TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/8 W261 2188375-1

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Veröffentlicht am 08.11.2019
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Entscheidungsdatum

08.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W261 2188375-1/36E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die DDr. Rainer LUKITS, LLM, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der nunmehrige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 14.08.2015 als Unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling in die Republik Österreich ein und stellte am selben Tag gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am 15.08.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu an, dass er aus der Provinz Nangarhar stamme, Paschtune sei und sechs Jahre lang die Grundschule besucht habe. Er habe Afghanistan verlassen, weil sein Vater ihn nach Österreich geschickt habe, damit er eine Ausbildung mache. Die Taliban hätten in der Region nicht erlaubt, dass er die Schule besuche. Er sei sogar von den Taliban wegen des Schulbesuches geschlagen worden. Seinen Bruder hätten die Taliban auch geschlagen, dieser habe sich dabei den Arm gebrochen.

Aufgrund von Zweifeln an den Altersangaben des BF veranlasste das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge belangte Behörde) eine medizinische Volljährigkeitsbeurteilung. Im Gutachten eines allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für medizinische Begutachtung im Asylverfahren. In seinem Sahverständigengutachten vom 04.10.2016 kommt der medizinische Sachverständige zum Ergebnis, dass das höchstmögliche Mindestalter des BF zum Untersuchungszeitpunkt ( XXXX ) 17,6 Jahre betragen habe. Das fiktive Geburtsdatum des BF sei der XXXX , der BF sei zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig gewesen.

Mit Verfahrensanordnung vom 10.1.2016 stellte die belangte Behörde fest, dass der BF spätestens am XXXX geboren sei.

Am 11.01.2018 erfolgte die niederschriftliche Ersteinvernahme des BF der belangten Behörde im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu. Er gab im Wesentlichen das an, was er bereits bei seiner Ersteinvernahme ausgesagt hatte, wobei er ergänzte, dass die Taliban ihn hätten rekrutieren wollen. Sein Vater sei nach seiner Ausreise für ca. 16 Tagen von den Taliban festgehalten worden, er habe 250.000 Afghani Strafe zahlen und versprechen müssen, dass der BF im Falle seiner Rückkehr sich den Taliban anschließe. Er legte eine Reihe von Integrationsunterlagen und vier Talibandrohbriefe und ein Kuvert aus Afghanistan vor. Da der BF an Asthma leide, legte die belangte Behörde unter anderem eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Asthma bronchiale vom 13.01.2012 vor.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG (Spruchpunkt III.), erließ gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.). Die belangte Behörde stellte fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, dass nicht festgestellt habe werden können, dass der BF in seinem Heimatland politisch oder parteipolitisch tätig gewesen sei, er werde nicht wegen politischer Tätigkeiten verfolgt. Er habe in Afghanistan keine asylrelevanten Probleme aufgrund seiner Religion, Rasse, Volksgruppenzugehörigkeit oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe gehabt. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF in seinem Herkunftsstaat einer staatlichen oder privaten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei, oder er asylrelevante Probleme mit Behörden gehabt habe. Sein Vorbringen sei nicht aktuell. Er habe nicht glaubhaft machen können, und es habe nicht festgestellt werden können, dass er in seinem Herkunftsstaat einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre oder sei. Es stehe fest, dass die vom BF vorgebrachten Gründe keine Asylrelevanz haben würden. Der BF könne aufgrund der Sicherheitslage nicht in seine volatile Herkunftsprovinz Nangarhar zurückkehren. Es sei ihm eine innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif zumutbar. Diese Städte seien sicher zu erreichen. In Österreich bestehe kein schützenswertes Privat- oder Familienleben, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen sei.

Der BF erhob mit Eingabe vom 16.03.2018, bevollmächtigt vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen diesen Bescheid fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führte begründend aus, dass der Bescheid vollinhaltlich wegen der Verletzung von Verfahrensvorschriften, mangelhafter Beweiswürdigung und inhaltlicher Rechtswidrigkeit angefochten werde. Es werde beantragt, der Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung stattzugeben. Der BF legte weitere Integrationsunterlagen vor.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 07.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

Die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH legte am 07.11.2018 die Vollmacht zurück. Der anwaltliche Vertreter des BF teilte mit Eingabe vom 20.11.2018 mit, dass er vom BF mit seiner Vertretung beauftragt worden sei.

Das BVwG führte am 19.03.2019, nachdem davor bereits mehrfach aus verschiedenen Gründen mündliche Beschwerdeverhandlungen abberaumt wurden, eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm. Der BF wurde im Beisein seines anwaltlichen Vertreters und eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt und wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen. Dabei gab der BF erstmals an, dass er sich sexuell zu Männern hingezogen fühle. Der BF legte eine Reihe von weiteren Integrationsunterlagen vor.

Das BVwG legte im Rahmen der Verhandlung die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan, genauer das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 01.03.2019, die UNHCR Richtlinie vom 30.08.2018, den Landinforeport zu Afghanistan "Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne", Auszüge aus den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018, eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan: Taliban Drohbriefe und eine ACCORD Anfragebeantwortung ua zu Vorfällen mit Homosexuellen vom 31.08.2017 vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von drei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Keine der beiden Parteien gab eine schriftliche Stellungnahme ab.

Das BVwG führte am 09.10.2019 eine weitere öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher auch ein Vertreter der belangten Behörde teilnahm. Der BF wurde im Beisein seines anwaltlichen Vertreters und eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu zu seiner sexuellen Orientierung befragt. Der BF legte eine Reihe von weiteren Integrationsunterlagen vor.

Das BVwG legte im Rahmen der Verhandlung die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan, genauer das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 04.06.2019 und die aktuellen EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2019 vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Die belangte Behörde führte in deren Stellungnahme vom 07.10.2019, richtig wohl 15.10.2019, umfassend aus, welche Gründe gegen die behauptete Homosexualität des BF sprechen würden. Das BVwG übermittelte diese Stellungnahme mit Schreiben vom 16.10.2019 an den anwaltlichen Vertreter des BF zur Kenntnis.

Aus dem vom BVwG am 18.10.2019 eingeholten Auszug aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass der BF in Österreich strafrechtlich unbescholten ist.

Aus dem am selben Tag eingeholten GVS System ist ersichtlich, dass der BF seit 15.08.2015 Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung bezieht.

Der BF gab mit Schriftsatz vom 30.10.2019 durch seinen anwaltlichen Vertreter eine umfassende Gegenäußerung zum Vorbringen der belangten Behörde ab. Der BF schloss dieser Stellungnahme ein Referenzschreiben seiner sozialpädagogischen Betreuerin im Projekt XXXX an, welche bestätigt, dass der BF bereits sein "Coming-out" als Homosexueller gemacht hatte, und wie der Weg bis zu diesem "Coming-Out" verlief, insoweit sie dies verfolgen konnte. Diese Stellungnahme samt Beilage wurde der belangten Behörde zur Information übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Feststellungen zur Person und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der BF führt den Namen XXXX , er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an, ist sunnitischer Moslem, ledig und kinderlos. Der BF kennt sein genaues Geburtsdatum nicht, zu Identifikationszwecken wird das Geburtsdatum des BF mit XXXX festgelegt. Die Muttersprache des BF ist Paschtu. Der BF spricht neben seiner Muttersprache auch Deutsch auf Niveau A1.

Der BF wuchs an seinem Geburtsort in der Provinz Nangarhar im Haus seiner Eltern auf. Der BF besuchte sechs Jahre lang die Schule in seinem Heimatdorf. Der BF ist Zivilist.

Der Vater des BF heißt XXXX , seine Mutter heißt XXXX . Der BF hat vier Brüder namens XXXX , XXXX , XXXX und XXXX und eine Schwester namens XXXX .

Die Familie des BF war Eigentümerin eines Hauses und von Grundstücken im Ausmaß von zwei oder drei Jirib. Der Vater des BF ist Landwirt und ernährt mit seinem Einkommen die Familie.

Der BF hat eine Tante väterlicherseits, zwei Tanten und einen Onkel mütterlicherseits, welche in Afghanistan leben. Ein Onkel des BF und dessen Sohn kamen bei einem Selbstmordanschlag im Distrikt Karma ums Leben. Der BF ist seiner Cousine versprochen.

Der BF verließ Afghanistan, weil die Taliban es nicht erlaubten, dass er in seinem Herkunftsdorf die Schule besuchte. Es ist nicht glaubhaft, dass der BF als individuelle Person in seinem Herkunftsstaat von den Taliban bedroht und verfolgt wurde oder wird.

Der BF fühlt sich sexuell zu Männern hingezogen, er akzeptiert seine Homosexualität, lebt diese in Österreich aus und will diese auch in Zukunft weiterhin ausleben.

Es liegen keine Gründe vor, nach denen ein Ausschluss des BF hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

1.2 Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der BF befindet sich seit seiner Antragstellung am 14.08.2015 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Er bezieht seit 15.08.2015 Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Der BF leidet an allergischem Asthma bronchiale und Bruxismus (Zähneknirschen) und aus diesen Gründen in ärztlicher Behandlung. Er ist einmal pro Woche in psychotherapeutischer Behandlung.

Der BF besuchte Deutschkurse, zuletzt auf Niveau A2, und verfügt über Kenntnisse der deutschen Sprache. Er arbeitete in der Zeit vom 26.03.2018 bis 08.05.2018 im Ausmaß von 120 Stunden in einem Seniorenwohnhaus in der Stadt XXXX . Er nahm im Zeitraum vom September 2018 bis August 2019 am Projekt " XXXX " des Bfi XXXX teil, wobei er im Qualifizierungsjahr die Inhalte des ersten Lehrjahres für den Beruf des Tischlers in der Lehrwerkstätte in XXXX erlernte. Er nahm in der Zeit vom 14.06.2019 bis 01.07.2019 an einem Dialogworkshop unter der Leitung des Institutes für Männergesundheit XXXX teil. In seiner Freizeit spielt der BF Volleyball.

Der BF wird von seinen Vertrauenspersonen als zielstrebig, fleißig, bereit, beruflich etwas voranzubringen, mit handwerklichem Talent, äußerst respektvoll, zuverlässig, interessiert, produktiv, offen, kommunikativ, pünktlich, freundlich, hilfsbereit, eifrig und flexibel beschrieben.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.3 Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 04.06.2019 (LIB), in UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 (UNHCR), den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2019 (EASO 2018), in der Arbeitsübersetzung Landinfo report "Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017 (Landinfo) und in der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan: Taliban Drohbriefe vom 28.07.2016 (Staatendokumentation Taliban Drohbriefe) enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.3.1 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. (LIB)

1.3.1.1 Herkunftsprovinz Nangarhar

Die Provinz Nangarhar liegt im Osten von Afghanistan. Im Norden grenzt sie an die Provinzen Kunar und Laghman, im Westen an die Hauptstadt Kabul und die Provinz Logar und an den Gebirgszug Spinghar im Süden. Die Provinzhauptstadt Jalalabad ist 120 Kilometer von Kabul entfernt. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

1.573.973 geschätzt.

Die Provinz Nangarhar besteht, neben der Hauptstadt Jalalabad aus folgenden Distrikten: Ghani Khil/Shinwar, Sherzad, Rodat, Kama, Surkhrod, Khogyani, Hisarak/Hesarak, Pachiragam/Pachir Wa Agam, DehBala/Deh Balah/Haska Mina, Acheen/Achin, Nazyan, Mohmand Dara/Muhmand Dara, Batikot, Kot, Goshta, Behsood/Behsud, Kuz Kunar/Kuzkunar, Dara-e Noor/Dara-e-Nur, Lalpora/Lalpur, Dur Baba/Durbaba und Chaparhar. Nangarhar zählte 2017 zu den Provinzen mit der höchsten Opium-Produktion.

In den letzten Jahren hat sich die Sicherheitslage in der Provinz Nangarhar verschlechtert; Nangahar war seit dem Sturz des Taliban-Regimes eine der relativ ruhigen Provinzen im Osten Afghanistans, jedoch versuchen bewaffnete Aufständische in den letzten Jahren ihre Aktivitäten in der Provinz auszuweiten. Begründet wird das damit, dass seit dem Fall des Talibanregimes von weniger Vorfällen berichtet worden war. In den letzten Jahren versuchen Aufständische der Taliban und des IS in abgelegenen Distrikten Fuß zu fassen. Befreiungsoperationen, in denen auch Luftangriffe gegen den IS getätigt werden, werden in den unruhigen Distrikten der Provinz durchgeführt. Angriffe auch auf lokale Beamte und Sicherheitskräfte in der Provinz werden regelmäßig von Aufständischen der Taliban und dem IS durchgeführt.

Nangarhar war die Provinz mit den meisten im Jahr 2017 registrierten Anschlägen.

Anhänger der Taliban, als auch des IS haben eine Präsenz in gewissen Distrikten der Provinz, wobei zu diesen mehrere südliche Distrikte gezählt werden. Nachdem die Grausamkeit des IS ihren Höhepunkt erreicht hat, sind die Taliban in Nangarhar beliebter geworden und haben an Einfluss gewonnen. Auch ist es dem IS nicht mehr so einfach möglich, Menschen zu rekrutieren. Obwohl militärische Operationen durchgeführt werden, um Aktivitäten der Aufständischen zu unterbinden, sind die Taliban in einigen Distrikten der Provinz aktiv. In Nangarhar kämpfen die Taliban gegen den IS, um die Kontrolle über natürliche Minen und Territorium zu gewinnen; insbesondere in der Tora Bora Region, die dazu dient, Waren von und nach Pakistan zu schmuggeln. Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und IS fanden statt, dabei ging es um Kontrolle von Territorium. In einem Falle haben aufständische Taliban ihren ehemaligen Kommandanten getötet, da ihm Verbindungen zum IS nachgesagt wurden (LIB).

Die Provinz Nangarhar, mit Ausnahme der Stadt Jalalabad, zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, wo willkürliche Gewalt ein derart hohes Ausmaß erreicht, dass erhebliche Gründe für die Annahme sprechen, dass ein in diese Provinz zurückgekehrter Zivilist allein aufgrund seiner Anwesenheit auf dem Gebiet dieser Provinz einer realen Gefahr ausgesetzt wäre, einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen.

Die Stadt Jalalabad zählt laut EASO zu jenen Regionen, in denen eine "bloße Präsenz" in dem Gebiet nicht ausreicht, um ein ernstes Risiko für ernsthafte Schäden gemäß Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie festzustellen, es wird dort jedoch ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt erreicht und dementsprechend ist ein geringeres Maß an Einzelelementen erforderlich, um die Annahme zu begründen, dass ein Zivilist, der dieses Gebiet zurückgekehrt ist, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von

Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie ausgesetzt ist (EASO 2019).

1.3.2 Ethnische Minderheiten und Religion

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken.

Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pasht. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben.

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen. (LIB)

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten, wie es auch der BF ist. (LIB)

1.3.3 Terroristische und aufständische Gruppierungen

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte grundsätzlich vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus. Die Taliban haben hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten. (LIB)

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Kollaborateure der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. (Landinfo)

In Afghanistan können gefälschte Drohbriefe für etwa US$ 1.000 gekauft werden. Die Taliban haben es größtenteils aufgegeben, mit Drohbriefen vorzugehen (Staatendokumentation Taliban Drohbriefe).

1.3.4 Homosexualität

Die afghanische Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung. Entsprechende Forderungen im Rahmen des Universal Periodic Review-Verfahrens im Jänner 2014 in Genf, gleichgeschlechtliche Paare zu schützen und nicht zu diskriminieren, wies die afghanische Vertretung (als eine der wenigen nicht akzeptierten Forderungen) zurück.

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.02.2018 in Kraft getreten ist, verbietet in den Artikeln 645 und 649 die Praktiken des Tafkhez, [Geschlechtsverkehr zwischen zwei Männern, Anm.], und der Mosahiqah, [Geschlechtsverkehr zwischen zwei Frauen, Anm.]. Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die z.T. von noch konservativeren vorislamischen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf die Betroffenen. Homosexualität wird weitverbreitet tabuisiert und als unanständig betrachtet. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft haben keinen Zugang zu bestimmten gesundheitlichen Dienstleistungen und können wegen ihrer sexuellen Orientierung ihre Arbeit verlieren. Organisationen, die sich für die Rechte von LGBTI-Personen einsetzen, agieren im Untergrund und sind nicht registriert. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft werden auch weiterhin diskriminiert, misshandelt, vergewaltigt und verhaftet.

Eine systematische Verfolgung durch staatliche Organe kann nicht nachgewiesen werden, was allerdings an der vollkommenen Tabuisierung des Themas liegt. Es wird jedoch von gewalttätigen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die afghanische Polizei berichtet. Vor allem aufgrund der starken Geschlechtertrennung kommt es immer wieder zu freiwilligen oder erzwungenen homosexuellen Handlungen zwischen heterosexuellen Männern. Auch existieren zahlreiche traditionelle Praktiken, die zwar nicht offiziell anerkannt sind, jedoch teilweise im Stillen geduldet werden. Beispiele dafür sind die Bacha Push [Anm.: auch Bacha Posh; "Bacha" heißt auf Dari "Kinder"], junge Mädchen, die sich als Jungen ausgeben, um bestimmten, den Frauen vorenthaltenen Tätigkeiten nachzugehen und die Bacha Bazi [Anm.: auch Bacha Baazi], Buben oder transsexuelle Kinder, die sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt sind. Bei den Bacha Push handelt es sich i. d. R. nicht um eine transsexuelle, sondern eine indirekt gesellschaftlich bedingte Lebensweise. Bei Entdeckung droht Verfolgung durch konservative oder religiöse Kreise, da ein Mädchen bestimmte Geschlechtergrenzen überschritten und sich in Männerkreisen bewegt hat. Sobald sie volljährig werden, müssen sich die Bacha Posh wieder wie "ordentliche" afghanische Frauen verhalten. Das Anheuern von Bacha Bazi wird nun durch das revidierte Strafgesetzbuch als Straftat definiert und im Artikel 653 mit Strafe bedroht.

Aufgrund des Scharia-Vorbehalts im afghanischen Recht gibt es keine dem deutschen Transsexuellengesetz vergleichbare Regelung. Unter der Scharia ist bereits die Annäherung des äußeren Erscheinungsbilds etwa durch Kleidung an das andere Geschlecht verboten. Die Scharia verbietet daher auch die Änderung des Vornamens und der Geschlechtszugehörigkeit transsexueller Personen (LIB).

Die Höchststrafe für gleichgeschlechtliche Beziehungen ist nach der Scharia die Todesstrafe, doch seit dem Ende der Taliban-Herrschaft wurden keine Todesstrafen aufgrund gleichgeschlechtlicher Beziehungen durch die Justiz verhängt (UNHCR).

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zu den Feststellungen zur Person und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit sowie zu den Aufenthaltsorten, Familienangehörigen, Sprachkenntnissen, der Schulbildung und Berufserfahrung des BF beruhen auf dessen plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens. Die Angaben dienen zur Identifizierung im Asylverfahren.

Die Feststellungen zu den Gründen des BF, weswegen er befürchtet, in Afghanistan verfolgt zu werden, stützen sich auf die vom BF vor der belangten Behörde und im Beschwerdeverfahren, insbesondere auf die in den mündlichen Beschwerdeverhandlungen am 19.03.2019 und am 09.10.2019, getroffenen Aussagen.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 145/2017, (in der Folge: AsylG 2005) liegt es auch am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Das Asylverfahren bietet, wie der VwGH erst jüngst in seinem Erkenntnis vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0143-8, wieder betonte, nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Mit der Glaubhaftmachung ist demnach die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist vor allem auf folgende Kriterien abzustellen: Das Vorbringen des Asylwerbers muss - unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten - genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

Das Hauptverfolgungsvorbringen des BF lautete im Wesentlichen, dass Taliban versucht hätten, ihn und seinen Bruder Javed als Kämpfer zu rekrutieren. Zwar ist es im Lichte der Länderinformationen durchaus belegt, dass Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte Kinder und Jugendliche, vor allem in unter ihrer Kontrolle stehenden Gebieten wie der Herkunftsprovinz des BF Nangarhar, zu Kämpfern rekrutieren, eine solche konkret den BF betreffende Gefahr konnte er hingegen nicht glaubhaft darlegen:

In der Erstbefragung gab der BF zu seinem Fluchtgrund befragt noch an, sein Vater habe ihn nach Österreich geschickt, damit er hier eine Ausbildung mache. In Afghanistan hätten die Taliban in seiner Region nicht erlaubt, dass sie die Schule besuchen. Wegen des Schulbesuchs sei er sogar von den Taliban geschlagen worden, seinen Bruder hätten sie mit dem Gewehr geschlagen und ihm den Arm gebrochen (vgl. S 5 der Erstbefragung am 15.08.2016).

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 dient die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden und hat sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen (vgl. hierzu auch VfGH 27.06.2012, U 98/12), ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert; die Verwaltungsbehörde bzw. das BVwG können in ihrer Beweiswürdigung also durchaus die Ergebnisse der Erstbefragung in ihre Beurteilung miteinbeziehen.

So erscheint es im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht unschlüssig, wenn den ersten Angaben, die ein Asylwerber nach seiner Ankunft in Österreich macht, gegenüber späteren Steigerungen erhöhte Bedeutung beigemessen wird (VwGH 08.07.1993, 92/01/1000; 30.11.1992, 92/01/0832; 20.05.1992, 92/01/0407; 19.09.1990, 90/01/0133). Der Umstand, dass ein Asylwerber bei der Erstbefragung gravierende Angriffe gegen seine Person unerwähnt gelassen hat, spricht gegen seine Glaubwürdigkeit (VwGH 16.09.1992, 92/01/0181).

Es wird im vorliegenden Fall zwar nicht verkannt, dass sich die Erstbefragung des BF nicht in erster Linie auf seine Fluchtgründe bezog, und diese daher nur in aller Kürze angegeben und protokolliert wurden. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der BF zum Zeitpunkt der Erstbefragung noch minderjährig war. Dass der BF jedoch eine Bedrohung in Form von Zwangsrekrutierung durch die Taliban zunächst nicht einmal ansatzweise erwähnte, ist nicht nachvollziehbar. Dabei ist hervorzuheben, dass der BF grundsätzlich in der Lage sein muss, umfassende und inhaltlich übereinstimmende Angaben zu den konkreten Umständen und dem Grund der Ausreise aus dem Herkunftsstaat zu machen, zumal eine Person, die aus Furcht vor Verfolgung ihren Herkunftsstaat verlassen hat, gerade in ihrer ersten Einvernahme auf konkrete Befragung zu ihrer Flucht die ihr gebotene Möglichkeit wohl kaum ungenützt lassen wird, die Umstände und Gründe ihrer Flucht in umfassender und in sich schlüssiger Weise darzulegen, um den beantragten Schutz vor Verfolgung möglichst rasch erhalten zu können. Es entspricht auch der allgemeinen Lebenserfahrung, dass eine mit Vernunft begabte Person, die behauptet, aus Furcht vor Verfolgung aus ihrem Herkunftssaat geflüchtet zu sein, über wesentlich Ereignisse im Zusammenhang mit ihrer Flucht, die sich im Bewusstsein dieser Person einprägen, selbst nach einem längeren Zeitraum noch ausreichend konkrete, widerspruchsfreie und nachvollziehbare Angaben machen kann.

Der BF steigerte sein Vorbringen auch in der Folge noch weiter und verstrickte sich dabei in Widersprüche. Er legte in der Einvernahme vor der belangten Behörde vier an ihn, bzw. seinen Vater adressierte Drohbriefe der Taliban vor, erwähnte diese hingegen im Anschluss in seiner ausführlichen Schilderung seiner Fluchtgeschichte kein einziges Mal. Nach den Gründen dafür befragt, gab der BF lediglich vage an "Die Drohbriefe waren für uns bestimmt." (vgl. S 10 der Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA am 11.01.2018). Nach weiteren Nachfragen führte der BF aus, sein Vater habe die Briefe bekommen, er selbst wisse nicht wie und habe die Schrift darin nicht lesen können. Damit bestätigte der BF den Eindruck, dass sein Vorbringen diesbezüglich nicht erlebnisbasiert ist, und er nie persönlich in Drohbriefen aufgefordert wurde, sich den Taliban anzuschließen. Auf Befragen gab der BF nämlich an, nicht gleich versucht zu haben, die Drohbriefe zu lesen, sondern die Briefe erst in Österreich angesehen zu haben, diese habe er aber nicht lesen können (vgl. S 16 der Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA). Vor dem Hintergrund der geschilderten Angst vor Zwangsrekrutierung ist es unplausibel, sich nicht sofort über eine gegen ihn gerichtete Drohung informieren zu wollen, sondern ohne die Briefe gelesen zu haben, das Land zu verlassen. Das Vorbringen zu den Drohbriefen ist auch nicht schlüssig, gab der BF doch an, die Taliban hätten den dritten Drohbrief seinem Vater übergeben, als sie ins Haus der Familie gekommen und mit dem Vater diskutiert hätten. Auf die Frage, ob der BF die Übergabe des Briefes gesehen habe, führte der BF jedoch aus, als er bei seinem Onkel gewesen sei, habe sein Vater vom Erhalt des Briefes erzählt. Laut dem diesen Angaben widersprechenden Fluchtvorbringen des BF war er hingegen zuhause, als die Taliban mit dem Vater diskutierten und ging erst elf Tage vor seiner Ausreise zu seinem Onkel (vgl. S 9 der Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA; S 14 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG am 19.03.2019).

Darüber hinaus sind die vorgelegten Drohbriefe auch im Hinblick auf die Länderberichte nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit des Vorbringens zu untermauern. Der dem BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 19.03.2019 ausgehändigten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan "Taliban Drohbriefe, Bedrohung militärischer Mitarbeiter" vom 28.07.2016 zufolge können gefälschte Drohbriefe für etwa US$ 1.000 gekauft werden. Den Quellen kann auch entnommen werden, dass die Taliban es größtenteils aufgegeben haben, mit Drohbriefen vorzugehen.

Nach dem Ende der freien Erzählung seiner Fluchtgeschichte und der Bejahung der Frage, ob er alle Fluchtgründe vorgebracht habe (vgl. S 9 der Einvernahme vor dem BFA) sowie der Beantwortung zahlreicher weiterer Fragen zum Fluchtvorbringen und den Drohbriefen, gab der BF vor der belangten Behörde auf Befragen an, seine Familie lebe noch immer im Heimatort (vgl. S 11 der Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA). Erst auf die Frage, ob seine Familie in Sicherheit sei, brachte der BF schließlich erstmals vor, sein Vater sei von den Taliban mitgenommen, 16 Tage lang festgehalten und gefoltert worden. Nach der Vermittlung der Dorfältesten und einer Zahlung von 250.000 Afghani sei vereinbart worden, dass der BF im Falle seiner Rückkehr zu den Taliban gehen müsse und er und sein Bruder an die Taliban übergeben würden (vgl. S 11 der Einvernahme vor dem BFA). Es ist nicht nachvollziehbar, warum der BF, trotz mehrmaliger Möglichkeit dies vorzubringen, die Entführung und Folterung seines Vaters sowie den darauffolgenden und den BF ja unmittelbar betreffenden "Deal" mit den Taliban so spät erwähnte.

Dasselbe gilt für den Umstand, wonach der Bruder des BF seit zwei Jahren verschollen sei. Der BF erwähnte dies weder in der Erstbefragung, noch von sich aus in der Einvernahme vor der belangten Behörde. Er gab - im Gegenteil - zunächst an, seine Geschwister, inklusive sein Bruder Javed, würden nach wie vor alle bei seinen Eltern im Heimatdorf leben (vgl. S 6 der Einvernahme vor dem BFA). Erst auf die Frage, was sein Bruder in Afghanistan arbeite, antwortete der BF, dass er seit zwei Jahren verschollen sei (vgl. S 11 der Einvernahme vor dem BFA). In der Beschwerdeverhandlung vermutete der BF, sein Bruder könnte von den Taliban entführt worden sein ("Bis heute wissen wir nicht, was mit meinem Bruder passiert ist. Ob er noch lebt oder nicht, ob er von den Taliban entführt wurde oder nicht." Vgl. S 15 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung am 19.03.2019).

In der ersten Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG gab der BF auch erstmals an, nicht zu wissen, wo seine Familie derzeit lebe. Er habe immer durch seinen Onkel Kontakt mit seinen Eltern gehabt, sein Onkel sei aber vor sieben oder acht Monaten bei einem Selbstmordanschlag ums Leben gekommen. Seine Eltern seien alt und jetzt gebe es den Onkel nicht mehr (vgl. S 9 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung am 19.03.2019). In weiterer Folge änderte der BF sein Vorbringen erneut und gab an, es sei zu einer neuerlichen Kontaktaufnahme der Taliban mit seinem Vater gekommen, in welcher diese ihn aufgefordert hätten "Wenn du ein guter Muslim bist, gib uns deine beiden jüngeren Söhne". Aus diesem Grund sei sein Vater mit seiner Mutter und den Brüdern über Nacht geflüchtet. Der Onkel habe ihm davon erzählt. Einige Zeit später seien sein Onkel und Cousin gestorben, seitdem habe er mit niemandem gesprochen (vgl. S 15 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung am 19.03.2019).

Es zeigt sich allein aus dieser Auflistung, dass der BF sein Fluchtvorbringen laufend übersteigert, um den Gründen, weswegen er Afghanistan verlassen hat, immer wieder mit neuen Argumenten mehr Gewicht zu geben. Eine derartige Übersteigerung des Fluchtvorbringens trägt jedoch nicht zur Glaubwürdigkeit der Person des BF bei. Auch die Angaben des BF zum Aufenthaltsort seiner Familienangehörigen sind als Schutzbehauptungen zu werten, um für den BF die Anzahl der noch in Afghanistan bestehenden familiären Anknüpfungspunkte möglichst gering zu halten. Es ist daher davon auszugehen, dass der BF Verwandte in Afghanistan hat und zu diesen auch Kontakt besteht.

Im Gesamtzusammenhang betrachtet ist daher nicht davon auszugehen, dass dem BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban droht, weswegen die entsprechende Feststellung zu treffen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass, wie vom BF zu Beginn angegeben, tatsächlich der Wunsch nach einer Schulbildung, welche ihm in Afghanistan durch die Taliban verwehrt wurde, Grund für seine Ausreise war.

Der BF brachte jedoch erstmals bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 19.03.2019 vor, dass er sich sexuell zu Männern hingezogen fühle. Zum damaligen Zeitpunkt bestand lediglich ein Verlangen, der BF lebte seine sexuelle Orientierung damals noch nicht aus.

Anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 09.10.2019 vermochte der BF zu überzeugen, dass er sich mit seiner Homosexualität ernsthaft auseinandergesetzt hat, und diese für sich akzeptiert hat. Er lebt seine Sexualität mit Männern aus, und hat auch bereits sein engeres Umfeld und seine Vertrauenspersonen über seine sexuelle Orientierung informiert. Dies wird auch durch das Schreiben der sozialpädagogischen Betreuerin aus dem Projekt " XXXX " vom 29.10.2019, welches als Beilage der letzten Stellungnahme des BF vom 31.10.2019 angeschlossen war, bestätigt. Diese beschreibt darin auch den Prozess, welchem sich der BF im Laufe des letzten Jahres unterzog, in welchem er seine sexuelle Neigung entdeckte, sich mit den Konsequenzen dieser Neigung auseinandersetzte, und sich schließlich dazu entschied, zu seiner Homosexualität zu stehen.

Aus diesem glaubhaften und im Lichte des Vorbringens des BF in den mündlichen Beschwerdeverhandlungen plausiblen Angaben der sozialpädagogischen Betreuerin und auch aus dem Auftreten des BF bei beiden mündlichen Beschwerdeverhandlungen bestehen seitens der erkennenden Richterin keine Zweifel daran, dass sich der BF zu Männern hingezogen fühlt, auch wenn dies die belangte Behörde anders sieht, wie sie in deren Stellungnahme vom Oktober 2019 umfassend ausführt. Begründet wird dies seitens der erkennenden Richterin vor allem damit, dass der Beschwerdeführer insbesondere bei der zweiten mündlichen Beschwerdeverhandlung am 09.10.2019 der Lage war, dieses Thema offen anzusprechen, was im März 2019 noch nicht der Fall war. Das diesbezügliche Vorbringen des BF unterschied sich sowohl in seiner Ausdrucksweise, als auch in der Spontanität seiner Antworten, ganz eindeutig von jenem Vorbringen zur vom BF behaupteten Verfolgung durch die Taliban, welches er in keiner Weise erlebnisbasiert berichtete.

Wenn die belangte Behörde es als nicht glaubhaft erachtet, dass der BF bereits zweifachen sexuellen Kontakt mit Männern hatte, ist dem entgegen zu halten, dass der BF von sich aus und offen darüber sprach, wie er diese Männer kennenlernte, und wie sich die sexuellen Kontakte anbahnten. Die bloße Annahme der belangten Behörde, dass junge Männer auch vor dem 19. Lebensjahr Interesse daran haben (müssen), ihre sexuellen Triebe auszuüben, und dass dies nicht vom Zugang zum Internet abhängig sein könne, vermag dessen Aussagen vor dem BVwG nicht zu widerlegen. Der BF kommt aus einem Kulturkreis, in welchem eine offen gelebte Sexualität tabuisiert wird, insbesondere wenn es sich um Homosexualität handelt. Eine Gesellschaft, in der das bloße Anlächeln eines Mädchens auf der Straße durch einen Mann weitreichende Konsequenzen haben kann, kann nicht mit mitteleuropäischen Maßstäben eines aufgeklärten Landes wie Österreich verglichen werden.

Es wird im konkreten Fall nicht zu widerlegen sein, dass der BF seine sexuelle Orientierung mit einschlägigen Videos im Internet erprobte. Im Lichte der Achtung seiner Privatsphäre ist es nicht möglich, in diesem Themenbereich intensiver nachzufragen, als dies ohnehin schon bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung geschah.

Auch dem Argument der belangten Behörde, dass der BF nicht klar darzustellen vermochte, wo er im Schlosspark XXXX seinen zweiten Sexualpartner " XXXX " traf, kann nicht gefolgt werden. So zeichnete der BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 09.10.2019 den Schlosspark auf, und selbst für die wenig ortskundige erkennende Richterin ist aus dieser Zeichnung (siehe Beilage 16 der Niederschrift der mündlichen Beschwerdeverhandlung) sowohl der " XXXX " als auch der XXXX und der XXXX zu erkennen. Auch die Statuen im " XXXX " zeichnete der BF zumindest schematisch ein. Der Vertreter der belangten Behörde räumte in diesem Zusammenhang bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 09.10.2019 selbst ein, dass "er nicht ausschließen könne, dass sich dort auch Leuten treffen" (vgl. S 12 der Niederschrift der mündlichen Beschwerdeverhandlung). Wenn der Vertreter der belangten Behörde nunmehr ausführt, dass diese Bereiche mit Bewegungsmeldern ausgeleuchtet sind, und es sehr schwer möglich sei, dort sexuelle Handlungen auszuführen, so belegt dies dennoch nicht, dass der BF dort nicht doch einen sexuellen Kontakt mit " XXXX " hatte. Hinzu kommt, dass diese Bewegungsmelder laut der vom Rechtsvertreter des BF eingeholten Auskunft des Leiters des Gartenamtes des Magistrates der Stadt XXXX gar nicht eingerichtet sind, bzw., dass es in diesem Bereich gar keine leistungsstarke Lichtanlage gibt (vgl. Aktenvermerk vom 28.10.2019, OZ 34)

Der Umstand, dass der BF bis dato nur sexuelle Kontakte hatte, jedoch noch keine Liebesbeziehung mit einem Mann einging, besagt per se noch nicht, dass der BF nicht homosexuell sein soll. Vielmehr sprach der BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung offen darüber, dass er seine Homosexualität nach anfänglichen Unsicherheiten und Zweifeln akzeptierte, wobei ihm ganz offensichtlich, plausibel und glaubhaft, die sozialpädagogische Leiterin des Projektes, in welchem der BF arbeitete, welche selbst in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung lebt, half. Mit ihr konnte er sich austauschen und offen über das Thema sprechen (vgl. S 8 der Niederschrift der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 09.10.2019). Er äußerte, entgegen den Ausführungen der belangten Behörde in deren Stellungnahme vom 07.10.2019 (richtig wohl 15.10.2019), auch den Wunsch nach einer partnerschaftlichen Beziehung (vgl. S 8 der Niederschrift der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 09.10.2019 "RI: Wollen Sie in Zukunft einen Freund oder eine Freundin haben? BF: Einen männlichen Freund, der mich versteht und ich ihn") Daraus folgt, dass der BF diese Person zwar noch nicht gefunden hat, er jedoch bereits den Wunsch hat, eine homosexuelle Beziehung zu führen.

Insgesamt bestehen für die erkennende Richterin keine Zweifel daran, dass der BF homosexuell orientiert ist, weswegen die entsprechende Feststellung zu treffen ist.

2.2 Zu den Feststellungen zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Betreffend das Privatleben und insbesondere die Integration des BF in Österreich wurden dessen Angaben in der Beschwerdeverhandlung sowie die im gesamten Asylverfahren vorgelegten Unterlagen den Feststellungen zugrunde gelegt. Der BF hat die Zeit in Österreich genutzt, um sich Wissen anzueignen, und sich bestmöglich zu integrieren, was durch die vorgelegten Integrationsunterlagen belegt wird.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

2.3 Zu den Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das BVwG kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die Parteien des Verfahrens haben alle genannten Länderinformationen mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme vom erkennenden Gericht übermittelt bekommen und haben von diesem Recht auch teilweise Gebrauch gemacht. Die vom BF in seinen Stellungnahmen zitierten Länderinformationen finden Großteils Deckung in dem von der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erstellten Länderinformationen zu Afghanistan. Insoweit es hier Abweichungen zu den dieser Entscheidung zugrunde gelegten Länderinformationen gibt, wird dem entgegengehalten, dass diese Länderinformationen der Staatendokumentation auf dem aktuellen Stand sind, und alle, für das gegenständliche Verfahren wesentlichen Aspekte berücksichtigen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zu Spruchteil A):

Gemäß § 3 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in der Folge GFK) droht.

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht, oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

Gemäß den getroffenen Feststellungen zum Herkunftsstaat ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit für den BF von Verfolgung in asylrelevanter Intensität im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention im gesamten Staatsgebiet Afghanistans auszugehen, und zwar aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgten sozialen Gruppe.

Bei der "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen Rasse, Religion und Nationalität überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese (VwGH 20.10.1999, Zl. 99/01/0197).

Gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. d Status-Richtlinie gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn

o die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und

o die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

Es ist daher objektiv nachvollziehbar, dass der BF aus Furcht vor ungerechtfertigten Eingriffen von erheblicher Intensität aus einem in Art. 1 Abschnitt A 2 der GFK genannten Grund nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes seines Herkunftsstaates zu bedienen, zumal auch eine innerstaatliche Fluchtalternative aufgrund der Tatsache, dass die Verfolgung im gesamten Staatsgebiet Afghanistans von staatlichen Behörden ausgeht, im vorliegenden Fall auszuschließen ist.

Der BF hat mit dem Umstand, dass er während seines Aufenthaltes in Österreich seine sexuelle Orientierung erkannte, genauer, dass er homosexuell ist, und diese Neigung auch ausleben will, einen Nachfluchtgrund in Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG 2005 glaubhaft vorgebracht.

Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vorliegt, war Asyl zu gewähren.

Der Vollständigkeit halber ist anzuführen, dass sich aus dem Akteninhalt auch keine Anhaltspunkte für die Anwendbarkeit eines Ausschlussgrundes nach § 6 AsylG ergeben.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, aber auch des Verfassungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, gesamtes Staatsgebiet,
Homosexualität, soziale Gruppe, wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W261.2188375.1.00

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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