TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/10 W264 2196760-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.01.2020
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Entscheidungsdatum

10.01.2020

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
VOG §1
VOG §10
VOG §3

Spruch

W264 2196760-2/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin als Vorsitzende Dr. Tanja KOENIG-LACKNER und die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Michael SVOBODA als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geborener XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice Landesstelle XXXX , vom 17.4.2018, GZ XXXX , die Abweisung des Antrages auf Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form von Ersatz des Verdienstentganges, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.12.2019, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

1. Der BF (im Folgenden: Beschwerdeführer) brachte einen Antrag auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form des Ersatzes des Verdienstentganges beim Sozialministeriumservice Landesstelle

XXXX (im Folgenden: belangte Behörde), ein und langte dieser Antrag dort am 19.1.2015 ein.

Der BF gab in dem Antrag an "ca. 1979 - 1982 und 1987 - 1988 in XXXX Heilpäd., Dr. XXXX und LJG XXXX " durch "sexuellen Missbrauch" durch "Dr. XXXX und durch Erzieher in XXXX " erlitten zu haben und so Opfer von Missbrauch und Gewalt geworden zu sein und dadurch sei seine "Kinderseele zerstört" worden, er habe nun "panische Angst vor Ärzten", "kein Sexualleben, Berührungen" und sei "psychisch am Ende - schwer aggressiv" [Anm: Hervorhebungen durch Anführungszeichen geben wörtlich übernommene Textpassagen aus dem Antragsformular wieder].

2. Im Akt der belangten Behörde liegen - neben Abschriften aus den den BF im Jugendalter betreffenden behördlichen Aktenteilen - diverse Beweismittel ein:

* Prüfungszeugnis über die LAP im Lehrberuf Bäcker am 8.4.1992

* Prüfungszeugnis über die LAP im Lehrberuf Konditor (Zuckerbäcker) am 9.6.1998

* Arztbriefe Dris. XXXX , FA für Psychiatrie, vom 25.9.2009, vom 9.11.2009, vom 25.3.2010, vom 14.4.2016 und vom 23.8.2017

* Arztbrief Dris. XXXX , FA für Psychiatrie, XXXX , vom 11.11.2009

* Auszahlungsbestätigungen und Krankenstandsbescheinigungen der WGKK wegen Arbeitsunfähigkeit von 26.5.2008 bis 29.5.2008, 19.6.2008, von 26.11.2008 bis 22.12.2008, von 9.7.2009 bis 23.4.2010, von 3.8.2010 bis 13.8.2010, von 18.11.2010 bis 8.2.2011, von 18.4.2011 bis 22.4.2011, von 2.5.2011 bis 30.6.2011, von 30.7.2014 bis 1.8.2014, von 21.7.2014 bis 25.7.2014, von 26.10.2014 bis 26.1.2015

* Fachliche Stellungnahme des Mag. XXXX , Psychologe & Psychotherapeut, vom 9.3.2014, gerichtet an die Kinder- und Jugendanwaltschaft des Landes Kärnten

* Heilpädagogisches Gutachten Dris. XXXX vom 3.3.1987

* Psychologischer Befund der Mag. XXXX , Klinische- und Gesundheitspsychologin, allgemein gerichtl. beeidete und zertifizierte Sachverständige & Psychotherapeutin, vom 18.6.2012

* Clearingbericht des Opferschutz NÖ für die Beurteilung durch den Beirat, verfasst von Mag. XXXX , undatiert, Fall Nr. XXXX , wonach der BF im Landesjugendheim XXXX gewesen sei und davor eine Nacht bei Dr. XXXX in XXXX gewesen sei, ihn aber seine Mutter dort wieder herausgenommen hatte. Bis zur zweiten Klasse sei der BF ein guter Schüler gewesen, dann habe es einen Knackpunkt gegeben und habe ab dann viele Schulwechsel gehabt. Seine Mutter sei alleinerziehend gewesen, der vier Jahre ältere Bruder sei bei der Großmutter aufgewachsen, mit diesem habe sich der BF nie verstanden und habe keinen Kontakt mehr zu ihm. Seine Mutter sei 1991 an Krebs verstorben und gäbe der Bruder des BF diesem die Schuld daran.

Fachliche Stellungnahme des Mag. XXXX , Psychologe & Psychotherapeut, undatiert, gerichtet an die Kinder- und Jugendanwaltschaft des Landes Kärnten (bei der belangten Behörde am 19.6.2015 abgegeben)

* Psychologischer Befund Dris. XXXX nach klinisch-psychologischer Untersuchung am 17.3.2016

* Entlassungsbericht des Zentrum für psychosoziale Gesundheit XXXX , Dr. XXXX , FA für Psychiatrie, vom 10.2.2016

* Ärztliches Gesamtgutachten Dris. XXXX , FA für Psychiatrie, betreffend Antrag auf Gewährung einer Invaliditätspension, PVA, vom 19.4.2016, mit den Diagnosen: ICD-10: F62.0 Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, ICD-10: F45.1:

Undifferenzierte Somatisierungsstörung, Zustand nach schädlichen Gebrauch von Alkohol.

3. Im vorgelegten Fremdakt liegt ein Aktenvermerk AV XXXX ein, wonach ein Mitarbeiter der Kinder- und Jugendanwaltschaft des Landes Kärnten am 23.2.2015 mitteilte, das der BF zweimal ambulant auf der psychiatrischen Station behandelt wurde und ein stationärer Aufenthalt nicht stattgefunden habe und die Aufenthalte zu einem Zeitpunkt stattgefunden hätten, an denen Dr. XXXX bereits in Pension befindlich war.

4. Mit Erledigung vom 17.3.2015 ersuchte die belangte Behörde das Klinikum XXXX am Wörthersee um Bekanntgabe, in welchem Zeitraum Dr. XXXX an der heilpädagogischen Abteilung des LKH XXXX tätig war und erfolgte nach Urgenz eine Rückmeldung per Email vom 22.9.2015, wonach Dr. XXXX im LKH XXXX von 10.12.1968 bis zum 31.12.1985 beschäftigt war.

5. Seitens der Opferschutzstelle des Landes Kärnten wurde der belangten Behörde mitgeteilt, dass der BF von der unabhängigen Opferschutzkommission des Landes Kärnten als freiwillige Entschädigung für erlittenes Unrecht in einer Einrichtung des Landes Kärnten ein einmaliger Betrag von EUR 15.000,-- zugesprochen und überwiesen wurde. Dieses Schreiben langte bei der belangten Behörde am 12.3.2015 ein.

6. Seitens des Landes Niederösterreich wurde dem BF aufgrund der Schilderungen von ihn sehr belastenden Erlebnissen in einer Einrichtung des Landes Niederösterreich in der Vergangenheit mit Schreiben vom 4.12.2012 eine finanzielle Hilfestellung von EUR 5.000,-- gewährt und ihm der Aufwand für Therapie im Ausmaß von bis zu 80 Stunden ersetzt.

7. Im vorgelegten Fremdakt liegt ein Erhebungsbogen einer Sozialarbeiterin des Magistrat XXXX , Jugendamt, vom 2.3.1987 ein, woraus hervorkommt, dass der BF von der Kindesmutter alleinerziehend umsorgt wurde und kein Kontakt zu seinem leiblichen Vater bestehe. Die Mutter wird darin als eine arbeitswillige Frau mit normalem Lebenswandel beschrieben. Die Wohnungsverhältnisse werden mit 35m², Landeswohnung, beschrieben und biete diese keine räumlichen Rückzugsmöglichkeiten. Ein Bruder des BF - XXXX - wohnte laut diesem Erhebungsbogen bei der Großmutter. Laut diesem Erhebungsbogen habe die Kindesmutter "seit einigen Jahren einen Freund, der die Vaterrolle für XXXX anscheinend nicht übernommen hat". Der erste Kontakt zwischen dem Jugendamt und der Kindesmutter sei zu Beginn der Hauptschulzeit des Minderjährigen aufgetreten, als er in der Leistung schlecht geworden sei und zuhause und in der Schule disziplinär schwierig geworden sei: der BF sei damals als Zwölfjähriger "oft einfach über Stunden unauffindbar" gewesen und "kam einmal eine Nacht nicht nach Hause". Weiters ist zu entnehmen "da er schon für den Hortbesuch zu alt war, wurde der Mutter geraten, ihn in der Ganztagsschule in der Hauptschule XXXX unterzubringen. Es schien auch zu Beginn gutgegangen zu sein. Es gab keinen Kontakt zur Mutter. Jetzt im nachhinein meint sie, dass es für XXXX nicht optimal gewesen sei, diese Schule zu besuchen, weil er mit Kindern Kontakt gehabt hätte, die im Sozialverhalten gestört seien bzw aus schlechten Familienverhältnissen kommen". Überdies steht in diesem Erhebungsbogen zu lesen: "Der kritiklose Umgang mit Jugendlichen aus der Wohnsiedlung, die schon straffällig geworden waren, bedeutet eine echte Gefahr des Abgleitens in die Verwahrlosung" und sei die bestehende Bewährungshilfe durch seine Flucht von zu Hause ein zu geringer Halt, die Unterbringung in einem Heim mit der Möglichkeit einer technischen Lehre erscheine angebracht und habe sich die Kindesmutter mit der Anordnung der Fürsorgeerziehung einverstanden erklärt (AS 115).

8. Aus dem vorgelegten Fremdakt geht hervor, dass das Landesgericht

XXXX als Jugendschöffengericht mit Beschluss vom 5.3.1987, GZ XXXX , für den damals minderjährigen BF die vorläufige Fürsorgeerziehung anordnete.

Daher wurde der BF durch das Jugendamt ab dem 6.3.1987 in einer Einrichtung in Niederösterreich untergebracht. Am 25.6.1987 erfolgte dort eine Beurteilung des BF hinsichtlich Erziehung und Beruf und wurde er als "nach anfänglichen Schwierigkeiten in das Heimleben gut eingewöhnt" beschrieben, seine Einstellung zum Erziehungsgeschehen und zur Berufsausbildung als "positiv" beschrieben und erwähnt, dass die Grundhaltung hinsichtlich der Lehrausbildung, nämlich ein guter Bäcker zu werden, sich herauskristallisiert habe. Seine Leistungen als Lehrling werden als "gut" beschrieben (AS 141). In einem im vorgelegten Fremdakt einliegenden Heimbericht vom 16.10.1987 wird festgehalten "geistige und schulische Leistungen gut, Berufswunsch Bäcker wurde erfüllt, ist aber unterfordert, daher Arbeitshaltung und Einstellung oberflächlich" (AS 147). Seine Leistungen wurden vom Landesjugendheim XXXX am 13.11.1987 hinsichtlich "Berufssituation" als "durchschnittlich" beschrieben und das Ende der Lehrzeit mit "5.11.1989" beschrieben (AS 148).

9. Aus dem vorgelegten Fremdakt geht hervor, dass der BF laut Stellungskommission Überbeine hatte, welche einer Operation bedurften und dass die Kindesmutter das Landesjugendheim XXXX darum ersuchte, dass der BF in XXXX operiert wird. Dies begründete sie mit "wäre mir schon lieber, dass er im LKH XXXX operiert wird, da ich hier selbst beschäftigt bin" (AS 156). Das Landesjugendheim XXXX informierte die Kindesmutter mit Schreiben vom 2.3.1988, dass ihrem Wunsch entgegengekommen werde, dass sich der BF im LKH XXXX operieren lässt, um von der Kindesmutter betreut und versorgt zu werden.

10. Laut einer im vorgelegten Fremdakt einliegenden Kopie eines Aktenvermerks vom 15.11.1987 (AS 149) habe der BF laut einem Anruf der Kindesmutter dieser mitgeteilt, nicht mehr in das Heim [Anmerkung: Landesjugendheim XXXX ] zurückkehren zu wollen und wisse sie nicht, wo sich der BF damals aufhielt, sie werde am Montag nochmals anrufen. Nachfolgend habe die Kindesmutter bekannt zu geben, dass der BF "heute mit Herrn XXXX sprechen will" anschließend in das Heim zurückkehren werde [Anm: laut AS 126 war im Zeitpunkt 18.3.1987 ein Herr XXXX beim Amt der Kärntner Landesregierung beschäftigt].

11. Aus einer im vorgelegten Fremdakt einliegenden Kopie eines Schreibens des Landesjugendheims XXXX an das Amt der Kärntner Landesregierung, Landesjugendamt, vom 11.4.1988 geht hervor, dass der Direktor den BF als "sehr eigenartige Persönlichkeit, die immer mehr den Verdacht eines prozesshaften Geschehens (einer Gesprächsführung und einer rationellen Kontrolle nicht zugänglich) vermittelt" ansehe und wegen mehrmaligem Entweichen und "dauernder Lehrflucht" seitens des Landesjugendheims XXXX die "Fürsorgeerziehung wegen Aussichtslosigkeit" aufgehoben und eine "Einweisung für eine längerzeitige Beobachtung in die Jugendpsychiatrische Abteilung des LKH XXXX " angeregt wurde. Darauf befindlich ist neben dieser maschinschriftlich verfassten Empfehlung ein handschriftlich angebrachter Pfeil mit dem handschriftlichen Vermerk "Ist jedoch nie erfolgt, Aufenthalt im LKH war nur 2x ambulant" (AS 91).

12. Im vorgelegten Fremdakt liegt die Kopie aus dem XXXX - Archiv -

XXXX / LKH XXXX "Fallinformationen zu XXXX " ein. Daraus geht hervor, dass der BF zu Aufnahmezahl XXXX von 29.1.1979, 9.30 Uhr, bis 5.2.1979, 9.00 Uhr, stationär im LKH XXXX war und Orchidopexie und Zirkumzision am 30.1.1979 um 10.20 Uhr unter Vollnarkose mit Maske und mit Spontanatmung vorgenommen wurden (AS 242).

13. Das Strafregister der Republik Österreich weist betreffend den BF fünfzehn Verurteilungen wegen Vermögensdelikten und Gewaltdelikten aus. Der BF wurde am 12.1.1987 vom Landesgericht XXXX zu GZ XXXX HV XXXX (Jugendstraftat), am 27.7.1987 zu GZ XXXX HV XXXX (Jugendstraftat), am 14.12.1987 zu GZ 11 VR 2804/87 HV 224/87 (Jugendstraftat) und am 7.6.1989 zu GZ XXXX HV XXXX (Jugendstraftat) verurteilt. Er wurde am 7.31990 vom Bezirksgericht Hermagor zu GZ XXXX verurteilt. Er wurde am 11.7.1990 vom Landesgericht XXXX zu GZ XXXX HV XXXX verurteilt. Am 24.5.1993 wurde der BF vom Bezirksgericht XXXX zu GZ XXXX und am 1.10.1993 zu GZ XXXX verurteilt. Am 4.10.1994 wurde der BF vom Bezirksgericht St. Veit an der Glan zu GZ XXXX verurteilt. Der BF wurde am 28.9.1995 vom Landesgericht XXXX zu GZ XXXX HV XXXX und am 20.3.1997 zu GZ XXXX HV

XXXX , am 20.3.1997 zu GZ XXXX / XXXX , am 15.10.1997 zu GZ 15 XXXX HV XXXX , am 15.4.1998 zu GZ XXXX HV XXXX verurteilt. Der BF wurde vom Landesgericht für Strafsachen XXXX am 30.10.2002 zu GZ XXXX und am 7.12.2005 zu GH XXXX verurteilt.

14. Mit Erledigung vom 8.2.2016 gab die belangte Behörde ein Gutachten in Auftrag und verfasste Dr. XXXX , FA für Neurologie und Psychiatrie mit Diplom der ÖAK für forensisch-psychiatrische Gutachten, das nervenfachärztliche Gutachten vom 22.4.2016, welches er nach persönlicher Untersuchung am 15.4.2016, erstellte.

15. Das Gutachten Dris. XXXX vom 22.4.2016 wurde am 17.5.2016 im Rahmen des Parteigehörs an den BF übersendet und suchte der BF am 6.6.2016 die belangte Behörde auf, um von seinem Recht auf Akteneinsicht Gebrauch zu machen, im Rahmen dessen er Kopien von Aktenteilen anfertigte und ersuchte er um Fristverlängerung zur Abgabe einer Stellungnahme zum Parteigehör vom 17.5.2016 bis zum 1.7.2016 und wurde ihm diese bis zum 13.7.2016 verlängert und mit Schreiben vom 15.7.2016 dagegen Einwendungen vorgebracht.

16. Aufgrund des Ärztlichen Gesamtgutachtens Dris. XXXX , FA für Psychiatrie, betreffend Antrag auf Gewährung einer Invaliditätspension, XXXX , vom 19.4.2016, wurde seitens der belangten Behörde am 11.11.2016 nochmals ein Gutachten eingeholt mit dem Begehren zu beantworten, ob sich nunmehr eine abweichende Beurteilung bzw Änderung im Ergebnis der nervenfachärztlichen Begutachtung ergibt.

17. Dr. XXXX erstellte daraufhin das nervenfachärztliche Ergänzungsgutachten vom 20.2.2017, wonach er dem Gutachten der XXXX vom 19.4.2016 nicht folge und die Misshandlungen durch Dr. XXXX könnten somit nicht mit der für das Verbrechensopfergesetz erforderlichen Wahrscheinlichkeit als wahr angenommen werden. Zu dem Gutachten Dris. XXXX gab der Sachverständige Dr. XXXX an, dass aus fachärztlicher Sicht die Anwendung von Selbstbeurteilungsfragebögen, nur mit Einschränkungen möglich ist, weil es den Eindruck vermittelt, damit sei eine vollkommen objektive Diagnosestellung und die eindeutige Beantwortung der Kausalität möglich. Zu dem fachärztlichen Befund Dris. XXXX verwies der Sachverständige darauf, dass offensichtlich alle verfügbaren Diagnosen undiskutiert übernommen worden seien. Aus gutachterlicher Sicht sei somit eine Neubewertung des Gutachtens auszuschließen.

18. Das nervenfachärztliche Ergänzungsgutachten Dris. XXXX vom 20.2.2017 wurde dem BF mit Erledigung vom 13.3.2017 im Rahmen des Parteigehörs übermittelt und begehrte der BF daraufhin am 17.3.2017 Akteneinsicht und ersuchte der BF, dass die belangte Behörde den Strafakt betreffend Dr. XXXX beischaffen möge.

19. Im vorgelegten Fremdakt liegt eine aus dem Rechtsinformationssystem RIS stammende Entscheidung des OGH vom 11.11.2003, GZ XXXX , ein, mit welcher die Nichtigkeitsbeschwerde des Dr. XXXX gegen das Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht XXXX vom 20.12.2002, GZ XXXX , verworfen wurde. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 20.12.2002 wurde Dr. XXXX angelastet, geschlechtliche Handlungen an unmündigen Personen vorgenommen bzw teilweise von diesen an sich in der Absicht vorgenommen haben zu lassen, sich dadurch geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen; eine Person, welche das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, unmittelbar durch ein Entgelt dadurch verleitet zu haben, geschlechtliche Handlungen an ihm vorzunehmen bzw durch ihn an sich vorzunehmen; unter Ausnützung seiner Stellung als Privatarzt gegenüber seiner Aufsicht unterstehenden minderjährigen Personen, teils als Arzt einer Krankenanstalt unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber in der Anstalt betreuten Personen diese zur Unzucht missbraucht zu haben. Dem vor dem Landesgericht XXXX geführten Geschworenenprozess lagen Übergriffe des Dr. XXXX auf G XXXX H., M XXXX K., F XXXX K., A XXXX W., H XXXX

K., P XXXX P., S XXXX R., M XXXX H. G XXXX S., G XXXX C., J XXXX K.,

M XXXX J., T XXXX H., S XXXX S., L XXXX D. (geborener S.) und E XXXX

R. zu Grunde. Der Name des BF war nicht darunter, sodass sein durch Dr. XXXX ihm angetanes Unrecht diesem Geschworenenverfahren nicht zu Grunde lag.

20. Seitens der belangten Behörde wurde am 31.3.2017 aufgrund der nunmehr als äußerst glaubwürdig befundenen Schilderung des BF sowie aufgrund den sonstig erlangten Erkenntnissen auch folgender Sachverhalt als Verbrechen iSd VOG mit Wahrscheinlichkeit angenommen: "Der Antragsteller wurde während einer (Vor-)Untersuchung im LKH XXXX im Alter von etwa neun Jahren von dem dort praktizierenden Arzt Dr. XXXX sexuell missbraucht, indem er beispielsweise Oralverkehr an dem Minderjährigen vornahm". Diese Annahme könne aufgrund der vorgelegten Fallinformation des LKH XXXX - welche einen Aufenthalt und eine Operation des BF im Jahr 1979 bestätigen - sowie aufgrund der Verurteilungen des Dr. XXXX wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs etc an unmündigen Personen im Rahmen seiner Tätigkeit am LKH XXXX sowie aufgrund der für glaubwürdig befundenen Schilderung des BF mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Daher holte die belangte Behörde nochmals ein nervenfachärztliches Gutachten ein mit dem Begehren zu beantworten, ob aufgrund dieser neu hervorgekommenen Tatsachen sich Änderungen im Ergebnis der nervenfachärztlichen Begutachtung ergeben.

21. Mit dem nervenfachärztlichen Ergänzungsgutachten Dris. XXXX vom 16.6.2017 wurde dargetan, dass die Unterbringung im Landesjugendheim

XXXX und der sexuelle Missbrauch des BF durch Dr. XXXX aus fachärztlich-psychiatrischer Sicht folgendermaßen zu beurteilen ist, dass die Misshandlungen zwar möglicherweise einen Einfluss auf den derzeitigen psychischen Leidenszustand haben, jedoch nicht als wesentliche Ursache anzusehen sind. Der Sachverständige wies auch darauf hin, dass sich in der Entscheidung des OGH vom 11.11.2003, GZ XXXX , der Name des BF nicht finde.

22. Das nervenfachärztliche Ergänzungsgutachten Dris. XXXX vom 16.6.2017 wurde dem BF mit Erledigung vom 30.6.2017 im Rahmen des Parteigehörs übermittelt und begehrte der BF daraufhin am 5.7.2017 Akteneinsicht und ersuchte der BF um Verlängerung der Frist für die Abgabe einer Stellungnahme bis zum 31.8.2017.

23. Mit Schreiben vom 27.7.2017 gab der BF eine Stellungnahme ab. Unter anderem gab er an, während des "Öffentlichwerdens des Skandals" in Haft befindlich gewesen zu sein und sei die Diagnose des Gutachtens der XXXX vom 19.4.2016 nicht berücksichtigt worden. Überdies übermittelte er damit die handschriftliche "Chronologie meines Lebens" (AS 288 - 291). Mit der Vorlage der Zeugnisse von der

1. Volksschule bis zur letzten Klasse Hauptschule wolle er untermauern, dass er bei Eintritt in die Volksschule eine gute und erfolgsversprechende Zukunft vor sich gehabt habe und wenn man den Missbrauch einbeziehe, werde man sehen, dass ab diesem Zeitpunkt die Leistung stark nachlasse und ins Unendliche falle.

24. Der BF übermittelte folgende Zeugnisse, welche dem vorgelegten Fremdakt einliegen:

* Schulnachricht der VS 17 XXXX , 1977/78, 1. Klasse:

Religion: Gut; Sachunterricht, Deutsch, Lesen, Mathematik,

Musikerziehung, Bildnerische Erziehung, Schreiben: Gut

* Jahreszeugnis der VS 17 XXXX , 1977/78, 1. Klasse:

Vier "Sehr gut", vier "Gut"

* Schulnachricht der VS 17 XXXX , 1978/79, 2. Klasse:

Vier "Sehr gut", drei "Gut"

* Jahreszeugnis der VS 17 XXXX , 1978/79, 2. Klasse:

Vier "Sehr gut", drei "Gut"

* Schulnachricht der VS 17 XXXX , 1979/80, 3. Klasse:

Betragensnote: Zufriedenstellend; drei "Sehr gut", drei "Gut", zwei "Befriedigend"

* Jahreszeugnis der VS 17 XXXX , 1979/80, 3. Klasse:

Betragensnote: Zufriedenstellend; vier "Sehr gut", drei "Gut", ein "Befriedigend"

* Schulnachricht der VS 17 XXXX , 1980/81, 4. Klasse:

Betragensnote: Wenig zufriedenstellend; ein "Sehr gut", drei "Gut", drei "Befriedigend", ein "Genügend"

* Jahreszeugnis der VS 17 XXXX , 1980/81, 4. Klasse:

Betragensnote: Zufriedenstellend; drei "Sehr gut", drei "Gut", zwei "Befriedigend"

* Schulnachricht der Hauptschule XXXX XXXX , 1981/82, 1. Klasse,

Erster Klassenzug:

Betragensnote: Zufriedenstellend; ein "Sehr gut", vier "Gut", zwei "Befriedigend", vier "Genügend"

* Jahreszeugnis der Hauptschule XXXX XXXX , 1981/82, 1. Klasse,

Erster Klassenzug:

Betragensnote: Wenig zufriedenstellend; ein "Sehr gut", drei "Gut", drei "Befriedigend", vier "Genügend"

* Schulnachricht der Hauptschule XXXX XXXX , 1982/83, 2. Klasse,

Erster Klassenzug:

Betragensnote: Wenig zufriedenstellend; ein "Sehr gut", zwei "Gut", vier "Befriedigend", vier "Genügend", ein "Nicht Genügend"

* Jahreszeugnis der Hauptschule XXXX XXXX , 1982/83, 2. Klasse,

Erster Klassenzug:

Betragensnote: Wenig zufriedenstellend; zwei "Sehr gut", zwei "Gut", drei "Befriedigend", fünf "Genügend"

* Schulnachricht der Hauptschule XXXX XXXX , 1983/84, 3. Klasse,

Erster Klassenzug:

Betragensnote: Zufriedenstellend; vier "Gut", zwei "Befriedigend", vier "Genügend", drei "Nicht genügend"

* Jahreszeugnis der Hauptschule XXXX XXXX , 1983/84, 3. Klasse:

Betragensnote: Zufriedenstellend; drei "Gut", zwei "Befriedigend", drei "Genügend", fünf "Nicht Genügend"

* Schulnachricht der Hauptschule XXXX XXXX , 1984/85, Wiederholung

3. Klasse, Erster Klassenzug:

Betragensnote: Wenig zufriedenstellend; ein "Sehr gut", sechs "Gut", drei "Befriedigend", zwei "Genügend", ein "Nicht genügend"

* Jahreszeugnis der Hauptschule XXXX XXXX , 1984/85, Wiederholung 3.

Klasse, Erster Klassenzug:

Betragensnote: Wenig zufriedenstellend; drei "Sehr gut", zwei "Gut", fünf "Befriedigend", drei "Genügend"

* Schulnachricht der Hauptschule XXXX XXXX , 1985/86, 4. Klasse,

Erster Klassenzug:

Betragensnote: - ; zwei "Sehr gut", drei "Gut", drei "Befriedigend", drei "Genügend", zwei "Nicht genügend"

* Jahreszeugnis der Hauptschule XXXX XXXX , 1985/86, 4. Klasse,

Erster Klassenzug:

Betragensnote: - ; zwei "Sehr gut", ein "Gut", zwei "Befriedigend", sechs "Genügend", drei "Nicht genügend"

25. Der BF suchte die belangte Behörde am 28.7.2017 auf und nahm Akteneinsicht sowie gab zu Protokoll, dass anhand seiner Zeugnisse ersichtlich sei, dass erst nach dem Vorfall mit Dr. XXXX im Alter von 8 1/2 Jahren seine Schulleistungen schlechter geworden seien. Seine Verhaltensauffälligkeiten seien daher als verbrechenskausal anzusehen und auf den Missbrauch des Dr. XXXX zurückzuführen. Seine Mutter habe ihn gut erzogen, es gäbe keine anderen Hinweise, dass es andere diesbezügliche Einflüsse gegeben hätte. Es sei für ihn sehr schwierig gewesen, dass seine Mutter - als er sich ihr anvertraut hätte - nicht hinter ihm gestanden wäre, sondern gemeint hätte, dass er dies nie wieder erwähnen solle, da sie ja im Krankenhaus arbeite und ihren Job nicht verlieren wolle. Darunter hätte sein Verhältnis zur Mutter sehr gelitten und der Umstand, dass er dann in der Hauptschule in ein schlechtes Milieu gekommen wäre, hätte seine schlechten Noten und seine Verhaltensauffälligkeit nur noch verstärkt und seien daher auch als kausal anzusehen. Er habe nur Gewalt gelernt, dass er etwas erreichen könne um nur so zum Ziel kommen könne. Die Entlassung aus dem Heim nach sieben Fluchtversuchen sei ihm erst dann gelungen, als er einen Erzieher / Wärter geschlagen habe. Es sei ersichtlich, dass er ohne einen guten Grundstein als Kind es später nicht geschafft hätte, aus dem Gefängnis zu kommen und straffrei zu bleiben. Gutes Benehmen habe er von seiner Mutter mitbekommen, nur durch den Vorfall mit 8 1/2 Jahren und der sich daraus ergebende Verlust der Bindung zur Mutter hätte ein Abrutschen in die Delinquenz nach seiner Meinung verursacht. Wäre dem nicht so gewesen, wäre sein Leben anders verlaufen und er wäre nicht in das Heim gekommen, dort hätten sodann die Misshandlungen nicht stattgefunden und wäre er nicht straffällig geworden, so der BF.

26. Am 24.8.2017 übergab der BF der belangten Behörde den fachärztlichen Befund Dris. XXXX , FA für Psychiatrie, vom 23.8.2017 mit den Diagnosen F62 andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, Z65 Probleme bei sonstigen psychosozialen Umständen, F43.1. Posttraumatische Belastungsstörung, F60.30 Emotional instabile PES vom impulsiven Typ.

27. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 17.4.2018 wurde der Antrag vom 29.1.2015 auf Ersatz des Verdienstentgangs gem. § 1 Abs 1 und Abs 3, § 3 sowie § 10 Abs 1 VOG abgewiesen.

28. Der BF erhob dagegen mit seinem Schreiben vom 25.5.2018 das Rechtsmittel der Beschwerde und beantragte unter anderem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

29. Der bezughabende Akt wurde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt und langte am 11.6.2018 ein.

30. Am 29.6.2018 kam der BF in das Bundesverwaltungsgericht zur Akteneinsicht.

31. Mit Gutachtensauftrag vom 8.8.2019 wurde von dem bereits behördlich befassten Sachverständigen Dr. XXXX ein Gutachten eingeholt mit folgendem Text:

"Sie wurden in der oben angeführten Beschwerdesache bereits vom Sozialministeriumservice XXXX mit der Erstellung nervenfachärztlicher Gutachten beauftragt und erstatteten Sie dazu das Gutachten vom 22.4.2016, basierend auf einer vorherigen persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 15.4.2016, das Ergänzungsgutachten basierend auf der Aktenlage vom 20.2.2017 sowie das Ergänzungsgutachten ebenfalls basierend auf der Aktenlage vom 16.6.2017.

Ausgehend von folgendem Sachverhalt werden Sie nunmehr ersucht zu den nachstehenden Fragen ergänzend Stellung zu nehmen:

Der Beschwerdeführer wurde im Alter von acht oder neun Jahren (1978/1979) sexuell missbraucht, wobei sich die Missbräuche in der Art und Weise gestalteten, dass der Kinderarzt Dr. XXXX Oralverkehr an dem Minderjährigen vornahm, bei Untersuchungen Gegenstände in den After einführte und den Beschwerdeführer an verschiedenen Körperstellen berührte bzw. ausgriff. Disziplinäre Schwierigkeiten mit dem Beschwerdeführer begannen ab dem Hauptschulbesuch (1981). Am 29.6.1986 wurde er erstmals straffällig. Ab 6.3.1987 wurde der Beschwerdeführer im niederösterreichischen Landesjugendheim XXXX untergebracht und dort von den Erziehern geschlagen, geohrfeigt und bis hin zu etwa 30 Stunden in einen Separationsraum gesperrt. Im Übrigen wird auf die bereits erfolgten Sachverhaltsdarstellungen des Sozialministeriumservice im Rahmen deren bisherigen Vorschreibungen verwiesen.

Fest steht des Weiteren, dass sich der Beschwerdeführer seit 1.3.2016 aufgrund der mit Sachverständigengutachten vom 19.4.2016 festgestellten Gesundheitsschädigungen

* ICD-10: F62.0 andauernde Persönlichkeitsstörung nach

Extrembelastung,

* ICD-10: F45.1 Undifferenzierte Somatisierungsstörung und

* Zustand nach schädlichen Gebrauch von Alkohol

in Invaliditätspension befindet (Abl. 259 Rückseite). Darauf aufbauend ergeben sich folgende Fragen:

1. Welche Gesundheitsschädigungen liegen beim Beschwerdeführer aktuell vor?

Es wird um exakte Bezeichnung und genaue Begründung der festgestellten Gesundheitsschädigungen ersucht.

Es wird um Stellungnahme zu den im Gutachten der Pensionsversicherungsanstalt festgehaltenen Gesundheitsschädigungen (ICD-10: F62.0 andauernde Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung, ICD-10: F45.1 Undifferenzierte Somatisierungsstörung und Zustand nach schädlichen Gebrauch von Alkohol) vom 19.4.2016 insbesondere bei abweichend festzustellenden Gesundheitsschädigungen durch Sie ersucht.

2. Sind die aktuellen Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers kausal auf die in seiner Kindheit erlittenen Gewaltverbrechen zurückzuführen?

Hinsichtlich der Begründung zu Punkt 2b) in Ihrem am 22.4.2016 erstatteten Gutachten, wonach die festgestellten psychiatrischen Gesundheitsschädigungen als akausal zu beurteilen seien (Sie führten dazu aus, aus den Unterlagen hervorgehe, dass die Mutter mit den Erziehungsaufgaben überfordert gewesen sei, Verhaltensauffälligkeiten in etwa seit dem 10. Lebensjahr (Eintritt Hauptschule) beschrieben seien und Delinquenz mit 16 Jahren eingetreten sei), ist anzumerken, dass all diese Auffälligkeiten, welche Ihrer Meinung nach für eine Akausalität sprechen, NACH den erfolgten sexuellen Missbräuchen durch Dr. XXXX eingetreten sind, weshalb diese - nach Ansicht des erkennenden Gerichts - für sich genommen gerade nicht FÜR eine Akausalität sprechen können.

Sie werden ersucht das Ergebnis ihrer Kausalitätseinschätzung ausführlich zu begründen, was hingegen bedeutet, dass Sie im Falle des Ergebnisses einer Akausalität begründen, auf welche Ereignisse die aktuellen Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zurückgeführt werden können.

3. Falls eine Kausalität unter Punkt 2. bejaht wird: Begründet/n die kausale/n Gesundheitsschädigung/en die aktuelle Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers? Dabei ist das Gutachten der Pensionsversicherungsanstalt vom 19.4.2016 zu berücksichtigen (Abl. 256 ff).

Es wird daher um

Gutachtenserstellung binnen 4 Wochen erbeten

und werden Sie hiermit hiezu beauftragt.

Sollte aus gutachterlicher Sicht die nochmalige persönliche Untersuchung des Beschwerdeführers für erforderlich erachten werden, so wird ersucht, dies umgehend dem Bundesverwaltungsgericht zur Kenntnis zu bringen."

Die Gutachtensbeauftragung wurde dem BF abschriftlich zur Kenntnis gebracht.

32. Mit nervenfachärztlichem Gutachten vom 30.8.2019 beantwortete Dr. XXXX die Fragen des Bundesverwaltungsgerichts wie folgt:

"Stellungnehmend auf die Vorschreibung BVwG vom 8.8.2019 halte ich fest:

Ad 1.) Herr XXXX wurde am 15.4.2019 untersucht und dabei die Diagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung (emotional instabil-impulsiv, dissozial) gestellt.

Dem Gutachten der PVA vom 19.4.2016 wurde nicht gefolgt, weil:

1. im Hintergrund einer kombinierten Persönlichkeitsstörung (siehe Gutachten Mag. XXXX (Abl. 168-170), psychologisches Gutachten Mag. XXXX (105-106)) kann eine solche Diagnose nicht abgegrenzt werden kann. Wie bereits im Ergänzungsgutachten vom 20.2.2017 erwähnt, ist auch Delinquenz kein Merkmal der Diagnose "andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung", jedoch sehr wohl ein Merkmal der impulsiven und dissozialen Persönlichkeit;

2. die Diagnose eine Persönlichkeitsänderunq vorschreibt, es ist jedoch vollkommen unzulässig, diese Diagnose über einen Zeitraum von fast 50 Jahren zu stellen.

Die ICD 10 beschreibt die Störung wie folgt: Eine andauernde, wenigstens über zwei Jahre bestehende Persönlichkeitsänderung kann einer Belastung katastrophalen Ausmaßes folgen. Die Belastung muss extrem sein, dass die Vulnerabilität der betreffenden Person als Erklärung für die tief greifende Auswirkung auf die Persönlichkeit nicht in Erwägung gezogen werden muss. Die Störung ist durch eine feindliche oder misstrauische Haltung gegenüber der Welt, durch sozialen Rückzug, Gefühle der Leere oder Hoffnungslosigkeit, ein chronisches Gefühl der Anspannung wie bei ständigem Bedrohtsein und Entfremdungsgefühl, gekennzeichnet. Eine posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) kann dieser Form der Persönlichkeitsänderung vorausgegangen sein. Alleine die Annahme eines "Traumas" rechtfertigt weder die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung, noch die einer Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung.

Aus gutachterlicher Sicht ist deshalb der Aussage im Gutachten der PVA (Abl 256 RS) "...Aufgrund der Hilfeverweigerung Seitens der Mutter kam es zum Bruch mit der Mutter. Er wurde dann verhaltensauffällig, aggressiv und kam mit 16 J. ins Heim..." mit dem implizierten kausalen Bezug auf den sexuellen Missbrauch nicht zugestimmt werden kann.

3. Aus der Diagnose geht nicht hervor, worauf sich die Extrembelastung bezieht, d. h. negative Sozialisierungserfahrungen aufgrund nicht intakter Familienverhältnisse, u.a. Unterbringungen bei 3 verschiedenen Pflegeeltern bis zum 4 LJ (Abl. 132), Gewalterfahrungen, sexueller Missbrauch, langjährige Haftstrafen werden nicht differenziert.

4. Als "Somatisierungsstörung" wird die Angabe von Schmerzen in einer bestimmten Körperregion bezeichnet, für die sich kein organisches Substrat findet, z.B. bei Angaben von Schmerzen im Bereich der LWS [Anm: Lendenwirbelsäule] findet sich kein Bandscheibenvorfall oder andere degenerative Veränderungen. Wenn die körperlichen Beschwerden zahlreich, unterschiedlich und hartnäckig sind, aber das vollständige und typische klinische Bild einer Somatisierungsstörung nicht erfüllt ist, ist die Diagnose undifferenzierte Somatisierungsstörung zu erwägen.

Die Diagnose bezieht sich somit auf die angegebenen Schmerzen im Bereich der

LWS. Diese Beschwerden wurden zur Untersuchung am 15.4.2016 nicht angegeben.

5. Die Diagnose Zustand nach schädlichem Gebrauch von Alkohol wurde nach einer mehr als 10-jährigen Abstinenz nicht in die Diagnosen übernommen.

Ad 2.) Es ist aus gutachtlicher Sicht nicht zulässig, den Beginn der Verhaltensauffälligkeiten, insbesondere die Straffälligkeiten, mit dem sexuellen Missbrauch anzusetzen. Ebenso ist nicht anzunehmen, dass der sexuelle Missbrauch die beschriebene Persönlichkeitsstörung bedingt hat und dabei die Art und Weise des Heranwachsens in der frühen Kindheit unberücksichtigt lässt.

Bezüglich des einwöchigen Aufenthaltes Jänner 1979 bis Februar 1979 (SMS Abl. 323) LKH XXXX ist anzumerken, dass eine Diagnose Kryptorchismus (i.e. Hoden sind im Leisenkanal verblieben und nicht in den Hodensack gewandert) und Leistenbruch eine körperliche Untersuchung des Genitales bedingen. Diese Diagnosen sind jedoch kinderchirurgischer und nicht kinderpsychiatrischer Natur, weshalb für den Gutachter offenbleibt, weshalb Dr. XXXX die Untersuchung vorgenommen haben soll.

Ad 3.) Aus gutachterlicher Sicht ist die gegenwärtige Arbeitsunfähigkeit als akausal anzusehen.

Aus gutachterlicher Sicht ist somit eine Neubewertung des Gutachtens auszuschließen."

33. Dem BF wurde im Rahmen des Parteigehörs mit Erledigung vom 6.9.2019 das Gutachten zur Kenntnis gebracht.

34. Mit Schreiben vom 26.9.2019 gab der BF eine Stellungnahme ab und monierte unter anderem, der Sachverständige würde ihm die Glaubwürdigkeit im Falle XXXX in Frage stellen und führte der BF ins Treffen, dass Neutralität, Objektivität und Unabhängigkeit als Säulen eines Gutachtens nicht greifen können, wenn der Gutachter die Meinung vertrete, dass ein "Fakt" nicht zähle.

35. Mit Gutachtensauftrag vom 24.10.2019 wurde von Dr. XXXX , FA für Psychiatrie und Neurologie, allgemein beeid. gerichtl. zertifizierte Sachverständige für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychiatrische Kriminalprognostik, ein Gutachten eingeholt mit folgendem Text und erstattete Dr. XXXX ihr Gutachten vom 1.12.2019:

"SACHVERSTÄNDIGENGUTACHTEN

aus dem Bereich der Neurologie und Psychiatrie

gemäß dem gerichtlichen Auftrag wird, basierend auf der Aktenlage, zu folgenden Fragen Stellung genommen:

1) Welche Gesundheitsschädigungen liegen bei dem Beschwerdeführer aktuell vor?

Es wird um exakte Bezeichnung und genaue Begründung der festgestellten Gesundheitsschädigungen ersucht.

Es wird um Stellungnahme zu den im Gutachten der Pensionsversicherungsanstalt festgehaltenen Gesundheitsschädigungen (F62.0 andauernde Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung, F45.1 undifferenzierte Somatisierungsstörung, Zustand nach schädlichem Gebrauch von Alkohol) vom 19.04.2016 insbesondere bei abweichend festzustellenden Gesundheitsschädigungen ersucht.

2) Sind die aktuellen Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers kausal auf die in seiner Kindheit erlittenen Gewaltverbrechen zurückzuführen?

Hinsichtlich der Begründung zu Punkt 2b) im durch den SV Dr. W. XXXX am 22.04.2016 erstatteten Gutachten, wonach die festgestellten psychiatrischen Gesundheitsschädigungen als akausal zu beurteilen sind, wird angemerkt, dass die Verhaltensauffälligkeiten NACH der erfolgten sexuellen Missbräuchen durch Dr. XXXX eingetreten sind, weshalb diese - nach Ansicht des erkennenden Gerichts - für sich genommen gerade nicht FÜR eine Akausalität sprechen können.

Es wird ersucht das Ergebnis der Kausalitätseinschätzung ausführlich zu begründen, was hingegen bedeutet, dass im Falle des Ergebnisses einer Akausalität zu begründen ist, auf welche Ereignisse die aktuellen Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zurückgeführt werden können.

3) Falls eine Kausalität unter Punkt 2. bejaht wird: begründet/n die kausale/n Gesundheitsschädigung/en die aktuelle Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers? Dabei ist das Gutachten. der Pensionsversicherungsanstalt vom 19.04.2016 zu berücksichtigen.

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer, Herr XXXX , in der Folge nur mehr BF genannt, wurde im Alter von 8 oder 9 Jahren (1978/1979) von Kinderarzt Dr. XXXX sexuell missbraucht, wobei sich die Missbräuche in der Art und Weise gestalteten, dass der Kinderarzt Oralverkehr am minderjährigen BF vornahm, ihm Gegenstände in den After einführte und den BF an verschiedenen Körperstellen berührte bzw. ausgriff.

Die Verhaltensauffälligkeiten bzw. disziplinäre Schwierigkeiten wurden seit dem Hauptschulbesuch vermerkt. Ab dem 6.03.1987 wurde der BF im niederösterreichischen Landesjugendheim XXXX untergebracht und dort körperlich und psychisch misshandelt; Straffälligkeit entwickelte der BF mit 16 Jahren. Er sei im Jugendgefängnis XXXX und in der JA Graz XXXX , mit Strafausmaß von insgesamt 11 Jahren, angehalten gewesen.

Gemäß eigenen Angaben habe der BF nach dem Missbrauch durch Dr. XXXX panische Angst vor Ärzten entwickelt, sei psychisch am Ende. Er sei schwer aggressiv geworden. Aufgrund dieser Störung habe er Straftaten (Körperverletzung und Einbrüche) begangen und des Öfteren den Arbeitsplatz wechseln müssen bzw. habe er den Arbeitsplatz verloren.

Aus der heilpädagogischen Dokumentation

Zusammenfassend, nach Einsichtnahme in alle im Akt befindlichen Unterlagen, kann gesagt werden, dass der BF sich bis zu seinem 16. Lebensmonat in Pflege und Erziehung der Mutter befand und dann bis zu seinem 4. Lebensjahr bei der Großmutter und bei drei verschiedenen Pflegestellen, jeweils für einige Monate untergebracht war. Der Grund der wechselnden Betreuung lässt sich der ausgewerteten Dokumentation nicht entnehmen. Seinen Vater hat er nicht gekannt. Nach dem 2. Heirat der Mutter, hatte der Stiefvater eine ablehnende Haltung dem BF gegenüber und wollte die Vaterrolle nicht übernehmen.

Es wurde vermerkt, dass der Jugendliche die Schule zu Hause wohnend besuchte, wobei sich in der Hauptschule disziplinäre Probleme ergeben haben. Das erste straffällige Verhalten wurde Ende Juni 1986 dokumentiert.

In der Pubertät wurde das Leben in der elterlichen Wohnung sowohl vom Jugendlichen als auch von seiner Mutter aufgrund ständiger Auseinandersetzungen abgelehnt.

Im Heimbericht vom 16.10.1987 wurden dem BF ein gutes Sozialverhalten, bei wenig emotionaler Bindung und Suche nach Vorteilen mit allen Mitteln, attestiert.

Aus den medizinischen und therapeutischen Befunden/Sachverständigengutachten

Fachärztlicher Befund vom 11.11.2009 Dr. A. XXXX FA f. Psychiatrie

Diagnose: schwere impulsive Persönlichkeitsstörung

Psychologischer Befund vom 18.06.2012, Mag. C. XXXX , klinische und Psychologin

Diagnosen: Anpassungsstörung (mit Störungen der Regulation von Affekten und Impulsen, Störungen der Selbstwahrnehmung, Störungen in der Beziehung zu anderen Menschen, Somatisierung und Veränderung der Lebenseinstellung), emotional instabile Persönlichkeitsstörung

Fachliche Stellungnahme vom 9.03.2014 Mag. D. XXXX , klinischer Psychologe, Psychotherapeut

Diagnostische Gespräche zur Abklärung der erlittenen Beeinträchtigungen durch sexuelle Übergriffe in der Kindheit

Die Übergriffe wurden im Zeitraum zwischen 1978 - 1982 im Alter von 8-12 Jahren,

nicht genau erinnerlich an der heilpädagogischen Abteilung des Landeskrankenhauses XXXX im Rahmen der ambulanten Konsultationen angegeben.

Die Familie befand sich in Betreuung das JA XXXX , die Einweisung zur Behandlung erfolgte aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten des BF.

Aufgrund der disziplinären Schwierigkeiten kam es zu mehreren Heimaufenthalten, die Rückführung zur Mutter erfolgte 1988.

Im Jugend- und Erwachsenenalter setzte der BF Straftaten, in der Mehrzahl Einbrüche und Körperverletzung, vorwiegend unter Einfluss von Alkohol und/oder Drogen.

Die Zeit der therapeutischen Begleitung, vom BF injiziert, war durch Alkohol und Drogenmissbrauch, wie auch von aggressivem, impulsivem Verhalten geprägt.

Der BF sei an mehreren Stellen beschäftigt gewesen und trotz seiner guten Arbeitsleistung, infolge von Eskalationen mit Arbeitgebern und Mitarbeitern, des Öfteren gekündigt worden.

Seine Ehe habe er als stabil bezeichnet, in anderen privaten Kontakten würde es zu vielen Schwierigkeiten und Beziehungsabbrüchen gekommen sein.

Aufgrund der Anamnese, der mehrfachen psychologisch diagnostischen Untersuchungen konnten folgende Diagnosen erhoben werden: emotional instabile Persönlichkeitsstörung, episodischer Substanzmittelmissbrauch, Ejaculatio praecox.

Psychotherapie und fachpsychiatrische Begleitung werden fortgesetzt. Entlassungsbericht Zentrum für psychosoziale Gesundheit XXXX Aufenthalt vom 21.12.2015 bis 10.02.2016

Zuweisung: posttraumatische Belastungsstörung; emotional instabile Persönlichkeitsstörung;

Diagnosen; komplexe posttraumatische Belastungsstörung vom impulsiven Typ (F 60.3) bei Mehrfachtraumatisierung; schädlicher Gebrauch vom Alkohol seit 2005 abstinent, anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.5) im Bereich der unteren LWS.

Im psychopathischen Status wurden Flashbacks unter Stressbedingungen, Albträume bei Ein- und Durchschlafstörung und Impulsivität vermerkt.

Theraphieempfehlung: Dominal Forte 80 mg abends.

Anmerkung SV

Bei der Diagnoseerstellung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS F43.1) wurden die von LCD-10 geforderten Kriterien außeracht gelassen.

Die Diagnose von PTBS ist gemäß der ICD-10 Klassifizierung gerechtfertigt, wenn neben dem auslösenden Trauma, Intrusionen, Hyperarousal und Vermeidung auf der Erlebnisebene - einer Befundebene entsprechend und nicht auf den Beschwerden - auf eigenen Angaben basierend feststellbar sind.

Der Beginn dieser Störung wurde bei der Diagnoseerstellung nicht spezifiziert. Als diagnostische Leitlinie gilt, dass dieses Krankheitsbild verzögert, jedoch innerhalb von sechs Monaten nach einem Trauma von außergewöhnlicher Schwere auftritt.

Prinzipiell ist zur Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung anzumerken, dass diese Störung in der Regel innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten ab der Erstmanifestation abklingt. Es gibt jedoch auch chronische Verläufe und in Einzelfällen ein verzögertes Auftreten der Störung mehrere Monate nach der Traumatisierung (nicht Jahre!). Wenn die Störung chronisch fortbesteht, muss die Diagnose einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung ICD-10 F 62.0 vergeben werden1

Die Diagnose einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung wurde anlässlich des Reha-Aufenthaltes nicht gestellt!

Gemäß dem ICD 10 Katalog entspricht die Kodierung F 60.3 einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung.

Fachärztliche Befundberichte vom 25.09.2009 und 9.11.2009 Dr. B. XXXX , FÄ für Psychiatrie

Diagnosen: Cannabisabhängigkeit, emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ, antisoziale Vergangenheit

Fachärztlicher Befund vom 14.04.2016 Dr. B. XXXX , FÄ für Psychiatrie

Diagnosen: andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, Probleme bei sonstigen psychosozialen Umständen, posttraumatische Belastungsstörung, emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ

Therapeutische Beziehung seit 2005, psychotherapeutische Behandlung zur Aufarbeitung schwerer Traumatisierungen im Rahmen der Psychotherapie wird empfohlen, eine Arbeitsunfähigkeit wird attestiert.

Anmerkung SV

Aus der Zusammenschau der fachärztlichen Briefe, Dr. B. XXXX vom 25.09.2009 und 14.04.2016 ist verwunderlich, dass die Diagnose einer andauernden Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung erst 2016 erhoben wurde.

Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung ist nach lange zurückliegender Traumatisierung nicht zulässig.

Die Diagnose einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung schließt laut ICD-10 Vorgaben, die Diagnose einer andauernden Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung aus.

Psychologischer Befund vom 17.03.2016, Vorbefund vom 6.07.2009 Mag.

l. XXXX , klinische Psychologin

In den Persönlichkeitsuntersuchungen wurden im Test SCL-90-R im Gegensatz zum Vortest ausgedehnte Belastung, mit Depressivität, Unsicherheit im Sozialkontakt, Angst, paranoides Denken und Aggressivität erhoben; im IES-R Verdacht auf posttraumatische Belastung; im ISTA Rückzug und Passivität bzw. destruktive Durchbrüche als Ausdruck einer gestörten Aggression-Regulation.

Im Rorschachtest in Übereinstimmung zur Voruntersuchung ergibt sich eine impulsive Persönlichkeitsstörung mit antisozialer Vergangenheit bei einer Traumafolgestörung nach sexuellem Missbrauch in der Kindheit sowie folterähnlichen Bestrafungen während der Heimunterbringung als Jugendlicher.

Anmerkung SV

Bei den testpsychologischen Verfahren handelt es sich, mit Ausnahme des Rorschachtests, um Selbstbeurteilungsinstrumente. Bei der Auswertung der "Selbstbeurteilungsinstrumente ist in einer Begutachtungssituation prinzipiell eine große Zurückhaltung geboten, da die Probanden in ihren Angaben die Testergebnisse in einem hohen Maße tendenziös verfälschen können"2.

Ärztliches Gesamtgutachten zum Antrag auf Gewährung einer Invaliditätspension

PVA vom 19.04.2016 Dr. P. XXXX , FA f. Psychiatrie

Beschwerden: weiterhin Albträume und Durchschlafstörungen, tagsüber Flashbacks, welche an die Traumatisierung erinnern, und welche der Untersuchte zeitweise unter Kontrolle habe, Stimmungsschwankungen, geminderter Antrieb, Konzentrationsschwäche, Angst vor Impulsivität und erneuerter Delinquenz, Schmerzen in der LWS.

Psychopathologisch: reduzierte Konzentration, Wahrnehmung:

Flashbacks, Stimmung depressiv, Affekte in den neg. Skalenbereich verschoben, Antrieb reduziert, Durchschlafstörungen mit Albträumen,

Persönlichkeit: emotional-instabile Züge, traumatisierende Züge, impulsive Züge, Somatisierungsneigung

Diagnosen: andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, und undifferenzierte Somatisierungsstörung, Z.n. schädlichen Gebrauch von Alkohol.

In der Begründung der Diagnosen wird angeführt, dass bei dem Untersuchten eine andauernde Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung nach Mehrfachtraumatisierungen durch Erlebnisse im Kinderheim sowie sexuellen Übergriffe durch einen Arzt in XXXX , Albträume Flashbacks, Durchschlafstörungen, Neigung zu Impulsdurchbrüchen bestehen.

Anmerkung SV

1. Als Persönlichkeit wird die Gesamtheit der psychischen Eigenschaften, Verhaltensweisen, die dem einzelnen Menschen seine unverwechselbare Individualität verleihen, genannt. Die Persönlichkeitsmerkmale entstehen in der frühen KindheìÍ und Jugend. Es wird angenommen, dass die Entwicklung der Persönlichkeit in der Pubertät abgeschlossen ist.3

Eine andauernde, wenigstens über 2 Jahre bestehende Persönlichkeitsveränderung kann einer Belastung katastrophalen Ausmaßes folgen (ICD 10). Diese Diagnose kann nur nach Ausbildung der Charakterzüge, welche die Persönlichkeit bestimmen, d.h. im erwachsenem Alter vergeben werden. Den Nachweis einer Persönlichkeitsänderung hat der SV nicht erbracht.

2. Beschwerden vs Symptome

Unter Symptomen versteht man körperliche (psychische) objektiv vom Arzt erhobene Zeichen, die einen veränderten Funktionszustand der Psyche, eines Organes oder eines Körperteils anzeigen.

Beschwerden hingegen sind von Patienten angegebene Störungen der Befindlichkeit, welche auf subjektiven Empfindungen basieren - bei dem Untersuchten sind es: Schlafstörung, Albträume Flashbacks, Neigung zu Impulsdurchbrüchen

Der SV der PVA hat es unterlassen, in der Befundung die objektiv erhobenen Symptome von den angegebenen, subjektiven Beschwerden zu trennen. Die eigenen Angaben des Untersuchten und subjektiv empfundene Beschwerden wurden als Leitkriterien zur Diagnoseerstellung herangezogen. Dadurch wurde den vorgetragenen Beschwerden die Bedeutung objektiver Tatsachen verliehen.

3. Bei der Diagnosestellung der andauernden Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung, F62 wurden die aus der wissenschaftlichen Literatur und aus den Leitlinien bekannten und empfohlenen Diagnosekriterien in die gutachterliche Befundung nicht miteinbezogen.

Entsprechend den Kriterien des ICD 10 Kataloges ist diese Diagnose zu stellen, "wenn die Persönlichkeitsänderung einer Belastung katastrophalen Ausmaßes folgt. Die Belastung muss extrem sein. Die Vulnerabilität der betreffenden Person als Erklärung für die tiefgreifende Auswirkung auf die Persönlichkeit darf nicht in Erwägung gezogen werden." Merkmale der andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung sind feindliche oder misstrauische Haltung gegenüber der Welt, sozialer Rückzug, Gefühle der Leere oder Hoffnungslosigkeit, ein chronisches Gefühl der Anspannung, wie bei ständigen Bedrohtseins und Entfremdungsgefühle. Diese Symptome wurden im psychopathologischen Zustand nicht angeführt. Die diagnostizierten Albträume und Flashbacks gehören nicht zu den Kernsymptomen einer andauernden Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung.

Das bei der Beschreibung der Persönlichkeit des BF verwendetes Attribut "traumatisierende Züge" ist in der psychiatrischen Lehre nicht bekannt.

4. Diagnose einer undifferenzierten Somatisierungsstörung ist durch nichts begründet. Angegebene Schmerzen im LWS-Bereich, dazu ohne jegliche körperliche Untersuchung und ohne bildgebende Verfahren, sind nicht ausreichend um diese Diagnose zu stellen. Viele Menschen leiden an Rücken-(Kreuz-)schmerzen, ohne dass die Diagnose einer Somatisierungsstörung gestellt wird.

Dem nervenärztlichen Gutachten nach dem VOG vom 22.04.2016 Dr. W. XXXX FA f.

Neurologie und Psychiatr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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