TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/12 I419 2219917-1

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Veröffentlicht am 12.11.2019
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Entscheidungsdatum

12.11.2019

Norm

AlVG §10
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

I419 2219917-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Tomas JOOS als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Dr. Florian Burger und Stefan Frieß als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, vertreten durch die Arbeiterkammer Tirol, gegen den Bescheid des AMS Lienz vom 20.02.2019, Zl. XXXX, nach Beschwerdevorentscheidung vom 23.05.2019, XXXX, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und die Beschwerdevorentscheidung dahingehend abgeändert, dass sie zu lauten hat:

"Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das AMS zurückverwiesen."

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Mit dem bekämpften Bescheid sprach die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin den Anspruch auf Arbeitslosengeld von 8.2.2019 bis 19.3.2019 verloren habe. Diese habe eine zugewiesene Beschäftigung als Zimmermädchen vereitelt. Gründe für eine Nachsicht wären nicht zu berücksichtigen.

Beschwerdehalber wird vorgebracht, die Beschwerdeführerin habe die Arbeitsaufnahme nicht vereitelt. Die potenzielle Dienstgeberin habe auf die aufgrund der Entfernung gestellten Frage nach einer eventuellen Nächtigungsmöglichkeit aggressiv reagiert und eine Anstellung sofort abgelehnt.

Mittels Beschwerdevorentscheidung gewährte das AMS eine Nachsicht im Ausmaß von sieben Tagen und wies die Beschwerde ansonsten ab. Das Beschäftigungsverhältnis sei vor allem deshalb nicht zustande gekommen, weil der Begleiter der Beschwerdeführerin sogleich und wahrheitswidrig darauf hingewiesen habe, dass sich diese demnächst einer Wirbelsäulenoperation unterziehen werde müssen, was sie "durch ihr Schweigen offensichtlich unterstützt" habe, wodurch der Tatbestand der Vereitelung erfüllt sei.

Zum Vorlageantrag erstattete das AMS eine Stellungnahme, in der es auf diese Begründung verwies.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Verfahrensgang wird festgestellt, wie oben in I. wiedergegeben.

Weiters wird festgestellt:

1. Die Beschwerdeführerin bezog zuletzt aufgrund eines Antrags vom 31.10.2018 Arbeitslosengeld. In der Betreuungsvereinbarung vom 14.01.2019 ist festgehalten, dass sie Deutsch auf Niveau A1 beherrscht und ihr ein Privat-Pkw oder eine sonstige Möglichkeit zur Verfügung steht, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen. Laut dem zeitgleich vorgelegten Lebenslauf verfügt sie über eine Lenkerberechtigung "B" und ein eigenes Auto.

Sie wohnt mit ihrem 19-jährigen Sohn und dessen Vater, Herrn V., zusammen in Lienz. Alle drei sind in Rom geborene italienische Staatsangehörige und seit 2015 gemeinsam dort gemeldet.

Am 08.02.2019 wies das AMS ihr eine Stelle als Küchengehilfin bis 25.04.2019 in einem Apartmenthaus der C. KG zu. Als "Tätigkeitsbereich" wurden Ausgabe von Speisen, Geschirrreinigung und "Koch-Kenntnisse" angegeben, weiteres "Speisen anrichten" sowie die Zubereitung von Beilagen, Gemüsen und Salaten.

Die Arbeitszeiten waren mit 5 Tagen von 8 bis 12 und von 17 bis 21 Uhr angegeben. Als Kontaktmöglichkeit war eine Telefonnummer angegeben, unter der Frau P. erreicht werden könne.

Der vorgesehene Arbeitsplatz befindet sich rund 41 km vom Wohnsitz der Beschwerdeführerin entfernt, die mit Pkw in ca. 40 min zu bewältigen sind. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist nur die Arbeitszeit am Vormittag in beiden Richtungen abgedeckt (Wegzeit Hinweg 113 min, Rückweg 72 min), der Nachmittagsdienst ist zwar erreichbar (Wegzeit Hinweg 73 min), jedoch ist die Rückfahrt nur bis 19:11 h möglich.

2. Noch am Tag der Zuweisung vermerkte das AMS einen Anruf, bei dem Frau P. mitgeteilt habe, dass der Gatte der Beschwerdeführerin angerufen und gefragt habe, was er dem AMS sagen solle. Frau P. habe diesem darauf geantwortet, er solle sagen, "dass sie nicht arbeiten wollen". Das AMS suspendierte darauf den Leistungsbezug. Am 18.02.2019 teilte Frau P. dem AMS laut dessen Vermerk mit, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Gatten erschienen sei und sich dieser beschwert habe, dass seine Gattin, die eine Stelle ab April in Aussicht habe, "kein Geld mehr bekäme".

3. Am selben Tag wurde die Beschwerdeführerin ohne Dolmetsch niederschriftlich einvernommen und erklärte laut dieser Niederschrift, dass sie betreffend berufliche Verwendung, Arbeitszeit und Betreuungspflichten keine Einwendungen habe. Die Tätigkeit als "Zimmermädchen" könne sie nicht ausüben, da sie starke Schmerzen im Rücken habe. Zur täglichen Wegzeit für Hin- und Rückweg wandte die Beschwerdeführerin ein, dass sie im Winter nicht so weit fahren wolle. Die Angaben von Frau P. würden nicht stimmen. Im Gespräch habe sie an Ort und Stelle angegeben, dass sie Rückenschmerzen habe und die Entfernung zu weit sei.

4. Die Beschwerdeführerin leidet an einer leichten Funktionsstörung der Wirbelsäule aufgrund von mittelgradigen degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule. Arbeiten in ständig gebückter Haltung, ständiger anderer Zwangshaltung sowie solche, die mit häufigem Heben von Lasten größer als 15 kg verbunden sind, muss sie nach allgemeinmedizinischer Empfehlung vermeiden. Aus arbeitsmedizinischer Sicht kann die Beschwerdeführerin ihrer Lendenwirbelsäule Belastungen zumuten, wie sie üblicherweise bei Reinigungskräften und Zimmermädchen auftreten.

5. Die Beschwerdeführerin bezog bis 19.03.2019 Arbeitslosengeld und anschließend bis 14.04.2019 Notstandshilfe. Sie war von 15.04. bis 04.05. und von 28.05. bis 07.09.2019 als Arbeiterin vollversichert in Hotels beschäftigt und bezog dazwischen und anschließend wieder Notstandshilfe.

6. Die Betreuungsvereinbarung vom 08.05.2019 hält - wie bisher - fest, dass die Vermittlung der Beschwerdeführerin durch schlechte Deutschkenntnisse erschwert wird. Diese waren dem AMS auch während des gesamten Verwaltungsverfahrens bekannt.

7. Es kann nicht festgestellt werden, ob und in welcher Form die Beschwerdeführerin auf die zugewiesene Stelle beworben hat. Es kann nicht festgestellt werden, ob und mit welchem Inhalt am 08.02.2019 ein Telefonat zwischen Frau P. und Herrn V. stattgefunden hat. Es kann nicht festgestellt werden, welchen Inhalt das Gespräch an Ort und Stelle am 18.02.2019 hatte und wer dort das Wort ergriffen hat. Es kann insbesondere nicht festgestellt werden, von welcher angebotenen Tätigkeit die Rede war.

8. Es kann nicht festgestellt werden, warum eine Beschäftigung der Beschwerdeführerin in dem Betrieb der C. KG nicht zustande kam. Es kann nicht festgestellt werden, ob es sich um eine Beschäftigung gehandelt hätte, bei der Lasten über 15 kg zu heben gewesen wären.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem vorliegenden AMS-Akt, den eingeholten Versicherungs- und Meldedaten sowie einer auf firmen.wko.at vorgenommenen Firmenabfrage und einer auf fahrplan.vvt.at eingeholten Fahrplanauskunft.

2.2 Das Bekanntsein der schlechten Deutschkenntnisse folgt aus den häufigen Vermerken im Akt, die darauf schließen lassen, z. B. "Suchprofil: negativ - aufgrund fehlender Deutschqualifikation" (09.11.2018, analog 13.12.2018, 14.01.2019, 04.02.2019), "lt. Gatte hat DG [...]" (23.11.2018), "Anruf Gatte [...] War gestern mit seiner Gattin vorstellen [...] Wurde aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse nicht eingestellt" (04.12.2018), "Anruf Gatte [...], dass aus DV [...] nichts wird aufgr. mangelnder Deutschkenntnisse seiner Gattin" (14.01.2019), aus der dokumentierten Wahrnehmung des AMS - "leider aufgrund der Deutschkenntnisse bin ich mir nicht ganz sicher [...]" (über einen Anruf der Beschwerdeführerin, 06.02.2019) sowie aus den Betreuungsvereinbarungen. Schließlich hat auch noch vor der Beschwerdevorentscheidung der beauftragte Arzt festgehalten, dass "die Deutschkenntnisse der Klientin rudimentär sind. Der Lebensgefährte dolmetscht." (02.04.2019)

2.3 Die Negativfeststellungen ergeben sich aus den widersprüchlichen Angaben, zu denen das AMS weder Frau P. als Zeugin noch Herrn V. als Zeugen vernommen hat, sowie daraus, dass die Beschwerdeführerin weder schriftlich noch mündlich in ihrer Muttersprache Italienisch Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde.

So hat die Beschwerdeführerin laut Niederschrift nicht zur Frage des angeblichen Telefonats ihres Lebensgefährtin Stellung genommen, das immerhin der ursprüngliche Auslöser für das Verfahren war, und wurde auch nicht (weder deutsch noch italienisch) mit der später eingeholten Telefonauskunft von Frau P. konfrontiert, ihr Lebensgefährte habe gleich von der bevorstehenden Rückenoperation gesprochen, worauf ihm Frau P. geraten habe, dies dem AMS mitzuteilen.

Diese Sachverhaltsvariante hat das AMS der Beschwerdeführerin erstmals in der Beschwerdevorentscheidung zur Kenntnis gebracht.

2.4 Unaufgeklärt ist ferner der Widerspruch zwischen den behaupteten Verwendungen als Zimmermädchen (Niederschrift, Beschwerde) seitens der Beschwerdeführerin und Küchenhilfe seitens Frau P. und nach dem Inhalt der Stellenausschreibung. Auch das dazu nach der Weinbringung der Beschwerde geführte weitere Telefonat des AMS mit Frau P. wurde der Beschwerdeführerin erstmals in der Beschwerdevorentscheidung zur Kenntnis gebracht.

Es wurde auch auf eine Gegenüberstellung verzichtet, was speziell auf die Bestreitung des Telefonats des Herrn V. mit Frau P. vom 08.02.2019 hin Feststellungen verhindert, aber auch im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen, wonach es erst der Mutter von Herrn V. gelungen sei, einen Vorstellungstermin für die Beschwerdeführerin zu vereinbarten.

2.5 Dazu kommt, dass auch die Beschwerdeschrift vom "Problem" der "mangelnden Deutschkenntnisse" ausgeht, aber keine weiteren Ermittlungsschritte des AMS auf diesen Hinweis hin ersichtlich wurden. Insofern sind weitere Feststellungen auch deshalb nicht möglich, weil zwischen der Verantwortung der Beschwerdeführerin wie sie der Niederschrift zu entnehmen ist und dem Beschwerdevorbringen ebenfalls große Unterschiede bestehen.

2.6 Je nachdem, ob von einer Arbeit als Zimmermädchen die Rede war oder einer solchen als Küchenhilfe (zuletzt hat das AMS die Auskunft von Frau P. notiert, dass über die Arbeit gar nicht gesprochen worden sei), wären auch Lasten über 15 kg zu prüfen, nämlich z. B. im Zusammenhang mit Geschirr- und Gläserkörben sowie dem Transport von (auch gestapeltem) Essgeschirr. Das Gericht geht unter diesen Umständen nicht davon aus, es wäre feststellbar, dass die Beschwerdeführerin die Annahme einer angebotenen zumutbaren Stelle erwiesener Maßen vereitelt und die Folgen in Kauf genommen hätte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Aufhebung und Zurückverweisung

3.1 § 10 Abs. 1 AlVG legt fest, dass eine Person, die sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle des AMS zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die auf diese Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld verliert. Das gilt nach § 38 AlVG auch für die Notstandshilfe.

Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit dieser im angefochtenen Bescheid verhängten Sanktion ist, dass die zugewiesene Beschäftigung als zumutbar und auch sonst geeignet in Betracht kommt, der Arbeitslose ein Verhalten gesetzt hat, das geeignet war, das Zustandekommen der Beschäftigung zu vereiteln, und dass dieses Verhalten kausal für das Nichtzustandekommen sowie vorsätzlich darauf gerichtet war.

3.2 Die Beschwerdeführerin bringt sinngemäß vor, sie habe sich mit ihrem Lebensgefährten zu einem Vorstellungstermin begeben, wo ihr Frau P. auf dessen Frage nach einer Personalunterkunft bereits unterstellt habe, nicht arbeiten zu wollen.

3.3 Bezogen auf den konkreten Arbeitsplatz konnte nicht einmal festgestellt werden, dass er der Beschwerdeführerin zumutbar war, aber selbst in diesem Fall kein Sachverhalt, aus dem sich ergäbe, dass diese den Arbeitsantritt vereitelt hätte, was aber von Amts wegen ebenso zu prüfen ist wie - gegebenenfalls - die Vorwerfbarkeit eines kausalen Verhaltens.

3.4 In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass dem AMS bereits vor der Erlassung des Bescheids der Beschwerdeführerin aus dem Akt bekannt war, dass diese nur geringe Deutschkenntnisse aufwies und häufig von ihrem Lebensgefährten "vertreten" wurde.

Zur Zurückverweisung zur - allfälligen - Erlassung eines neuen Bescheids:

3.5 Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z. 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z. 2).

Nach § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Beschwerdevorlage unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

3.6 Im vorliegenden Fall hat das AMS verkannt, dass einer Entscheidung über den Anspruchsverlust angesichts der bekannten Widersprüche ein Ermittlungsverfahren voranzugehen gehabt hätte, in welchem geklärt wird, welcher der behaupteten Sachverhalte vorliegt.

Die Feststellung wäre anhand der oben angeführten Beweise - Zeugenvernehmungen, Vernehmung der Beschwerdeführerin mittels Dolmetsch (§ 39a Abs. 1 AVG) - zu treffen gewesen, allerdings nicht erst für eine Beschwerdevorentscheidung, sondern als Basis für die Entscheidung, ob überhaupt ein Vereitelungstatbestand erfüllt und damit die Erlassung eines Bescheids geboten ist. Zur beabsichtigten Feststellung wäre der Beschwerdeführerin sodann Parteiengehör zu gewähren gewesen, und zwar unter Verweis auf die Ergebnisse der Beweisaufnahmen.

3.9 Das AMS hat demgegenüber lediglich eine Niederschrift aufgenommen, in der die erste Rückmeldung von Frau P. überhaupt nicht thematisiert wurde, und anschließend eine ärztliche Begutachtung im Hinblick auf die Tätigkeit "Zimmermädchen/Reinigungskraft" veranlasst, und auf Basis dieses Gutachtens festgestellt, dass die Beschwerdeführerin als Küchengehilfin hätte arbeiten können (S. 11 der Beschwerdevorentscheidung).

Eine Manuduktion der Beschwerdeführerin ist ebenso wenig vermerkt wie die Dauer der Amtshandlung und der konkrete Vorhalt ("siehe SFU Meldung", wobei vorher bereits zwei unterschiedliche Meldungen vom 08.02. und vom 18.02. vorlagen). Frau P. war dabei ebenso wenig anwesend wie ein Dolmetsch, und auch der - vom AMS häufig als Gatte bezeichnete - Lebensgefährte wurde nicht vernommen.

Anschließend erging der angefochtene Bescheid. Der Sachverhalt war bis dahin bloß ansatzweise ermittelt. Das AMS hat somit im Bescheid keine hinreichende Sachverhaltsfeststellung und deswegen keine auf eine solche aufbauende rechtliche Würdigung vorgenommen.

3.10 Das Modell der Aufhebung des Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde folgt konzeptionell dem des § 66 Abs. 2 AVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2018] § 28 VwGVG Anm. 11). Bei der Ausübung des Ermessens nach § 66 Abs. 2 f AVG sind auch die Bedeutung und die Funktion der Rechtmittelbehörde ins Kalkül zu ziehen. Die Einräumung eines Instanzenzugs darf nicht mangels sachgerechten Eingehens und brauchbarer Ermittlungsergebnisse [in erster Instanz] "zur bloßen Formsache degradiert" werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. Als Sachverhalt hat sie daher alle Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 28.07.1994, 90/07/0029 mwH).

Dennoch kommt eine Aufhebung des Bescheids nach § 28 Abs. 2 Z. 1 f VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen, besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (§ 37 AVG) "lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden" (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Wie erwähnt, hat das AMS nur ansatzweise ermittelt. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind auch deshalb nicht gegeben, weil die verwaltungsgerichtliche Entscheidung weder im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, zumal sich Beschwerdeführerin, Zeuge V. und AMS-Dienststelle in derselben Stadt befinden und die Zeugin P. im selben Bezirk, während deren Entfernung zum Gerichtsstandort gut 2,5 Stunden pro Richtung mit PKW bzw. 3,5 Stunden pro Richtung mit öffentlichen Verkehrsmitteln ausmacht.

Da somit die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorliegen, war der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Zurückverweisung aus verwaltungsökonomischen und Gründen des Rechtsschutzes nach § 28 Abs. 3 VwGVG im Fall der mangelhaften Sachverhaltsermittlung.

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Da auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Schlagworte

Arbeitslosengeld, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Vereitelung, Vernehmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:I419.2219917.1.00

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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