TE OGH 2019/12/19 6Ob76/19y

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Veröffentlicht am 19.12.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** G*****, vertreten durch Mag. Robert Morianz, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei S***** P*****, vertreten durch Dr. Christof Joham, Rechtsanwalt in Eugendorf als bestellter Verfahrenshelfer, wegen Unterlassung (Streitwert 3.000 EUR) und 1.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 21. Februar 2019, GZ 53 R 252/18t-66, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Neumarkt bei Salzburg vom 30. August 2018, GZ 10 C 576/16k-62, abgeändert wurde, zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

1. Der Revision wird betreffend das Zahlungsbegehren nicht Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird insoweit als Teilurteil bestätigt.

2. Im Übrigen, somit betreffend das Unterlassungsbegehren, wird der Revision Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird insoweit aufgehoben und es wird dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

3. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt die Verurteilung der Beklagten dazu, es zu unterlassen, ihn mit anonymisierten Briefen zu beleidigen, insbesondere ihn als schwulen stinkenden Lokalbetreiber, ihn und seine Gäste als „Sandler“, „Asylanten“, und „Gfrast“ sowie den Vater des Klägers als „fettleibigen, idiotischen Alkoholiker“ und die Mutter des Klägers als „grausige Nägelbeißerin“, die in ihrem Leben nichts auf die Reihe gebracht hat, zu bezichtigen. Weiters stellt er ein Zahlungsbegehren von 1.000 EUR sA. Er brachte dazu vor, er betreibe in ***** ein Café und werde beim Betrieb von seinen Eltern unterstützt. Seit Oktober 2015 habe er mehrere anonyme Briefe erhalten, in denen er, seine Eltern und die Gäste seines Lokals massiv beleidigt worden seien. Unter anderem seien auch die im Unterlassungsbegehren genannten Behauptungen gefallen. Durch Recherchen habe er die Beklagte als Verfasserin der Briefe herausgefunden. Für die Recherchen und die erlittenen Beleidigungen sei ein pauschaler (Schaden-)Ersatz von 1.000 EUR angemessen. Aufgrund der beleidigenden Briefe leide er seit über einem Jahr an Schmerzen, die sich in Schlafstörungen, mangelnder Lebensfreude und körperlichem Unwohlsein ausdrückten. Die vorprozessualen Anwaltskosten allein hätten über 1.000 EUR betragen.

Die Beklagte wendete ein, sie habe die Briefe nicht verfasst. Zudem sei das Schadenersatzbegehren nicht schlüssig, weil der Kläger nicht dartue, welche Schäden er konkret erlitten habe und welche Kosten für Recherchen entstanden seien. Vorprozessuale Kosten seien vom Einheitssatz umfasst bzw seien in der Kostennote geltend zu machen.

Das Erstgericht gab dem gesamten Klagebegehren statt. Es traf ua folgende Feststellungen:

Der Kläger ist Eigentümer eines Cafés in *****, das er gemeinsam mit seinen Eltern bewirtschaftet.

Zwischen Oktober 2015 und Juni 2018 erhielt er rund 15 anonyme, von der Beklagten verfasste Briefe, die an „*****MuppetsShow zHd [Namen der Eltern des Klägers]“, „***** Muppets-Show“, „[Namen der Eltern des Klägers]“ und „[Name der Mutter des Klägers]“ adressiert waren.

Das Erstgericht stellte den Wortlaut von zehn dieser anonymen Briefe fest, in denen neben anderen Beschimpfungen des Klägers und seiner Eltern teils wörtlich, teils sinngemäß und teilweise auch wiederholt die im Unterlassungsbegehren genannten Bezeichnungen vorkommen. Dabei werden die Eltern mehrfach mit ihrem Vornamen genannt, einmal wird auch der Kläger mit seinem Vornamen erwähnt, sonst wird er oft als „Schwuli“ bezeichnet.

Der Inhalt dieser Briefe wurde außer dem Kläger auch dessen Vater bekannt, der zwei bis drei Briefe las. Der Kläger sprach auch mit einem Stammgast über die Briefe. Für eine graphologische Expertise, die der Kläger vor dem Prozess zur Ermittlung der Urheberschaft der Briefe einholte, entstanden ihm keine Kosten. Wegen der Briefe leidet der Kläger an Schlafstörungen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, es bestehe ein Anspruch wegen Ehrenbeleidigung nach § 1330 Abs 1 ABGB. Bei den Beleidigungen handle es sich um unüberprüfbare Werturteile. Die geforderte Publizität sei gegeben, weil auch der Vater des Klägers die auch an ihn adressierten Briefe gelesen habe. Weiters habe der Kläger mit einem Stammgast über die Briefe gesprochen. Dies rechtfertige sowohl den Unterlassungsanspruch als auch einen Schadenersatzanspruch nach § 1330 ABGB. Die Schlafstörungen des Klägers seien eine Realinjurie. Die Beklagte habe auch in die nach § 16 ABGB geschützten Persönlichkeitsrechte des Klägers eingegriffen, sodass er Schadenersatz für die von ihr erlittenen immateriellen Schäden und den entstandenen Aufwand begehren könne. Nach § 273 Abs 1 und 2 ZPO werde der Schadenersatzbetrag mit 1.000 EUR festgesetzt.

Das Berufungsgericht wies das gesamte Klagebegehren ab. Es hielt aus rechtlichen Erwägungen die Behandlung der Verfahrensmängelrüge sowie der Tatsachenrüge aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung für entbehrlich und führte zur Rechtsrüge aus, die Beschimpfungen seien keine Tatsachenbehauptungen, sondern unüberprüfbare Werturteile. Der Kläger und seine Eltern würden als Kollektiv mit einem überschaubaren Kreis von Angehörigen beleidigt. Bei den Briefen, die der Kläger und zum Teil auch sein Vater als Mitbeleidigter gelesen habe, bestehe die für eine Ehrenbeleidigung nach § 1330 Abs 1 ABGB notwendige Mindestpublizität nicht. Soweit der Kläger einen oder mehrere Briefe einem Stammgast zugänglich gemacht habe, habe er dies selbst zu verantworten. Ebenso scheide ein auf § 1330 ABGB gestützter Schadenersatzanspruch aus. Der Kläger habe auch nicht schlüssig dargetan, welcher konkreter Schaden ihm entstanden sei. Die Beklagte habe auf die Unschlüssigkeit des Begehrens verwiesen, ohne dass der Kläger darauf reagiert hätte. Der Zuspruch für Schlafstörungen aus dem Titel des Schmerzengelds komme nicht in Frage, weil der Kläger keinen Krankheitswert der Beeinträchtigungen behauptet habe. Das Erstgericht habe § 273 Abs 2 ZPO zu Unrecht angewendet. Vorprozessuale Rechtsanwaltskosten zur Vorbereitung des Prozesses könnten nicht als Schadenersatzanspruch geltend gemacht werden. Ein (sonstiger) immaterieller Schaden sei nicht ausreichend behauptet worden. Mangels Vorbringens komme auch kein Unterlassungsanspruch und Schadenersatzanspruch nach § 16 ABGB iVm § 1328a ABGB in Frage.

Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil die Frage der Mindestpublizität einer Ehrenbeleidigung gegenüber einem überschaubaren Kollektiv in zivilrechtlicher Hinsicht in der hier vorliegenden Form noch nicht behandelt worden sei. Dies gelte auch für die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen beim vorliegenden Vorbringen auch Ansprüche nach § 16 ABGB und § 1328a ABGB zu prüfen gewesen wären.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag (in die zweite, hilfsweise in die erste Instanz) gestellt.

Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht das Unterlassungsbegehren nicht auch unter dem Gesichtspunkt der §§ 16, 1328a ABGB geprüft hat. Sie ist betreffend das Zahlungsbegehren nicht berechtigt, betreffend das Unterlassungsbegehren jedoch teilweise im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags in die zweite Instanz berechtigt.

Der Revisionswerber macht geltend, das Urteil des Berufungsgerichts sei überraschend und daher mangelhaft, weil die (ausreichende) Publizität von den Parteien und vom Erstgericht ohne weitere Erörterung bejaht worden sei. Bei Erörterung hätte er ua vorgebracht, dass die Briefe auch seiner Mutter zugegangen und bekannt geworden seien und manche Briefe nicht verklebt und somit für jedermann leicht lesbar gewesen seien. Wenn er als Schwuler – wenngleich nur gegenüber seinen Eltern – bezeichnet werde, stelle dies eine Ehrenbeleidigung dar. Sofern er diese Neigung tatsächlich in sich trage, wäre es naheliegend, dass er seinen Eltern davon nichts erzählt hätte. Es dürfe nicht vorausgesetzt werden, dass er mit seiner Familie im Einklang lebe. Homosexualität könnte etwa in einer erbrechtlichen Auseinandersetzung gegen ihn ins Treffen geführt werden. Seine Ansprüche hätten auch nach den §§ 16, 1328a ABGB geprüft werden müssen. Die Anwendung des § 273 ZPO durch das Erstgericht für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch sei richtig gewesen.

Hierzu wurde erwogen:

1. Unterlassungsbegehren

1.1. Aus dem Klagevorbringen ist erkennbar, dass der Kläger die Unterlassung der inkriminierten Äußerungen nicht nur bzw nicht primär deswegen begehrt, weil dadurch sein Kredit im Sinn des § 1330 ABGB beeinträchtigt wird, sondern weil er sich schon allein durch die mehrfach wiederholten Beleidigungen seiner selbst und seiner Eltern in seiner Würde herabgesetzt fühlt, was auch zu psychischen Beeinträchtigungen geführt hat.

1.2. Der zivilrechtliche Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre war bereits vor Inkrafttreten des § 382g EO durch § 16 ABGB beziehungsweise durch § 1328a ABGB gewährleistet. Die mit 1. 7. 2006 in Kraft getretenen neuen Regelungen über einstweilige Verfügungen zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre (§ 382g EO BGBl I 2006/56) schaffen keine neue Anspruchsgrundlage, sondern setzen diese vielmehr voraus. Nur ein Verhalten, das auch nach der Rechtslage vor 1. 7. 2006 rechtswidrig war, kann somit die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382g EO rechtfertigen (RS0121886).

1.3. In folgenden Fällen aus jüngerer Zeit wurde ein wiederholtes Verhalten des Belästigers als rechtswidrig iSd §§ 16, 1328a ABGB beurteilt:

Im Fall 8 Ob 155/06m verfolgte der Antragsgegner neben anderen Belästigungen die Antragstellerin ständig, auch mit Telefonanrufen und E-Mails.

In der Entscheidung 2 Ob 82/08k beobachtete der Antragsgegner die Antragstellerin mit dem Fernglas, fotografierte sie unzählige Male und filmte sie, wenn sie an seinem Haus vorbeiging, weiters beschimpfte er sie wiederholt.

Im Fall 7 Ob 130/15s schickte die Antragsgegnerin dem Antragsteller über mehrere Monate zahlreiche SMS (mit nicht festgestelltem Inhalt).

In der Entscheidung 8 Ob 129/15a verfolgte der Beklagte die Klägerin mehr als ein Jahr lang mehrmals wöchentlich, unter anderem indem er ihre Nähe aufsuchte, ihr auf der Straße hinterherging, sie filmte und fotografierte.

1.4. Im Licht dieser Rechtsprechung ist der erkennende Senat der Auffassung, dass auch im vorliegenden Fall bei rund 15 über einen längeren Zeitraum verschickten beleidigenden Briefen ein Unterlassungsanspruch des Klägers schon wegen Verletzung seiner aus § 16 und § 1328a ABGB entspringenden Rechte auf Schutz der Persönlichkeit und der Privatsphäre gerechtfertigt ist. Auf die vom Berufungsgericht relevierte Mindestpublizität im Rahmen eines Unterlassungsanspruchs gemäß § 1330 ABGB kommt es somit nicht an.

1.5. Dabei ist freilich das Unterlassungsbegehren dahingehend zu verstehen, dass es dem Kläger hauptsächlich darauf ankommt, nicht durch Zusendung beleidigender Briefe belästigt zu werden. Dies ist erörterungsbedürftig.

1.6. Das Erstgericht hat das Beweisverfahren weitgehend antragsgemäß durchgeführt, sodass anzunehmen ist, dass bei Zurückverweisung in die erste Instanz das Verfahren verzögert und ein Mehraufwand an Kosten entstünde (§ 496 Abs 3 ZPO). Mit den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens (Nichteinholung eines weiteren Schriftgutachtens) und der unrichtigen Beweiswürdigung (Beklagte begehrt die Feststellung, nicht die Urheberin der Briefe zu sein) hat sich das Berufungsgericht ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht nicht auseinandergesetzt. Nach Erörterung und Präzisierung des Klagevorbringens und des Klagebegehrens sind diese Rügen aber relevant. Sollte das Berufungsgericht den Verfahrensmangel verneinen, könnte es nach Erledigung der Beweisrüge eine Endentscheidung fällen. Selbst wenn der Verfahrensmangel bejaht würde, könnte das Berufungsgericht einen (weiteren) Schriftsachverständigen bestellen und nach Erstattung des Gutachtens neuerlich entscheiden.

Es ist vorliegend daher zweckmäßig, dem Berufungsgericht die Verfahrensergänzung aufzutragen (§ 510 Abs 1 Satz 2 ZPO; RS0042313; RS0042125; vgl auch 9 ObA 24/91; 4 Ob 240/07h, ErwGr 4.1.; 6 Ob 196/12k ErwGr 5.4.).

2. Zahlungsbegehren

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, das Zahlungsbegehren bestehe nicht zu Recht, ist zutreffend: Soweit es auf vorprozessuale (Anwalts-)Kosten gestützt wird, so steht dem die Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen (RS0120431). Im Übrigen hat der Kläger auf die Ausführung des Berufungsgerichts, er habe keinen Krankheitswert der behaupteten Beeinträchtigungen behauptet, nicht reagiert und Solches auch in der Revision nicht behauptet. Davon ausgehend ist der festgestellte ideelle Schaden (Schlafstörungen) nicht ersatzfähig, weil erhebliche Verletzungen der Privatsphäre in der von § 1328a Abs 1 Satz 2 ABGB geforderten Intensität hier nicht vorliegen (vgl 6 Ob 40/09i; 2 Ob 152/08d; wesentlich massivere Verletzungen der Privatsphäre in 8 Ob 129/15a). Insoweit war das angefochtene Urteil als Teilurteil zu bestätigen.

3. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Textnummer

E127451

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00076.19Y.1219.000

Im RIS seit

07.03.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.08.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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