TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/30 W112 2184070-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.12.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

30.12.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §53
FPG §55

Spruch

W112 2184070-1/18E

Schriftliche Ausfertigung des am 10.09.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Elke DANNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA RUSSISCHE FÖDERATION, vertreten durch den RA XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.12.2017, Zl. 1102963808-16106577, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.09.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II., III., IV., V., VI, und VII. des angefochtenen Bescheides wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 und 9, 55 FPG und § 18 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VIII. wird gemäß § 53 FPG stattgegeben und der angefochtene Bescheid in diesem Umfang ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der RUSSISCHEN FÖDERATION, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 21.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am selben Tag fand die Erstbefragung der Beschwerdeführerin durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt, bei der sie angab, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe zu sein. Sie habe die RUSSISCHE FÖDERATION verlassen um bei ihrem Mann sein zu können, den sie am XXXX nach traditionellem muslimischen Ritus mittels Internet geheiratet habe. Im Falle einer Rückkehr in ihr Herkunftsland habe sie nichts zu befürchten.

3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) vernahm die Beschwerdeführerin am 28.11.2017 niederschriftlich ein. Die Beschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass sie mit ihrem Ehemann leben habe wollen. Sie habe ihren Ehemann über ein Internetportal kennengelernt und habe keine Bestätigung betreffend ihre Heirat. Im Falle einer Rückkehr wäre sie von ihrem Ehemann getrennt, was eine Schande für Frauen und somit für sie darstelle. Darüber hinaus habe sie keine Fluchtgründe.

4. Das Bundesamt wies den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz mit dem im Spruch genannten Bescheid sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat RUSSISCHE FÖDERATION gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab und erteilte der Beschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in die RUSSISCHE FÖDERATION zulässig ist (Spruchpunkt V.). Das Bundesamt räumte der Beschwerdeführerin gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise ein (Spruchpunkt VI.) und erkannte der Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII.). Gegen die Beschwerdeführerin wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).

Das Bundesamt führte begründend aus, dass die Beschwerdeführerin keine asylrelevanten Verfolgungsgründe geltend gemacht habe. Das Bundesamt gehe davon aus, dass die Beschwerdeführerin lediglich aufgrund wirtschaftlicher Gründe ihr Herkunftsland verlassen habe. Ebenso drohe der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat auch keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertige, da die Beschwerdeführerin gesund sei und im Falle ihrer Rückkehr wieder arbeiten könne. Die Beschwerdeführerin verfüge auch über ein familiäres Netzwerk in ihrem Herkunftsland, das sie unterstützen könne. Zudem könne sie wieder bei den Eltern ihres Lebensgefährten oder ihrem Onkel im Falle einer Rückkehr wohnen, weshalb ihre elementaren Lebensbedürfnisse, insbesondere Nahrung und Wohnraum gesichert seien. Die Rückkehrentscheidung greife nicht in das Familienleben der Beschwerdeführerin ein, da ihr Familienleben in Österreich zu einem Zeitpunkt gegründet worden sei, zu dem sich der Aufenthalt der Beschwerdeführerin als unsicher dargestellt habe. Ihr Interesse an einem Familienleben in Österreich sei auch vor dem Hintergrund ihrer widerrechtlich erschlichenen Einreise zu relativieren. Die Rückkehrentscheidung stelle daher keinen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Familienleben dar. Auch ein unrechtmäßiger Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführerin liege nicht vor, zumal sie über keine Deutschkenntnisse verfüge, keiner Beschäftigung nachgehe, kein Abhängigkeitsverhältnis zu aufenthaltsberechtigten Verwandten in Österreich bestehe und sie freundschaftliche Beziehungen zu einem Zeitpunkt eingegangen sei, an dem ihr ihr unsicherer Aufenthalt bewusst sein habe müssen. Die Beschwerdeführerin sei mit den kulturellen und sozialen Gepflogenheiten in ihrem Herkunftsstaat vertraut und beherrsche die Muttersprache ihres Herkunftsstaates, weshalb sie sich wieder gut in die Gesellschafts- und Berufsstruktur ihres Herkunftsstaates eingliedern könne. Die Erlassung eines Einreiseverbotes sei aufgrund der Gesamtbeurteilung des Verhaltens der Beschwerdeführerin, ihrer Lebensumstände sowie ihrer familiären und privaten Anknüpfungspunkte gerechtfertigt und notwendig, um die von ihr ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch ihre Mittellosigkeit zu verhindern.

5. Die Beschwerdeführerin erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte vor, dass sie ihre Fluchtgründe bisher nicht genannt habe, um nicht die Trennung ihres Ehemannes zu riskieren. Die Beschwerdeführerin sei bei ihrer Großmutter aufgewachsen, wo auch ihre Tante gelebt habe. Diese habe Schulden gemacht und sei danach verschwunden. Die Gläubiger hätten die Begleichung der Schulden von der Beschwerdeführerin für sexuelle Gefälligkeiten verlangt. Der Beschwerdeführerin drohe daher Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe alleinstehender Frauen; jedenfalls müsse ihr Refoulementschutz gewährt werden. Da die Beschwerdeführerin mit ihrem Ehegatten im gemeinsamen Haushalt lebe, liege jedenfalls ein Familienleben in Österreich vor, weshalb ihr ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werden müsse. Die Beschwerdeführerin stellte die Anträge, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen und durchführen; sowie den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass dem Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten stattgegeben werde, in eventu dahingehend abändern, dass dem Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat RUSSISCHE FÖDERATION zuerkannt werde, in eventu einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungs-würdigen Gründen erteilen und keine Rückkehrentscheidung erlassen; in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und dem Bundesamt die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auftragen; jedenfalls der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen sowie das verhängte Einreiseverbot ersatzlos beheben.

6. Das Bundesamt legte die Beschwerde samt Verwaltungsakt am 22.01.2018 dem Bundesverwaltungsgericht vor, wo er am 24.01.2018 einlangte.

Das Bundesverwaltungsgericht hielt mit Aktenvermerk vom 29.01.2018 fest, dass auf Grund einer durchgeführten Grobprüfung der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuzuerkennen war.

7. Das Bundesverwaltungsgericht bot der Beschwerdeführerin mit Parteiengehör vom 09.08.2019 die Möglichkeit, zu ihrem Gesundheitszustand sowie zu ihren aktuellen Lebensverhältnissen und etwaiger familiärer Beziehungen in Österreich Stellung zu nehmen sowie etwaige Beweis- bzw. Bescheinigungsmittel vorzulegen.

Der Rechtsvertreter gab mit Schriftsatz vom 26.08.2019, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 04.09.2019, bekannt, dass eine Kontaktaufnahme mit der Beschwerdeführerin nicht möglich war, weshalb er das Vollmachtsverhältnis auflöste.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.09.2019 eine mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt nicht teilnahm.

Die Beschwerdeführerin machte in der Verhandlung folgende Angaben:

"R: Sie wurden am 21.01.2016 polizeilich erstbefragt, und am 28.11.2017 vom Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Wie würden Sie die dortige Einvernahmesituation beschreiben?

BF: Nein, es war alles gut.

R: Haben Sie bei Ihren bisherigen Aussagen vor der Polizei im Rahmen der Erstbefragung vor dem Bundesamt immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtigstellen oder ergänzen?

BF: Ich möchte nichts korrigieren, ich habe immer die Wahrheit gesagt.

R: Mit Bescheid vom 21.12.2017 wies das Bundesamt Ihren Antrag auf internationalen Schutz sowohl im Hinblick auf den Status der Asylberechtigten, als auch im Hinblick auf den Status der subsidiär Schutzberechtigten ab, stellte fest, dass Ihre Abschiebung in die Russische Föderation rechtmäßig ist, erteilte Ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen Sie erkannte der Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab, räumte Ihnen keine Frist für die freiwillige Ausreise ein und erließ ein 2jähriges Einreiseverbot gegen Sie. Gegen diesen Bescheid erhoben Sie mit Schriftsatz vom 22.01.2018 Beschwerde. Halten Sie diesen Schriftsatz und die darin gestellten Anträge aufrecht?

BF: Ja.

R: Hat sich Ihre Situation seit der Beschwerdeerhebung am 22.01.2018 etwas geändert?

BF: Nein, ich möchte hierbleiben wie vorher.

R: Sie gaben bei der Erstbefragung an, dass Sie Kopien Ihrer Dokumente eventuell besorgen können. Haben Sie das bisher getan?

BF: Nein, aber meine Schwiegermutter hat sie.

R: Was hat Ihre Schwiegermutter?

BF: Bei der ersten Einvernahme sagte ich, dass der Fahrer mir die Dokumente und den Pass abgenommen hat und mir gesagt hat, dass ich sie nicht mehr brauchen werde. Er hat meine Schwiegermutter kontaktiert und hat ihn ihr übergeben.

R: Warum haben Sie sich Ihre Dokumente nicht schicken lassen? Ich habe keinen Beweis für Ihre Identität, weil kein Lichtbildausweis vorliegt.

BF: Ich habe nicht gewusst, dass ich das brauche. Das wurde nicht angefragt.

R: Bei der Erstbefragung wurden eine Pflichtversicherungspolizze und ein Sozialversicherungsausweis bei Ihnen sichergestellt, aber kein Identitätsbezeugendes Dokument. Warum hatten Sie genau diese Dokumente mit?

BF: Ich habe die wichtigsten Dokumente mitgenommen und der Fahrer hat mir dann den Pass abgenommen, weil er mir gesagt hat, dass der Pass jetzt bedeutungslos ist.

R: Am 28.11.2017 wurden Sie niederschriftlich einvernommen. Dabei legten Sie die Kopie von drei Seiten Ihres Inlandsreisepasses vor und gaben an, dass sich der Inlandsreisepass in Russland befindet. Warum erst zu diesem Zeitpunkt, Sie stellten den Asylantrag im JÄNNER 2016?

BF: Ich kann mich jetzt nicht mehr daran erinnern. Habe ich das bei der Einvernahme gezeigt?

R: Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt. Aber ich frage Sie, warum erst zu diesem Zeitpunkt.

BF: Wahrscheinlich, weil ich die Kopien von zu Hause bekommen habe. Ich habe sie nicht mitgenommen, als ich nach Österreich gekommen bin.

R: Wann und wie haben Sie diese bekommen?

BF: Weil ich nicht gut Deutsch kann, kümmert sich mein Mann um diese Sachen. Er ist das Oberhaupt der Familie und deswegen macht er das. (Im Zuge der Rückübersetzung: Ich habe die Übermittlung gemeint.)

R: Ich denke nicht, dass Sie mit Ihrer Schwiegermutter Deutsch sprechen müssen, daher meine Frage: wann und wie haben Sie die Kopien bekommen?

BF: Per Post oder mit irgendwelchen Sendungen.

R: Wann?

BF: Das weiß ich nicht.

R: Sie sind mit 25 Jahren aus der Russischen Föderation ausgereist. Welche Schulbildung haben Sie in der Russischen Föderation absolviert?

BF: Ich habe 11 Jahre Grundschule abgeschlossen. Danach hatte ich keine Möglichkeit, eine weitere Ausbildung zu machen. Ich habe schon die Geschichte erzählt.

R: Welche Lebens- und Karriereplanung hatten Sie, als Sie sie Schule beendeten?

BF: Ich hatte große Pläne, aber als ich die Prüfungen in der 11. Klasse abgeschlossen habe, habe ich mit meiner Großmutter gelebt. Sie hat einen XXXX erlitten, sie war nämlich XXXX . Da sie XXXX war, habe ich sie 5 Jahre lang gepflegt. Das ist der Grund. (Im Zuge der Rückübersetzung: Ich wollte Anwältin werden.)

R: Ihre Großmutter ist 2014 gestorben, ist das korrekt?

BF: Ja.

R: Was haben Sie zwischen 2014 und Ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation gemacht? Wovon haben Sie gelebt?

BF: Ich hatte einen Großvater väterlicherseits. Gemäß unserer Tradition ist es so, dass es nicht üblich ist, dass die Frauen alleine leben, aber ich hatte einen wichtigen Grund, weil ich mich ja um meine Großmutter gekümmert habe. Nachdem sie gestorben ist, bin ich zu meinem Großvater gefahren und habe dort gelebt.

R: Frage wird wiederholt.

BF: Bei uns ist das so, dass die älteren Personen die jungen Frauen bzw. Teenager finanziell absichern. Ich habe auch noch eine Mutter, die in XXXX arbeitet. Sie hat mir auch geholfen. Sie hat mir monatlich Geld überwiesen. Das war für mich ausreichend. Ich musste ja nichts für die Unterkunft und das Essen bezahlen.

R: Warum sind Sie nicht arbeiten gegangen?

BF: Ich hatte keine Ausbildung und ich wollte nicht als irgendetwas, zB als Verkäuferin, arbeiten. Ich wollte keine Arbeit machen, die mir nicht gefällt. Ich würde gerne etwas machen, das mir gefällt, zB Dekorationen oder ähnliches.

R: Was haben Sie in Ihrer Freizeit gemacht?

BF: Ich hatte einen Onkel, der kleine Kinder hatte. Ich kümmerte mich um die Kinder und ich habe gekocht, geputzt, im Garten geholfen und mich um die Kinder gekümmert.

R: Welche Sprachen sprechen Sie?

BF: Tschetschenisch und Russisch.

R: Beim Bundesamt haben Sie angegeben, dass Sie bei Ihrem Onkel gelebt haben. Haben Sie jetzt bei Ihrem Onkel oder bei Ihrem Großvater gelebt?

BF: Der Großvater als Oberhaupt der Familie ist dann gestorben. Ich blieb weiter dort und dort lebte auch der Onkel. Es hat zwar zwei Höfe gegeben, aber die waren nicht durch eine Mauer getrennt.

R: Wann ist der Großvater gestorben?

BF: Nachdem ich hierher kam.

R: Jetzt haben Sie gerade gesagt, dass Sie bei Ihrem Onkel gelebt haben, nachdem der Großvater gestorben ist. Er kann also nicht erst gestorben sein, als Sie hierhergekommen sind.

BF: Ich habe gemeint, dass der Großvater schon sehr alt war, aber dennoch Oberhaupt der Familie. Das Elternhaus befand sich am gleichen Hof.

R: Wann ist Ihr Großvater gestorben?

BF: Das war - ich glaube im zweiten Jahr nachdem ich hierhergekommen bin.

R: wie haben Sie davon erfahren?

BF: Mein Onkel hat mir das über WhatsApp mitgeteilt. Mein Großvater ist erkrankt und war eine Woche im Krankenhaus und ist dann gestorben.

R: Welche Verwandten haben Sie jetzt noch in der Russischen Föderation?

BF: Ich habe eine Mutter und auch einen Vater, aber meine Eltern sind geschieden. Ich habe drei Onkel vs. Einer lebte auf dem Hof. Es gibt auch weitschichtige Verwandte. Es gibt Cousins dritten Grades usw.

R: Was ist mit Ihrem Bruder?

BF: Mein Bruder lebt bei meiner Mutter. Ich lebte mit ihm bei der Großmutter, das war die Großmutter ms. Die Großmutter war krank. Ihm hat einfach eine männliche Hand bei der Erziehung gefehlt. Ich habe zwar mit ihm geschimpft, aber er hat mir nicht gefolgt.

R: Das erklärt mir nicht, warum er bei seiner Mutter lebt.

BF: Die Mutter und der Vater sind ja unsere nächsten Angehörigen. Er ist nicht verheiratet und deswegen lebt er bei ihr.

R: Wovon leben Ihre Verwandten?

BF: Meine Mutter hat bis jetzt als Verkäuferin in verschiedenen Geschäften gearbeitet. Sie arbeitet nach wie vor.

R: Und Ihr Vater?

BF: Mit dem Vater ist es komplizierter, weil er seit meiner Kindheit keinen Kontakt mit uns hält. Für uns ist es am Wichtigsten, dass er gesund und am Leben ist. Mehr kann ich über ihn nicht sagen.

R: Und Ihr Bruder?

BF: Er arbeitet nicht und macht keine Ausbildung. Meine Mutter bezahlt ihm seinen Unterhalt.

R: Welche Deutschkurse und -prüfungen haben Sie bisher absolviert?

BF: Leider keine.

R: Sie haben seit 2016 keinen Deutschkurs gemacht?

BF: Nein.

R: Warum nicht?

BF: Ich dachte, dass ich irgendwelche Schreiben bekomme. Ich saß einfach zu Hause und hatte Angst. Ich hatte vor allen möglichen Dingen Angst. Ich habe Kontakt zu den Tschetschenen, die hier leben und die Kinder der Tschetschenen, die hier geboren sind können Deutsch und ich verstehe zu 50 % was sie auf Deutsch sagen. Vielleicht klingt es dumm, aber ich habe vor, die deutsche Sprache zu erlernen.

R: Wie schätzen Sie Ihre Deutschkenntnisse ein?

BF: Ich kann einzelne Vokabeln, es fällt mir schwer, mit den Worten einen Satz zu bilden.

R fordert den BF auf, die folgenden Fragen auf Deutsch zu beantworten:

R: Wie kamen Sie heute nach Wien?

BF (auf Russisch): Ich verstehe Sie nicht.

R: Wo wohnen Sie?

BF: Keine Antwort.

R: Was ist Ihr Lieblingsbuch?

BF (auf Russisch): Welches Lieblingsbuch ich habe? Soll ich den Titel sagen?

R: Ja, sagen Sie den Titel.

BF (auf Russisch): Ich weiß es nicht.

R stellt fest, dass die BF keine Deutschkenntnisse aufweist.

BF: Ich kann Lebensmittel bezeichnen, ich kann elementare Bezeichnungen.

R: Ist das Ihr erster Aufenthalt in Österreich?

BF: In den vier Jahren habe ich Österreich nie verlassen. Es ist mein erster Aufenthalt in Österreich.

R: Besitzen Sie außer dem asylrechtlichen Aufenthaltstitel in Österreich noch ein weiteres Aufenthaltsrecht?

BF: Nein.

R: Sind Sie nie mit Ihrem Mann auf Urlaub gefahren?

BF: Nein.

R: Wovon bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt, seit Sie in Österreich sind?

BF: Mein Mann bezahlt alles. Er arbeitet.

R: Haben Sie in Österreich bislang eine Berufstätigkeit oder ehrenamtliche Tätigkeiten ausgeübt?

BF: Nein, ich habe ja keine Bewilligung.

R: Sie wohnen in XXXX , dort gibt es die Möglichkeit der Saisonarbeit.

BF: Ich habe keinen Status und keine Dokumente, ich kann nicht arbeiten.

R: Haben Sie versucht (sei es erfolgreich oder erfolglos) Ihre Selbsterhaltungsfähigkeit herzustellen?

BF: Nein.

R: Welche Bildungsmaßnahmen - abgesehen von Deutschkursen - haben Sie in Österreich gesetzt?

BF: Wir haben um Kurse angesucht. Ich weiß nicht, wie die Organisation heißt, wir waren dort. Bis jetzt haben wir keine Antwort bekommen.

R: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

BF: Nein.

R: Wie verbringen Sie den Alltag?

BF: Ich begleite meinen Mann und dann habe ich noch ein Hobby. Ich beschäftige mich mit Mosaiken. Ich mache Sachen aus Perlen, ich sticke und auch mit kulinarischen Sachen. Ich habe hier viel gelernt. In der Freizeit lerne ich viel in diesen Bereichen.

R: Sie haben gesagt, Sie begleiten Ihren Mann. Was meinen Sie damit?

BF: Er arbeitet bei der Firma XXXX . Er ist dort XXXX . Er arbeitet in XXXX in den Firmen XXXX und XXXX . Diese Firma arbeitet auch mit der XXXX zusammen und das ist eine Bewachung.

R: Und da begleiten Sie Ihren Mann?

BF: Als "Begleitung" habe ich gemeint, dass ich ihm Essen mitgebe, die Bekleidung und dass ich ihm alles Gute wünsche.

R: Was machen Sie, wenn Ihr Mann nicht da ist?

BF: Dann beschäftige ich mich mit meinen Hobbys.

R: Sind Sie auch standesamtlich verheiratet?

BF: Wir haben die Dokumente schon eingereicht und warten auf eine Antwort.

R: Welche Dokumente haben Sie eingereicht.

BF: Mein Mann hat die Dokumente, wir haben sie mitgenommen.

R: Haben Sie Kinder?

BF: Nein.

R: Haben Sie in Österreich Verwandte?

BF: Nein.

R: Haben Sie Bekannte und Freunde in Österreich und wenn ja, wann haben Sie diese kennengelernt?

BF: Nachdem ich nach Österreich kam, wurden die Bekannten meines Mannes meine Bekannten.

R: Mit welchen Verwandten Ihres Mannes haben Sie Kontakt in Österreich?

BF: Mit zwei Schwägerinnen, das heißt, mit den Schwestern meines Mannes, mit meiner Schwiegermutter und wir wünschen auch den Tanten alles Gute, wenn es Feiertage gibt.

R: Leben die Schwägerinnen und die Schwiegermutter in Österreich?

BF: Nein, sie leben in Tschetschenien.

R: Konkret, welchen Kontakt haben Sie zu XXXX und XXXX und deren Kindern, vor allem deren Sohn XXXX ? (Hinweis auf Aussageverweigerungsrecht)

BF: Ich verweigere.

R: Welchen Kontakt haben Sie zu seinen Cousinen XXXX und XXXX ? (Hinweis auf Aussageverweigerungsrecht)

BF: Ich kenne diese Cousinen nicht.

R: Wie stehen Sie zum ISLAMISCHEN STAAT? (Hinweis auf Aussageverweigerungsrecht)

BF: Ich habe keine Ahnung. Ich bin weder dafür noch dagegen. Ich verstehe auch nicht die konkrete Frage.

R: Sind Sie in Österreich und Ihrem Herkunftsland strafgerichtlich unbescholten?

BF: Ja, ich bin unbescholten.

R: Sind sie auf andere Art und Weise mit der österreichischen Rechtsordnung in Konflikt geraten?

BF: Nein.

R: Wurden Sie in Österreich Opfer häuslicher Gewalt?

BF: Ich habe schon über den Vorfall mit der Tante erzählt, als ich mit der Großmutter gelebt habe. In Österreich gibt es keine Probleme.

R: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

BF: Ich möchte abnehmen, aber sonst ist alles gut.

R: Waren Sie vor der Einreise jemals ernsthaft krank?

BF: Nein, außer Grippe hin und wieder nichts.

R: Gab es Probleme bei der Ausreise aus der Russischen Föderation?

BF: Nein, ich habe zumindest nichts gemerkt.

R: Wer organisierte die Ausreise - und wie?

BF: Mein Schwager, der Bruder meines Mannes. Er hat alles organisiert. Er hat mich hierher geschickt. Wie er das gemacht hat weiß ich nicht.

R: Beschreiben Sie die Ausreise - mit wem, in welchem Verkehrsmittel...!

BF: Von XXXX bin ich mit einem Bus hierhergereist. Das ist alles.

R: Sind Sie in dem Bus auf der Rückbank gesessen oder wo sind Sie gewesen?

BF: Ich war hinten beim Fenster, nicht beim Chauffeur.

R: Welche anderen Reisen haben Sie bisher allein unternommen?

BF: Nach XXXX bin ich gefahren, zu meiner Mutter. Ansonsten war ich nirgends.

R: Wie kann es sein, dass Sie mit Ihrer Schulbildung in einem Bus ausreisen, aber nicht angeben können, durch welche Staaten Sie gereist sind?

BF: Ich hatte Angst und ich habe nicht immer den Reiseweg verfolgt. Das war das erste Mal und es war keine Reise nach XXXX , diesen Weg hätte ich erkannt.

R: Sie gaben in der Erstbefragung an, dass Sie zu Ihrem Mann nach XXXX reisen wollten. Wie hatten Sie von der Russischen Föderation aus Kontakt mit ihm?

BF: Ich bin nicht gleich nach XXXX gekommen. Der Fahrer hat mich dann in ein Taxi einsteigen lassen. Ich hatte kein Telefon mit, aber ich hatte die Telefonnummer meines Mannes mit. Ich habe dann einen Asylantrag gestellt und gleich die Telefonnummer meines Mannes angegeben. Man hat meinen Mann angerufen und dieser ist dann gleich gekommen.

R wiederholt die Frage.

BF: Wir haben uns über das Internet kennengelernt, das kommt ja vor. Er hat das alles seiner Mutter erzählt und seine Mutter ist zu uns gekommen. Ich war schon in einem Alter, in dem man heiraten sollte und ich denke, das war einfach Schicksal.

R: Fragewiederholung.

BF: Wir haben uns über das Portal XXXX kennengelernt, haben dann die Telefonnummern ausgetauscht und standen weiter über WhatsApp in Kontakt und gesehen haben wir uns über Skype.

R: Warum haben Sie dann Ihr Mobiltelefon nicht mitgenommen, wenn Sie damit mit Ihrem Mann in Kontakt standen?

BF: Gemäß unserer Mentalität war ich schon seine Frau. Ich habe das gemacht, was man mir gesagt hat.

R: Fragewiederholung.

BF: Man hat mir gesagt, dass ich einsteigen soll und fahren soll. Ich dachte nicht, dass ich noch Fragen stellen soll.

R: Erklären Sie mir, warum Sie Ihre Sozialversicherungskarte mitnehmen und nicht Ihr Handy.

BF: Man hat mir gesagt, dass ich mein Mobiltelefon nicht mitnehmen soll und ich habe keine Fragen gestellt.

R: Wer hat Ihnen das gesagt?

BF: Mein Schwager, er hat alles organisiert.

R: Können Sie Belege dafür vorlegen, wie Sie Ihren Mann über Internet kennengelernt haben und mit Ihm in Kontakt standen?

BF: Nein, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich das aufgehoben, aber ich habe meinen Account schon gelöscht.

R: Meinen Sie den Account von XXXX ?

BF: Ja, und ich habe auch keine Screenshots.

R: Sie lernten XXXX persönlich erst in Österreich kennen. Ist das korrekt?

BF: Ja.

R: Beschreiben Sie mir das erste Zusammentreffen mit Ihrem Mann in Österreich!

BF: Ich war sowieso in Panik. Ich war sehr müde und wollte eigentlich gar nicht, dass er mich in diesem Zustand sieht. Ich war sehr aufgeregt. Ich hatte auch Angst, dass man mich zurückschicken könnte. Es waren viele Emotionen in mir, deshalb konnte ich meine Freude nicht so ausdrücken, wie ich es wollte.

R: Beschreiben Sie mir, wie und wo Sie ihn getroffen haben.

BF: In XXXX . Er hat mich abgeholt. Ich durfte gleich mit ihm fahren. Man hat mir gesagt, dass dort ohnehin kein Platz mehr wäre.

R: Beschreiben Sie mir das Treffen mit ihm.

BF: Ich war dort im Warteraum, wurde dort erkennungsdienstlich behandelt. Meine Fingerabdrücke wurden abgenommen und ein Foto gemacht. Mir wurde auch etwas zum Essen und Trinken angeboten. Dann ist er gekommen. Nach der Einvernahme sind wir nach Hause gefahren. Damals hieß es zu ihm und nicht nach Hause.

R: Sie stellten den Asylantrag am 21.01.2016, Ihr Mann begleitete Sie dabei nicht. Am 27.01.2016 stellte Ihr Mann den Antrag, dass Sie bei ihm im Privatquartier leben. Gemeldet waren Sie dort erst ab 01.03.2016. Wo haben Sie bis dahin gelebt?

BF: Ich lebte ab dem ersten Tag bei meinem Mann.

R: Sie gaben bei der Erstbefragung an, seit XXXX mit Ihrem Mann verheiratet zu sein. Wie haben Sie geheiratet?

BF: Bei uns ist das so, dass derjenige nicht unbedingt anwesend sein muss. Unsere Religion erlaubt das. Der Mufti oder Mullah ruft ihn an und fragt ihn und mich und dann wird die Ehe geschlossen.

R: Sie gaben am 28.11.2017 an, dass Sie Ihren Mann über Internet geheiratet haben. Wie geht das?

BF: Nein, wir haben uns per Internet kennengelernt.

R: Warum war Ihr Mann nicht bei der Eheschließung?

BF: Weil er hier lebte. Er hat sich vom russischen Staat losgesagt, deswegen.

R: Beschreiben Sie die Eheschließung genau! Wie ist diese abgelaufen?

BF: Mein Onkel hat die Erlaubnis erteilt. Zuerst wurde ich gefragt und dann er, ob er mit der Ehe einverstanden ist. Nachdem ich gesagt habe, dass ich einverstanden bin, wurde ein islamisches Gebet gelesen und die Ehe galt dann als abgeschlossen.

R: Wo fand denn die Eheschließung statt?

BF: Ich war bei meinem Onkel. Ich war dort und er war hier und er wurde angerufen. Sein Bruder war bei uns als Vertreter und so wurde die Ehe geschlossen.

R: Wer war sonst noch dabei, außer Ihrem Onkel und dem Bruder Ihres Mannes?

BF: Meine Schwägerin, sprich die Schwester meines Mannes und die Frau meines Onkels.

R: Gab es kein Fest?

BF: Nein.

R: Warum nicht?

BF: Weil der Vater meines Mannes gestorben ist und auch meine Großmutter ist verstorben. Bei uns macht man keine Feier innerhalb eines Jahres nach einem Todesfall. Als das Jahr zu Ende war, haben wir uns getroffen und wir haben miteinander gegessen.

R: Wer hat sich da getroffen?

BF: Die Hochzeit war am XXXX . Meine Großmutter ist 2014 gestorben. Nachdem ein Jahr vergangen ist, gab es erst die Hochzeit.

R wiederholt die Frage.

BF: Ich bin in das Haus meines Mannes gekommen. Dort wurde ich von meiner Schwiegermutter erwartet. Am ersten Tag gab es sozusagen eine Feier, da waren die Verwandten dabei, aber es gab kein Hochzeitskleid und keinen Bankettsaal.

R: Mit wem haben Sie wo seit XXXX gelebt?

BF: Ich habe im Haus meines Mannes gelebt, mit seiner Mutter.

R: In der Erstbefragung gaben Sie auf die Frage nach dem letzten Wohnort an, dass Sie in Russland in der XXXX lebten, in der Einvernahme, dass Sie dort nur bis 2014 lebten, danach aber bei einem Onkel väterlicherseits in XXXX . Warum geben Sie dann in der Erstbefragung eine andere Adresse an?

BF: Bis zum Jahr 2014 habe ich an der ersten Adresse mit meiner Großmutter gelebt und nach ihrem Tod in XXXX , dann mit meiner Schwiegermutter. Ich hatte ein interessantes Leben. (Im Zuge der Rückübersetzung: Das waren alle Etappen meines Lebens.)

R: Sie gaben in der Einvernahme an, dass Sie nach der Eheschließung 2015 bei der Familie Ihres Mannes in XXXX in der XXXX , Hausnummer unbekannt lebten. Warum wissen Sie die Hausnummer von ihrem Wohnort bis 2014, aber nicht die Hausnummer Ihres letzten Wohnortes?

BF: Damals habe ich mich an die Nummer nicht erinnern können, aber es ist kein Problem, diese Nummer in Erfahrung zu bringen.

R wiederholt die Frage.

BF: Ich habe zuerst in einem privaten Haus gelebt und die Familie meines Mannes hat in einer Wohnung gelebt, auf der zweiten Ebene (in Österreich ist das der erste Stock).

R: Haben Sie jemals versucht, legal nach Österreich einzureisen?

BF: Nein.

R: Warum nicht?

BF: Ich habe nur abgewartet, bis alles organisiert wird und bis ich hierher geschickt wurde. Ich hatte keine Ahnung, wie das passieren sollte.

R: Wie geht es Ihren Verwandten und denen Ihres Mannes?

BF: Die Schwiegermutter ist krank, sie leidet unter XXXX . Hin und wieder leidet sie unter einem XXXX , aber ansonsten ist alles gut.

R: Wovon leben sie?

BF: Meine Schwiegermutter bekommt eine Pension aus Altersgründen und der Bruder meines Mannes arbeitet.

R: Wie halten Sie von Österreich aus mit Ihrer Schwiegerfamilie Kontakt?

BF: Über WhatsApp.

R: Was spricht dagegen, das Familienleben mit XXXX in der Russischen Föderation fortzuführen?

BF: Das wäre für mich kein Problem, wenn mein Mann dort wäre.

R: Sie gaben in der Einvernahme an, dass es "eine Schande für Sie oder für Frauen" sei, getrennt von ihrem Mann zu leben. Was heißt das?

BF: Ja. Eine Scheidung oder eine Trennung das gehört nicht zu meinen Plänen. Ich möchte ein normal funktionierendes Familienleben.

R: Wurden Sie aufgrund Ihrer Rasse verfolgt?

BF: Nein.

R: Wurden Sie aufgrund Ihrer Nationalität verfolgt?

BF: Nein.

R: Wurden Sie aus religiösen Gründen verfolgt?

BF: Nein.

R: Haben Sie sich im Herkunftsland politisch betätigt und/oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder Bewegung?

BF: Nein.

R: Wurden Sie verfolgt, weil Sie sonst einer bestimmten sozialen Gruppe angehören?

BF: Nein.

R: Wurden Sie verfolgt, weil Sie eine Frau sind?

BF: Nein.

R: Warum sind Sie aus der Russischen Föderation ausgereist?

BF: Ich bin zu meinem Mann gekommen.

R: Hatten Sie in der Russischen Föderation sonst jemals Probleme mit staatlichen Behörden (zB der Polizei) Ihres Herkunftslandes?

BF: Nein.

R: Was würde Sie im Falle einer Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat konkret erwarten?

BF: Ich will nicht alleine zurück. Was würde mich dort erwarten? Ich weiß das gar nicht. Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll.

R: Was würde passieren, wenn Sie zu Ihrer Mutter nach XXXX , zu Ihrem Vater nach XXXX oder zu Ihrer Schwiegerfamilie nach XXXX ziehen würden?

BF: Es würde nichts passieren, aber ich will nicht. Ich habe nicht meine Verwandten geheiratet.

R: Sie gaben erstmals in der Beschwerde an, dass die Gläubiger Ihrer Tante wollten, dass Sie ihre Schulden durch sexuelle Gefälligkeiten begleichen. Warum erst in der Beschwerde, Ihrem männlichen Anwalt gegenüber?

BF: Ich habe meinem Mann nichts darüber erzählt, weil ich Angst hatte, dass er dann eine Scheidung will. Als ich dann die negative Entscheidung bekommen habe, habe ich meinem Mann das gesagt, damit man mich nicht zurückschickt. Mein Mann hat das meinem Anwalt erzählt. Bei der zweiten Einvernahme habe ich das der Dolmetscherin gesagt und die Dolmetscherin hat gesagt, dass das keinen Bezug zur Sache hat. Ich glaube, dass die Dolmetscherin das nicht übersetzt hat.

R: Es wurde Ihnen das Protokoll der Einvernahme rückübersetzt. Warum haben Sie nicht angemerkt, dass das nicht protokolliert wurde?

BF: Die Dolmetscherin hat bei der zweiten Einvernahme gesagt, dass das keinen Bezug zur Sache hätte und dann habe ich nicht mehr auf die Protokollierung bestanden.

R: Wer waren die Gläubiger Ihrer Tante?

BF: Das waren viele Leute, nicht einer oder zwei, sondern 10 oder so.

R: Wem schuldeten Sie die sexuellen Gefälligkeiten?

BF: Die Leute haben mich bedroht und haben mich gefragt, ob ich keine Angst davor hätte. Ich habe mich um die Großmutter gekümmert. Ich musste ihr die Windeln wechseln. Die Großmutter hat mir sehr leid getan, ich konnte von dort nicht weg.

R: Ihre Großmutter ist 2014 gestorben. Was war danach? Gab es danach Bedrohungen?

BF: Dann bin ich von dort weggefahren. Wir haben das Haus gemietet gehabt und mussten Geld dafür bezahlen. Dann haben wir das Haus zurückgegeben. Im Haus meines Großvaters habe ich keine Angst gehabt, obwohl die Leute auch ein paar Mal dorthin kamen.

R: Passierte Ihnen etwas im Haus Ihres Großvaters 2014 bis 2015?

BF: Nein.

R: Warum sollten Ihre Verfolger von Ihnen ablassen, nur, weil Sie jetzt bei Ihrem Großvater lebten?

BF: Ich habe Ihnen schon gesagt, dass im Haus meiner Großmutter keine Männer waren, sie hatte keinen Sohn und keinen Mann. Es waren dort keine Männer, die uns beschützen hätten können. Die Leute sind auch dort hingefahren. Sie haben aber nicht mit mir gesprochen. Die Sachen wurden entweder von meinem Großvater oder meinem Onkel geregelt.

R: Warum haben Sie sich in der Zeit, während Sie bei Ihrer Großmutter gelebt haben, nicht an Ihren Onkel, Ihren Großvater oder Ihren Bruder um Hilfe gewandt?

BF: Mein Bruder ist um drei Jahre jünger als ich. Er wurde von dem Bedroher mehrfach zusammengeschlagen. Meine Eltern sind ja geschieden und mein Vater hatte keinen Kontakt zu uns. Bevor ich zu den Verwandten meines Vaters gefahren bin, haben sie sich für unser Leben auch nicht interessiert.

R: Der Bedroher ist bis nach XXXX gefahren, um Ihren Bruder zu schlagen?

BF: Nein, als ich bei der Großmutter gelebt habe, hat auch mein Bruder bei der Großmutter gelebt. Mein Bruder ist erst nach dem Tod meiner Großmutter nach XXXX übersiedelt.

R: Sie haben gerade vorher gesagt, dass im Haus Ihrer Großmutter kein Mann war und das das Problem war. Sie waren 24 Jahre, als Sie bei der Großmutter ausgezogen sind und Ihr Bruder muss dann 21 gewesen sein. Sie hatten also einen erwachsenen Mann im Haushalt.

BF: Das war ja nicht am Schluss, sondern, als ich 13 oder 15 Jahre alt war. (Im Zuge der Rückübersetzung: Damals hat es begonnen.)

R: Wann haben also diese Probleme aufgehört?

BF: Endgültig hörten die Probleme auf, als ich nach Österreich gekommen bin.

R: Welchen Problemen waren Sie ausgesetzt, als Sie bei Ihrer Schwiegermutter gelebt haben?

BF: Es hat sogar eine Frau meine Schwägerin, sprich die Schwester meines Mannes, angerufen. Sie war sehr aufgeregt, weil ich mit ihr nicht in Kontakt stand und sie sagte meiner Schwiegermutter, dass ich ihren Sohn geheiratet habe, weil ich glaube, dass er reich ist. Das war doch nicht wahr. Das war zynisch. Sie wollte meine Ehe zerstören. Meine Schwiegermutter sagte, dass sie nicht mehr anrufen sollte. Obwohl das für mich beschämend war, habe ich das meiner Schwiegermutter erzählt. Sie hat vorher auch schon ein bisschen etwas gewusst, aber nicht alles. Ich habe ihr dann alles erzählt. Ich habe auch gesagt, dass ich meine Tante niemals unterstützt habe und ich mit den "Sachen" überhaupt nichts zu tun habe.

R: Mit welchen "Sachen" Ihrer Tante?

BF: Sie hat Geld von den Leuten genommen und hat irgendwelche Waren gekauft. Ich habe meiner Schiegermutter gesagt, dass ich nichts damit zu tun hatte.

R: Sie haben mit Ihrer Schwiegermutter ein Gespräch gehabt. Was passierte dann?

BF: Sie hat mich unterstützt. Ich habe ihr gesagt, dass ich damit nichts zu tun hatte. Dann wurde es mir leichter, weil ich keine Geheimnisse mehr hatte. Dann begann das ruhige Leben. Manchmal gab es schon noch Anrufe. Vielleicht verschweigt die Schwiegermutter etwas vor mir, um mich nicht zu traumatisieren, weil ich seither Angst habe, wenn jemand an der Tür klopft. Es hat auch Anrufe an die Schwiegermutter gegeben, aber sie hat mir nichts davon gesagt.

R: Woher wissen Sie dann davon?

BF: Mein Mann hat mir gesagt, dass es Anrufe an meine Schwiegermutter gegeben hat und dass sie mir nichts davon sagen wollte.

R: Haben Sie sich jemals an die Behörden gewandt?

BF: Nein.

R: Haben Sie sich jemals an Ihren Großvater als Familienoberhaupt gewandt?

BF: Nein. Vorher haben sie sich auch für mich nicht wirklich interessiert.

R: Haben Sie sich jemals an Ihre Mutter um Hilfe gewandt?

BF: Meine Mutter wusste von der Geschichte Bescheid. Die Leute sind auch zu ihr nach XXXX gekommen und sie haben ihr gedroht, dass ihren Kindern etwas passieren wird und sie hat auch Geld bezahlt.

R: Wer sind diese Leute?

BF: Manche Leute stammen aus dem Dorf in dem meine Großmutter gelebt hat. Es gab eine Frau in der Schule, die mich immer nach meiner Tante in der Schule gefragt hat. Die anderen Schüler haben mich immer gefragt, warum diese Frau mich fragt, und das war peinlich für mich. Einige Leute habe ich gekannt, andere habe ich nicht gekannt, ich wusste nicht, woher sie kommen.

R: Warum haben Sie das weder in der Erstbefragung, noch beim Bundesamt (Ihr Mann war nicht dabei) angegeben? Sie konnten es ja auch seiner Mutter erzählen.

BF: Ich habe das - wie gesagt - erzählt und die Frau dort hat gesagt, dass das ja nur die Tante betrifft. Bei der ersten Einvernahme habe ich geglaubt, dass der Grund, dass ich hierher zu meinem Mann gekommen bin und eine Familie gründen will, ausreichend ist.

R an RV: Das Vorbringen der sexuellen Gefälligkeiten ist in der Beschwerde enthalten. Das Vorbringen zur Nichtprotokollierung nicht. Warum nicht?

RV: Weil ich diese Information nicht hatte.

R: Hatten Sie kein Gespräch mit der BF vor der Beschwerdeerhebung?

RV: Doch, die BF und ihr Mann waren dabei. Dabei erzählten sie von den Schulden der Tante aber nichts von der Nichtprotokollierung.

R: Ich gehe davon aus, dass Sie im Hinblick auf das Neuerungsverbot sehr wohl nachgefragt haben, warum die BF das bisher nicht angegeben hat.

RV: Das ist im Schriftsatz enthalten. Der Grund ist, dass die BF nicht riskieren wollte, dass sich ihr Mann von ihr trennt.

R: Sie haben gesagt, dass Sie sich vor dem Klopfen an Türen fürchten. Waren Sie in Österreich jemals in psychotherapeutischer Behandlung?

BF: Nein, ich mache nur eine hormonelle Behandlung.

R: Welche hormonelle Behandlung brauchen Sie?

BF: Weil ich einen erhöhten Hormonspiegel betreffend männlicher Hormone habe. Das ist die Folge des Stresses und der Depressionen, die ich erleiden musste.

R: Haben Sie die Behandlung erst in Österreich angefangen?

BF: Ja.

R: Welche Folge hat das, wenn das nicht behandelt wird? Geht es da nur um einen Kinderwunsch oder um gesundheitliche Beeinträchtigungen?

BF: Erstens ist das ein frauenspezifisches Gesundheitsproblem, das sich auf die Monatsblutung auswirkt. Das zweite ist das Kind und das dritte ist die Gewichtszunahme.

R: Durch die Hormone haben Sie zugenommen?

BF: Ja. Ich wusste das nicht, aber mein Arzt hat das bestätigt.

RV: Sie sagten, der Großvater oder der Onkel haben das geregelt. Heißt das, dass es bei der Rückkehr die Probleme mit den Gläubigern der Tante nicht mehr gibt?

BF: Die Leute sind auch dorthin gekommen, aber ich hatte nicht so große Angst wie zuvor. Für mich war es aber trotzdem beschämend, weil es meine Tante war.

RV: Sind die Schulden der Tante jetzt getilgt oder nicht?

BF: Nein, die Schulden gibt es nach wie vor.

RV: Wissen Sie, was der Aufenthaltsstatus Ihres Mannes ist?

BF: Er hatte bis vor kurzem noch einen grauen Pass und jetzt hat er eine Karte, das ist wie ein Visum.

RV: Das heißt, er hat Asyl, das heißt auch, dass er in Russland nicht leben kann.

BF: Mit ihm schon.

RV: Aber er kann nicht.

BF: Sie wissen ja selbst, welchen Status er hat.

R: Er hat keinen Asylstatus mehr.

RV: Warum haben Sie nach dem Tod der Großmutter nicht - wie Ihr Bruder - bei Ihrer Mutter gelebt?

BF: Ich wollte nicht nach XXXX . Ich wollte dort ein ruhiges Leben führen. Die Leute sind ja auch dorthin gefahren.

RV: Keine weiteren Fragen."

Der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin, XXXX , machte als Zeuge in der auf Russisch durchgeführten Einvernahme folgende Angaben:

"R: Bitte geben Sie Ihren vollen Namen, ihr Geburtsdatum und ihre Staatsangehörigkeit an.

Z: Ich heiße XXXX . Ich wurde am XXXX geboren. Ich bin Staatsangehöriger der Russischen Föderation.

R: In welcher Beziehung stehen Sie zur BF?

Z: Nach der Tradition ist sie meine Frau. In Österreich gilt sie als meine Freundin.

R: Möchten Sie in der Beschwerdesache Ihrer Lebensgefährtin eine Aussage machen?

Z: Ja.

R: Welche Sprachen sprechen Sie?

Z: Ich spreche Russisch, Inguschetisch, ein bisschen Ukrainisch, ein bisschen Jugoslawisch, weil ich mit "Jugos" arbeite. Ich kann natürlich auch Deutsch, aber medizinische und juristische Ausdrücke kann ich nicht.

R: Wünschen Sie die Verdolmetschung in die Sprache Russisch?

Z: Wenn möglich ja.

[...]

R: Sie stellten Ihren Asylantrag am 20.11.2004 als XXXX . Warum?

Z: Ich dachte, dass man mich zurückschickt in die XXXX . Ich war mit meiner Familie hier. Das war vor 16 Jahren ungefähr. Ich habe das damals so gesagt.

R: Sie legten in der Einvernahme am 23.11.2005 Kopien von zwei Seiten Ihres Inlandsreisepasses und ein Schreiben in Russischer Sprache vor. Warum erst zu diesem Zeitpunkt?

Z: Damals hat es kein WHATSAPP oder VIBER gegeben. Das Internet war damals noch nicht so verbreitet. Es hat Probleme mit dem Internet gegeben. Damals war alles zerstört und meine Mutter konnte mir nicht alles schicken.

R: Wo ist Ihr Inlandsreisepass?

Z: 2007 habe ich den Pass in der XXXX oder Russland verloren. Ich habe den Pass überall gesucht. Bis jetzt habe ich ihn nicht gefunden.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten