TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/12 W161 2198144-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.09.2019
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Entscheidungsdatum

12.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W161 2198144-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Dr. Helmut BLUM, 4020 Linz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.04.2018, Zl. 1094538101-151760987, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.03.2019 und am 17.06.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der bei seiner Einreise nach Österreich minderjährige, nunmehr volljährige Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste gemeinsam mit seinem Bruder ( XXXX ) nach Österreich ein und stellte am 12.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei seiner Erstbefragung am selben Tag, gab der BF an, er sei in XXXX (Kabul) geboren und ledig. Seine Muttersprache sei Dari, er spreche auch schlechtes Englisch. Er sei Moslem und gehöre der Volksgruppe der Tajek an. Er habe bis zur 8. Klasse die Grundschule in XXXX besucht, danach habe er zwei Jahre die Hauptschule in XXXX besucht. Er habe keine Berufsausbildung. Seine Eltern, seine Schwester und zwei Brüder seien in Afghanistan wohnhaft. In Österreich würden ein Bruder, eine Tante und ein Cousin leben. Seine Familie würde in XXXX ein Grundstück besitzen, die finanzielle Situation in Afghanistan sei gut. Er sei von XXXX nach Kabul zu einem Onkel gereist und von dort schlepperunterstützt über den Iran nach Europa gekommen.

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass ihr Leben früher sehr gut gewesen sei. In letzter Zeit sei ihr Heimatort immer mehr unter Kontrolle der Taliban gewesen. Die Taliban hätten immer junge Menschen mitgenommen. Sein Vater habe von den Taliban immer Mahnungen bekommen bzw. hätten diese geäußert, dass sein Bruder und er den Taliban beitreten sollen. Eines Tages hätten sie den Vater mitgenommen. Sie hätten von den Taliban ein Foto bekommen, auf dem der Vater mit viel Blut im Gesicht zu sehen sei. Die Mutter habe ihn zum Onkel geschickt, welcher die Flucht organisiert habe. Befragt, was er bei einer Rückkehr befürchte, gab er an, dort kein Leben zu haben. Außerdem wisse er nicht, ob seine Eltern noch leben.

Am 16.01.2016 wurde ein Foto eines Mannes mit blutigem Gesicht vorgelegt (AS 57).

3. Am 09.04.2018 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) niederschriftlich in der Sprache Dari einvernommen.

Er gab an, gesund zu sein, nicht in ärztlicher Behandlung zu stehen und keine Medikamente einzunehmen. Er habe neun Jahre lang die Schule besucht und in Obstgärten gearbeitet. Er sei Tadschike und Sunnit. Er habe das letzte Mal vier Monate nach seiner Einreise nach Österreich Kontakt zu seiner Mutter gehabt, diese sei damals im Iran gewesen. Ein Onkel sei in der Nähe seines Heimatdorfes aufhältig, sonst würden noch weitschichtige Verwandte dort in der Gegend wohnen. Er wisse nicht, wo sein Vater sei, die Taliban hätten ihn im Herbst des Jahres 1394 mitgenommen. Er sei mit der Mutter zu seinem Onkel gegangen. Zum Onkel habe er keinen Kontakt. Nach Vorhalt gab der BF an, dass der Bruder hin und wieder mit dem Onkel telefoniere. Sein Onkel habe das Geld für die Ausreise bezahlt. Ihre wirtschaftliche Situation sei vor der Flucht gut gewesen.

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF wie folgt an:

"Mein Vater hat mit den Ausländern gearbeitet. Am Anfang hat er keine Probleme gehabt. Mit der Zeit haben die Leute rausgefunden, dass mein Vater mit den Ausländern arbeitet. Die Leute haben es gehasst wenn die Ausländer in unser Dorf gekommen sind. Deswegen haben die Taliban unseren Vater bedroht und verlangt, dass alle Jugendliche aus unserem Heimatdorf mit den Taliban zusammenarbeiten müssen. Mein Vater wollte nicht, dass wir für die Taliban arbeiten. Deswegen waren die Taliban bei uns zu Hause und haben meinen Vater geschlagen und mitgenommen. Wir haben dann auch unser Zuhause verlassen und sind ausgereist.

LA: Hatten Sie noch weitere Fluchtgründe?

VP: Ein Mann, sein Name war Kutschi, er war Paschtune, er hat für die Taliban gearbeitet und wollte, dass Jugendliche für ihn arbeiten. Es gibt auch auf YouTube mehrere Videos, die belegen, dass mein Vater für die Ausländer gearbeitet hat.

LA: Was hat Ihr Vater genau gearbeitet?

VP: Er war Büroleiter in dieser amerikanischen Firma.

LA: Was hat Ihr Vater danach gearbeitet?

VP: Nach 2013 hat mein Vater für die Regierung gearbeitet.

LA: Warum hat Ihr Vater den Job gewechselt?

VP: Aus Angst.

LA: Warum aus Angst?

VP: Mein Vater wurde bedroht und die Dorfbewohner aus unserem Dorf wollten nicht, dass unser Vater diesen Job ausführt. Sie haben es gehasst.

LA: Wie wurde Ihr Vater bedroht?

VP: Sie haben gesagt, wenn du weiter für die Ausländer arbeitest, werden wir deine Familie töten.

LA: Wer hat Ihren Vater bedroht?

VP: Dieser Kutschi und seine Leute haben meinen Vater bedroht.

LA: Woher wissen Sie, dass Ihr Vater bedroht worden ist?

VP: Unser Vater hat uns gesagt, wir sollen aufpassen, wenn wir rausgehen, denn die Leute sind sehr schlecht.

LA: Woher wissen Sie, dass Ihr Vater bedroht worden ist?

VP: Unser Vater hat unserer Familie gesagt, dass diese Menschen ihn bedroht haben.

LA: Meinen Sie mit "uns" auch ihren Bruder XXXX?

VP: Ja, auch ihm hat es mein Vater gesagt.

LA: Wurden Sie jemals bedroht?

VP: Während ich in die Schule gegangen bin, haben meine Mitschüler mich bedroht. Nachgefragt, es waren die Kinder, von denen die Väter Taliban waren.

LA: Wie wurden Sie bedroht?

VP: Sie haben viele Sachen gesagt, auch, dass sie mich töten.

LA: Warum sagten die Kinder, sie werden Sie töten?

VP: Weil mein Vater für die Ausländer gearbeitet hat. Sie mögen unsere ganze Familie nicht.

LA: Schildern Sie mir bitte das Ereignis, bei welchem die Taliban zu Ihnen nach Hause gekommen sind?

VP: Ich und meine Brüder waren im Garten und haben gehört, dass draußen geschossen wurde. Dann sind die Taliban reingekommen und sind ins Haus reingegangen. Sie haben meinen Vater mitgenommen. Wir haben uns dort noch weiter versteckt gehalten und sind dann ins Haus rein. Die Mutter sagte dann, wir müssen von dort weg. Wenn die Taliban uns gefunden hätten, hätten sie uns auch mitgenommen.

...

VP: Die Taliban waren vor dem Eingangsbereich und haben geschossen. Der Weg vom Eingang bis zum Haus war ca. zweimal so lang wie dieser EV-Raum. (lt. Schätzung des LA ca. 10 Meter).

LA: Wie weit war Ihr Versteck vom Haus entfernt?

VP: Von hier bis zur Einfahrt vom BFA.

LA: Warum schossen die Taliban, bevor sie das Grundstück betraten?

VP: Dass die Leute wie gelähmt sind und dass sie Angst bekommen.

LA: Hat Ihre Mutter gewusst, dass Sie und Ihr Bruder sich verstecken konnten?

VP: Ja, sie hat gesehen, dass wir uns versteckt haben. Als wir ins Haus reingekommen sind, war sie froh, dass wir hier sind. Sie hatte auch Angst um uns gehabt.

LA: Können Sie mir bitte genau beschreiben, was alles vorgefallen war?

VP: Die Taliban sind gekommen und sind in das Haus reingegangen und haben meinen Vater geschnappt und hinaus gebracht. Dann haben sie noch einmal nach mir und meinen Bruder gesucht. Sie haben uns aber nur im Haus gesucht. Dann sind sie wieder weg.

LA: Haben Sie die Taliban erkannt?

VP: Nein.

LA: Sie haben vorher einen Kutschi genannt. War dieser auch dabei?

VP: Das weiß ich nicht. Das waren vermutlich seine Leute, ich glaube aber, dass dieser Kutschi auch dabei war.

LA: Woher kennen Sie Kutschi?

VP: Ich kenne ihn, da er in unserem Dorf gewohnt hat. Er hat mit den Taliban zusammengearbeitet. Nachgefragt, die Taliban erkennt man am Bart, an den Haaren und als Taliban in unser Dorf gekommen sind, haben sie sich immer mit diesem Kutschi getroffen.

LA: Haben Sie solche Taliban-Treffen beobachtet?

VP: Ja, ich habe gesehen, wie sie sich getroffen haben.

LA: Was haben Sie genau beobachten können?

VP: Man erkennt sie, weil sie alle gleich aussehen und ein bestimmtes Auto fahren. Sie kamen aus Wardak und fuhren nach Kabul. Nachgefragt, die Taliban haben in unserem Dorf zu den Leuten gesprochen, dass sie mit den Taliban zusammenarbeiten.

LA: Haben sich Leute den Taliban angeschlossen?

VP: Ja.

LA: Wie heißen die Leute?

VP: Ich kenne sie nur vom Sehen, ich kenne die Namen nicht. Man weiß im Dorf, wer mit wem arbeitet.

LA: Wie groß ist Ihr Heimatdorf?

VP: Es stehen dort 300 Häuser.

LA: Meinen Sie XXXX ?

VP: Ja, in unserem Heimatdorf XXXX stehen 300 Häuser.

...

LA: Wie viele Taliban sind zu Ihnen nach Hause gekommen?

VP: Ich weiß nicht, ob ich alle gesehen habe, die auch zu uns nach Hause gekommen waren, jedenfalls konnte ich ca. 10 Taliban erkennen.

LA: Woher bezogen Sie das Foto, bei welchem Ihr Vater mit dem Blut auf der Stirn zu sehen ist?

VP: Meine Mutter hat das Foto meinem Onkel gegeben und mein Onkel hat es meinem Bruder geschickt.

LA: Woher hat Ihre Mutter das Foto?

VP: Zwei Fotos waren im Garten, die Taliban haben das über die Mauer geworfen. Das eine ohne Blut und das eine mit Blut.

LA: Haben die Taliban sonst noch etwas über die Mauer geworfen oder sonst noch etwas Ihrer Mutter zukommen lassen?

VP: Nein, es waren nur diese zwei Fotos.

LA: In Ihrer Erstbefragung gaben Sie an, dass die Taliban junge Menschen mitgenommen haben?

VP: Ja, das stimmt. Jugendliche gehen oft gerne mit den Taliban mit, da auch die Väter bei den Taliban sind oder mit denen zusammenarbeiten.

...

LA: Was würden Sie im Falle einer Rückkehr in Ihren Heimatstaat befürchten? Was würde Sie dort erwarten?

VP: Ich habe in Afghanistan keinen und jeder kennt mich dort. Ich bin sicher, ich werde getötet werden, wenn ich zurück gehe.

LA: Von wem werden Sie getötet werden?

VP: Von den Leuten, die meinen Vater entführt haben.

LA: Warum werden Sie getötet werden?

VP: Weil wir uns nicht den Taliban angeschlossen und mit ihnen zusammengearbeitet haben.

LA: Hätten Sie damals die Möglichkeit gehabt, sich im Heimatland wo anders hinzubegeben, um sich den angegebenen Übergriffen/Problemen/Schwierigkeiten zu entziehen? bzw. haben Sie das schon erwogen / versucht - z.B. in ein anderes Gebiet bzw. bestünde diese Möglichkeit jetzt?

VP: Nein, ich konnte nirgendwo anders hin gehen. Außerdem hat meine Familie entschieden, dass ich das Land verlasse.

LA: Wollten Sie selbst auch ausreisen?

VP: Ja, ich wollte auch ausreisen.

......"

Zu seinem Leben in Österreich gab der BF an, in einem Heim für Asylwerber zu wohnen, von der Grundversorgung zu leben und hier Verwandte (Tante, Cousin und Bruder) zu haben. Er besuche einen B2-Kurs. Er sei nicht Mitglied in Vereinen. In seiner Freizeit spiele er Fußball und Geige. Er habe im Schloss XXXX im Garten gearbeitet, weil er die Kultur kennenlernen wolle.

Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme legte der BF folgende Unterlagen vor:

-

Fotos betreffend den Vater des BF;

-

Bestätigung, wonach der BF seit 03.04.2018 für 50h/Monat (3 EUR/Stunde) Gartenarbeiten geleistet habe;

-

Zwei Empfehlungsschreiben von Österreichern;

-

Kursbesuchsbestätigung eines Jugendcolleges, wonach der BF wöchentlich 12 Stunden Deutsch als Zweitsprache und 8 Stunden andere Pflicht- und Wahlpflichtfächer besuche (Kursdauer: 05.09.2016 bis 16.03.2018);

-

Abschlussbericht des Jugendcolleges,

-

Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs;

-

Zertifikat ÖSD Deutsch A2 und B1;

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Teilnahmebestätigung für den Kurs "Hilfe im Notfall" des Österreichischen Roten Kreuzes;

-

Zwei Kursbesuchsbestätigungen Deutsch A2.1;

-

Teilnahmebestätigung für die Veranstaltung "Umgang mit Aggression, Angst und Stress";

-

Teilnahmebestätigung am Info- Modul " XXXX Charta" und "Wohnen";

-

Bestätigung eines Vereins, wonach der BF seit September 2017 regelmäßig einen Deutschkurs sowie Mathematik und Englischkurse besuche;

-

Zertifikat betreffend den erfolgreichen Abschluss des Deutschkurses B1.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 26.04.2018 wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde der Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem BF unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). In Spruchpunkt VI. wurde festgehalten, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Das Bundesamt stellte fest, dass der BF afghanischer Staatsangehöriger sei, sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben bekenne und der Volksgruppe der Tadschiken angehöre. Seine Identität habe mangels eines unbedenklichen Identitätsdokumentes nicht festgestellt werden können. Er stamme aus der Provinz Kabul. Es habe nicht festgestellt werden können, dass sich seine Kernfamilie nicht mehr in Afghanistan aufhalte. Auch habe nicht festgestellt werden können, dass der BF in Afghanistan konkreten, seine Person betreffende Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sei oder solche in Zukunft zu befürchten habe.

Beweiswürdigend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass der BF und sein Bruder divergierende Aussagen gemacht hätten und somit die Glaubwürdigkeit des BF und seines Bruders erschüttert worden sei. Es sei davon auszugehen, dass es sich bei dem Vorbringen um ein gedankliches Konstrukt handle. Auch die Echtheit der eingebrachten Beweismittel sei zweifelhaft und hätten sich die beiden Brüder auch hierbei in ihren Aussagen widersprochen.

Betreffend die Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzes wurde ausgeführt, dass der BF gesund und arbeitsfähig sei. Er habe Schulbildung und in der Landwirtschaft der Familie gearbeitet. Er werde bei einer Rückkehr nicht in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten. Er könne Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und Kabul sicher erreichen.

Zur Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass der BF illegal und gemeinsam mit seinem Bruder eingereist sei. Er sei nicht selbsterhaltungsfähig, habe Kurse besucht und gemeinnützige Arbeit geleistet. Eine besondere Integration sei nicht hervorgekommen.

5. Gegen den Bescheid des BFA richtet sich die vollumfängliche Beschwerde, die im Wesentlichen ausführt, dass dem BF aufgrund der Tätigkeit seines Vaters für ein amerikanisches Unternehmen und für die afghanische Regierung Verfolgung aus politischen Gründen drohen würde. Zudem sei der BF nach seinem Aufenthalt in Europa westlich orientiert (Lebens- und Kleidungsstil) und werde in Afghanistan auch deshalb verfolgt. Auch sei die humanitäre Situation sehr prekär, der BF würde seine existentiellen Grundbedürfnisse (Unterkunft, Nahrung) nicht sichern können und sei eine Rückkehr nach Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif daher unzumutbar. Die Behörde habe zu den Tätigkeiten des Vaters keine Ermittlungen angestellt, obwohl der BF entsprechende Fotos vorgelegt habe. Die Aufgabe des Vaters sei gewesen den Menschen Unterstützungen betreffend Sachleistungen zuzusagen, Informationen über Aufständische und Probleme in Dörfern (kriminelle Handlungen, Drogenhandel, Waffen) zu sammeln. Auch die vorgelegten Videos betreffend die Tätigkeit des Vaters habe die Behörde nicht gewürdigt. Zudem seien die Länderberichte mangelhaft. Weiters wird wurde auf die UNHCR-Risikoprofile sowie auf das Gutachten von Friederike Stahlmann von März 2018 sowie auf zahlreiche Berichte betreffend die Sicherheitslage in Afghanistan bzw. Kabul verwiesen. Darüber hinaus wird ausgeführt, dass es bei der Einvernahme vor dem BFA Probleme mit dem Dolmetscher gegeben habe, dieser sei Iraner gewesen, habe nur Farsi gesprochen und teilweise Probleme gehabt den BF zu verstehen. Zudem sei die Einvernahme Situation stressig und lang gewesen, es habe keine Pausen gegeben. Der BF habe sich schwer konzentrieren können. Der BF habe seit seiner Ausreise keinen persönlichen Kontakt mit Personen in Afghanistan gehabt, sondern alles nur von seinem Bruder erfahren. Die vorgelegten Beweismittel seien echt. Das erste Foto sei 1-2 Wochen nach der Entführung des Vaters über den Zaun geworfen worden, dort sei eine Nachricht dabei gewesen. Das zweite Foto, sei etwa 20 Tage danach über den Zaun geworfen worden, da sei der BF nicht mehr dabei gewesen und habe dieses die Mutter dem Bruder nach Österreich geschickt. Der BF habe nichts von dem genannten Schreiben gewusst, sondern nur die Fotos gekannt. Dem BF hätte Asyl, ansonsten subsidiärer Schutz gewährt werden müssen. Zudem sei der BF sehr gut integriert und habe sein Cousin zugesagt, dem BF im Falle eines positiven Verfahrensausgangs eine Arbeitsstelle anzubieten.

6. Am 04.09.2018 langte eine Beschwerdeergänzung ein. Darin wird auf YouTube-Videos verwiesen, worauf der Vater der BF zu sehen sei, wie er Menschen in Wohngebieten gemeinsam mit einer US-NGO ( XXXX ) besuche und unterstütze. Er setzte sich gegen die Geschlechtertrennung in Schulen ein und habe in einem anderen Video Kleidung sowie Sachleistung an Frauen und Kinder verteilt.

7. Am 30.10.2018 wurde ein Sozialpädagogischer Bericht vorgelegt.

8. Am 08.03.2019 langte eine weitere Stellungnahme ein, die ausführt, dass das BFA seine Beweiswürdigung auf vermeintliche Widersprüche zwischen den Brüdern stütze. Während der Einvernahme habe es Probleme gegeben, jene des BF sei sehr kurz gewesen. Auch habe es Probleme mit dem Dolmetscher gegeben und seien Angaben des BF nicht protokolliert worden bzw. würden wesentliche Punkte fehlen. Es werde daher die Einvernahme des Bruders des BF beantragt. Zudem hätten der BF und sein Bruder mit ihrem Onkel in Afghanistan telefoniert und hätte dieser ihnen gesagt, dass der Vater und zwei Onkel in den 1980er Jahren in der Hezb-e-Islami unter XXXX politisch und militärisch aktiv gewesen seien. Deswegen sei der Vater in Kabul von den Kommunisten verhaftet worden und habe zwei Jahre Haft verbüßen müssen. Die zwei Onkel hätten in der Heimatregion des BF und in Kabul gegen die Kommunisten gekämpft. Der Cousin des Vaters sei bei einer bewaffneten Auseinandersetzung in den 1980ern ums Leben gekommen. Auf der gegnerischen Seite sei der Kommandant XXXX und einer seiner Söhne während einer Reise nach XXXX ums Leben gekommen, diese Morde seien der Familie des BF zugerechnet worden. Nach dem Sturz des kommunistischen Regimes sei der Vater aus Pakistan nach Afghanistan zurückgekommen. Dieser sei eines Tages von der Familie des Kommandanten XXXX angegriffen und schwer verletzt worden. Zwischen der Familie des BF und der gegnerischen Familie bestehe eine Todfeindschaft. Der BF sei daher in ganz Afghanistan asylrelevant bedroht. Auch der vom BF erwähnte "Kutschi" gehöre zur gegnerischen Familie. Der BF habe diese Zusammenhänge nicht früher vorbringen können, da sie ihm nicht bekannt gewesen seien.

9. Der BF wurde im Zuge einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 14.03.2019 durch das erkennende Gericht zu seinen Verwandten und den Lebensumständen in Afghanistan, seinen Fluchtgründen und seiner Integration in Österreich befragt. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil, die Verhandlungs-Mitschrift wurde der Erstbehörde übermittelt. Die Verhandlung wurde auf unbestimmte Zeit vertagt.

Im Zuge der Verhandlung legte der BF folgende Unterlagen vor:

-

Bestätigung vom 13.06.2019, wonach der BF derzeit die Übergangsklasse einer HTL besuche und die letzte Prüfung für den externen Pflichtschulabschluss an der Neuen Mittelschule positiv abgelegt habe. Ab September 2019 werde der BF die Fachschule für Fahrzeugtechnik an einer HTL besuchen;

-

Empfehlungsschreiben zweier dort tätiger Lehrer.

10. Im Zuge einer weiteren Beschwerdeverhandlung am 17.06.2019 wurde der Bruder des BF ( XXXX ) als Zeuge einvernommen. Weiters wurde in der Verhandlung in den Akt den Bruders Einsicht genommen. Der Rechtsvertreter verwies in der Verhandlung abschließend auf aktuelle Medienberichte, einen Bericht von UNHCR-Deutschland von Juni 2016 sowie einen Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe "Afghanistan:

Gefährdungsprofile" von September 2018.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der bei seiner Einreise nach Österreich minderjährige, nunmehr volljährige BF, ist ein Staatsangehöriger Afghanistans, bekennt sich zum muslimischen Glauben (Sunnit) und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Der BF hat keine Kinder und ist nicht verheiratet.

Seine Identität steht nicht fest.

Er reiste gemeinsam mit seinem angeblichen Bruder XXXX nach Österreich ein.

Die Muttersprache des BF ist Dari, er spricht auch etwas Deutsch und schlechtes Englisch.

Der BF wurde in Afghanistan in der Provinz Kabul (Dorf XXXX ) geboren, wo er bis zu seiner Ausreise gemeinsam mit seiner Familie in einem Haus lebte. Er besuchte etwa neun Jahre lang die Schule (Grund- und Hauptschule) und hat in der Landwirtschaft (Obstgarten) seiner Familie mitgeholfen.

In Afghanistan (Provinz Kabul) lebt jedenfalls ein Onkel des BF, mit dem der BF in Kontakt steht. Es konnte nicht konkret festgestellt werden, ob sonstige Familienangehörige des BF aktuell noch in Afghanistan leben.

Der BF leidet an keinen schwerwiegenden psychischen oder physischen Erkrankungen, welche eine Rückkehr nach Afghanistan iSd Art. 3 EMRK unzulässig machen würden. Er ist gesund und hat während des Verfahrens keine medizinischen Unterlagen in Vorlage gebracht.

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Das vom BF ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF aufgrund der beruflichen Tätigkeiten seines Vaters mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine an seine Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seine politische Überzeugung anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität droht. Es ist auch nicht glaubwürdig, dass der Vater bzw. der Onkel des BF bei der Hezb-e Islami militärisch/politisch tätig gewesen sind und deshalb gegenwärtig noch eine Feindschaft/Blutrache hinsichtlich der Familie des BF besteht. Weiters ist nicht glaubwürdig, dass der Vater des BF wegen seiner beruflichen Tätigkeit bzw. wegen der Feindschaft verschleppt bzw. misshandelt wurde.

Zudem ist nicht glaubwürdig, dass der BF einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt war und im Falle der Rückkehr nach Afghanistan einer konkreten gegen ihn gerichteten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt wäre.

Er wurde in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder aufgrund seiner Rasse, Nationalität, seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwo Probleme. Er war nie politisch tätig und gehörte keiner politischen Partei an.

Dem BF droht individuell und konkret, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die Taliban oder die afghanische Regierung.

Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass konkret der BF auf Grund der Tatsache, dass er sich in Europa aufgehalten hat und "westlich" orientiert ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan psychische und/oder physische Gewalt zu befürchten hätte. Afghanische Staatsangehörige, die aus Europa nach Afghanistan zurückkehren, droht in Afghanistan allein aufgrund ihres Aufenthaltes außerhalb Afghanistans keine psychische und/oder physische Gewalt.

Der BF hat mit seinem Vorbringen keine Verfolgung iSd GFK glaubhaft gemacht.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Der BF ist volljährig, gesund, anpassungsfähig, arbeits- und leistungsfähig sowie kinderlos und nicht verheiratet. Er verfügt in Afghanistan jedenfalls über familiäre Unterstützung in Form seines Onkels.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen, ohne in eine auswegslose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall einer Rückkehr in die Städte Mazar-e Sharif oder Herat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.

Es ist dem BF möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Er kann die Städte Herat und Mazar-e Sharif von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

1.4. Zum (Privat) Leben des BF in Österreich:

Der unbescholtene BF hält sich seit etwa drei Jahren und zehn Monaten im Bundesgebiet auf. Er bezieht seit seiner Einreise nach Österreich laufend Leistungen aus der Grundversorgung, geht keiner Beschäftigung nach und wohnt in einer Unterkunft für Asylwerber. Er hat in Österreich bereits Deutschkurse und einen Werte- und Orientierungskurs besucht sowie die Prüfung B1 erfolgreich abgeschlossen. Zudem hat der BF vier bis fünf Monate lang entgeltliche Gartenarbeiten geleistet, ein Jugendcollege besucht, den Pflichtschulabschluss an einer Neuen Mittelschule gemacht und die Übergangsklasse einer HTL besucht. Er hat weiters einen Kurs des Roten Kreuzes besucht sowie an anderen Veranstaltungen (betreffend Umgang mit Aggression, Angst und Stress sowie zum Thema "Wohnen") teilgenommen. In seiner Freizeit betreibt er gerne Sport (Fußball und Volleyball). Der BF gehört keinem Verein, keiner religiösen Verbindung und keiner sonstigen Gruppierung in Österreich an.

Der BF konnte Empfehlungsschreiben in Vorlage bringen und halten sich laut seinen Angaben Verwandte (Tante, Onkel samt Kinder sowie sein Bruder) in Österreich auf. Der Bruder des BF ( XXXX ) ist - wie der BF - seit Ende des Jahres 2015 in Österreich aufhältig, sein Asylverfahren wurde in erster Instanz negativ entschieden und ist sein Beschwerdeverfahren aktuell noch beim Bundesverwaltungsgericht anhängig. Die restlichen Verwandten des BF leben laut seinen Angaben in Oberösterreich. Ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis zu den genannten Personen oder ein gemeinsamer Haushalt besteht nicht. Eine nachhaltige Integration des BF im Sinne einer tiefgreifenden Verwurzelung im Bundesgebiet kann nicht erkannt werden. Der BF führt mit seinen Verwandten kein Familienleben in Österreich und hat auch sonst keine sonstigen engen sozialen Bindungen.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Unter Bezugnahme auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 04.06.2019) und die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 werden folgende entscheidungsrelevante, die Person des BF individuell betreffende Feststellungen zur Lage in Afghanistan getroffen:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/ Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019

(1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche

Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019). Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reformand Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

...

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019). Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums

Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019). Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und USVertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen.

Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte USUnterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen USVertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen" welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

KI vom 1.3.2019, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2018 (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, be

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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