TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/3 W237 2149896-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.01.2020
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Entscheidungsdatum

03.01.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W237 2149896-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch XXXX , gegen die Spruchpunkte I. und II. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 09.09.2019, Zl. 1067699504-190830498, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 68 Abs. 1 AVG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 68 Abs. 1 AVG stattgegeben und der Bescheid in diesem Umfang behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 13.08.2019 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Zu diesem wurde er am selben Tag unter Angabe seiner Personendaten, seinen Aufenthalten in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und seinen wesentlichen Verfolgungsgründen polizeilich erstbefragt.

Am 21. und 28.08.2019 fanden Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt, in denen der Beschwerdeführer zu den Gründen für seine erneute Antragstellung sowie seinen persönlichen und verwandtschaftlichen Verhältnissen sowohl im Bundesgebiet als auch in Somalia näher befragt wurde.

2. Mit Bescheid vom 09.09.2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück und trug dem Beschwerdeführer gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 auf, ab 13.08.2019 in einem näher genannten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt III.).

3. Der Beschwerdeführer erhob gegen die Spruchpunkte I. und II. dieses Bescheids über seinen zur Vertretung im Beschwerdeverfahren bevollmächtigten Rechtsberater Beschwerde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte diese samt Verfahrensakt dem Bundesverwaltungsgericht am 23.09.2019 vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Somalias, bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und spricht Somali als Muttersprache sowie etwas Englisch. Er ist ledig und hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer wurde in einem somaliländischen Dorf in der Region Togdheer im Distrikt XXXX geboren und ist dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen elf Geschwistern aufgewachsen. Er besuchte vier Jahre die Schule und arbeitete nebenbei als Frisör. Bis zu seiner Ausreise lebte er mit seinen Eltern und seinen elf Geschwistern in seinem Heimatdorf in einem Haus.

Er gelangte im Mai 2015 ins Bundesgebiet und stellte am 08.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, dass er dem Minderheitenclan der Madhibaan angehöre. Sein Vater habe eine Autowerkstatt betrieben und sei von den anderen Clans in seinem Heimatort aufgefordert worden, diese zu räumen. Da sich sein Vater geweigert habe, sei er überfallen und der Onkel des Beschwerdeführers umgebracht worden. Der Vater des Beschwerdeführers habe daraufhin das Heimatdorf verlassen. Der Beschwerdeführer und sein ältester Bruder hätten bei der Polizei eine Anzeige erstattet. Die Polizei habe jedoch dem gleichen Clan der Angreifer angehört, weshalb diese nichts unternommen habe. Eines nachts sei dann die Familie des Beschwerdeführers überfallen worden. Sein Bruder habe dabei einen Mann vom anderen Clan verletzt, der an den Folgen gestorben sei. Deshalb sei auch der Bruder des Beschwerdeführers geflüchtet. Am nächsten Tag sei der Beschwerdeführer von der Polizei festgenommen worden. Schließlich sei er bei einem Angriff auf das Gefängnis geflohen. Seine Mutter und seine zehn Geschwister würden nunmehr in Äthiopien leben.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 14.02.2017 vollinhaltlich ab, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia fest. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 20.11.2018 vollinhaltlich ab.

Der Beschwerdeführer reiste in der Folge nach Deutschland weiter, von wo er am 13.08.2019 nach Österreich rücküberstellt wurde. Am selben Tag stellte er den nunmehr gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, dass sich an seinen Fluchtgründen nichts geändert habe. Es sei insofern etwas Neues passiert, als sein Onkel im Dezember 2018 aufgrund der Flucht des Beschwerdeführers umgebracht worden sei. Täter sei ein Mann jenes Clans, vor dem der Beschwerdeführer habe fliehen müssen. All diese Probleme hätten sich durch seinen Vater ergeben. Seine gesamte Familie sei in Äthiopien.

1.2. Die Situation in Somalia, insbesondere Somaliland, stellte sich im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (September 2019) in Hinblick auf die wirtschaftlichen Strukturen, die Grundversorgung sowie die humanitäre Lage in Somalia folgendermaßen dar:

Wirtschaft und Arbeit

Generell erholt sich die somalische Wirtschaft weiterhin von der Dürre der Jahre 2016 und 2017. Das Wirtschaftswachstum lag 2017 bei 2,3% (UNSC 21.12.2018, S.4), 2018 bei ca. 2,8% (UNSC 15.8.2019, Abs.22) und wird vom Internationalen Währungsfonds für 2019 und 2020 auf jeweils 3,5% prognostiziert. Das Wachstum hat sich also erholt, die Inflation wurde gebremst und das Handelsdefizit reduziert. Zur wirtschaftlichen Erholung beigetragen haben gute Regenfälle und wachsende Remissen (BLO 27.2.2019), die Erstarkung des Agrarsektors, die Konsolidierung von Sicherheit und die Zunahme privater Investitionen und von Geldflüssen aus Geberländern (UNSC 21.12.2018, S.4). Eine der Triebfedern der wirtschaftlichen Entwicklung ist also die Diaspora, welche begonnen hat, in Somalia (v.a. Mogadischu und die Hauptstädte der Bundesstaaten) zu investieren (BS 2018, S.5). Auch zahlreiche Agenturen der UN (etwa UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) sind tatkräftig dabei das Land wiederaufzubauen (ÖB 9.2016, S.23).

Allerdings hat sich das BIP pro Kopf seit 2013 von 316 US-Dollar auf 313 US-Dollar verringert, da die Bevölkerung schneller wächst als das BIP (UNSC 15.8.2019, Abs.22; vgl. UNSC 21.12.2018, S.4). Das Wirtschaftswachstum ist für die meisten Somalis zu gering, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern würde (UNSC 21.12.2018, S.4). Außerdem behindern al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure kommerzielle Aktivitäten in Bakool, Bay, Gedo und Hiiraan und unterbinden die Leistung humanitärer Hilfe (USDOS 13.3.2019, S.21). Folglich gehört Somalia auch weiterhin zu den ärmsten Ländern der Erde. Bei den gängigen Indikatoren zur Messung der wirtschaftlichen Entwicklung (BSP, Lebenserwartung, Mütter- und Kindersterblichkeit) liegt Somalia zumeist auf den letzten Plätzen. In Puntland ist die Situation besser (AA 5.3.2019a). Insgesamt sind zuverlässige Daten zur Wirtschaft unmöglich zu erhalten bzw. zu verifizieren (ÖB 9.2016, S.2).

Staatshaushalt: Aufgrund der fehlenden Kontrolle über das Territorium - aber auch hinsichtlich technischer Fähigkeiten - war die Regierung bisher nicht in der Lage, ein nationales Steuersystem aufzubauen. Selbst für grundlegende Staatsausgaben ist das Land auf externe Geber angewiesen; ca. 46% der Staatsausgaben entfallen auf die nationale Sicherheit (BS 2018, S.36). Die staatlichen Steuereinnahmen nehmen zu, die Finanzverwaltung wird besser und das Vertrauen der Wirtschaft wächst (SRSG 13.9.2018, S.2; vgl. UNSC 21.12.2018, S.5). Durch Verbesserungen bei der Finanzgebarung hat Somalia nunmehr das Potenzial, einen weiter positiven makroökonomischen Kurs einzuhalten und Raum für Investitionen über konzessionäre Darlehen zu schaffen (AA 5.3.2019a). Das Budget für 2019 wird mit 340 Mio. US-Dollar veranschlagt, im Jahr 2018 waren es ca. 277 Mio. 56% des Budgets stammen aus eigenen Einnahmen, 44% werden von Gebern beigesteuert (UNSC 21.12.2018, S.5).

Arbeit / Lebensunterhalt: Es gibt kein nationales Mindesteinkommen (USDOS 13.3.2019, S. 37). Zugang zu Bildung und Arbeit stellt in vielen Gebieten eine Herausforderung dar (ÖB 9.2016, S.18), auch wenn in Puntland und Teilen Südsomalias - insbesondere Mogadischu - der tertiäre Bildungsbereich boomt (BS 2018, S.32). Der Wirtschaft ist es nicht gelungen, ausreichend Beschäftigung zu schaffen - v.a. für Frauen und Junge (UNSC 21.12.2018, S.47). In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund ab (BS 2018, S.30). Aufgrund des Fehlens eines formellen Banksystems ist die Schulden-Kredit-Beziehung (debt-credit relationship) ein wichtiges Merkmal der somalischen Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei spielen Vertrauen, persönliche und Clan-Verbindungen eine wichtige Rolle - und natürlich auch der ökonomische Hintergrund. Es ist durchaus üblich, dass Kleinhändler und Greissler anschreiben lassen (RVI 9.2018, S.4).

Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar (BS 2018, S.26). Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig (UNOCHA 31.7.2019, S.2; vgl. OXFAM 6.2018, S.4). Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8%). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1%). 6,9% arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8% als Handwerker, 4,7% als Techniker, 4,1% als Hilfsarbeiter und 2,3% als Manager (UNFPA 8.2016b).

Studien darüber, wie Menschen in Mogadischu ihren Lebensunterhalt bestreiten, haben sich auf die am meisten vulnerablen Gruppen der Stadt konzentriert: Auf IDPs und Arme (urban poor). Für diese Gruppen ist es charakteristisch, dass sie humanitäre Unterstützung erhalten. Sie stellen etwa 20% der Bevölkerung von Mogadischu. Diese Gruppen profitieren nur zu einem äußerst geringen Anteil von Remissen (2% der Befragten; somalische Gesamtbevölkerung: 30%). Die Männer dieser Bevölkerungsgruppen arbeiten oft im Transportwesen, am Hafen und als Bauarbeiter; Frauen arbeiten als Hausangestellte. Eine weitere Einkommensquelle dieser Gruppen ist der Kleinhandel - v.a. mit landwirtschaftlichen Produkten. Zusätzlich erhalten sie Nahrungsmittelhilfe und andere Leistungen über wohltätige Organisationen (LI 1.4.2016, S.10). NGOs und der Privatsektor bieten den Menschen grundlegende Dienste - vor allem in urbanen Zentren (OXFAM 6.2018, S.4).

Von in der Reintegrationsphase befindlichen ehemaligen Angehörigen der al Shabaab wurden im September 2017 folgende Berufe genannt:

Köhler; Hilfsarbeiter am Bau in Dayniile (10 Tage pro Monat; 10 US-Dollar pro Tag); Koranlehrer am Vormittag in Dayniile (120 US-Dollar pro Monat); Rickshaw-Fahrer; Transporteur mit einer Eselkarre (10-12 US-Dollar pro Tag); Transporteur mit einer Scheibtruhe (Khalil 1.2019, S.30). Ärzte verdienen im Banadir Hospital 1.500-2.000 US-Dollar, Krankenschwestern 400-600 US-Dollar (FIS 5.10.2018, S.36). Generell hat die verbesserte Sicherheitslage in den Städten zu einem Bau-Boom geführt (OXFAM 6.2018, S.4).

Die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, Rückkehrer und andere vulnerable Personengruppen sind limitiert. So berichten Personen, die aus Kenia in Orte in Süd-/Zentralsomalia zurückgekehrt sind, über mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten (USDOS 13.3.2019, S.22f). Eine Arbeit zu finden ist mitunter schwierig, verfügbare Jobs werden vor allem über Clan-Netzwerke vergeben. Auch Unternehmensgründer sind auf den Clan angewiesen. Generell ist das Clan-Netzwerk vor allem außerhalb von Mogadischu von besonderer Relevanz (FIS 5.10.2018, S.22). Männer, die vom Land in Städte ziehen, stehen oft vor der Inkompatibilität ihrer landwirtschaftlichen Kenntnisse mit den vor Ort am Arbeitsmarkt gegebenen Anforderungen (DI 6.2019, S.22f; vgl. OXFAM 6.2018, S.10). Die Zugezogenen tun sich schwer, eine geregelte Arbeit zu finden (OXFAM 6.2018, S.10); außerdem wird der Umstieg von Selbstständigkeit auf abhängige Hilfsarbeit oft als Demütigung und Erniedrigung gesehen. Darum müssen gerade IDPs aus ländlichen Gebieten in die Lage versetzt werden, neue Fähigkeiten zu erlernen, damit sie etwa am informellen Arbeitsmarkt oder als Kleinhändler ein Einkommen finden. Dies geschieht auch teilweise (DI 6.2019, S.22f). Generell finden Männer unter anderem auf Baustellen, beim Graben, Steinebrechen, Schuhputzen oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Ein Großteil der Tätigkeiten ist sehr anstrengend und mitunter gefährlich. Außerdem wird von Ausbeutung und Unterbezahlung berichtet (OXFAM 6.2018, S.10).

Arbeitslose: Seitens der Regierung gibt es für Arbeitslose keinerlei Unterstützung (LI 1.4.2016, S.11). In einer Studie von IOM aus dem Jahr 2016 gaben arbeitslose Jugendliche (14-30 Jahre) an, in erster Linie von der Familie in Somalia (60%) und von Verwandten im Ausland (27%) versorgt zu werden (IOM 2.2016, S.42f). Insgesamt ist das traditionelle Recht (Xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- (SEM 31.5.2017, S.5/32f; vgl. GIGA 3.7.2018) bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (diya-zahlende Gruppe; auch Jilib) helfen sich bei internen Zahlungen - z.B. bei Krankenkosten - und insbesondere bei Zahlungen gegenüber Außenstehenden aus (GIGA 3.7.2018). Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder - je nach Ausmaß - an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, S.9/32ff).

Arbeitslosenquote: Die Arbeitslosenquote ist landesweit hoch (USDOS 13.3.2019, S.23), wobei es zu konkreten Zahlen unterschiedlichste

Angaben gibt: Laut einer Quelle liegt die Erwerbsquote (labour force participation) bei Männern bei 58%, bei Frauen bei 37% (UNSC 21.12.2018, S.4). Eine weitere Quelle erklärt im August 2016, dass 58% der männlichen Jugendlichen (Altersgruppe 15-35) ökonomisch aktiv sind, während drei von zehn Jugendlichen arbeitslos sind (UNFPA 8.2016a, S.4). In einer anderen Quelle wird die Arbeitslosenrate für 2016 mit 6,6% angeführt (BS 2018, S.25). Wieder eine andere Quelle nennt für 2012 eine Jugendarbeitslosigkeit von 67% bei 14-29jährigen (DI 6.2019, S.22). Eine weitere Quelle nennt bei 15-24jährigen eine Quote von 48% (OXFAM 6.2018, S.22FN8). Bei einer Studie aus dem Jahr 2016 gaben hingegen nur 14,3% der befragten Jugendlichen (Mogadischu 6%, Kismayo 13%, Baidoa 24%) an, gegenwärtig arbeitslos zu sein. Dies kann auf folgende Gründe zurückzuführen sein: a) dass die Situation in diesen drei Städten anders ist, als in anderen Teilen Somalias; b) dass die wirtschaftliche Entwicklung seit 2012 die Situation verbessert hat;

c) dass es nun mehr Unterbeschäftigte gibt; d) dass die Definition von "arbeitslos" unklar ist (z.B. informeller Sektor) (IOM 2.2016).

In einer eingehenden Analyse hat UNFPA im Jahr 2016 Daten zur Ökonomie in der somalischen Gesellschaft erhoben. Dabei wird festgestellt, dass nur knapp die Hälfte der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter (15-64) überhaupt am Arbeitsleben teilnimmt. Der Rest ist "ökonomisch inaktiv"; in diese Gruppe fallen in erster Linie Hausfrauen, gefolgt von Schüler/Studenten, pensionierten oder arbeitsunfähigen Personen. Bei den ökonomisch Aktiven wiederum finden sich in allen Lebensbereichen deutlich mehr Männer (UNFPA 8.2016b):

• Ländlich: 68,8% der Männer - 40,5% der Frauen

• Urban: 52,6% der Männer - 24,6% der Frauen

• IDP-Lager: 55,2% der Männer - 32,6% der Frauen

• Nomaden: 78,9% der Männer - 55,6% der Frauen (UNFPA 8.2016b)

Remissen: Für viele Haushalte sind Remissen aus der Diaspora eine unverzichtbare Einnahmequelle (FIS 5.10.2018, S.22). Laut Schätzungen überweist die Diaspora pro Jahr ca. 1,2 (DI 6.2019, S.5), nach anderen Angaben 1,3 (UNSC 15.5.2019, Abs.20) bzw. 1,4 Milliarden US-Dollar in die Heimat (RVI 9.2018, S.1). Diese Remissen, die bis zu 40% eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausmachen, tragen wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei (BS 2018, S.30) und fördern die Resilienz der Haushalte (DI 6.2019, S.5). Nach einer Angabe empfangen nur 15% der Haushalte Remissen (UNSC 15.5.2019, Abs.20), nach einer anderen Angabe erhalten 40% der Bevölkerung Überweisungen. Städtische Haushalte erhalten viel eher regelmäßige monatliche Remissen, dort sind es 72%. Die durchschnittliche Höhe der monatlichen Überweisungen beträgt 229 US-Dollar (RVI 9.2018, S.1f). IDPs bekommen verhältnismäßig weniger oft Remissen (DI 6.2019, S.28). Auch die Bevölkerung in Südsomalia - und hier v.a. im ländlichen Raum - empfängt verhältnismäßig weniger Geld als jene in Somaliland oder Puntland. Ein Grund dafür ist, dass dort ein höherer Anteil marginalisierter Gruppen und ethnischer Minderheiten beheimatet ist (RVI 9.2018, S.2).

Mindestens 65% der Haushalte, welche Remissen beziehen, erhalten diese regelmäßig (monatlich), der Rest erhält sie anlassbezogen oder im Krisenfall. Remissen können folglich Fluktuationen im Einkommen bzw. gestiegene Ausgaben ausgleichen. Dies ist gerade in Zeiten einer humanitären Krise - etwa jener von 2017 - wichtig. Durch Remissen können Haushalte Quantität und Qualität der für den Haushalt besorgten Lebensmittel verbessern, und ein sehr großer Teil der Überweisungen wird auch für Lebensmittel aufgewendet. Zusätzlich wird in Somalia in Zeiten der Krise auch geteilt. Menschen bitten z. B. andere Personen, von welchen sie wissen, dass diese Remissen erhalten, um Hilfe (RVI 9.2018, S.2f).

UN-HABITAT führt ein Ausbildungsprogramm für Jugendliche in Somalia, namentlich in Kismayo, Garoowe und Mogadischu durch. 400 jungen Frauen und Männern der Altersgruppe 15-35 sollen Kenntnisse im Bauwesen, Wirtschaft, Gründertum und Soft Skills vermittelt werden (UNHABITAT 16.8.2018). Auch der Bürgermeister von Mogadischu hat im Feber 2019 ein Projekt gestartet, bei welchem 400 Jugendliche aus Mogadischu, Baidoa und Kismayo eine Berufsausbildung erhalten sollen. Das Projekt wird von UNDP finanziert (AMISOM 28.2.2019).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019a): Somalia - Wirtschaft, URL, Zugriff 10.4.2019

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AMISOM (28.2.2019): 28 February 2019 - Morning Headlines [Quelle:

Goobjoog News], Newsletter per E-Mail

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BLO - Bloomberg (27.2.2019): IMF Sees Somalia's GDP Growth Accelerating to 3.5% in 2019, URL, Zugriff 13.3.2019

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BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

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DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, URL, Zugriff 9.7.2019

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FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia:

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GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10

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IOM - Internationale Organisation für Migration (2.2016): Youth, Employment and Migration in Mogadishu, Kismayo and Baidoa, URL, Zugriff 9.9.2019

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Khalil - Khalil, James/ / Brown Rory / et.al. / Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (1.2019):

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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

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RVI - Rift Valley Institute / Majid, Nisar / Abdirahman, Khalif / Hassan, Shamsa (9.2018): Remittances and Vulnerability in Somalia, URL, Zugriff 12.9.2019

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SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, URL, Zugriff 21.6.2019

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SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Michael Keating (13.9.2018): Briefing to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

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UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.7.2019): Humanitarian Bulletin Somalia, 1-31 July 2019, URL, Zugriff 22.8.2019

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UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019

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UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

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UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019

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USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

Wirtschaft und Arbeit in Somaliland

Hauptfaktoren der Wirtschaft und des BIP sind Viehzucht und Dienstleistungen (BS 2018, S.31). Der informelle Sektor ist der Hauptpfeiler der Wirtschaft (FH 5.6.2019a, G4). Die gesamten Steuereinnahmen Somalilands betrugen im Jahr 2014 114 Millionen US-Dollar (BS 2018, S.29), wobei es seit 2002 nur zweimal zu einem Budgetdefizit gekommen ist. Der größte Teil des Budgets geht in die Sicherheit (BS 2018, S.36). Somaliländer, die im Ausland an Geld und materielle Ressourcen gekommen sind, kehren zunehmend aus der Diaspora zurück und sind vor allem am wirtschaftlichen Vorankommen des Landes interessiert (ZEIT 22.11.2017). Der Handel und die wirtschaftliche Betätigung insgesamt haben einen spürbaren Aufschwung genommen, von dem jedoch fast ausschließlich die Stadtbevölkerung profitiert (AA 5.3.2019a). Ökonomische Aktivitäten unterliegen kaum staatlichen Regulierungen. Der somaliländische Shilling ist verhältnismäßig stabil (BS 2018, S.27f).

Gemäß verfügbaren Statistiken beträgt die Jugendarbeitslosigkeit in Somaliland mindestens 60% (HD 4.9.2018; vgl. CNN 1.8.2017). Nach anderen Angaben beträgt die Arbeitslosigkeit insgesamt 47,4% (RMMS 7.2016). Generell scheinen zu den Schätzungen unterschiedliche Berechnungsmethoden herangezogen zu werden.

Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (63%). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (15,2%) (UNFPA 6.2016, S.36).

Die Suche nach Arbeitsmöglichkeiten gehört zu den Hauptgründen für Migration (ÖB 9.2016, S.22). Clan-Verbindungen spielen bei der Arbeitssuche eine kritische Rolle (FH 5.6.2019a, F4). Frauen tragen mittlerweile in 48% der Haushalte den Hauptteil zum Familieneinkommen bei (OXFAM 6.2018, S.10).

Der Ausbildungssektor in Somaliland hat sich ständig verbessert. Meist arbeiten hier staatliche Organe, lokale Gemeinden und externe Geber - darunter die Diaspora - zusammen. Private Bildungsanbieter boomen, und es gibt mehrere Universitäten und Colleges (BS 2018, S.32).

Die Organisation Shaqadoon betreibt ein Programm, um Jugendliche auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Sie bietet technische und handwerkliche Ausbildung und hat schon 900 Jugendliche in Borama, Hargeysa, Burco und Berbera ausgebildet. Nach Angaben von Shaqadoon gibt es in Somaliland zwar Arbeitsplätze, doch haben viele Einheimische nicht die erforderlichen Fähigkeiten. Deswegen werden dafür oft ausländische Arbeitskräfte herangezogen (AMISOM 6.3.2019).

Die Regierung hat gemeinsam mit der Weltbank im November 2017 ein Programm gestartet, das rund 3.500 Jobs schaffen soll. Dabei wird in hunderte Betriebe investiert. Der Privatsektor trägt 90% zum BIP bei (WB 1.11.2017). Safe the Children bietet u.a. von der EU finanzierte Ausbildungsmaßnahmen und Arbeitsprogramme für vulnerable Jugendliche. Von 730 Teilnehmern konnten danach 565 eine volle Arbeitsstelle finden (HD 4.9.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019a): Somalia - Wirtschaft, URL, Zugriff 10.4.2019

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AMISOM (6.3.2019): 06 March 2019 - Daily Monitoring Report [Quelle: Radio Ergo], Newsletter per E-Mail

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BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

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CNN (1.8.2017): Somaliland secures record $442m foreign investment deal, URL, Zugriff 23.7.2019

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FH - Freedom House (5.6.2019a): Freedom in the World 2019 - Somaliland, URL, Zugriff 22.7.2019

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HD - Horn Diplomat (4.9.2018): Save the Children and Ministry of Employment and Social affairs host a national youth employment conference in Hargeisa, Somaliland, URL, Zugriff 23.7.2019

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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

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OXFAM / REACH (6.2018): Drought, Displacement and Livelihoods in Somalia/Somaliland. Time for gender-sensitive and protection-focused approaches, URL, Zugriff 24.7.2019

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RMMS - Regional Mixed Migration Secretariat (7.2016): Country Profile - Somalia/Somaliland, ursprüngliche URL, abrufbar nunmehr im Web.Archive unter URL, Zugriff angegeben mit 23.9.2018

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UNFPA (8.2016): Economic Characteristics of the Somali People, URL, Zugriff 24.7.2019

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WB - World Bank (1.11.2017): Somaliland Launches Flagship Job Creation Program, URL, Zugriff 23.7.2019

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ZEIT - Die Zeit (22.11.2017): Der Wahlkampf der Frauen, URL, Zugriff 23.7.2019

Grundversorgung / Humanitäre Lage

Die humanitäre Krise in Somalia bleibt eine der komplexesten und am längsten dauernden weltweit (SRSG 3.1.2019, S.4f). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet (AA 5.3.2019a; vgl. AA 4.3.2019, S.20). Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen und die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia zum Land mit dem fünftgrößten Bedarf an internationaler Nothilfe weltweit (AA 4.3.2019, S.4; vgl. AA 5.3.2019a). Auch der bewaffnete Konflikt trägt seinen Teil dazu bei (SRSG 3.1.2019, S.4f).

Armut: Große Teile der Bevölkerung sind hinsichtlich Armut und Nahrungsversorgung vulnerabel. Eine Schätzung besagt, dass rund 77% der Bevölkerung mit weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag auskommen müssen und daher als extrem arm gelten - insbesondere in ländlichen Gebieten und IDP-Lagern (UNSC 15.5.2019, Abs.20). Nach anderen Angaben leben 69% der Bevölkerung in Armut (USDOS 13.3.2019, S.37), fast einer von drei Somalis lebt in extremer Armut. Dabei finden sich die höchsten Raten bei IDPs, in ländlichen Gemeinden und bei Nomaden (UNSC 21.12.2018, S.4). Es gibt viele IDPs und Kinder, die auf der Straße leben und arbeiten (USDOS 13.3.2019, S.32). Die ländliche Bevölkerung und IDPs befinden sich in der am meisten vulnerablen Position. Erstere verfügen kaum über Mittel, um die durch die Dürre entstandenen Verluste wieder wettzumachen. Dadurch sind sie hinsichtlich neuerlicher Katastrophen wehrlos (UNSC 21.12.2018, S.14).

Hintergrund: 60% der Somali sind zum größten Teil von der Viehzucht abhängig, 23% sind Subsistenz-Landwirte (OXFAM 6.2018, S.4). Zwei Drittel der Bevölkerung leben im ländlichen Raum. Sie sind absolut vom Regen abhängig. In den vergangenen Jahren haben Frequenz und Dauer von Dürren zugenommen. Deswegen wurde auch die Kapazität der Menschen, derartigen Katastrophen zu begegnen, reduziert. Mit jeder

Dürre wurden ihre Vermögenswerte reduziert: Tiere starben oder wurden zu niedrigen Preisen verkauft, Ernten blieben aus; es fehlt das Geld, um neues Saatgut anzuschaffen (TG 8.7.2019). Zusätzlich verstärken Mangel an Bildung, übermäßige Abhängigkeit von einem Einkommen aus der Landwirtschaft, Arbeitslosigkeit, geringes Vermögen und eine große Personenzahl im Haushalt die Vulnerabilität im Fall eines Katastrophen (z.B. Naturkatastrophe) (UNSC 15.5.2019, Abs.20). Bereits 2016/17 wurden im Zuge der Dürre fast eine Millionen Somali vertrieben. Nur aufgrund großangelegter und erfolgreicher humanitärer Hilfe wurde eine Hungersnot verhindert (SLS 12.7.2019; vgl. SRSG 13.9.2018, S.1).

Zwischenzeitlich hatte sich die humanitäre Situation aufgrund guter Regenfälle im Jahr 2018 etwas entspannt (SRSG 3.1.2019, S.4f; vgl. NLMBZ 3.2019, S.49). Die Sicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung hatte sich verbessert (UNSC 21.12.2018, S.14; vgl. USDOS 13.3.2019, S.22) - nicht zuletzt aufgrund fortgesetzter humanitärer Hilfe und aufgrund überdurchschnittlicher Regenfälle (USDOS 13.3.2019, S.22). Trotzdem blieb auch dann die Zahl der auf Hilfe angewiesenen Menschen bei 4,2 Millionen (SRSG 3.1.2019, S.4f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.14).

Aktuelle Lage: Somalia steht wieder vor einem großen humanitären Notfall. Am meisten betroffen sind IDPs und marginalisierte Gruppen (SLS 12.7.2019; vgl. UNOCHA 31.7.2019, S.1). Das Land leidet unter den negativen Folgen unterdurchschnittlicher Regenfälle in der Gu-Regenzeit (April-Juni) 2019 (UNSC 15.8.2019, Abs.38ff). Letztere hat sehr spät eingesetzt. Der gefallene Regen hat die Dürre-Bedingungen zwar etwas entspannt und den Zustand des Viehs etwas verbessert; trotzdem reichte er nicht aus, um die Landwirtschaft nachhaltig zu stärken (UNSC 15.8.2019, Abs.38ff). Am Ende ist die Gu zwar normal oder fast normal ausgefallen; doch war der Niederschlag erratisch und schlecht verteilt. Außerdem kam er um ein Monat später als normal (FAO 19.7.2019, S.1). Bereits zuvor war die Deyr-Regenzeit (Oktober-Dezember) 2018 schlecht ausgefallen und Anfang 2019 war ungewöhnlich trocken. Mit Ausnahme der Gu im Jahr 2018 ist seit Ende 2015 jede Regenzeit unterdurchschnittlich ausgefallen (UNSC 15.8.2019, Abs 38ff).

Versorgungslage / IPC: Die Beurteilung der Versorgungslage richtet sich nach den international standardisierten IPC-Phasen [IPC = Integrated Phase Classification for Food Security], die von 1-moderat bis 5-Hungersnot reichen:

Phase 1 ("Minimal"): Mahr als vier in fünf Haushalten können ihre Nahrungsmittelgrund-versorgung decken, ohne dazu außergewöhnliche, auf die Dauer nicht aufrecht zu erhaltende Anstrengungen für Einkommen bzw. Nahrungsmittelzugang aufwenden zu müssen.

Phase 2 ("Stressed"): Sogar mit humanitärer Unterstützung leidet zumindest einer in fünf Haushalten unter Folgendem oder Schlimmerem:

Minimale adäquate Nahrungsmittelversorgung, Unmöglichkeit essentieller nicht ernährungsbezogener Ausgaben.

Phase 3 ("Crisis"): Sogar mit humanitärer Unterstützung leidet zumindest einer in fünf Haushalten unter Folgendem oder Schlimmerem:

Lücken im Lebensmittelkonsum mit hoher oder überdurchschnittlicher akuter Mangelernährung ODER Mindestnahrungsmittelbedarf nur mit irreversiblen Bewältigungsstrategien wie der Liquidierung von Existenzgrundlagen zu decken.

Phase 4 ("Emergency"): Sogar mit humanitärer Unterstützung leidet zumindest einer in fünf Haushalten unter Folgendem oder Schlimmerem:

große Lücken im Lebensmittelkonsum, was zu einer sehr hohen akuten Unterernährung und einer erhöhten Sterblichkeitsrate führt, ODER Haushalte sehen sich mit einem extremen Verlust an Existenzgrundlagen konfrontiert, der in kurzer Zeit zu Lücken im Lebensmittelkonsum führen wird.

Phase 5 ("Famine"): Zumindest einer in fünf Haushalten leidet unter einem völligen Mangel an Nahrungsmitteln und anderen Grundbedürfnissen, wobei Verhungern, Tod und Elend offensichtlich sind.

Ab IPC 3 ist dringende humanitäre Unterstützung geboten.

Der humanitäre Bedarf in Somalia ist nach wie vor hoch, Millionen von Menschen befinden sich in einer Situation akuter Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung (UNOCHA 31.7.2019, S.1). In Nord- und Zentralsomalia herrschen durchgehend moderate bis große Lücken in der Versorgung. Dort wird für August/September 2019 in einigen Teilen mit IPC 3 und IPC 4 gerechnet. Das gleiche gilt für den Süden, wo aufgrund einer unterdurchschnittlichen Ernte die Lebensmittelpreise steigen werden (FEWS 31.7.2019). Der Preis für Sorghum befindet sich bereits auf einer außergewöhnlichen Höhe (UNOCHA 9.9.2019, S.1). Viele Menschen aus ländlichen Gebieten sind in Städte gezogen, um Zugang zu Hilfsgütern zu erhalten (BAMF 20.5.2019, S.5).

Verarmte Pastoralisten mit kleinen Herden stehen in den nächsten Monaten vor Lücken in der Nahrungsmittelversorgung. Davon sind landesweit auch viele Agropastoralisten und Bauern betroffen. Während der Viehbestand vorübergehend von besserer Weide profitiert, ist in der Landwirtschaft mit einem Ernteausfall von 50% zu rechnen (UNSC 15.8.2019, Abs.38ff) - etwa bei Mais und Sorghum (DEVEX 9.7.2019). Nach neueren Angaben war die letzte Ernte in Südsomalia die schlechteste seit 1995 - 68% unter dem Durchschnitt; im Nordwesten lag sie mit 44% unter dem Durchschnitt (FEWS 2.9.2019a).

Schätzungen zufolge werden bis September 2019 5,4 Millionen Menschen von Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung betroffen sein; davon 3,2 Millionen in IPC-Phase 2 (UNOCHA 14.8.2019) und 2,2 Millionen in den Phasen 3 und 4 (UNOCHA 14.8.2019; vgl. UNSC 15.8.2019, Abs.38ff). Ca. eine Million Kinder unter fünf Jahren werden bis Mitte 2020 vor einer Situation der akuten Unterernährung stehen, 178.000 vor schwerer akuter Unterernährung. Bis zu 2,1 Millionen Menschen werden sich hinsichtlich Nahrungsmittelversorgung in einer Krisensituation finden (IPC >2), 6,3 Millionen werden von einer Versorgungsunsicherheit bedroht sein (UNOCHA 9.9.2019, S.1f; vgl. FEWS 2.9.2019a; STC 3.9.2019). Dieses Szenario gilt dann, wenn die gegenwärtig getätigten humanitären Interventionen nicht verstärkt werden (UNOCHA 9.9.2019, S.1). Mit Stand September 2019 verhindert eine großangelegte humanitäre Hilfe schlimmere Zahlen. Geht die Hilfeleistung zurück, ist von einer Verschlechterung auszugehen. Und auch für den Fall, dass die Deyr-Regenzeit (Oktober-Dezember) besser ausfallen sollte, wird sich dies frühestens Ende Dezember auf die Versorgungslage auswirken (FEWS 2.9.2019a).

Ende des Jahres 2019 war für viele ländliche Gebiete Süd- und Zentralsomalias ein neuerliches Abrutschen in die Versorgungsphasen IPC 3 und 4 zu verzeichnen. Nach aktuellen Lagekarten sind auch weite Teile Somalilands, darunter die Region Togdheer im November und Dezember 2019 mit IPC 3 prognostiziert. Dies gilt auch für IDP-Lager in den größeren Städten.

Humanitäre Hilfe: Die Bundesregierung und Hilfsorganisationen haben einen Drought Impact Response Plan (DIRP) auf die Beine gestellt, damit soll 4,5 Millionen Menschen kritisch notwendige lebenserhaltende Unterstützung zukommen (UNOCHA 31.7.2019, S.1; vgl. SLS 12.7.2019). Mit der Umsetzung wurde bereits begonnen. Die Kosten werden bis Dezember 2019 mit 686 Millionen US-Dollar beziffert. Insgesamt sind die Hilfsprogramme aber unterfinanziert, manche Agenturen müssen ihre Maßnahmen sogar zurückfahren (UNOCHA 31.7.2019, S.1f). Im September 2019 war der DIRP nur zu 50% ausfinanziert (UNOCHA 9.9.2019, S.2). So wurden z.B. im Juni 2019 nur 1,4 Millionen Menschen mit Nahrungsmittelhilfe erreicht, angepeilt wurden hingegen 2,2 Millionen (UNSC 15.8.2019, Abs.43). Hilfsprojekte von internationalen Organisationen oder NGOs erreichen in der Regel nicht alle Bedürftigen (AA 4.3.2019, S.20).

Organisationen wie Safe the Children versuchen der Krise mit Wasserversorgung, Behandlung unterernährter Kinder, Gesundheitsversorgung, Geld- und anderen Hilfen entgegenzutreten (STC 3.9.2019). Überhaupt wird Hilfe oft in Form von Geldhilfen mittels mobiler Überweisungen zur Verfügung gestellt. Bereits im Jahr 2017 erhielten ca. drei Millionen Menschen derartige Geldhilfen. 60% der Nahrungsmittelhilfe des WFP wurde schon 2017 über mobile Überweisungen ausgegeben (DEVEX 26.1.2018). Von den unterschiedlichen Programmen im Bereich Geldtransfers wurden schon damals mehr als drei Millionen Menschen erreicht (DI 6.2019, S.27).

Folgende Organisationen sind beispielsweise in folgenden Städten in einem oder mehreren der genannten Bereiche tätig:

• Baidoa (Kinderschutz, Gesundheit, Rückkehr/Unterkunft, Lokalverwaltung, Katastrophenmanagement, Kommunikation): World Vision, Save the Children International, Médecins Sans Frontières, International Organization for Migration (IOM), IMC Worldwide, Somalia's Ministry of Resettlement, Disaster Management and Disability Affairs, Ministry of Humanitarian Affairs, Ministry of Planning, Baidoa District Administration, Bay Regional Administration, Gargaar Relief and Development Organization (GREDO), Social-life and Agricultural Development Organization (SADO), Radio Baidoa, Baidoa Specialist Hospital;

• Belet Weyne (Bildung, Schutz, Ernährung und Gesundheit, Nahrungsversorgungssicherheit, humanitäre Hilfe, Geldtransfer-Programme): UNICEF, Danish Refugee Council (DRC), the International Committee of the Red Cross (ICRC), Relief International, World Food Programme (WFP), Merci, World Health Organisation (WHO), UN OCHA, WARDI, Green Hope, Global Guardian Somalia Security Services, Beledweyne Private School;

• Kismayo (handwerkliche Ausbildung, Unterstützung beim Lebensunterhalt mit Lebensmittelgutscheinen und anderen Aktivitäten, Unterkunft, Bildung): Jubaland Chamber of Commerce & Industry (JCCI), American Refugee Committee (ARC), IOM, CARE, Norwegian Refugee Council (NRC), Daallo Airlines, Kismayo University (DI 6.2019, S.25f).

Al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure behindern die Leistung humanitärer Hilfe und die Lieferung von Hilfsgütern an vulnerable Bevölkerungsteile - speziell in Süd-/Zentralsomalia (USDOS 13.3.2019, S.15/21; vgl. SEMG 9.11.2018, S.5f/42; UNSC 15.5.2019, Abs.72). In den Gebieten unter Kontrolle der Gruppe wurden Aktivitäten humanitärer Organisationen gänzlich verboten. Eine Ausnahme davon gibt es für die der al Shabaab zugerechnete al Ihsaan (SEMG 9.11.2018, S.5f/42). Nach anderen Angaben erlaubt al Shabaab Hilfsorganisationen zunehmend, auf ihrem Gebiet tätig zu sein (ICG 27.6.2019, S.11).

Es kam außerdem zur Plünderung humanitärer Hilfsgüter durch al Shabaab (USDOS 13.3.2019, S.16). Im Jahr 2018 gab es mindestens 110 gewaltsame Zwischenfälle mit Auswirkungen auf humanitäre Organisationen. Dabei kamen neun Mitarbeiter ums Leben, 13 wurden verletzt, 18 entführt und 17 vorübergehend verhaftet (UNSC 21.12.2018, S.145).

Gesellschaftliche Unterstützung: Es gibt kein öffentliches Wohlfahrtssystem (BS 2018, S.30), keinen sozialen Wohnraum und keine Sozialhilfe (AA 4.3.2019, S.20). In Mogadischu muss für jede Dienstleistung bezahlt werden, es gibt keine öffentlichen Leistungen (FIS 5.10.2018, S.22). Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor (BS 2018, S.30). Das eigentliche soziale Sicherungsnetz für Personen, deren Unterhalt und Überleben in Gefahr ist, bilden (Sub-)Clan (OXFAM 6.2018, S.11f; vgl. BS 2018, S.30, AA 4.3.2019, S.20), erweiterte Familie (BS 2018, S.30; vgl. AA 4.3.2019, S.20) und

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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