TE Vfgh Erkenntnis 1996/9/24 B2567/95

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Veröffentlicht am 24.09.1996
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §6 Abs2
AufenthaltsG §6 Abs3

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung von Anträgen auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung wegen Versäumung der im AufenthaltsG normierten Frist von vier Wochen vor Ablauf der gültigen Bewilligung zur Stellung von Verlängerungsanträgen; Unterlassung der im Sinne einer verfassungskonformen Interpretation trotz imperativer Anordnung im Gesetz gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in dem durch Art8 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit 18.000,-- S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer war Staatsangehöriger der ehemaligen Republik Jugoslawien und lebt - den unwidersprochen gebliebenen Beschwerdeausführungen zufolge - seit 1972 mit Unterbrechungen und seit 1992 ununterbrochen in Österreich und hatte zuletzt eine Aufenthaltsbewilligung, die bis 31. Juli 1994 gültig war. Er stellte am 22. September 1994 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur rechtzeitigen Antragstellung auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung und gleichzeitig den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies der Bundesminister für Inneres ab.

2. Mit Bescheid vom 16. März 1995 wies der Landeshauptmann von Wien den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß §6 Abs3 des Aufenthaltsgesetzes, BGBl. Nr. 466/1992 idF BGBl. Nr. 505/1994, als verspätet zurück.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies der Bundesminister für Inneres die Berufung gemäß §6 Abs3 AufG mit der Begründung ab, Verlängerungsanträge seien vor Ablauf der Geltungsdauer der Bewilligung zu stellen; da zum Zeitpunkt der Antragstellung die Aufenthaltsbewilligung bereits abgelaufen gewesen sei, sei kein Verlängerungsantrag, sondern ein Erstantrag auf Aufenthaltsbewilligung zu stellen gewesen; aus diesem Grunde und infolge der Verfahrensvorschrift des §6 Abs3 leg.cit. sei die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausgeschlossen; auf das Vorbringen des Beschwerdeführers - auch im Zusammenhang mit seinen persönlichen Verhältnissen - sei nicht weiter einzugehen gewesen.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 Abs1 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

5. Der Bundesminister für Inneres als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte - ohne auf das Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen - die Abweisung der Beschwerde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Der angefochtene, die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem AufG versagende Bescheid greift in das dem Beschwerdeführer durch Art8 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein; denn der Beschwerdeführer hält sich - den unwidersprochen gebliebenen Beschwerdeausführungen zufolge - seit 1972 mit Unterbrechungen und seit 1992 ununterbrochen mit seinen beiden Schwestern und seiner Lebensgefährtin in Österreich auf.

1.2. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 10. Oktober 1995, B1722/94 ua., mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde bei Anwendung des §6 Abs3 AufG (idF vor der Novelle BGBl. 351/1995), die eine Antragstellung spätestens vier Wochen vor Ablauf der Geltungsdauer der Bewilligung vorsah, in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

Die belangte Behörde hat - ausgehend von einer verfehlten Rechtsansicht - die iSd. Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung nicht vorgenommen.

Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von 3.000,-- S enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B2567.1995

Dokumentnummer

JFT_10039076_95B02567_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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