TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/5 W204 2175762-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.11.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

05.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W204 2175762-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX Y XXXX , geb. am XXXX 1989, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.10.2017, Zl. 15-1075523804 / 150758194, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 27.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Am 30.06.2015 wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Burgenland niederschriftlich erstbefragt. Befragt nach seinen Fluchtgründen, führte der BF aus, er habe aufgrund seiner Tätigkeit für ein Projekt des Innenministeriums drei Drohbriefe der Taliban erhalten, in denen ihm mit dem Tod gedroht worden sei.

I.3. Am 19.04.2017 wurde der BF von der zur Entscheidung berufenen Organwalterin des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu und einer Vertrauensperson unter anderem zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab er an, er sei aufgrund seiner Tätigkeit telefonisch bedroht worden, dass er mit der Arbeit aufhören und mit den Taliban zusammenarbeiten müsse. In derselben Nacht hätten die Taliban das Haus der Familie angegriffen und dort einen Drohbrief hinterlassen. In weiterer Folge sei der BF noch einmal telefonisch bedroht worden.

I.4. Da die Einvernahme aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher abgebrochen werden musste, wurde der BF am 26.06.2017 vom BFA neuerlich niederschriftlich einvernommen. Dabei wiederholte er im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und führte dieses näher aus.

I.5. Mit Bescheid vom 12.10.2017, dem BF am 16.10.2017 durch Hinterlegung zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte die Behörde aus, dass es dem BF nicht gelungen sei, seine Aussage glaubhaft zu machen, weswegen ihm der Status eines Asylberechtigten nicht gewährt werden könne. Aus dem Vorbringen des BF und der allgemeinen Situation lasse sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine unmenschliche Behandlung oder eine im gesamten Herkunftsstaat vorliegende extreme Gefährdungslage erkennen. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, da die Voraussetzungen nicht vorlägen. Letztlich hätten auch keine Gründe festgestellt werden können, wonach bei einer Rückkehr des BF gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK verstoßen werde, weswegen auch eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

I.6. Mit Verfahrensanordnung vom 12.10.2017 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.7. Am 03.11.2017 erhob der BF durch seine Vertreterin Beschwerde in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften und beantragte, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, dem BF Asyl zuzuerkennen, in eventu ihm subsidiären Schutz zu gewähren, festzustellen, dass die Abschiebung auf Dauer unzulässig sei und die Rückkehrentscheidung ersatzlos zu beheben, in eventu den Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, das BFA habe mangelhafte Ermittlungen in Hinblick auf eine innerstaatliche Fluchtalternative getroffen. Die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtere sich zusehends, wie sich bereits aus den vom BFA getroffenen Feststellungen ergebe und durch weitere in der Beschwerde auszugsweise zitierte Berichte belegt werde. Zudem sei die Beweiswürdigung mangelhaft.

I.8. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 08.11.2017 vorgelegt.

I.9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.06.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF und seine Vertreterin teilnahmen. Das BFA blieb der Verhandlung fern. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu u.a. zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

-

Einsicht in den den BF betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, insbesondere in die Befragungsprotokolle;

-

Befragung des BF im Rahmen einer öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 13.06.2019;

-

Einsicht in die in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat und in die vom BF vorgelegten Unterlagen;

-

Einsicht in das ZMR, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zum BF und seinen Fluchtgründen:

Die Identität des BF steht mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsnachweise nicht fest. Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an, ist sunnitischer Moslem und stammt ursprünglich aus der Provinz Takhar. Die Muttersprache des BF ist Paschtu, in der er lesen und schreiben kann. Außerdem beherrscht der BF Dari und Englisch in Wort und Schrift und spricht Urdu.

Der BF ist in Takhar mit seiner Familie aufgewachsen. Sein Vater war Polizist, seine Mutter Hausfrau. Der BF hat zwölf Jahre die Schule besucht und diese mit Matura abgeschlossen, wobei er ab 2006 in Kabul aufhältig war, dort die Schule besuchte und abwechselnd bei seiner Schwester und seinem Bruder lebte. Von 2012 bis 2014 studierte der BF berufsbegleitend Management Administration, hat das Studium jedoch nicht abgeschlossen. Von Juni 2010 bis Anfang Oktober 2010 war der BF bei der unabhängigen Wahlkommission und war dabei für die Datenaufnahme und -speicherung zuständig. Von 09.10.2010 bis 15.03.2015 war der BF bei einer Personalverleihfirma namens XXXX angestellt und wurde von dieser zum Projekt " XXXX " entsandt, wo er zuletzt als "Audit Officer" tätig war und die Gehälter und das Verpflegungsgeld der Polizisten kontrollierte.

Ein älterer Bruder des BF lebt in Kabul im Stadtteil Taimani in einem Eigentumshaus in einem von der Polizei bewachten Viertel Kabuls. Ein weiterer Bruder lebt in Kabul im Stadtteil Qala-e Fatullah in einem Mietshaus und eine Schwester des BF lebt in Kabul im Stadtteil Salim Karwan im Eigentumshaus ihres Ehemannes. Die Mutter des BF, zwei jüngere Brüder und eine Schwester des BF leben beim Bruder des BF in Taimani. Der Vater des BF ist 2009 an Krebs verstorben. Die Familie verfügt über 33 Jirib Grundstücke im Heimatdorf des BF, die von Bauern bewirtschaftet werden. Die Familie erhält daraus die Erträge.

Der BF steht mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in regelmäßigem Kontakt. Die Familie ist gesund und es geht ihr wirtschaftlich sehr gut. Freunde des BF aus seiner Arbeitstätigkeit und seiner Schulzeit leben in Logar, Wardak, Bamyan und Kabul.

Der BF wurde nicht von den Taliban aufgrund seiner Tätigkeit bedroht und seine Familie wurde deswegen nicht überfallen und auch nicht bedroht. Dem BF droht bei einer Rückkehr weder aufgrund seiner früheren Tätigkeit noch aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung Verfolgung.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr in die Städte Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif Gefahr läuft, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF besuchte in Österreich Deutschkurse bis zum Niveau A2 und kann sich entsprechend auf Deutsch verständigen. Er war in seiner Unterkunft ehrenamtlich als Dolmetscher tätig und hat an mehreren Kursen teilgenommen. Seit 17.12.2018 arbeitet der BF 20 Stunden pro Woche in einem Wohnheim der Stadt XXXX in der Gebäudereinigung und erhält dafür 3 Euro pro Stunde. Am 24.01.2019 hat er an einem Werte- und Orientierungskurs des ÖIF gemäß § 5 IntG teilgenommen. Zu seinem Freundeskreis zählen Österreicher, Afghanen, Syrer und ein Somali. Der BF ist kein Mitglied in einem Verein. In seiner Freizeit betreibt der BF Sport.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten und bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

II.1.2. Zur Situation im Herkunftsland:

Allgemeine Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit letzter Kurzinformation vom 26.03.2019 - LIB 26.03.2019, S. 16). Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB 26.03.2019, S. 59).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 26.03.2019, S.59). Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt

23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan; für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712. Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 60). Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 18). Im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 registrierten die UN 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet (LIB 26.03.2019, S. 16).

Im Berichtszeitraum 1.1.2018 bis 30.9.2018 registrierte die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) 8.050 zivile Opfer (LIB 26.03.2019, S. 32). Die UNAMA registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (LIB 26.03.2019, S. 20).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 26.03.2019, S. 62). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 16).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 70). Mit Stand 22.10.2018 kontrollierte beziehungsweise beeinflusste die Regierung - laut Angaben der Resolute Support Mission - 53,8% der Distrikte. 33,9% waren umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (LIB 26.03.2019, S. 16).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 26.03.2019, S. 63).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 26.03.2019, S. 63). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 26.03.2019, S. 63).

Am Donnerstag, dem 9.8.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, einer strategisch bedeutenden Provinz, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet. Nach fünftägigen Zusammenstößen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen konnten letztere zurückgedrängt werden. Während der Kämpfe kamen ca. 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben und eine unbekannte Anzahl Zivilisten und Taliban (LIB 26.03.2019, S. 47f).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv und zeichnete im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia, auf die Mawoud-Akademie in Dasht-e Barchi/Kabul am 15.08.2018, auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi am 05.09.2018 sowie auf eine Demonstration gegen die Übergriffe der Taliban in Ghazni und Uruzgan am 12.11.2018 und auf das Kabuler Gefängnis Pul-i-Charkhi am 31.10.2018 verantwortlich (LIB 26.03.2019, S. 17, 29, 37).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist kaum entwickelt. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (LIB 26.03.2019, S. 346f).

Zur Provinz Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten: Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (LIB 26.03.2019, S. 84).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt. Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen. In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen. Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (LIB 26.03.2019, S. 84f).

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (LIB 26.03.2019, S. 85).

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (LIB 26.03.2019, S. 85f).

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (LIB 26.03.2019, S. 86f).

Zur Provinz Balkh und der Hauptstadt Mazar-e Sharif:

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt. Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan] und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 26.03.2019, S. 102). Die Infrastruktur ist noch unzureichend, da viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, in schlechtem Zustand und in den Wintermonaten unpassierbar sind (LIB 26.03.2019, S. 103). Mazar-e Sharif ist jedoch grundsätzlich auf dem Straßenweg mittels Bus erreichbar, eine Fahrt kostet zwischen 400 und 1.000 Afghani (LIB 26.03.2019, S. 258). In Mazar-e Sharif gibt es zudem einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist (LIB 26.03.2019, S. 103 und 261).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften. Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 103f). Im Herbst 2018 wurde im Norden Afghanistans - darunter u.a. in der Provinz Balkh - eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden registriert; Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit (LIB 26.03.2019, S. 36).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer (LIB 26.03.2019, S. 104).

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB 26.03.2019, S. 105).

Zur Provinz Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (LIB 26.03.2019, S. 139). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler, etwa 10 km außerhalb von Herat-Stadt (LIB 26.03.2019, S. 261) und ein militärischer in Shindand (LIB 26.03.2019, S. 139). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken. Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (LIB 26.03.2019, S.139).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen Afghanistans gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (LIB 26.03.2019, S. 140). Es gibt interne Konflikte zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (LIB 26.03.2019, S. 142).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 26.03.2019, S. 140).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 26.03.2019, S. 140f).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB 26.03.2019, S. 141). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) zählt Herat neben den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar und Uruzgan zu den Provinzen Afghanistans, in welchen bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen stattfanden (LIB 26.03.2019, S. 16).

Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.03.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi von der Zerstörung und Beschädigung von Häusern infolge starker Regenfällen betroffen. Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der Herat (und die Provinz Badghis) am meisten betroffen war und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren) sie es weiterhin sind. In den beiden Provinzen wurden am 13.09.2018 ca. 266.000 IDPs (afghanische Binnenflüchtlinge) vertrieben; davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (LIB 26.03.2019, S. 12).

Zur Provinz Takhar:

Die Provinz hat folgende Distrikte: Warsaj, Farkhar, Khawaja Ghar, Khawajah Bahawodin/Khwaja Bahauddin, Baharak, Hazar Sumuch, Dashti Qala, Yangi Qala, Chahab, Rustaq, Bangi, Ishkamish, Kalafgan, Chal, Namakab und Darqad/Durqad; Taluqan ist die Hauptstadt. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.017.575 geschätzt. Die Provinz is für Landwirtschaft besonders geeignet. Angebaut werden Granatäpfel, Birnen und Zitronen (LIB26.03.2019, S. 233).

Es existiert eine Autobahn, die Kunduz und Takhar verbindet und einen Bus, der zwischen Takhar und Kabul verkehrt (LIB 26.03.2019, S. 233).

Während Takhar im Juni und Oktober 2017 zu den relativ ruhigen Provinzen zählte, wurde im Februar und März 2018 verlautbart, dass Takhar zu den relativ volatilen Provinzen in Nordostafghanistan zählt, in der oft Aktivitäten von Aufständischen und Zusammenstöße zwischen afghanischen Sicherheitskräften und Rebellen registriert werden. Im gesamten Jahr 2017 wurden bei 77 registrierten sicherheitsrelevanten Vorfällen 98 zivile Opfer (36 getötete Zivilisten und 62 Verletzte) gezählt (LIB 26.03.2019, S. 234f).

Wirtschaft:

Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Dennoch ist das Land weiterhin arm und von Hilfeleistungen abhängig. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 26.03.2019, S. 353). Mehr als 60% der afghanischen Arbeitskräfte arbeiten im Landwirtschaftssektor, dieser stagniert. Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. 55% der afghanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans ist nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 26.03.2019, S. 354, UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, Seite 19 und 20).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus dem Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus den an Afghanistan angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (LIB 26.03.2019, S. 366).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen- Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 26.03.2019, S. 367f).

Die Organisationen IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden. Die internationale Organisation für Migration IOM bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an. Das Norwegian Refugee Council (NRC) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die Afghanistan Independent Human Rights Commission. Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (LIB 26.03.2019, S. 369f). Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten Rückkehr/innen Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (LIB 26.03.2019, S. 370).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 26.03.2019, S. 370f).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 26.03.2019, S. 371).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten -ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 26.03.2019, S. 370f).

II.2. Beweiswürdigung

II.2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

II.2.2. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit sowie zur Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit des BF legte bereits das BFA aufgrund der glaubhaften Angaben des BF seiner Entscheidung zugrunde. Da der BF diese anlässlich der Beschwerdeverhandlung noch einmal bestätigte (S. 4 VP), besteht daran für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund zu zweifeln. Die Identität des BF kann mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden.

Die Feststellungen zu den Sprachkenntnissen, seiner Herkunftsprovinz, seinem Umzug nach Kabul sowie zu seiner Schulbildung und Berufserfahrung beruhen auf den das ganze Verfahren über gleichbleibenden Angaben, die teils auch durch Dokumente (AS 129ff) bestätigt werden. Auch diese Feststellungen wurden zudem bereits im Wesentlichen vom BFA seiner Entscheidung zugrunde gelegt und es haben sich daran im Beschwerdeverfahren keine Zweifel ergeben. Hinsichtlich seines Aufgabenfeldes konnte den Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht dagegen nicht gefolgt werden, da er seine Angaben in diesem Zusammenhang wesentlich steigerte. So gab er vor dem BFA an, dass er für die Kontrolle der Gehälter und der Verpflegungsgelder zuständig gewesen sei (AS 177), wogegen er vor dem Bundesverwaltungsgericht Zugriff auf alle Daten aller Polizisten und ihrer Familien gehabt haben will (S. 12 VP). Abgesehen von der Steigerung seines Vorbringens erscheint es auch wenig lebensnah, dass ein Leiharbeiter derart umfassenden Zugang zu so sensiblen Daten hat, weswegen den Angaben des BF vor dem BFA zu folgen war, die er im Übrigen auch in der wegen Verständigungsschwierigkeiten abgebrochenen Einvernahme bereits bestätigte (AS 79) und auch vor dem Bundesverwaltungsgericht anfänglich noch angab (S. 6 VP).

Gleichfalls beruhen auch die Feststellungen zu den Familienangehörigen, deren Aufenthalten, dem Kontakt zu diesen sowie zum Besitz der Familie und ihrer wirtschaftlichen und gesundheitlichen Situation auf den detaillierten, glaubhaften Angaben des BF vor dem Bundesverwaltungsgericht (S. 7f VP).

II.2.3. Dem Fluchtvorbringen des BF, die Taliban hätten ihn aufgrund seiner Tätigkeit angerufen und bedroht, in der Nacht das Haus der Familie im Dorf angegriffen und einen Drohbrief hinterlassen sowie zwei Tage vor seiner Ausreise ein letztes Mal angerufen und ihn wieder bedroht (S. 9 VP), kann jedoch nicht gefolgt werden. Die Angaben der BF dazu sind nicht lebensnahe, nicht plausibel und widersprüchlich sowie teilweise gesteigert. In Verbindung mit dem gewonnenen persönlichen Eindruck des BF ist es ihm daher aus den folgend näher dargestellten Gründen nicht gelungen, seine Angaben zum Fluchtgrund auch nur annähernd glaubhaft zu machen:

So gab der BF in der Beschwerdeverhandlung befragt nach seinem Umzug nach Kabul im Jahr 2006 in Abkehr von seinem bisherigen Vorbringen in freier Rede an, dass die gesamte Familie bereits 2006 nach Kabul gezogen sei und nicht nur er, um dort die Schule zu besuchen (S. 5 VP). Der BF sprach dabei aus Eigenem von "wir", die umgezogen seien, und erläuterte unaufgefordert, aber nachvollziehbar und in Einklang mit den notorischen Verhältnissen in Afghanistan, dass es üblich sei, dass man mit der Mutter und den Geschwistern umziehe. Er wollte dies zwar in seinen weiteren Ausführungen dahingehend berichtigen, dass entsprechend seinem bisherigen Vorbringen doch nur er selbst (zu den beiden bereits in Kabul wohnhaften Geschwistern) umgezogen sei, dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Bei seiner nachträglichen Berichtigung handelte es sich dem Eindruck aus der Verhandlung entsprechend vielmehr um eine reine Schutzbehauptung, um sich nicht in Widerspruch zu seinem Fluchtvorbringen zu setzen. Es ist daher davon auszugehen, dass die gesamte Familie bereits 2006 nach Kabul zog und fortan dort wohnte und ihre landwirtschaftlichen Grundstücke im ursprünglichen Heimatdorf verpachtete. Es kann daher bereits deshalb nicht zutreffen, dass, wie vom BF weiter behauptet, das Haus der Familie am 08.10.1393 (entspricht dem 29.12.2014) durch die Taliban angegriffen wurde und die Familie erst danach nach Kabul zog. Dieser Eindruck wird auch durch die Angaben in der Erstbefragung untermauert, in der der BF nichts von einem derartigen Angriff berichtete (AS 23).

Das Vorbringen zur Bedrohung durch die Taliban ist überdies widersprüchlich und deshalb auch aus diesem Grund nicht glaubhaft. Vor dem BFA gab der BF dazu an, dass ihm beim ersten Drohanruf gesagt worden sei, dass er dem Anrufer Informationen über die Polizei geben solle, er seine Arbeit aufgeben müsse und mit seiner Familie sprechen solle (AS 179). Dagegen gab er vor dem Bundesverwaltungsgericht zunächst nur an, dass ihm in diesem Telefonat gesagt worden sei, dass er Informationen über die Polizei herausgeben müsse und er und seine Familie dann in Sicherheit seien. Erst in weiterer Folge und auf erneute Frage behauptete der BF dann, dass auch gesagt worden sei, dass er Kontakt mit seiner Familie aufnehmen solle. Vorher sei nämlich ein Angriff auf das Haus der Familie erfolgt (S. 10 VP), was der BF lediglich beiläufig und einsilbig in den Raum stellt, obwohl dies doch bei ihm entsprechende Unruhe hätte hervorrufen müssen und wohl bei Wahrheitsgehalt zum zentralen Teil seines Vorbringens geworden wäre. Völlig unerwähnt vor dem Bundesverwaltungsgericht blieb dagegen, dass der BF auch aufgefordert worden sei, seine Arbeit überhaupt zu beenden. In der Erstbefragung hatte der BF zu seinem Vorbringen vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht im groben Widerspruch überhaupt nur angegeben, dass er drei Drohbriefe der Taliban erhalten habe, und von einem Anruf oder Angriff nichts berichtet (AS 23).

Weiter schilderte der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht - im Übrigen erstmals -, dass er nach dem ersten Drohanruf und der Mitteilung, seine Familie sei angegriffen worden, noch sein Büro zusammengeräumt und erst am Weg zur Schwester seinen Bruder und seine Mutter angerufen habe (S. 10 VP), was im Hinblick auf die vom BF geschilderte Bedrohung völlig unplausibel ist. Nachvollziehbar wäre es in einer derartigen Situation vielmehr, dass er nach einem solchen Drohanruf sofort bei seiner Familie anruft, um sich zu vergewissern, dass es dieser gut geht. Zudem gab der BF vor dem BFA im Gegensatz zu seiner Aussage vor dem Bundesverwaltungsgericht auch noch an, dass er seine Mutter und seinen Bruder erst angerufen habe, als er bereits bei seiner Schwester angekommen sei und nicht schon aus dem Büro beziehungsweise am Weg zur Schwester (AS 181). Der BF erwähnte vor dem BFA auch nur einen Anruf an seinen Bruder (AS 179), während er vor dem Bundesverwaltungsgericht angab, dass er seinen Bruder zweimal erfolglos zu erreichen versucht habe, weshalb er dann die Mutter angerufen habe (S. 10 VP).

Vor dem BFA gab der BF weiter an, dass er danach mit dem Cousin seines Großcousins telefoniert habe und von diesem erfahren habe, dass die Wunde seines Großcousins nicht im Distriktkrankenhaus habe behandelt werden können, weshalb sie ins Provinzkrankenhaus gefahren seien und worauf ihm der BF mitgeteilt habe, dass er den Vorfall nicht der Polizei melden solle (AS 179). Während der BF damit vor dem BFA lediglich von einem Anruf mit dem Cousin seines Großcousins sprach, gab er vor dem Bundesverwaltungsgericht dagegen an, dass er zweimal mit diesem telefoniert habe, da sein Großcousin zuerst den Ärzten habe übergeben werden müssen (S. 10 VP).

Im Zusammenhang mit dem vom BF geschilderten Überfall auf das Haus der Familie ist auch festzuhalten, dass es wenig plausibel erscheint, dass der BF oder dessen Familienmitglieder diesen Vorfall nicht bei der Polizei anzeigen wollte, zumal der Vater des BF Polizist war, der BF selbst als Leiharbeiter mit der Polizei zusammenarbeitete und folglich auch über entsprechende Kontakte verfügte. Zudem erscheint es auch nicht lebensnahe, dass nicht andere Dorfbewohner der Polizei von diesem Überfall berichteten, sollte diese tatsächlich die weithin hörbaren Schüsse nicht selbst wahrgenommen haben, bzw. auch das Krankenhaus keine Anzeige erstattete.

Zum beim Angriff hinterlassenen und vom Bruder am Folgetag im Hof vorgefundenen Drohbrief erscheint es auch wenig plausibel, dass der BF diesen nicht selbst gesehen haben will (S. 11 VP), obwohl seine Familie wenige Tage danach in Kabul angekommen sei. Vielmehr wäre zu erwarten, dass die Familie diesen mitbringt und der BF ihn seinem Dienstgeber vorlegt, da darin seine Tätigkeit und die gewünschten Informationen über die Polizei detailliert beschrieben gewesen sein sollen. Ebenso ist nicht nachvollziehbar, warum der Drohbrief von den Taliban auf Dari verfasst worden sein soll. Zudem sind die Angaben des BF dazu widersprüchlich, wenn er vor dem BFA behauptete, dass er in dem Brief bedroht worden sei, dass er getötet werde (AS 185), während er vor dem Bundesverwaltungsgericht eine derartige Drohung bei sonst im Wesentlichen gleicher Schilderung des Inhalts nicht erwähnte (S. 11 VP). In der Erstbefragung hatte der BF überhaupt noch von drei Drohbriefen gesprochen (AS 23).

Auch den angeblichen zweiten Drohanruf schilderte der BF widersprüchlich, sodass es ihm auch nicht gelungen ist, diesen glaubhaft zu machen. Dazu gab er vor dem BFA noch an, dass der Anruf am Vormittag gewesen sei (AS 184), während er vor dem Bundesverwaltungsgericht dagegen behauptete, es sei früh am Morgen gewesen (S. 11 VP). Zudem gab der BF vor dem BFA noch an, dass auch in diesem Telefonat Informationen von ihm verlangt worden seien (AS 186), wogegen ihm nach seinen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgeworfen worden sei, die geforderten Informationen nicht herausgegeben zu haben (S. 11 VP). In der Erstbefragung erwähnte er Derartiges, wie oben bereits ausgeführt, hingegen nicht.

Darüber hinaus war aufgrund der Aussage des BF (S. 6 VP) und der Vorlage seines Arbeitgebers festzustellen, dass der BF bis März 2015 dort angestellt war (AS 163). Die lediglich bis Jänner 2015 ausgestellte Bestätigung durch XXXX entspricht jener der Vorjahre und somit wohl dem Geschäftsjahr und gibt deshalb keinen Aufschluss über die Beendigung des dortigen Dienstverhältnisses (AS 151), die jedoch klar aus der Bestätigung des Personalverleihbüros ersichtlich ist (AS 163). Die später in der Beschwerdeverhandlung getätigte Angabe, dass der BF überhaupt nur bis Jänner 2015 gearbeitet habe (S. 7 VP), widerspricht seinen eigenen früheren Angaben und vorgelegten Beweismitteln und zeigt, dass der BF die Antworten den jeweiligen Vorhalten anpasst, was ebenfalls zu Lasten der Glaubhaftigkeit der Angaben zum Fluchtgrund zu werten ist.

Darüber hinaus sind auch die zeitlichen Angaben des BF damit nicht in Einklang zu bringen, wenn er stets angab, der erste Drohanruf und der Überfall auf das Haus der Familie hätten sich am 08.10.1393 (= 29.12.2014) ereignet (S. 9 VP). Nach seinen weiteren Angaben habe er bereits einige Tage danach gekündigt (S. 6 VP), wogegen er nach den Feststellungen und obigen Ausführungen jedoch noch drei Monate weiter beim Personalverleiher gearbeitet hat und an XXXX verliehen war. Zudem soll er zwei Tage vor seiner Flucht am 11.04.2015 (S. 6 VP) den letzten Drohanruf erhalten haben, weshalb er den Ausreiseentschluss fasste, den er seiner Familie mitteilte (S. 13 VP), was wiederum mit seinen Angaben der Kündigung im Jänner bzw. März 2015 und der Beschaffung von Dokumenten in Widerspruch steht. Insbesondere ist hervorzuheben, dass sich der BF in dieser Zeit durch seine Kündigung und den Antrag auf Ausstellung eines Führerscheins und weitere Dokumente in Kabul nach wie vor frei bewegen konnte und offensichtlich seine Ausreise vorbereitete, was alleine schon gegen die vorgebrachte Verfolgungssituation und überstürzte Ausreise nach dem letzten Drohanruf spricht.

Soweit der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht erstmals angab, dass im Jahr 2017 seine Familie ein weiteres Mal telefonisch bedroht worden sein soll (S. 8f VP), ist dieses Vorbringen einerseits bereits deswegen nicht glaubhaft, weil die gesamte Bedrohungssituation von ihm nicht glaubhaft gemacht werden konnte, und er andererseits diese Angaben nunmehr erstmals machte und damit sein Vorbringen weiter zu steigern versucht. Überdies ist wenig plausibel, dass die Taliban einerseits derart detailliert über den BF und dessen Tätigkeit Bescheid wissen sollen und andererseits seine Mutter nunmehr bedrohen, obwohl der BF längst keinen Zugang mehr zu den gewünschten Informationen haben kann.

Auch wenn aus diesen Erwägungen das gesamte Vorbringen des BF zu seinen Fluchtgründen als unglaubhaft zu beurteilen ist, ist dennoch der Vollständigkeit halber festzuhalten, dass der BF selbst bei Wahrunterstellung aller seiner Angaben keine aktuelle Verfolgungsgefahr geltend macht und ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat und Mazar-e Sharif offen stünde. Für seinen Wohnort Kabul ab 2006 ist zudem festzuhalten, dass sich die gewaltsamen Vorfälle allesamt in der Heimatprovinz Takhar abgespielt haben sollen, während der BF in Kabul lediglich telefonisch bedroht worden sein will. Bereits daraus folgt, dass der BF im Jahr 2015 in Kabul nicht durch die Taliban verfolgt wurde. Dass der BF selbst davon ausging, zeigt auch sein Verhalten nach dem angeblichen ersten Drohanruf, als er sich völlig frei und ohne von weiteren Problemen zu berichten, in Kabul bewegte und diverse Dokumente beantragte. Seine Tazkira wurde zudem am 18.01.1394 in Takhar (AS 176) - somit nach dem angeblichen ersten Drohanruf, Überfall und Drohbrief - ausgestellt, was zeigt, dass der BF nach der ersten Drohung problemlos zwischen den Provinzen reisen konnte und er auch keine Angst davor hatte, von den Taliban aufgegriffen zu werden. Auffällig ist, dass der BF damit ganz offensichtlich seine Ausreise vorbereitete, obwohl dies zeitlich noch vor dem letzten Drohanruf und der damit zusammenfallenden angeblichen Ausreiseentscheidung lag. Es ist daher auch prognostisch nicht davon auszugehen, dass der BF in Kabul - selbst wenn er bei Wahrunterstellung tatsächlich noch gesucht werden würde - von den Taliban gefunden werden könnte, zumal er bei seinem Bruder Zuflucht finden könnte, der in einem bewachten Viertel wohnt, wo die Taliban keinen Zugriff haben. Der BF könnte somit den Schutz seines Heimatlandes in Anspruch nehmen. In der anlässlich der Beschwerdeverhandlung vorgelegten Stellungnahme wird zwar behauptet, der afghanische Staat sei nicht schutzwillig beziehungsweise -fähig, diese Behauptung stützt sich allerdings lediglich auf allgemeine Berichte und ignoriert die glaubhafte Aussage des BF, wonach das sehr wohl der Fall sein kann, wie sich bei seinem Bruder zeigt.

Darüber hinaus sind seit 2017, als seine Familie das letzte Mal telefonisch bedroht worden sein soll, nunmehr beinahe zwei Jahre vergangen, ohne dass weitere Bedrohungen ausgesprochen worden wären oder es andere konkrete Vorfälle gegeben haben soll (S. 8 VP) Der BF berichtet auch nicht von sonstigen aktuellen Problemen seiner Familie. Es ist daher selbst bei Wahrunterstellung davon auszugehen, dass die Taliban kein Interesse mehr am BF haben und nicht mehr nach ihm suchen, zumal er auch keinen Zugang mehr zu den geforderten Daten hat und damit keinen Nutzen für die Taliban mehr bringt. Daran kann auch das vom BF vorgebrachte Risikoprofil der UNHCR-Richtlinien nichts ändern.

II.2.4. Der BF ist jung, gesund und arbeitsfähig. Er ist daher in der Lage für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, zumal er über mehrjährige Schulbildung und Berufserfahrung verfügt. Er ist daher in der Lage selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. Zudem verfügt der BF über ein starkes, wirtschaftlich gut abgesichertes familiäres Netz in Afghanistan, zu dem er Kontakt hält und das ihn bei einer Rückkehr unterstützen könnte. So hat der BF auch bereits vor seiner Ausreise abwechselnd bei seinen Geschwistern gewohnt, verfügen diese über Wohnraum in Kabul in den vom BF genannten Stadtteilen und erhält die Familie überdies Einnahmen aus den bewirtschafteten Grundstücken in der Heimatprovinz. Nicht zuletzt ist auch auf den Zusammenhalt innerhalb der Volksgruppe des BF und die verfügbare Rückkehrhilfe zu verweisen. Daraus folgt, dass beim BF bei einer Rückkehr in die Städte Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht die Gefahr besteht, dass er in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation geraten würde.

Soweit der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang erstmals behauptete, es sei für ihn aufgrund seines Aussehens als Fremder nicht leicht, sich überall in Afghanistan problemlos anzusiedeln (S. 15 VP), ist dieses Vorbringen nicht nachvollziehbar, zumal der BF nach den vorgelegten Fotos sein Aussehen seit seinem Verlassen aus Afghanistan nicht derart wesentlich verändert hat (AS 137ff) und er von keinen Problemen deswegen berichtete, er auch in Österreich in seinem Kulturkreis verkehrt, folglich keine geänderte Gesinnung anzunehmen ist und er sich im Heimatland zudem unter den Schutz seiner Familie stellen kann.

II.2.5. Die Feststellungen zur Lebenssituation des BF in Österreich beruhen auf seinen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem BFA sowie den vom BF vorgelegten Dokumenten, an deren Echtheit und Richtigkeit kein vernünftiger Grund zu zweifeln besteht.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit konnte aufgrund eines aktuellen Strafregisterauszugs, der Bezug der Grundversorgung aufgrund eines Auszugs aus dem GVS-System festgestellt werden.

Der BF gab selbst an, dass er vollkommen gesund sei (S. 4 VP) und legte auch keine Dokumente vor, aus denen ein gegenteiliger Schluss zu ziehen wäre. Es war daher festzustellen, dass der BF gesund ist, woraus zwanglos folgt, dass er auch arbeitsfähig ist, was der BF auch durch seine Tätigkeit im Reinigungsdienst zeigt.

II.2.6. Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die dem BF vorgehaltenen Quellen. Da diese hinreichend aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Die oben wiedergegebenen Länderberichte wurden dem BF im Parteiengehör mit der Möglichkeit zur Stellungnahme übermittelt. In seiner anlässlich der Verhandlung vorgelegten Stellungnahme bestreitet der BF diese nicht, sondern führt lediglich allgemeine Berichte zur Möglichkeit der Taliban, Feinde in ganz Afghan

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten