjährige Beschwerdeführerin durchschlug; die Anhaltung wurde am 16.08.2015, 23:10 Uhr, beendet. Die Anordnung der Festnahme erfolgte durch der LPD Wien zuzurechnende Personen aufgrund einer Anweisung seitens des Bundesamtes.
Die Beschwerdeführerin litt bereits einige Tage vor ihrer Einreise nach Österreich an einer entzündeten Pilonidalzyste. Jedenfalls ihre Mutter war bereits zu diesem Zeitpunkt über die Ursache ihrer Schmerzen informiert und hatte die Zyste auch bereits in Augenschein genommen. Die Erkrankung der Beschwerdeführerin war bei Ankunft in der Familienunterkunft für den diensthabenden Arzt nicht ersichtlich; eine einschlägige Information seitens der Eltern fand nicht statt. Weder die Beschwerdeführerin noch ihre Eltern haben die Mitarbeiter der Unterkunft am 15.08.2019 auf die konkrete medizinische Problematik aufmerksam gemacht.
Bei dem von den Eltern der Beschwerdeführerin am 16.08.2019 (morgens) erwirkten Arzttermin der Tochter verweigerte die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihren anwesenden Eltern eine Untersuchung durch den (männlichen) Arzt. Dieser wurde auch in keiner Form über die Zyste oder den Wunsch nach Untersuchung durch eine Person weiblichen Geschlechts in Kenntnis gesetzt, sondern lediglich über das Symptom "Schmerzen", weshalb er auch nur eine diesbezügliche Medikation anordnete.
Am 16.08.2019 (vormittags) öffnete sich die entzündete Fistel, was neben massiven Schmerzen auch mit dem Austritt größerer Mengen an Blut und Eiter verbunden war. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die - weit über bloße "Schmerzen" hinausgehende medizinische Problematik für jeden Laien klar ersichtlich. Seitens der diensthabenden Mitarbeiter der Unterkunft erfolgte jedoch keine Beiziehung eines Arztes (oder allenfalls eine andere adäquate Maßnahme), obwohl eine solche jedenfalls angezeigt gewesen wäre.
Spätestens um 12:00 Uhr dieses Tages hätte die Beschwerdeführerin bereits die erforderliche ärztliche Hilfe erhalten oder in ein Krankenhaus transferiert werden müssen. Dass dies nicht geschehen ist, beruht auf einer Unterlassung der gebotenen Maßnahmen seitens der Betreuung der Familienunterkunft.
Das Bundesamt und die LPD Wien haben ihr Recht und die Möglichkeit auf Akteneinsicht beim Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren - in dem sie als belangte Behörden geführt wurden - ebenso wenig wahrgenommen wie die Möglichkeit einer Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Beweiswürdigung:
1.1. Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der LPD Wien zu den Zahlen 2949415 (ZAD-Nummer des Vaters) und 2949515 (ZAD der Mutter) sowie den vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes für die minderjährige Beschwerdeführerin wurde keine eigene Zahl angelegt. An der syrischen Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin bestanden nie Zweifel und ist diese auch unstrittig. Von der Vertreterin belegt wurde die Statuszuerkennung in Deutschland
1.2. Der Zeitpunkt der Festnahme und deren Beendigung sowie deren Modalität ergeben sich aus der Aktenlage. Aus der Aktenlage ergibt sich unzweifelhaft (und im Übrigen unbestritten), dass die Festnahme auf Basis des § 40 Abs. 2 BFA-VG angeordnet worden ist. Dies bewirkt - unabhängig von der organisatorischen Zuordnung jener Person, die diese Festnahme vorgenommen hat, eine unmittelbare Involvierung des BFA.
1.3. Das Vorliegen einer entzündeten/geöffneten Pilonidalzyste bei der Beschwerdeführerin ergibt sich aus den im Akt einliegenden ärztlichen Unterlagen. Die Beschwerdeführerin hat diesbezüglich auch angegeben, dass ihre Probleme schon in Ungarn (vor der Einreise nach Österreich) bestanden und die Mutter die Zyste in Augenschein genommen habe.
Im Zuge der Eingangsuntersuchung der Eltern in der Unterkunft wurde in der Kartei der Mutter "Kinder augenscheinlich gesund, keine medizinischen Probleme" eingetragen. Dies ist jedenfalls schlüssig, weil eine Zyste im Intimbereich nur bei vollständiger Entkleidung festgestellt werden kann - was wiederum bei Minderjährigen in dieser Konstellation nicht vorgesehen ist. Vor diesem Hintergrund erweisen sich auch die Behauptungen des Vaters in der Beschwerde, er habe bereits am 15.08.2019 nachhaltig auf eine Untersuchung der Beschwerdeführerin gedrängt, als nicht glaubhaft. Auszuschließen ist, dass er den Mitarbeitern der Unterkunft konkrete Angaben zu den Problemen der Beschwerdeführerin machen konnte, weil er die Zyste aufgrund seines konservativen Weltbildes - das er in der Verhandlung klar zum Ausdruck brachte - selbst nie in Augenschein genommen oder sich mit dieser Problematik eingehender befasst hat. Dass die Mutter oder die Beschwerdeführerin selbst sich an die Mitarbeiter der Unterkunft gewandt hätten, ist nach deren Aussagen in der Beschwerdeverhandlung auszuschließen.
1.4. In der ärztlichen Kartei der Mutter findet sich am 16.08.2019 folgender Eintrag: "Tochter - hat leichten Durchfall und Bauchkrämpfe, Temperatur 36,5 (...) Dr. F(...) wurde von der Mutter verweigert!!!!". Die Beschwerdeführerin gab dazu in der Verhandlung an, dass sie selbst aus Schüchternheit/Schamgefühl eine Untersuchung durch den (männlichen) Arzt - diesem gegenüber allerdings begründungslos - verweigert habe. Unstrittig ist, dass sich ihre Eltern zum fraglichen Zeitpunkt ebenfalls im Arztzimmer aufhielten. Auch diese haben nicht auf die Beschwerdeführerin eingewirkt, sich doch untersuchen zu lassen; sie haben aber auch unstrittig dem Arzt nicht dargelegt, um welches medizinische Problem (abseits des Symptoms "Schmerzen") es sich konkret handeln würde und dass aus ihrer Sicht die Befassung einer (weiblichen) Ärztin erforderlich wäre. Dem Vater war es nach eigenen Angaben nicht im Detail bekannt; die Mutter hat nach Angaben der Beschwerdeführerin nichts gesagt. Dementsprechend wurden vom Arzt auch nur "Bauchkrämpfe" diagnostiziert und keine (entzündete) Pilonidalzyste, deren Schmerzausstrahlung sich naturgemäß zumindest in den Unterbauch hinaufzieht.
1.5. Unstrittig ist, dass sich relativ kurze Zeit nach diesem Arztbesuch die Zyste öffnete; dass die Entlassung aus der Anhaltung erst Stunden später erfolgte; und dass die dringend erforderliche medizinische Versorgung der Beschwerdeführerin erst am folgenden Tag eingeleitet werden konnte. Die Beschwerdeführerin und ihr Vater konnten in der Beschwerdeverhandlung glaubhaft darlegen, dass sie sich ab diesem Zeitpunkt - aufgrund des Blut- und Eiteraustritts intensiv um eine medizinische/ärztliche Versorgung bemühten, diese jedoch nicht stattfand. Aus diesen glaubhaften Schilderungen ergibt sich auch, dass die Problematik selbst für medizinische Laien problemlos erkennbar gewesen wäre.
Ausdrücklich ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass diese Darstellungen bereits Gegenstand des Beschwerdeschriftsatzes waren. Weder die LPD Wien noch das Bundesamt haben diese Darstellung je bestritten - beide Behörden haben sich lediglich dahin erklärt, dass sie hinsichtlich der Zuständigkeit auf die jeweils andere Institution verwiesen haben. Mit derselben Begründung haben beide Behörden auch nicht an der Beschwerdeverhandlung teilgenommen.
1.6. Ausgehend von der glaubhaften Öffnung der Zyste am früheren Vormittag (ungefähr zwischen 09:00 und 10:00 Uhr) steht fest, dass die erforderliche ärztliche Hilfe - allenfalls durch Transport in eine Spitalsambulanz - jedenfalls problemlos bis 12:00 Uhr hätte organisiert werden können und müssen. Dass dies nicht erfolgt ist, stellt vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen eine Unterlassung dar.
1.7. Dass weder die LPD Wien noch das Bundesamt ihr Recht auf Akteneinsicht in den Gerichtsakt genutzt haben ergibt sich ebenso aus dem gegenständlichen Gerichtsakt wie deren Verzicht auf die Teilnahme an der Beschwerdeverhandlung. Erneut haben beide Behörden in diesem Zusammenhang die jeweils andere für zuständig erkannt.
2. Rechtliche Beurteilung:
2.1. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: "Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."
2.2. Der mit "Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft" betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:
"§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn
1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,
2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder
3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.
(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.
(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.
(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.
(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig."
Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.
Zu Spruchteil A)
2.3. Der mit "Festnahme" betitelte § 40 des BFA-VG in der zum Festznahmezeitpunkt geltenden Fassung lautet:
"§ 40. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einen Fremden zum Zweck der Vorführung vor das Bundesamt festzunehmen,
----------
1.-gegen den ein Festnahmeauftrag (§ 34) besteht,
2.-wenn dieser Auflagen gemäß §§ 56 Abs. 2 oder 71 Abs. 2 FPG verletzt oder
3.-der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
(2) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, Asylwerber oder Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, zum Zwecke der Vorführung vor das Bundesamt festzunehmen, wenn
----------
1.-dieser Fremde nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt ist,
2.-gegen diesen eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - aufenthaltsbeendende Maßnahme gemäß dem 8. Hauptstück des FPG erlassen wurde,
3.-gegen diesen nach § 27 AsylG 2005 ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet wurde,
4.-gegen diesen vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme gemäß dem 8. Hauptstück des FPG erlassen wurde oder
5.-auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.
(3) In den Fällen der Abs. 1 und 2 kann die Festnahme unterbleiben, wenn gewährleistet ist, dass der Fremde das Bundesgebiet unverzüglich über eine Außengrenze verlässt.
(4) Das Bundesamt ist ohne unnötigen Aufschub über die erfolgte Festnahme zu verständigen. Die Anhaltung eines Fremden ist in den Fällen der Abs. 1 Z 2 und 3 und Abs. 2 bis zu 48 Stunden und in den Fällen des Abs. 1 Z 1 bis zu 72 Stunden zulässig; darüber hinaus ist Freiheitsentziehung nur gemäß § 77 Abs. 5 FPG oder in Schubhaft gemäß § 76 FPG möglich. Dem festgenommenen Fremden ist die Vornahme der Festnahme über sein Verlangen schriftlich zu bestätigen.
(5) (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 70/2015)
(6) Während der Zulässigkeit der Sicherung der Zurückweisung im Flughafenverfahren sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, zu verhindern, dass ein zurückgewiesener Asylwerber in das Bundesgebiet einreist, soweit es ihm nicht gestattet ist."
3. Zur Frage der belangten Behörde:
Gemäß § 6 und 40 BFA-VG schreiten Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (hier der LPD Wien) für das Bundesamt ein. Demgemäß ist auch das Bundesamt im gegenständlichen Verfahren die belangte Behörde - wenngleich "nach außen" eine Festnahme (und Anhaltung) durch der LPD Wien zuzurechnende Personen erfolgte. Vor diesem Hintergrund kann auch nicht erkannt werden, dass in der Beschwerde die belangte Behörde falsch bezeichnet worden wäre.
4. Zur Frage der Rechtswidrigkeit der Festnahme am 15.08.2015 und der weiteren Anhaltung bis 16.08.2015:
4.1. Die Eltern der Beschwerdeführerin wurden ausweislich der Asylmeldung/Großaufgriff vom 15.08.2015 von Angehörigen der LPD Wien am 15.08.2018, 03:40 Uhr, gemäß § 40 Abs. 2 BFA-VG festgenommen und bis 16.08.2015, 23:10 Uhr, angehalten.
4.2. Die bloße Nennung von § 40 Abs. 2 BFA-VG ohne Angabe eines konkreten Tatbestandes oder Beschreibung des Grundes für die Festnahme in einer der gerichtlichen Nachprüfung zugänglichen Weise reicht aber nicht aus, die Rechtmäßigkeit der Festnahme zu begründen (vgl. VwGH 16.05.2012, 2010/21/0304).
4.3. Die auf eine untaugliche Grundlage gestützte Festnahme wird auch nicht dadurch zu einer rechtmäßigen Maßnahme, dass allenfalls eine andere (aber nicht herangezogene) Rechtsgrundlage zur Verfügung gestanden wäre (VwGH 20.10.2011, 2009/21/0248; 19.05.2011, 2009/21/0214, 0224).
Die Festnahme und Anhaltung im Rahmen der Festnahme (vgl. VwGH 25.10.2012, 2010/21/0047; 19.09.2012, 2012/01/0017) sind daher für rechtswidrig zu erklären, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
4.4. Im gegenständlichen Fall hat die formal nur gegenüber ihren Eltern ausgesprochene Festnahme unmittelbar auf die minderjährige Beschwerdeführerin durchgeschlagen. Vor diesem Hintergrund muss ihr der Rechtsschutz des § 22a BFA-VG auch in gleicher Weise wie ihren Eltern zur Verfügung stehen.
5. Zur Frage der Verletzung von durch Art. 3 EMRK geschützten Rechten:
5.1. Angesichts der vorgelegten ärztlichen Dokumente (die auch einen rund zweiwöchigen stationären Krankenhausaufenthalt belegen) und der glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin und ihres Vaters zu ihrer Situation nach Öffnung der Zyste am 16.08.2015 bestehen für das Verwaltungsgericht keinerlei Zweifel, dass sich die minderjährige Beschwerdeführerin ab diesem Zeitpunkt in einem in Summe qualvollen - einer Verletzung von Art. 3 EMRK gleichzusetzenden - Zustand befunden hat. Dieser wurde durch ein Unterlassen der gebotenen medizinischen Maßnahmen (respektive einer Verbringung der Beschwerdeführerin in ein Krankenhaus) seitens der Betreuungseinrichtung bis zur Beendigung der Anhaltung perpetuiert.
Unter Einrechnung einer erforderlichen Reaktionszeit ist daher festzustellen, dass (jedenfalls) die Anhaltung ab 12:00 Uhr des 16.08.2015 eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte der Beschwerdeführerin durch Unterlassungen auf Seiten der belangten Behörde darstellt.
5.2. Hingegen ist eine solche Verletzung (beziehungsweise eine behördliche Verantwortung für diese) vor dem oben angeführten Zeitpunkt zu verneinen. Vielmehr hat die Verhandlung zweifelsfrei klargemacht, dass eine geeignete medizinische Betreuung der Beschwerdeführerin im Vorfeld (bis einschließlich des Arztbesuchs am 16.08.2015) daran scheiterte, dass ihre Eltern aufgrund eines konservativ-patriarchalischen Weltbildes ihre Vorstellungen von Scham und Sittsamkeit über die medizinischen Bedürfnisse der Beschwerdeführerin stellten - jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als sich die Situation (durch Öffnung der Zyste) in ihrer Eigenwahrnehmung als ernsthaft bedrohlich erwies.
Dies ist unter anderem daran ersichtlich, dass die Kommunikation der Familie nach außen fast ausschließlich über den Vater verlief, obwohl die Mutter (anders als er selbst) immerhin die Zyste in Augenschein genommen hatte. Auch gegenüber dem Arzt machte die Mutter am 16.08.2015 keine konkreten Angaben, obwohl durch diese eine Fehldiagnose problemlos hätte vermieden werden können. Bezeichnend ist auch, dass beide Eltern eher Schmerzen der Tochter in Kauf nahmen, als eine Untersuchung durch einen Mann zuzulassen. Der damals 13-jährigen Beschwerdeführerin sind ihr Schamgefühl und der instinktive Wunsch, eine Untersuchung im Intimbereich durch einen Mann zu vermeiden vor dem Hintergrund des ihr vorgelebten Weltbildes hingegen keinesfalls vorzuwerfen.
Umgekehrt kann auch dem diensthabenden Arzt kein Vorwurf gemacht werden, dass er lediglich "Bauchkrämpfe" diagnostizierte, wenn ihm entsprechende Symptome genannt werden, gleichzeitig aber eine genauere Untersuchung der Beschwerdeführerin durch die Erziehungsberechtigten verwehrt wird. Vielmehr hätten sich diese über den Wunsch ihrer Tochter hinwegsetzen müssen - zumal dieser effektiv nur Folge ihrer eigenen konservativen Erziehung und des vorgelebten Weltbildes war. Im Verfahren ist auch kein Hinweis zu Tage getreten, aus dem sich ergeben würde, dass der Arzt aufgrund einer offenkundigen Notfallsituation auch gegen den Willen der Erziehungsberechtigten eine Untersuchung der Beschwerdeführerin (im Intimbereich) vornehmen hätte müssen.
5.3. Nur der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass es in Österreich keinen Rechtsanspruch gibt, ausschließlich von medizinischem Personal desselben Geschlechts behandelt zu werden. Auch nicht für Asylwerberinnen. Darüber hinaus wurde dem medizinischen Personal in der Unterkunft vor Öffnung der Zyste auch nie angezeigt, dass es sich bei den Problemen der Beschwerdeführerin nicht bloß um Bauschmerzen/-krämpfe handelt, sondern eine Untersuchung im Intimbereich erforderlich wäre. Zumindest dieser Hinweis wäre den Eltern jedenfalls zuzumuten und abzuverlangen gewesen.
6. Kostenersatz
6.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).
6.2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.
Im gegenständlichen Fall ist die Beschwerdeführerin vollständig obsiegende Partei im gegenständlichen Verfahren. Sie hat daher Anspruch auf Kostenersatz im beantragten Umfang. Das Bundesamt hat hingegen keinen Kostenersatz beantragt.
6.3. Hinsichtlich der gesondert beantragten Eingabegebühr ist eine Befreiung oder ein Ersatz hingegen nicht vorgesehen.
6.4. Über den beantragten Kostenersatz der LPD Wien war hingegen nicht abzusprechen, weil sich diese ohnehin nicht als belangte Behörde erwiesen hat. Sie ist daher von der Anwendung des § 35 VwGVG gar nicht umfasst. Im Übrigen erscheint nur schwer nachvollziehbar, wieso eine Behörde Kostenersatz in einem Verfahren beantragt, in dem sie eine andere Behörde für zuständig erachtet.
7. Eine Übersetzung von Spruch und Rechtsmittelbelehrung erweist sich angesichts der vorhandenen Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers als nicht erforderlich.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Dies liegt im gegenständlichen Fall nicht vor.
Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
Anhaltung, Eingabengebühr, Festnahme, Gesundheitszustand,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W137.2114984.1.00Zuletzt aktualisiert am
09.03.2020