RS Vwgh 2018/8/8 Ra 2017/10/0103

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Veröffentlicht am 08.08.2018
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Index

E6J
001 Verwaltungsrecht allgemein
40/01 Verwaltungsverfahren
82/04 Apotheken Arzneimittel

Norm

ApG 1907 §10 Abs2 Z3
ApG 1907 §10 Abs6a idF 2016/I/103
AVG §56
VwGVG 2014 §17
VwRallg
62012CJ0367 Sokoll-Seebacher VORAB
62015CO0634 Sokoll-Seebacher VORAB

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):Ra 2019/10/0117 E 20.12.2019

Rechtssatz

Das Vorliegen maßgeblicher "besonderer örtlicher Verhältnisse" iSd § 10 Abs 6a ApG 1907 idF BGBl. I Nr. 103/2016 ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung nachstehender Kriterien zu beurteilen: Erste Voraussetzung ist die Situierung der Betriebsstätte der neu zu errichtenden Apotheke in einem Gebiet mit demographischen Besonderheiten (vgl. VwGH 27.3.2014. 2013/10/0209), dh einem Gebiet, das nach der Struktur seines Bevölkerungsbestandes geeignet ist, eine besondere Bedarfssituation hinsichtlich der sicheren und qualitativ hochwertigen Versorgung mit Arzneimitteln zu indizieren. Zu derartigen Gebieten zählen neben ländlichen und abgelegenen Regionen außerhalb der Versorgungsgebiete bestehender Apotheken (vor allem für Menschen mit eingeschränkter Mobilität) ausweislich der Gesetzesmaterialien (vgl. dazu die Begründung des Antrages 1863/A BlgNR XXV. GP) insbesondere sich nachhaltig und stetig entwickelnde Siedlungsgebiete, der nähere Umkreis größerer medizinischer Einrichtungen oder eines Krankenhauses mit mehreren Anstaltsambulatorien sowie der Nahbereich bedeutender und stark frequentierter Verkehrsknotenpunkte, wie etwa Flughäfen oder Hauptbahnhöfe. Liegt die Betriebsstätte der neu zu errichtenden Apotheke in einem derartigen Gebiet (oder einem vergleichbaren Gebiet mit demographischen Besonderheiten), ist als zweite Voraussetzung zu prüfen, ob die konkret vorliegenden demographischen Besonderheiten zu einem (bestehenden oder unmittelbar bevorstehenden) Mangel in der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln führen, dem durch die beantragte Apotheke begegnet werden kann. Dies ist der Fall, wenn ansonsten - dh bei Nichterrichtung der neuen Apotheke - eine ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung unter Berücksichtigung des Versorgungsangebots durch bestehende Apotheken (einschließlich Filialapotheken und ärztlichen Hausapotheken) nicht gewährleistet ist, weil die bestehenden Apotheken infolge der konkreten örtlichen Gegebenheiten und Verkehrsverhältnisse nicht ausreichend rasch bzw. nur unzumutbar erreichbar sind. Dabei ist insbesondere die bei der Bedarfsprüfung im Vordergrund stehende Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen zu berücksichtigen (vgl. VwGH 27.3.2014, 2013/10/0209; 25.4.2014, 2013/10/0022; 12.8.2014, 2012/10/0181; 8.10.2014, Ro 2014/10/0096; 22.4.2015, 2013/10/0077 und Ro 2014/10/0122; 11.8.2015, Ro 2014/10/0112; 30.9.2015, 2013/10/0261 und Ro 2014/10/0081). Trifft auch diese Voraussetzung zu, bedarf es schließlich der Beurteilung, ob die Errichtung der neuen Apotheke insgesamt für eine ordnungsgemäße Versorgung der betroffenen Bevölkerung mit Arzneimitteln erforderlich ist. Davon kann allerdings nicht gesprochen werden, wenn der Vorteil aus der Neuerrichtung einer Apotheke durch Nachteile für die Bevölkerung in den Versorgungsgebieten der bestehenden Apotheken überwogen wird. Die Behörde bzw. das VwG haben dabei eine entsprechende Abwägung vorzunehmen, wobei ein maßgebliches Überwiegen von Nachteilen nur bei einer derartig erheblichen Verminderung des Kundenpotenzials einer oder mehrerer bestehender öffentlicher Apotheken angenommen werden kann, dass deren wirtschaftlicher Weiterbestand ernsthaft gefährdet ist und dadurch bisher gut versorgte Personen einen zumutbaren Zugang zur Arzneimittelversorgung verlieren würden. Die Behörde bzw. das VwG haben nach den genannten Voraussetzungen in jedem Einzelfall die Anwendbarkeit des § 10 Abs. 6a legcit zu prüfen und dabei das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen maßgeblicher "besonderer örtlicher Verhältnisse" - gestützt auf geeignete Feststellungen - zu begründen.

Gerichtsentscheidung

EuGH 62012CJ0367 Sokoll-Seebacher VORAB
EuGH 62015CO0634 Sokoll-Seebacher VORAB

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Sachverhaltsermittlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017100103.L02

Im RIS seit

10.03.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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