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E2D Assoziierung Türkei;Norm
ARB1/80 Art6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde des 1960 geborenen KA in Wien, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. August 1997, Zl. 118.498/8-III/11/97, betreffend Antrag auf Wiederaufnahme eines Verfahrens i.A. Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Türkei. Er verfügte zuletzt über eine Aufenthaltsbewilligung mit Geltungsdauer vom 31. Oktober 1994 bis 1. Mai 1995. Am 30. März 1995 beantragte der Beschwerdeführer ausdrücklich die Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz (AufG).
Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. Jänner 1996 gemäß § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) abgewiesen. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde aus, der Beschwerdeführer sei eine Ehe mit einer österreichischen Staatsangehörigen bloß deshalb eingegangen, um problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung und in weiterer Folge die österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung. In einer im Berufungsverfahren erstatteten Eingabe vom 19. März 1997 vertrat der Beschwerdeführer unter anderem die Auffassung, ihm stehe ein Aufenthaltsrecht gemäß Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des aufgrund des Assoziierungsabkommens zwischen der EWG und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates vom 19. März 1980 zu.
Mit Bescheid vom 24. März 1997, dem Beschwerdeführer zugestellt am 7. April 1997, wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ab. Die belangte Behörde teilte dabei die Auffassung der erstinstanzlichen Behörde, der Beschwerdeführer sei am 18. Juni 1991 die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin nur deshalb eingegangen, um sich fremdenrechtliche Vorteile zu verschaffen. Dieses Verhalten des Beschwerdeführers habe den Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG verwirklicht. Der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 AufG sei gegeben. Auf die Behauptung des Beschwerdeführers, ihm stehe ein Aufenthaltsrecht nach dem in Rede stehenden Assoziationsratsbeschluß zu, ging die belangte Behörde in diesem Bescheid mit keinem Wort ein.
Mit seiner am 12. Mai 1997 beim Landeshauptmann von Wien eingelangten Eingabe beantragte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 24. März 1997 abgeschlossenen Verfahrens. Begründend führte der Beschwerdeführer aus, mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Metall-Chemie Wien vom 22. April 1997, zugestellt am 25. April 1997, sei festgestellt worden, daß der Antragsteller die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 erfülle und damit in Österreich freien Zugang zu jeder von ihm gewählten unselbständigen Beschäftigung habe. Der Beschwerdeführer genieße daher gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG in Österreich Niederlassungsfreiheit. Der Bundesminister für Inneres sei zur Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung des Antragstellers nicht zuständig gewesen, der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet richte sich ausschließlich nach den Bestimmungen des Fremdengesetzes. Damit liege der Wiederaufnahmegrund der abweichenden Vorfragenentscheidung gemäß § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG vor.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 21. August 1997 wies die belangte Behörde diesen Antrag gemäß § 69 Abs. 1 AVG ab. Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer habe das "Tatbild einer Scheinehe" verwirklicht und sich dadurch seine arbeitsrechtliche Stellung erschlichen. Deshalb lägen die Voraussetzungen des in Rede stehenden Assoziationsratsbeschlusses in seinem Falle nicht vor. Die Arbeitsmarktbehörde habe den in Rede stehenden Erschleichungstatbestand bei Bescheiderlassung nicht gekannt, sodaß deren Bescheid für die Aufenthaltsbehörde keine Bindung entfalten könne.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 69 Abs. 1 Z. 3 AVG lautet:
"§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
...
3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde."
§ 1 Abs. 3, § 2 Abs. 3 und § 6 Abs. 1 und 4 AufG lauteten:
"§ 1. ...
...
(3) Keine Bewilligung brauchen Fremde, wenn sie
1. auf Grund allgemein anerkannter Regeln des Völkerrechts, eines Staatsvertrages, unmittelbar anwendbarer Rechtsakte der Europäischen Union oder anderer bundesgesetzlicher Vorschriften in Österreich Niederlassungsfreiheit genießen;
§ 2. ...
(3) Die Bundesregierung kann in dieser Verordnung insbesondere
...
4. in Österreich geborene Kinder von Fremden (§ 3 Abs. 1 Z 2), Angehörige österreichischer Staatsbürger (§ 3 Abs. 1 Z 1), Personen, die gemäß § 1 Abs. 3 Z 1 aufenthaltsberechtigt sind oder waren, ... insoweit von der Anrechnung auf die Zahl der Bewilligungen ausnehmen, als dadurch das Ziel der Zuwanderungsregelung nicht beeinträchtigt wird, und ...
§ 6. (1) Außer in den Fällen des § 7 Abs. 1 werden die Bewilligung und deren Verlängerung auf Antrag erteilt. ...
...
(4) Über den Antrag entscheidet, außer in den Fällen des § 7, der nach dem beabsichtigten Aufenthalt zuständige Landeshauptmann. ..."
Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, der Wiederaufnahmetatbestand des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG liege im Hinblick auf den Bescheid der Arbeitsmarktbehörde vor. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei mit dem Vorliegen eines solchen Feststellungsbescheides auch ein entsprechender Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verknüpft. Gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG benötigten Fremde, welche aufgrund unmittelbar anwendbarer Rechtsakte der Europäischen Union in Österreich Niederlassungsfreiheit genießen, keine Aufenthaltsbewilligung. Zu diesem Personenkreis zählten nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch türkische Staatsangehörige, welche die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 erfüllten. Diesen Umstand habe der Beschwerdeführer schon im Verfahren betreffend die Berufung gegen die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung mit Schriftsatz vom 19. März 1997 dargetan. Der Berufungsbescheid im wiederaufzunehmenden Verfahren sei daher von der Lösung dieser Vorfrage abhängig gewesen. Hätte die belangte Behörde die Frage des Bestehens eines Aufenthaltsrechtes nach dem in Rede stehenden Beschluß des Assoziationsrates bejaht, so wäre sie gehalten gewesen, der Berufung des Beschwerdeführers stattzugeben, den angefochtenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien aufzuheben und den Antrag an die zuständige Fremdenpolizeibehörde zur weiteren Bearbeitung weiterzuleiten. In der Folge legt der Beschwerdeführer dar, weshalb die Beurteilung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, er erfülle die Voraussetzungen des in Rede stehenden Assoziationsratsbeschlusses nicht, unzutreffend sei und überdies gegen die Bindungswirkung des Bescheides der Arbeitsmarktbehörde verstieße.
Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG wäre Voraussetzung für die Berechtigung des Wiederaufnahmeantrages, daß der Bescheid vom 24. März 1997 gemäß § 38 AVG von der Vorfrage abhängig war, ob dem Beschwerdeführer die Rechte nach Art. 6 Abs. 1 des in Rede stehenden Assoziationsratsbeschlusses zustanden. Unter einer Vorfrage ist eine für die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von Gerichten zu entscheiden ist (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts6, Rz 306). Im vorliegenden Fall war aber aus folgenden Gründen die Frage, ob dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 des in Rede stehenden Assoziationsratsbeschlusses zustand oder nicht, für die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 24. März 1997 nicht präjudiziell:
Das einem türkischen Staatsbürger bei Erfüllung der dort umschriebenen Voraussetzungen zustehende Recht aufgrund des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 des durch das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffenen Assoziationsrates, also eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes der Europäischen Union (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/0424), kommt diesem im Sinne des § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG unabhängig von einer Bewilligung gemäß § 1 Abs. 1 leg. cit. zu. In ein danach allenfalls bestehendes Aufenthaltsrecht wird durch einen eine Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung versagenden Bescheid nicht eingegriffen. Andererseits zeigt schon die Verordnungsermächtigung des § 2 Abs. 3 Z. 4 AufG, welche die Bundesregierung berechtigt, Personen, die gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG aufenthaltsberechtigt sind, unter näher umschriebenen Voraussetzungen von der Anrechnung auf die Zahl der Bewilligungen auszunehmen, daß auch für Personen, die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG erfüllen, eine Aufenthaltsbewilligung ausgestellt werden kann. Daher war die Frage, ob dem Beschwerdeführer eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz erteilt werden durfte, allein danach zu beurteilen, ob die Voraussetzungen nach diesem Gesetz vorlagen oder nicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 1997, Zl. 95/19/0897, mit weiteren Hinweisen auf die Vorjudikatur).
Eine gegenteilige Aussage ist dem vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 1996, Zl. 96/21/0641, nicht zu entnehmen. Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis - nicht tragend - ausgesprochen, daß einem türkischen Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen des in Rede stehenden Assoziationsratsbeschlusses erfüllt, ein entsprechender Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zustehe. Damit wurde aber nicht die Aussage getroffen, daß ein solcher Rechtsanspruch etwa - entgegen der in diesem Erkenntnis zitierten Vorjudikatur - durch Erteilung einer Bewilligung gemäß § 1 Abs. 1 AufG umzusetzen wäre.
Der Beschwerdeführer hat nun aber im wiederaufzunehmenden Verfahren am 30. März 1995 ausdrücklich die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (nicht etwa die eines Sichtvermerkes nach dem Fremdengesetz) beim Landeshauptmann von Wien beantragt. Dieser war daher aus dem Grunde des § 6 Abs. 4 AufG zur Behandlung dieses Antrages auch zuständig (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 1998, Zl. 96/19/3520). Der Umstand, daß dem Beschwerdeführer allenfalls ein Aufenthaltsrecht nach dem in Rede stehenden Assoziationsratsbeschluß zustand, wäre nach dem Vorgesagten auch einem Erfolg dieses Antrages nicht im Wege gestanden. Der Antragserfolg hing vielmehr ausschließlich davon ab, ob die im Aufenthaltsgesetz für eine Bewilligungserteilung umschriebenen Voraussetzungen erfüllt waren. Dies wurde von der belangten Behörde im Bescheid vom 24. März 1997 eben mit der Begründung verneint, daß der Ausschließungsgrund des § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG vorliege, weil der Beschwerdeführer eine Ehe ausschließlich zur Erlangung fremdenrechtlicher Vorteile geschlossen habe. Auch für die Beurteilung der Frage, ob der von der belangten Behörde gebrauchte Ausschließungsgrund zu Recht herangezogen wurde, stellte das Bestehen einer allfälligen Aufenthaltsberechtigung nach dem in Rede stehenden Assoziationsratsbeschluß keine präjudizielle Vorfrage dar.
Damit hat die belangte Behörde aber den Wiederaufnahmsantrag des Beschwerdeführers im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden, weil die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahren erkennen ließen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt, und Art. 6 Abs. 1 MRK dem nicht entgegensteht.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1997191618.X00Im RIS seit
02.05.2001Zuletzt aktualisiert am
05.05.2009