TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/5 W247 2222606-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.09.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

05.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §15b Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W247 2222606-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. HOFER über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX , StA. Volksrepublik China, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.06.2019, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 15b Abs. 1, 57 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., iVm §§ 9, 18 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idgF., und §§ 52, 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Die Beschwerdeführer (im Folgenden BF) ist chinesischer Staatsangehöriger und der Volksgruppe der Han zugehörig.

I. Verfahrensgang:

1. Die BF reiste im Jahr 2017 mit einem bis 10.12.2017 gültigen Visum C legal in das österreichische Bundesgebiet ein. Der BF stellte in Folge einer Personenkontrolle am 01.06.2019 den gegenständlichen Asylantrag, zu welchem er am gleichen Tag vor der LPD Wien polizeilich erstbefragt worden ist. Am gleichen Tage wurde dem BF zur Kenntnis gebracht, dass über ihn eine Anordnung zur Unterkunftnahme verhängt wird und dass er in der XXXX , durchgehend Unterkunft zu nehmen habe. Gleichzeitig mit der Verfahrensanordnung gem. § 15b AsylG 2005 iVm. § 7 Abs. 1 VwGVG wurde dem BF ein Informationsblatt zur Anordnung der Unterkunftnahme ausgefolgt. Einer Ladung für den 05.06.2019 hat der BF keine Folge geleistet. Nach Zulassung seines Verfahrens wurde der BF am 14.06.2019 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Erstaufnahmestelle Ost, im Beisein eines dem Beschwerdeführer einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache CHINESISCH niederschriftlich einvernommen.

2. Der BF brachte im Rahmen seiner Erstbefragung vor, dass er in XXXX , China, am XXXX geboren sei, im Herkunftsstaat über eine Mutter, einen Bruder, eine Ex-Frau und über 2 Töchter als familiäre Anknüpfungspunkte verfügen würde und im August oder September 2017 mit einem Flugzeug von Peking nach Wien gekommen wäre. Sein chinesischer Reisepass wäre ihm gestohlen worden. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe gab der BF an, dass seine Familie sehr arm sei und er in China kein Geld verdienen habe können. Er sei hier her gekommen um zu arbeiten. Er habe keine politischen oder religiösen Gründe und sei nur aus wirtschaftlichen Gründen ausgereist. Bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat befürchte der BF, dass er kein Einkommen hätte.

3. Im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA am 14.06.2019 macht der BF geltend, dass er gesund und arbeitsfähig wäre, lediglich 4 Jahre die Grundschule besucht hätte und im Herkunftsstaat als Hilfskraft, etwa in Fabriken, oder als Bauarbeiter tätig gewesen sei. Zu seinen Familienverhältnissen hat er angegeben, dass in der Heimat eine Mutter, einen Bruder und eine Ehefrau samt zweier Töchter habe. Er sei von der Frau 6 Jahre geschieden gewesen und habe sie wieder geheiratet. Der Bruder würde die Familie unterstützen und seine Frau übe Gelegenheitsjobs aus. Seine Familie würde ein altes Haus besitzen. Zu seinen Verwandten habe er seit 2 Monaten keinen Kontakt, da der BF sein Handy verloren habe. Befragt nach seinen Fluchtgründen, gab der BF an, nur aus wirtschaftlichen Gründen seine Heimat verlassen zu haben. Man habe ihn verachtet, da er arm gewesen sei. Er habe ins Ausland wollen um Geld zu verdienen. Als Gelegenheitsarbeiter habe er auch nicht genug verdient. In Österreich arbeite der BF schwarz bei Chinesen und helfe bei Umzügen und Ladetätigkeiten mit. Ansonsten lebe er von der Grundversorgung. Bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat würde der BF ein schlechtes Gewissen gegenüber seiner Familie haben, da er kein Geld verdient habe.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde (BFA) vom 20.06.2019 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat VR China (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die VR China zulässig sei (Spruchpunkt V.). Einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG die abschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt VII.) Gemäß § 15b Abs. 1 AsylG wurde dem BF aufgetragen von 01.06.2019 bis 19.06.2019 in der XXXX , Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VIII.).

5. Als Begründung wurde im Wesentlichen angegeben, dass nicht festgestellt habe werden können, dass der BF in China einer begründeten Furcht vor asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen war bzw. einer solchen dort gegenwärtig ausgesetzt wäre. Ebenso wenig ergäbe sich dies aus der allgemeinen Situation/ Sicherheitslage in China. Der BF habe im gesamten Verfahren keine asylrelevanten Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates geltend gemacht, sondern sich lediglich auf wirtschaftliche Gründe bezogen. Weiter habe nicht festgestellt werden können, dass dem BF im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat die notwendige Lebensgrundlage entzogen wäre.

6. Mit Verfahrensanordnung vom 25.06.2019 wurde der BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

7. Gegen die Spruchpunkte II., VI., V., VI., VII., und VIII. des angefochtenen Bescheides vom 20.06.2019, zugestellt am 26.06.2019, erhob der BF am 17.07.2019 fristgerecht durch seinen gewillkürten Rechtsvertreter das Rechtsmittel der Beschwerde aus Gründen der unrichtigen Beweiswürdigung, Tatsachenfeststellung und rechtlichen Beurteilung, sowie wegen wesentlicher Verfahrensmängel. Begründend wurde darin im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF im Laufe des Verfahrens weder Dinge verheimlicht, noch bewusst falsch dargestellt habe und soweit es ihm möglich gewesen sei, mitgewirkt und alle Fragen beantwortet habe. Auch habe der BF niemals versucht ein Fluchtvorbringen zu konstruieren und sei somit seiner Mitwirkungspflicht im Verfahren - so gut wie möglich - nachgekommen. Gründe für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides lägen vor. Beschwerdeseitig wurde beantragt, das BVwG möge 1.) den hier angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass dem BF gem. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat China zuerkannt wird, 2.) in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass der Bescheid im Spruchpunkt III., betreffend die gegen den BF gem. § 53 Abs. 2 Z 2 FPG gefällte Rückkehrentscheidung, aufgehoben wird, 3.) in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass der Bescheid im Spruchpunkt III., betreffend der gegen den BF gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellten Abschiebung gem. § 46 aufgehoben wird, 4.) in eventu dem BF einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG erteilen, 5.) in eventu den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen, 6.) eine mündliche Verhandlung anberaumen.

8. Die Beschwerdevorlage vom 18.07.2019 und die Verwaltungsakte langten beim Bundesverwaltungsgericht am 29.08.2019 ein.

II. Das XXXX

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrags des BF auf internationalen Schutz vom 01.06.2019, seiner polizeilichen Ersteinvernahme vor der LPD Wien vom 01.06.2019 und der Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 14.06.2019, der Beschwerde vom 17.07.2019 gegen den angefochtenen Bescheid vom 20.06.2019, der Einsichtnahme in die Verwaltungsakte, in das Zentrale Melderegister, in das Fremden- und Grundversorgungs-Informationssystems und in das Strafregister der Republik Österreich werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zum Verfahrensgang

Das Bundesverwaltungsgericht stellt den Verfahrensgang fest, wie dieser unter Pkt. I wiedergegeben ist.

1.2. Zur Person der BF:

Der BF ist ein Staatsangehöriger der VR China, konfessionslos und der Volksgruppe der Han zugehörig. Der reiste 2017 mit einem bis 10.12.2017 gültigen Visum C legal in das österreichische Staatsgebiet ein. Von 11.12.2017 bis 01.06.2019 hielt sich der BF ununterbrochen und illegal im Bundesgebiet auf. Der BF verfügt über eine vierjährige Schulbildung und langjährige Arbeitserfahrung in seinem Herkunftsstaat als Hilfarbeiter, in Fabriken und auf dem Bau. Die BF ist arbeitsfähig und gesund. Der BF ist in der Lage sich seinen Lebensunterhalt in seinem Herkunftsland - wie bereits zuvorselbst zu erwirtschaften. Der BF ist verheiratet und Vater von 2 Töchtern. Er verfügt in den Personen seiner Mutter, seines Bruders, seiner Ehegattin und seiner beiden Töchter über familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF mit seinen im Herkunftsland aufhältigen Verwandten nicht in Kontakt steht.

Der BF lebt im Bundesgebiet von Schwarzarbeit bei Umsiedlungen und Ladetätigkeiten und von der Grundversorgung. Die BF hat keine in Österreich lebenden Familienangehörigen oder Verwandten und verfügt auch sonst über keine nennenswerten sozialen Beziehungen. Darüber hinaus konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des BF in Österreich in sprachlicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden. Die BF ist beruflich in Österreich nicht ordentlich integriert.

Die BF ist strafrechtlich unbescholten.

Der BF verfügt im Bundesgebiet über keinen ordentlichen Wohnsitz.

Der BF hat durch seinen gewillkürten Stellvertreter mit Schreiben vom 17.07.2019 lediglich gegen die Spruchpunkte II. bis VIII. des angefochtenen Bescheides Beschwerde erhoben. Mangels Beschwerde erwuchs der Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides vom 20.06.2019 somit in Rechtskraft.

1.2. Zur Rückkehrsituation des BF in seinen Herkunftsstaat

Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in der Volksrepublik China

1.4.1 Auszug aus der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 14.11.2017 (letzte Kurzinformation eingefügt am 05.02.2018)

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 05.02.2018: Festnahme des regierungskritischen Anwaltes Yu Wensheng, betrifft Abschnitt 10. Allgemeine Menschenrechtslage.

Yu Wensheng, ein regierungskritischer Anwalt, wurde nach Angaben seiner Frau am Morgen des 19.1.2018 festgenommen, als er mit seinem Sohn zur Schule ging (The Guardian 19.1.2018). Wenige Stunden vor seiner Verhaftung forderte Yu Wensheng von Präsident Xi Jinping in einem offenen Brief Verfassungsreformen (DW 19.1.2018). International bekannt wurde der prominente Kritiker, als er 2017 gemeinsam mit fünf anderen Anwälten versuchte, die Regierung seines Landes wegen des gesundheitsschädlichen Smogs zu verklagen (DZ 29.1.2018). Als Anwalt hat Yu mehrere andere Menschenrechtsanwälte und Demonstranten aus Hongkong vertreten, die dort für mehr Demokratie auf die Straße gegangen sind und festgenommen worden waren (DW 1.2.2018). Im Oktober vergangenen Jahres wurde Yu Wensheng vorübergehend inhaftiert, weil er in einem offenen Brief Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping wegen dessen Stärkung des Totalitarismus als für das Amt nicht geeignet bezeichnet hatte (NZZ 1.2.2018). Der Verbleib von Yu Wensheng war zunächst unklar (DP 19.1.2018); nach Angaben von Amnesty International übernahm die Polizei von Xuzhou in der ostchinesischen Provinz Jiangsu den Fall. Der Anwalt werde derzeit unter "Hausarrest an einem ausgesuchten Ort festgehalten, ohne dass dieser Ort bekannt wäre, so Amnesty International (DZ 29.1.2018). Gemäß Amnesty International sei der chinesische Menschenrechtsanwalt der "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" beschuldigt worden (DP 19.1.2018). Der Vorwurf der Subversion ist eine schwerwiegende Anklage, die eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren bedeuten kann. Im vergangenen Dezember war etwa der regierungskritische Blogger Wu Gan deswegen zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden (DZ 29.1.2018). Der kritische Jurist ist das jüngste Opfer der seit mehr als zwei Jahren anhaltenden Verfolgungswelle gegen Anwälte, Mitarbeitern von Kanzleien, Aktivisten und deren Familienmitgliedern. Mehr als 300 wurden nach Angaben von Menschenrechtsgruppen seit Juli 2015 inhaftiert, verhört, unter Hausarrest gestellt oder an der Ausreise gehindert. Vier wurden verurteilt, 16 warten noch auf ihren Prozess (DP 19.1.2018). Mindestens eine Person aus der angeführten Gruppe sei verschwunden (BBC 16.1.2018).

Quellen:

-

BBC News (16.1.2018): China rights lawyer Yu Wensheng loses licence, http://www.bbc.com/news/world-asia-china-42702731, Zugriff 22.1.2018

-

DP - Die Presse (19.1.2018): Haft für Anwalt: China setzt Verfolgungswelle gegen Kritiker fort, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5356682/Haft-fuer-Anwalt_China-setzt-Verfolgungswelle-gegen-Kritiker-fort, Zugriff 19.1.2018

-

DW - Deutsche Welle (1.2.2018): China weist deutsche Kritik an Festnahme von Menschenrechtsanwalt zurück, http://www.dw.com/de/china-weist-deutsche-kritik-an-festnahme-von-menschenrechtsanwalt-zur%C3%BCck/a-42403119, Zugriff 2.2.2018

-

DW - Deutsche Welle (19.1.2018): Chinesischer Bürgerrechtsanwalt Yu Wensheng festgenommen,

http://www.dw.com/de/chinesischer-b%C3%BCrgerrechtsanwalt-yu-wensheng-festgenommen/a-42214185, Zugriff 22.1.2018

-

DZ - Die Zeit (29.1.2018):China beschuldigt Menschenrechtsanwalt der Subversion,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2018-01/yu-wensheng-buergerrechtsanwalt-peking-anklage-haftstrafe, 30.1.2018

-

NZZ - Neue Züricher Zeitung (1.2.2018): Ein kämpferischer Geist in den Fängen der chinesischen Behörden, https://www.nzz.ch/international/ein-kaempferischer-geist-in-den-faengen-der-chinesischen-behoerden-ld.1352463, Zugriff 1.2.2018

-

The Guardian (19.1.2018): Outspoken Chinese human rights lawyer Yu Wensheng held by police

https://www.theguardian.com/world/2018/jan/19/outspoken-chinese-human-rights-lawyer-yu-wensheng-arrested , Zugriff 22.1.2018

Sicherheitslage

Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China stark zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Land und fehlende Rechtsmittel. Auch stellen die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen Gründe für Proteste dar. Nachdem die Anzahl sogenannter. "Massenzwischenfälle" über Jahre hinweg rasch zunahm, werden hierzu seit 2008 (mehr als 200.000 Proteste) keine Statistiken mehr veröffentlicht. Zwei Aktivisten, die seit 2013 durch eigene, über Twitter veröffentlichte Statistiken diese Lücke zu schließen versuchten, wurden im Juni 2016 verhaftet. Die lokalen Behörden verfolgen in Reaktion zumeist eine Mischstrategie aus engmaschiger Kontrolle, die ein Übergreifen nach außen verhindern soll, gepaart mit einem zumindest partiellen Eingehen auf die Anliegen (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 15.12.2016)

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 31.8.2017

Rechtsschutz/Justizwesen

Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen. Dem steht jedoch der Anspruch der Kommunistischen Partei (KP) auf ungeteilte Macht gegenüber. Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden ausdrücklich abgelehnt. Von der Verwirklichung rechtsstaatlicher Normen und einem Verfassungsstaat ist China noch weit entfernt. Im Alltag sind viele Chinesen weiterhin mit Willkür und Rechtlosigkeit konfrontiert (AA 4.2017a). Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China folglich nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 15.12.2016). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2016). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KP zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen durch die Anwendung sog. "Leitlinien". Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen diejenigen, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, diesen "Leitlinien" der politisch-juristischen Ausschüsse (FH 1.2017a). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines "sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung" unter dem Motto "yi fa zhi guo", wörtlich "den Gesetzen entsprechend das Land regieren". Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, dh. der Partei, keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 11.2016). Die wichtigste Einrichtung der KP zur Kontrolle des Rechtssystems ist die Kommission des Zentralkomitees für Politik und Recht (ZKPR). Das ZKPR ist in unterschiedlichen Unter-Formaten auf jeder gerichtlichen Ebene verankert, wobei die jeweiligen Ebenen der übergeordneten Ebene verantwortlich sind. Die Macht des Komitees, das auf allen Ebenen auf Verfahren Einfluss nimmt, wurde auch seit den Beschlüssen des Vierten Plenums der KP im Oktober 2014 bewusst nicht angetastet (ÖB 11.2016). Die Richter-Ernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahmen seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen "Unabhängigkeit" von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es - vor allem auf unterer Gerichtsebene - noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 11.2016). Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) unter seinem als besonders "linientreu" geltenden Präsidenten und die Oberste Staatsanwaltschaft haben in ihren Berichten an den Nationalen Volkskongress im März 2014 in erster Linie gefordert, "Falschurteile" der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die Regierung widmet sowohl der juristischen Ausbildung als auch der institutionellen Stärkung von Gerichten und Staatsanwaltschaften seit mehreren Jahren große Aufmerksamkeit (AA 15.12.2016). Das umstrittene System der "Umerziehung durch Arbeit" ("laojiao") wurde aufgrund entsprechender Beschlüsse des 3. Plenums des ZK im November 2013 offiziell am 28.12.2013 abgeschafft. Es liegen Erkenntnisse vor, wonach diese Haftanstalten lediglich umbenannt wurden, etwa in Lager für Drogenrehabilitation, rechtliche Erziehungszentren oder diese als schwarze Gefängnisse weiter genutzt werden (AA 15.12.2016). Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt den "Schutz der Menschenrechte" an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft sitzenden Personen innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Zudem besteht diese Informationspflicht nicht, wenn durch diese Information die Ermittlungen behindert würden - in diesen Fällen müssen Angehörige erst nach 37 Tagen informiert werden. Was eine "Behinderung der Ermittlung" bedeutet, liegt im Ermessen der Polizei, es gibt kein Rechtsmittel dagegen. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befindet, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein. Der Aufenthaltsort kann auch außerhalb offizieller Einrichtungen liegen. Diese Möglichkeit wurde mit der Strafprozessnovelle 2012 eingeführt und von Rechtsexperten wie dem Rapporteur der UN-Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances wegen des inhärenten Folterrisikos als völkerrechtswidrig kritisiert (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017). Willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest ("soft detention") ohne gerichtliche Verfahren kommen häufig vor. Die Staatsorgane griffen verstärkt auf den "Hausarrest an einem festgelegten Ort" zurück - eine Form der geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei erlaubt, eine Person für die Dauer von bis zu sechs Monaten außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand der eigenen Wahl, zu Familienangehörigen oder anderen Personen der Außenwelt festzuhalten. Dadurch wurden diese Personen der Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Inhaftierungspraxis dient dazu, die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern - einschließlich der von Rechtsanwälten, politisch engagierten Bürgern und Angehörigen von Religionsgemeinschaften - zu unterbinden (ÖB 11.2016; vgl. AA 15.12.2016, AI 22.2.2017). Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem "Verwaltungsstrafen" verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer "Verwaltungshaft" (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten "black jails" kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 15.12.2016). Das 2013 in Kraft getretene revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert v.a. die Stellung des Verdächtigen/Angeklagten und der Verteidigung im Strafprozess; die Umsetzung steht aber in der Praxis in weiten Teilen noch aus. Auch der Zeugenschutz wird gestärkt. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Durchsetzung dieser Regeln viele Jahre erfordern wird (AA 15.12.2016). Der Schutz jugendlicher Straftäter wurde erhöht (ÖB 11.2014). 2014 wurden schrittweise weitere Reformen eingeleitet, darunter die Anordnung an Richter, Entscheidungen über ein öffentliches Onlineportal zugänglich zu machen sowie ein Pilotprojekt in sechs Provinzen um die Aufsicht über Bestellungen und Gehälter auf eine höhere bürokratische Ebene zu verlagern. Beim vierten Parteiplenum im Oktober 2014 standen Rechtsreformen im Mittelpunkt. Die Betonung der Vorherrschaft der Partei über das Rechtssystem und die Ablehnung von Aktionen, die die Unabhängigkeit der Justiz erhöhen würden, wurde jedoch beibehalten. Dies führte zu Skepsis hinsichtlich der tatsächlichen Bedeutung der Reform (FH 1.2015a). Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch Tatbestände der "Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StG) ersetzt. Danach können vor allem Personen bestraft werden, die einen politischen Umsturz/Separatismus anstreben oder das Ansehen der VR China beeinträchtigen. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 15.12.2016). Die Regierung hat weitere Gesetze zur nationalen Sicherheit ausgearbeitet und verabschieden lassen, die eine ernste Gefahr für den Schutz der Menschenrechte darstellen. Das massive landesweite Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und politisch engagierte Bürger hielt das ganze Jahr über an (AI 22.2.2017). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang bei der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. U.a. wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 15.12.2016). Auch 2016 setzten sich die Übergriffe der Behörden auf Menschenrechtsanwälte das ganze Jahr hindurch mit Verhaftungen und strafrechtlichen Verfolgungen fort (FH 1.2017a). Rechtsanwälte, die in kontroversen Fällen tätig wurden, mussten mit Drangsalierungen und Drohungen seitens der Behörden rechnen, und in einigen Fällen wurde ihnen die weitere berufliche Tätigkeit verboten. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Zugang der Bürger zu einem gerechten Gerichtsverfahren sehr stark eingeschränkt war. Mangelhafte nationale Gesetze und systemische Probleme im Strafrechtssystem hatten weitverbreitete Folter und anderweitige Misshandlungen sowie unfaire Gerichtsverfahren zur Folge (AI 22.2.2017). Seit der offiziellen Abschaffung der administrativen "Umerziehung durch Arbeit" im Jänner 2014 werden Menschenrechtsaktivisten vermehrt auf Basis der Strafrechtstatbestände der Unruhestiftung oder des Separatismus verurteilt und somit in Strafhaft gesperrt, wobei aufgrund der vagen Tatbestände ein strafrechtsrelevanter Sachverhalt relativ leicht kreiert werden kann (ÖB 11.2016). Häufig wurden Anklagen wegen "Untergrabung der staatlichen Ordnung", "Untergrabung der Staatsmacht", "Anstiftung zum Separatismus" "Anstiftung zu Subversion" oder "Weitergabe von Staatsgeheimnissen", sowie "Weitergabe nachrichtendienstlicher Informationen an das Ausland" erhoben und langjährige Gefängnisstrafen verhängt (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017). Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen zu. Allein in Peking versammeln sich täglich Hunderte von Petenten vor den Toren des staatlichen Petitionsamts, um ihre Beschwerde vorzutragen. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge werden pro Jahr landesweit ca. 10 Mio. Eingaben eingereicht. Petenten aus den verschiedenen Provinzen werden häufig von Schlägertrupps im Auftrag der Provinzregierungen aufgespürt und in ihre Heimatregionen zurückgebracht. Zwischen Februar und April 2014 wurden verschiedene Reformen des Petitionssystems verabschiedet, die eine schnellere Bearbeitung und Umstellung auf mehr Online-Plattformen beinhaltet. Das 4. Plenum des Zentralkomitees der KP hat im Oktober 2014 weitere Schritte zur Regelung des Petitionswesens getroffen, deren Umsetzung aber noch aussteht. Diese Reformen werden von Beobachtern dafür kritisiert, dass sie die Effektivität der Bearbeitung der Petitionen kaum steigern, sondern vor allem dazu dienen, Petitionäre von den Straßen Pekings fernzuhalten (AA 15.12.2016).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 2.8.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

-

AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/336465/479116_de.html, Zugriff am 18.8.2017

-

FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/china, Zugriff 17.8.2017

-

FH - Freedom House (1.2015a): Freedom in the World 2015 - China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html, Zugriff 20.8.2015

-

ÖB Peking (11.2016): Asylländerbericht Volksrepublik China

-

ÖB Peking (11.2014): Asylländerbericht Volksrepublik China

Sicherheitsbehörden

Sicherheitsbehörden sind das Ministerium für Staatssicherheit, das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, und die Bewaffnete Volkspolizei (BVP) der Volksbefreiungsarmee. Das Ministerium für Staatssicherheit soll vor Staatsfeinden, Spionen und konterrevolutionären Aktivitäten zur Sabotage oder dem Sturz des chinesischen sozialistischen Systems schützen. In die Zuständigkeit dieses Ministeriums fallen auch der Inlands- und Auslandsgeheimdienst. Die BVP ist in 45 Divisionen unterteilt, bestehend aus Innensicherheitspolizei, Grenzüberwachung, Regierungs- und Botschaftsbewachung, sowie Funk- und Kommunikationsspezialisten. Ein wesentlicher Anteil der in den letzten Jahren vorgenommenen Truppenreduktionen in der Volksbefreiungsarmee war in Wahrheit eine Umschichtung von den Linientruppen zur BVP. Darüber hinaus beschäftigen zahlreiche lokale Kader u.a. entlassene Militärangehörige in paramilitärischen Schlägertrupps. Diese Banden gehen häufig bei Zwangsaussiedlung im Zuge von Immobilienspekulation durchaus auch im Zusammenspiel mit der BVP gegen Zivilisten vor. Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit beaufsichtigt alle innerstaatlichen Aktivitäten der zivilen Sicherheitsbehörden (außer derjenigen, die in die Zuständigkeit des Staatssicherheitsministeriums fallen), sowie die BVP. Konkret umfassen seine Aufgaben innere Sicherheit, Wirtschaft und Kommunikationssicherheit, neben der Zuständigkeit für Polizeieinsätze und Gefängnisverwaltung. Die Organisationseinheit auf niedrigster Ebene sind die lokalen Polizeikommissariate, die für den alltäglichen Umgang mit der Bevölkerung verantwortlich sind und die Aufgaben von Polizeistationen erfüllen. Darüber hinaus besteht ein enges Netz an lokalen Partei-Büros welche mittels freiwilliger "Blockwarte" die Bewegungen der Bewohner einzelner Viertel überwachen und mit der Polizei zusammenarbeiten (ÖB 11.2016). Die Behörde für Staatssicherheit kann seit Mitte April 2017 Beträge zwischen 10.000 und 500.000 Yuan (etwa 68.000 Euro) für nützliche Hinweise an Informanten auszahlen, welche durch ihre Mitarbeit bei der Enttarnung von ausländischen Spionen helfen. Informationen können über eine speziell eingerichtete Hotline, Briefe oder bei einem persönlichen Besuch bei der Behörde gegeben werden. So sich die Hinweise als zweckdienlichen herausstellen, soll der Informant das Geld erhalten (FAZ 11.4.2017). Zivile Behörden behalten die Kontrolle über Militär- und Sicherheitskräfte bei (USDOS 3.3.2017). Die Zentrale Militärkommission (ZMK) der Partei leitet die Streitkräfte des Landes (AA 15.12.2016). Nach dem Gesetz zur Landesverteidigung von 1997 sind die Streitkräfte nicht dem Staatsrat, sondern der Partei unterstellt (AA 4.2017a). Für die innere Sicherheit sind zuständig sind (1) Polizei und Staatsanwaltschaften, die Rechtsverstöße des Normalbürgers verfolgen; (2) Disziplinar-Kontrollkommission der KPCh, die gegen Verstöße von KP-Mitgliedern einschreitet; (3) Einheiten des Ministeriums für Verwaltungskontrolle, die für Pflichtverletzungen im Amt zuständig sind; (4) Staatsschutz (Guobao) für die Beobachtung und Verfolgung politischer bzw. als potentiell staatsgefährdend wahrgenommener Aktivitäten von Bürgern und Ausländern (AA 15.12.2016). Für den Bereich der Gefahrenabwehr ist primär das dem Staatsrat unterstehende Ministerium für Öffentliche Sicherheit mit seinen Polizeikräften verantwortlich, das daneben auch noch für Strafverfolgung zuständig ist und in Teilbereichen mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitet. Aufgaben der Polizei sind sowohl die Gefahrenabwehr als auch die Strafverfolgung, bei der ihr u. a. die Anordnung von Administrativhaft als Zwangsmaßnahme zur Verfügung steht. Im Bereich der Strafverfolgung ist sie für die Durchführung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren originär zuständig. Bei Delikten, die von Polizisten aufgrund ihrer Amtsstellung begangen werden, ermittelt die Staatsanwaltschaft selbst, während sie sonst primär die Tätigkeit der polizeilichen Ermittlungsorgane beaufsichtigt und auf Grundlage deren Empfehlung über die Erhebung der Anklage entscheidet (AA 15.12.2016). Das Ministerium für Staatssicherheit (MSS) ist u.a. zuständig für die Auslandsaufklärung sowie für die Überwachung von Auslandschinesen und von Organisationen oder Gruppierungen, welche die Sicherheit der VR China beeinträchtigen könnten. Es überwacht die Opposition im eigenen Land, betreibt aber auch Spionageabwehr und beobachtet hierbei vielfach auch die Kontakte zwischen ausländischen Journalisten und chinesischen Bürgern. Darüber hinaus verfügen auch die Streitkräfte über einen eigenen, sorgfältig durchstrukturierten Nachrichtendienst, die 2. Hauptverwaltung im Generalstab. Zudem sind viele Arbeitseinheiten parallel mit der Beschaffung von Informationen bzw. mit Überwachungsaufgaben von in- und ausländischen Bürgern befasst. Vor allem das Internationale Verbindungsbüro unter der politischen 1. Hauptverwaltung des Generalstabs ist zuständig für Informationen aus dem Ausland, für die Entsendung von Agenten in Auslandseinsätze, meist unter diplomatischer "Tarnung", und für die Überwachung des eigenen diplomatischen Personals. Zahlreiche "Think tanks" sind für die Beschaffung von Auslandsinformationen zuständig (AA 15.12.2016).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html%20-%20doc334570bodyText5, Zugriff 9.8.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

-

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (11.4.2017): Peking belohnt Bürger für Enttarnung ausländischer Spione, http://www.faz.net/aktuell/politik/china-bezahlt-buerger-fuer-enttarnung-auslaendischer-spione-14967307.html, Zugriff 14.9.2017

-

ÖB Peking (11.2016): Asylländerbericht Volksrepublik China

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 17.8.2017

Folter und unmenschliche Behandlung

China ratifizierte bereits 1988 die UN-Konvention gegen Folter. Nach Art. 247 und 248 StGB wird Folter zur Erzwingung eines Geständnisses oder zu anderen Zwecken in schweren Fällen mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe, in besonders schweren Fällen mit bis zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe oder Todesstrafe geahndet (AA 15.12.2016). In den letzten Jahren wurden außerdem einige Verordnungen erlassen, die formell für Tatverdächtige im Ermittlungsverfahren einen besseren Schutz vor Folter bieten sollen. Ein großes Problem bleibt jedoch die mangelnde Umsetzung dieser Rechtsinstrumente, die Sicherheitsbehörden genießen weiterhin auch aufgrund des Mangels an Kontrolle und Transparenz einen großen Handlungsspielraum. Sicherheitskräfte setzen sich routinemäßig über rechtliche Schutzbestimmungen hinweg. Für die Polizei stellt Straflosigkeit im Falle von Brutalität und von verdächtigen Todesfälle in Gewahrsam die Norm dar (ÖB 11.2016; vgl. FH 1.2017a).

Das Problem der Folter ist nach einem im Dezember 2015 veröffentlichten Bericht eines UN-Komitees gegen Folter "systembedingt": Zwar wurden einige Verbesserungen - wie die breitere Nutzung von Überwachungs-Kameras während der Befragung - anerkannt, doch zeigt der Bericht auch auf, inwieweit Folter in das chinesische Strafrechtsystem eingebettet ist (USDOS 3.3.2017). Die chinesische Führung erklärte am 4. Parteiplenum 2014 zum Ziel, die Rechtsstaatlichkeit zu verbessern und Folter, Misshandlungen und Missstände in der Justiz zu verhindern. Gleichzeitig wird radikal gegen unabhängige Rechtsanwälte, Menschenrechtsverteidiger, und Medien vorgegangen, sodass das Ziel einer Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt wird. Neben politischen Absichtserklärungen und einigen wenigen "Vorzeigefällen", in denen Fehlurteile - etwa nach vollzogener Todesstrafe posthum - revidiert wurden, ist jedoch nicht bekannt, dass strukturelle Maßnahmen getroffen werden, um das Risiko von Folter und Misshandlungen zu vermindern (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017). Das revidierte Strafverfahrensrecht schließt die Verwendung unter Folter oder anderweitig mit illegalen Mitteln zustande gekommener Geständnisse und Zeugenaussagen (neuer Art. 53) und illegal erlangter Beweismittel (Art. 54) im Strafprozess ausdrücklich aus. Trotzdem soll Folter in der Untersuchungshaft häufiger vorkommen als in regulären Gefängnissen (AA 15.12.2016). Die Anwendung von Folter zur Erzwingung von Geständnissen ist nach wie vor weit verbreitet und wird eingesetzt, um Geständnisse zu erhalten oder politische und religiöse Dissidenten zu zwingen, ihre Überzeugungen zu widerrufen (FH 1.2017a). Soweit die chinesische Regierung und die staatlich gelenkte Presse Folterfälle einräumen, stellen sie diese als vereinzelte Übergriffe "unterer Amtsträger" dar, gegen die man energisch vorgehe (AA 15.12.2016). In einem seltenen Fall bestätigte ein Berufungsgericht in Harbin, Provinz Heilongjiang, im August 2014 die Schuldsprüche gegen vier Personen wegen Folter. Sie waren zusammen mit drei anderen Personen von einem Gericht der ersten Instanz für schuldig befunden worden, im März 2013 mehrere Straftatverdächtige gefoltert zu haben. Die Täter erhielten Haftstrafen von einem bis zu zweieinhalb Jahren. Nur drei der sieben Personen waren Polizeibeamte; bei den übrigen handelte es sich um "Sonderinformanten" - gewöhnliche Bürger, die der Polizei bei der Aufklärung von Straftaten "behilflich" sein sollen. Eines der Opfer starb in der Haft an den Folgen der Folter (AI 25.2.2015). Im Dezember 2016 entschied ein Gericht, keine Anklage gegen fünf Polizisten zu erheben, welche im Mai 2016 am Tod eines in Gewahrsam befindlichen Verhafteten involviert waren (FH 1.2017a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

-

AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/336465/479116_de.html, Zugriff am 24.8.2017

-

AI - Amnesty International (25.2.2015): Amnesty International Report 2014/15 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/297304/434266_de.html, Zugriff 20.8.2015

-

FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/china, Zugriff 17.8.2017

-

ÖB Peking (11.2016): Asylländerbericht Volksrepublik China

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 24.8.2017

Korruption

Korruption ist auf allen Ebenen weit verbreitet. Die Beamtenschaft der öffentlichen Sicherheit und der städtischen Verwaltung sind an Erpressungen, außergerichtlichen Inhaftierungen, und Übergriffen beteiligt. In vielen Fällen auch in stark von der Regierung regulierten Bereichen wie Landnutzung, Immobilien, Bergbau und Entwicklung der Infrastruktur - die anfällig für Betrug, Bestechung und Schmiergeld sind. Trotz der Bemühungen der Regierung die Korruption zu bekämpfen, bleibt diese bestehen. Die Strafverfolgung ist sehr selektiv und undurchsichtig, sodass persönliche Netzwerke und interne Machtkämpfe innerhalb der Kommunistischen Partei (KP) die Ausgänge der Verfahren beeinflussen (USDOS 3.3.2017; vgl. HRW 12.1.2017). Seit der Übernahme der Führung der KP im Jahre 2012, verfolgte Xi Jinping eine der umfangreichsten Kampagnen zur Korruptionsbekämpfung. Gegen Parteifunktionäre und Beamte der Partei einschließlich des Sicherheits-Apparates, des Militärs, des Außenministeriums, staatlicher Unternehmen und staatlicher Medien wurden bis Ende 2016 Untersuchungen eingeleitet und Strafen verhängt (FH 1.2017a). Während des gesamten Jahres 2014 setzte der Präsident die mit großem Aufwand betriebene Kampagne zur Korruptionsbekämpfung fort, die sowohl niedere als auch ranghohe Staatsbedienstete ins Visier nahm (AI 22.2.2017). Im Jahr 2013 langten bei der Zentralen Kommission für Disziplinaruntersuchungen 1,95 Millionen Korruptionsvorwürfe ein, 172.532 Fälle wurden untersucht und 182.038 Disziplinarverfahren verhängt (USDOS 25.6.2015). Diese Zahlen sind im Jahr 2015 auf 2,8 Millionen eingebrachte Korruptionsvorwürfe, 330.000 untersuchte Fälle und 336.000 Disziplinierungsmaßnahmen gestiegen (USDOS 3.3.2017). Die Regierung ist bestrebt, durch den Abschluss von Rechtshilfe- und Auslieferungsabkommen in Strafsachen die Verfolgung von Tatverdächtigen im Ausland zu erleichtern. Dabei geht es der chinesischen Regierung vor allem darum, ihre Korruptionsbekämpfung im Rahmen der Aktionen "Fuchsjagd" und "Himmelsnetz" auf das Ausland auszuweiten (AA 15.12.2016).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

-

AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/336465/479116_de.html, Zugriff am 24.8.2017

-

FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/china, Zugriff 28.8.2017

-

HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/334766/476520_de.html, Zugriff 24.8.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten