RS Vfgh 2018/10/4 G135/2018

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Veröffentlicht am 04.10.2018
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Index

60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

B-VG Art7 / Gesetz
Arbeitsvertragsrechts-AnpassungsG §7i Abs4 idF BGBl I 94/2014
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
VStG §16, §22 Abs2
AuslBG §28 Abs1
GlücksspielG §52 Abs2
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung im Gleichheitsrecht durch eine Strafbestimmung des Arbeitsvertragsrechts-AnpassungsG betreffend die Nicht-Bereitstellung von Lohnunterlagen zur Verhinderung von Lohn- und Sozialdumping; kein Missverhältnis zwischen den Mindeststrafdrohungen und dem Unrechtsgehalt der Tat für die Nicht-Bereitstellung von Lohnunterlagen; Bedachtnahme auf Vervielfachung des Unrechtsgehaltes und Erhöhung des wirtschaftlichen Nutzens durch Festsetzung der Strafdrohung pro Arbeitnehmer entspricht dem für das Verwaltungsstrafverfahren charakteristischen Kumulationsprinzip

Rechtssatz

Abweisung des - zulässigen - Antrags des Landesverwaltungsgerichts Steiermark (LVwG), dass §7i Abs4 AVRAG idF BGBl I 94/2014 verfassungswidrig war.

Offenkundiger konkreter Regelungszusammenhang der unterschiedlichen Tatbestände in §7i Abs4 Z1, Z2 und Z3 AVRAG sodass der Anfechtungsumfang, festzustellen, dass §7i Abs4 AVRAG zur Gänze verfassungswidrig war, nicht zu weit gefasst ist. Keine untrennbare Einheit des §7i Abs4 AVRAG mit §22 VStG und keine Präjudizialität des darin geregelten Kumulationsprinzips.

Keine Bedenken gegen die Mindeststrafdrohung in §7i Abs4 AVRAG im Hinblick auf Art7 B-VG:

Vor dem Hintergrund seiner Rsp (zum AuslBG: VfSlg 13790/1994, 15600/1999, 18219/2007 und 18775/2009; zum GlückspielG: 19960/2015) kann der VfGH nicht erkennen, dass zwischen den Mindeststrafdrohungen in §7i Abs4 AVRAG und dem Unrechtsgehalt der Tat und ihren wirtschaftlichen Folgen ein Missverhältnis bestünde. Von einem Exzess kann in Ansehung der Strafsätze angesichts des möglichen Nutzens einer längerdauernden Beschäftigung und im Hinblick darauf, dass im einzelnen Strafsatz auch sehr lange Zeit hindurch fortgesetzte Straftaten erfasst werden müssen, nicht die Rede sein.

Dass §7i Abs4 AVRAG für das Nicht-Bereitstellen von Lohnunterlagen die gleichen Mindeststrafen wie für die Unterentlohnung gemäß §7i Abs5 AVRAG selbst vorsieht, dient dem Zweck, eine Umgehung zu verhindern. Andernfalls könnte es bei ausreichend hohem wirtschaftlichem Interesse dazu kommen, dass der Strafbetrag als bloßer Preis des erwarteten Nutzens kalkuliert wird und die Strafdrohung ihren Zweck verfehlt. Der Zweck der Strafnorm des §7i Abs4 AVRAG liegt letztlich - ebenso wie jener der Strafnorm des §7i Abs5 AVRAG - darin, das öffentliche Interesse an einem geregelten Arbeitsmarkt, am Schutz von Arbeitnehmern vor ausbeuterischen Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie am Schutz von Unternehmen vor unlauterem Wettbewerb durch Lohn- und Sozialdumping zu wahren.

Der Gesetzgeber führt anlässlich der Novelle BGBl I 94/2014 in den Materialien zu §7i Abs4 AVRAG aus, dass Arbeitgeber in der Praxis oftmals eine Anzeige wegen des Nicht-Bereithaltens von Lohnunterlagen in Kauf genommen hätten, um Unterentlohnungen zu verschleiern. Der Grund dafür sei in der im Falle des Nicht-Bereithaltens (damals) wesentlich geringeren Strafe und in der Tatsache gelegen, dass eine erfolgversprechende Anzeige ohne diese Lohnunterlagen nicht möglich war. Mit der Anhebung des Strafrahmens entfalle ein kalkulierbarer Nutzen im Falle einer Unterbezahlung. Auch die sukzessive Anhebung des Strafrahmens für das Fehlen von Lohnunterlagen spricht für die mangelnde Zielerreichung durch frühere niedrigere Strafdrohungen.

Dem Gesetzgeber ist sohin aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten, wenn er im Zusammenhang mit einer Arbeitskräfteüberlassung in Österreich durch einen Überlasser ohne Sitz im Inland zur effektiven Verhinderung von Lohn- und Sozialdumping dazu verpflichtet, für Zwecke der Kontrolle bestimmte Lohnunterlagen dem Beschäftiger bereitzustellen.

Keine Verletzung im Gleichheitsrecht durch Bestrafung pro Arbeitnehmer:

Indem der Gesetzgeber die Strafdrohung für das Nicht-Bereitstellen der Lohnunterlagen pro Arbeitnehmer gemäß §7i Abs4 AVRAG festsetzt, nimmt er auf die Vervielfachung des Unrechtsgehaltes, aber auch auf die Erhöhung des wirtschaftlichen Nutzens bei Betroffenheit mehrerer Arbeitnehmer auf eine Weise Bedacht, die der Häufung von Straftaten und damit dem für das Verwaltungsstrafverfahren charakteristischen Kumulationsprinzip entspricht. Was die Strafsätze betrifft, führt das hier gewählte System nämlich zu einem ähnlichen Ergebnis wie der in §22 Abs2 VStG niedergelegte Grundsatz, dass die durch mehrere Übertretungen verwirkten Strafen nebeneinander zu verhängen sind.

Der VfGH hat §22 Abs2 VStG in stRsp als verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet. Der Antrag des LVwG gibt keinen Anlass, von dieser - sinngemäß übertragbaren - Auffassung abzugehen. Der bloße Umstand, dass es im vorliegenden Fall, ähnlich wie bei der verbotenen Beschäftigung von Ausländern, leicht zur Vervielfachung des Unrechtsgehaltes kommen kann, ist kein Grund, an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Verhängung gebündelter Strafen zu zweifeln. Auch die Gestaltung der Straftatbestände bietet vor dem Hintergrund des Kumulationsprinzips keinen Anlass zu Bedenken.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Arbeitsrecht, Arbeitsvertrag, Mindeststrafe, Geldstrafe, Kumulationsprinzip, Zusammentreffen strafbarer Handlungen, Strafe (Verwaltungsstrafrecht), VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:G135.2018

Zuletzt aktualisiert am

09.03.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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