TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/7 W262 2166205-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.10.2019
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Entscheidungsdatum

07.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W262 2166205-1/19E

Schriftliche Ausfertigung des am 25.09.2019 mündlich verkündetem Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia JERABEK über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.09.2019 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, § 8 Abs. 1 AsylG

2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 57 AsylG 2005 sowie §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

I. Verfahrensgang:

1. Der zum Zeitpunkt der Einreise fast 17-jährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 30.10.2015 nach illegaler Einreise in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 31.10.2015 gab er im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er afghanischer Staatsangehöriger sowie Angehöriger der Volksgruppe der Hazara mit sunnitisch-islamischem Glauben sei. Er sei am XXXX (Iran) geboren worden. Er habe sechs Jahre die Grundschule im Iran besucht. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, dass er und ein Freund im Iran mit dem Tod bedroht worden seien.

2. Aufgrund von Zweifeln an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) eine Altersfeststellungsuntersuchung durchgeführt. Aus dem darauf basierenden medizinischen Sachverständigengutachten vom 05.02.2016 geht ein Mindestalter des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Untersuchung (22.01.2016) von 17,2 Jahren hervor. Zum Zeitpunkt der Asylantragstellung sei der Beschwerdeführer mindestens 16,97 Jahre alt gewesen. Das BFA errechnete daraus das fiktive Geburtsdatum des Beschwerdeführers mit XXXX . Von diesem Geburtsdatum ging das BFA in weiterer Folge aus.

3. Anlässlich der am 17.03.2017 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi durchgeführten Einvernahme vor dem BFA wiederholte bzw. präzisierte der Beschwerdeführer seine Angaben betreffend Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, Familienstand sowie Schulbildung und schilderte erneut den Vorfall im Iran, aufgrund dessen er und ein Freund mit dem Tod bedroht worden seien. Darüber hinaus bekräftigte er, noch nie in Afghanistan gewesen zu sein.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 17.07.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 30.10.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Schließlich wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

5. Gegen diesen Bescheid des BFA richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde. Darin führte der Beschwerdeführer aus, dass ihm in Afghanistan Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit (Hazara) bzw. seiner Religionszugehörigkeit (schiitischer Moslem) drohe; zudem werde er als "westernized" angesehen auch deshalb asylrelevant verfolgt. Er habe in seinem Herkunftsland keine familiären und sozialen Anknüpfungspunkte und habe sein ganzes Leben außerhalb im Iran verbracht

6. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt langten am 01.08.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX GZ XXXX vom 16.05.2017, rk. am 22.05.2017, wurde der Beschwerdeführer wegen § 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall und Abs. 2 SMG, § 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall SMG und § 27 Abs. 2a 2. Fall SMG als Junger Erwachsener zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt.

8. Seit 08.08.2019 befindet sich der Beschwerdeführer in U-Haft in der JA XXXX . Am 18.10.2019 findet dazu eine Hauptverhandlung am Landesgericht für Strafsachen XXXX zu GZ XXXX statt. Laut Strafantrag der Staatsanwaltschaft XXXX vom 30.08.2019 wird dem Beschwerdeführer und weiteren Angeklagten vorgeworfen, Cannabiskraut und Ecstasy- Tabletten an Minderjährige verkauft zu haben.

9. Am 25.09.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter teilnahmen und der eine Dolmetscherin für die Sprache Dari beigezogen wurde. Die belangte Behörde entschuldigte sich unter Verweis auf dienstliche und personelle Gründe für die Nichtteilnahme an der Verhandlung und beantragte schriftlich die Abweisung der Beschwerde sowie die Übersendung des Verhandlungsprotokolls.

Der Beschwerdeführer wurde vom erkennenden Gericht eingehend zu seiner Identität, Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu seinen Fluchtgründen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich befragt. Im Zuge der Verhandlung wurden vom erkennenden Gericht auch die Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren eingebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu Person, Fluchtgründen, Rückkehrmöglichkeit und (Privat-)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

1.1.1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Sadat und schiitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. Er verfügt auch über Sprachkenntnisse in Farsi und Deutsch. Die Familie des Beschwerdeführers stammt aus der Provinz Sar-e-Pul.

Er wurde am XXXX (Iran) geboren und lebte dort mit seiner Familie (Eltern und drei Brüdern) legal bis zu seiner Ausreise nach Europa. Der Beschwerdeführer besuchte sechs Jahre die Grundschule im Iran, kann lesen und schreiben und unterstützte die Familie als Hilfsarbeiter auf dem Bau.

Der Grund, warum seine Familie Afghanistan verlassen hat, ist dem Beschwerdeführer nicht bekannt.

1.1.2. Der Beschwerdeführer war nie in Afghanistan, er ist im Iran geboren und aufgewachsen, und hat am 30.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt.

Der Beschwerdeführer wäre im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan keiner individuellen gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt.

Der Beschwerdeführer hat ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Merkmale mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder (von staatlichen Organen geduldet:) durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit (Sadat), seiner Religion (schiitischer Islam), Nationalität (Afghanistan), Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung zu erwarten.

Der Beschwerdeführer wäre aufgrund der Tatsache, dass er im Iran aufgewachsen ist und sich seit Oktober 2015 in Europa aufhält, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan keine psychischen und/oder physischen Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen ausgesetzt. Er hat keine "westliche Lebenseinstellung" angenommen, welche im Widerspruch zur Gesellschaftsordnung in Afghanistan steht. Eine solche würde ihm auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit unterstellt werden.

1.1.3. Der Beschwerdeführer ist jung, arbeitsfähig, gesund und steht nicht in ärztlicher Behandlung.

Der Beschwerdeführer hat keine Familienangehörigen in Afghanistan.

Eine Rückkehr des Beschwerdeführers in die volatile Herkunftsprovinz seiner Familie Sar-e-Pul scheidet aus, weil ihm dort aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde, zumal die Provinz für den Beschwerdeführer auch nicht sicher erreichbar wäre.

Es ist ihm aber möglich und zumutbar, sich in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat niederzulassen. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und einer in Afghanistan gesprochenen Sprache (Dari) vertraut und wuchs in einem afghanischen Familienverband in einem islamisch geprägten Land (Iran) auf. Der Beschwerdeführer hat zwar nie in Afghanistan gelebt und verfügt dort auch über keine familiären Anknüpfungspunkte. Angesichts seiner (in Afghanistan erworbenen) Erfahrung als Hilfsarbeiter, seinen in Österreich gesetzten Bildungsschritten und seiner Arbeitsfähigkeit könnte sich der Beschwerdeführer dennoch in Mazar-e Sharif oder Herat eine Existenz aufbauen und diese - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, zumal ihn seine Familie zumindest zu Beginn auch finanziell unterstützen könnte. Auch könnte er seine Sprachkenntnisse (Dari, Farsi, Deutsch) bei der Arbeitssuche nutzen. Dem Beschwerdeführer ist der Aufbau einer Existenzgrundlage in Mazar-e Sharif oder Herat möglich. Er ist in der Lage, in Mazar-e Sharif oder Herat eine einfache Unterkunft zu finden. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Er kann diese Städte auch - in einer relativ sicheren Weise - erreichen, sei es auf dem Luftweg oder z.B. über Busverbindungen.

1.1.4. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Ein Cousin ist als subsidiär Schutzberechtigter in Wien aufhältig. Seine Eltern und Geschwister leben legal im Iran.

Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seiner Kernfamilie.

Mit seinem in Wien aufhältigen Cousin steht der Beschwerdeführer regelmäßig in Kontakt. Der Beschwerdeführer führt seit etwa zwei Jahren eine Beziehung mit einer in Österreich aufhältigen Ungarin. Weder mit seinem Cousin noch mit seiner Freundin bestehen ein gemeinsamer Haushalt oder gegenseitige (finanzielle) Abhängigkeiten. Der Beschwerdeführer verfügt über weitere freundschaftliche Kontakte zu afghanischen und iranischen Privatpersonen.

Seine Bindung zu Afghanistan ist deutlich intensiver als jene zu Österreich. Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Asylantragstellung am 30.10.2015 im österreichischen Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer wird im Rahmen der Grundversorgung versorgt. Er ist in Österreich nicht legal beschäftigt. Er hat einen Werte- und Orientierungskurs sowie mehrere Deutschkurse besucht sowie im Juli 2018 die A2-Integrationsprüfung (im Juli 2018) bestanden. Zum Zeitpunkt der Verhandlung wies er ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache auf.

Der Beschwerdeführer weist eine strafgerichtliche Verurteilung des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX GZ XXXX vom 16.05.2017, rk. am 22.05.2017, wegen § 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall und Abs. 2 SMG, § 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall SMG und § 27 Abs. 2a 2. Fall SMG als Junger Erwachsener zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren auf.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung befindet sich der Beschwerdeführer (seit 08.08.2019) in Untersuchungshaft. Am 18.10.2019 findet dazu eine Hauptverhandlung am Landesgericht für Strafsachen XXXX zu GZ XXXX statt.

1.2. Zur Lage in Afghanistan

Dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht werden insbesondere folgende Quellen zugrunde gelegt:

* Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 29.06.2018 inkl. Kurzinformationen, zuletzt eingefügt am 04.06.2019;

* UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018;

* EASO Country Guidance: Afghanistan

1.2.1 Zusammenfassung des Länderinformationsblatts der Staatendokumentation Afghanistan, vom 29.06.2018 inkl. Kurzinformationen, zuletzt eingefügt am 04.06.2019:

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit letzter Kurzinformation vom 26.03.2019 - LIB 26.03.2019, S. 16). Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB 26.03.2019, S. 59).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 26.03.2019, S. 59). Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt

23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan; für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712. Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 60).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 26.03.2019, S. 62). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 16).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 70).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 26.03.2019, S. 63).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten ‚high-profile'-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 26.03.2019, S. 63). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 26.03.2019, S. 63).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist kaum entwickelt. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (LIB 26.03.2019, S. 346 f.).

Zur Herkunftsprovinz Sar-e-Pul (Sar-i-Pul):

Die nördliche Provinz Sar-i-Pul war bis 1988 Teil der Provinz Jawzjan (Pajhwok o.D.). Sie grenzt im Süden an die Provinzen Ghor und Bamyan, im Westen und im Norden an Faryab, Jawzjan und Balkh und im Osten an Samangan (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus folgenden Distrikten: der

Provinzhauptstadt Sar-i-Pul/Sar-e-Pul, Sozma Qala/Sozmaqala, Sanga Charakh/Sancharak, Sayyad/Sayad, Kohistanat/Kohestanat, Kosfandi/Gosfandi und Balkhab (Pajhwok o.D.; vgl. UN OCHA 4.2014). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 578.639 geschätzt (CSO 4.2017). In der Provinz leben Usbeken, Paschtunen, Hazara, Tadschiken und andere ethnische Gruppierungen (NPS o.D.).

Sar-i-Pul wird als eine der ressourcenreichsten Provinzen gesehen. Sie hat große Reserven an Erdöl, Kupfer und anderen natürlichen Bodenschätzen (Pajhwok o.D.). Mitte März wurden ca.

70.000 Obstbäume in verschiedenen Teilen der Provinz Sar-i-Pul gepflanzt; dies soll u. a. positive Auswirkungen auf die Lage der Bauern in der Provinz haben (Pajhwok 6.3.2018).

In der Provinz Sar-i-Pul stieg der Mohnanbau im Vergleich zu den 195 Hektar im Jahr 2014 auf

3.600 Hektar im Jahr 2017 (UNODC 11.2017).

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

Während die Provinz Sar-i-Pul im Februar und Juni 2017 noch zu den relativ friedlichen Provinzen in Nordafghanistan zählte (Khaama Press 27.6.2017; vgl. Khaama Press 5.2.2017), wurde sie im August 2017 als volatil bezeichnet (Tolonews 9.8.2017). Die Sicherheitslage in der Provinz Sar-i Pul hat sich in den letzten Jahren verschlechtert, nachdem Aufständische der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Gruppierungen in gewissen Gegenden aktiv geworden sind (Khaama Press 18.12.2017; vgl. UNAMA 6.12.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 74 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 108 zivile Opfer (67 getötete Zivilisten und 41 Verletzte) registriert. Hauptursache waren gezielte Tötungen, Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet eine Steigerung von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Sar-i-Pul

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Terroristen zu befreien (Xinhua 24.1.2018; vgl. Xinhua 16.12.2017, Xinhua 16.8.2017, Khaama Press 8.4.2017, Khaama Press 24.1.2017); dabei werden Aufständische verhaftet (Khaama Press 24.1.2017) und getötet (Xinhua 16.12.2017). Auch werden Luftangriffe durchgeführt (Xinhua 24.1.2018); dabei werden Aufständische getötet (MT 26.3.2018; vgl. Xinhua 24.1.2018). Zusammenstöße zwischen Aufständischen und den Sicherheitskräften finden statt (DZ 6.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Sar-i-Pul

Regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen sind in einigen Distrikten aktiv und führen Angriffe aus (Khaama Press 27.6.2017; vgl. UNAMA 6.12.2017). Talibankämpfer sind in der Provinz aktiv (Gandhara 16.8.2017; vgl. AJ 2.3.2017) und rekrutieren neue Anhänger (LWJ 2.2.2018). Der IS gewinnt in einigen Distrikten der Provinz Terrain (Xinhua 14.1.2018; vgl. FE 12.12.2017, AJ 2.3.2018, Khaama Press 27.6.2016).

So sollen Mitglieder des IS gemeinsam mit den Taliban, zwei i. d. R. verfeindete Gruppierungen, im August 2018 einen bedeutenden Angriff verübt und zahlreiche Zivilisten getötet haben (Xinhua 16.8.2017; vgl. Gandhara 16.8.2017, FN 9.8.2017, DZ 6.8.2017, Gandhara 6.8.2017). Auch ausländische Kämpfer sollen sich dem IS in Nordafghanistan, auch in der Provinz Sar-i Pul, angeschlossen haben (FE 12.12.2017; Khaama Press 24.1.2017).

Die Islamische Bewegung Usbekistan (IMU) ist in der Provinz aktiv und hat ein Trainingscamp in Sar-i-Pul (LWJ 2.2.2018); auch wird dem Anführer der Bewegung nachgesagt, in der Provinz für den IS zu rekrutieren (Tolonews 3.2.2017).

In einigen Fällen schließen sich Aufständische den Friedensprozessen in Sar-i-Pul an (Pajhwok 22.1.2018; vgl. Tolonews 23.1.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden IS-bezogenen Vorfälle (Gewalt gegenüber Zivilisten und Ferngewalt) in der Provinz Sar-i-Pul registriert (ACLED 23.2.2018).

Zur Provinz Balkh:

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt. Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan] und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 26.03.2019, S. 102). Die Infrastruktur ist noch unzureichend, da viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, in schlechtem Zustand und in den Wintermonaten unpassierbar sind (LIB 26.03.2019, S. 103). Mazar-e Sharif ist jedoch grundsätzlich auf dem Straßenweg mittels Bus erreichbar, eine Fahrt kostet zwischen 400 und 1.000 Afghani (LIB 26.03.2019, S.258). In Mazar-e Sharif gibt es zudem einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist (LIB 26.03.2019, S. 103 und 261).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften. Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 103 f.). Im Herbst 2018 wurde im Norden Afghanistans - darunter u.a. in der Provinz Balkh - eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden registriert; Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit (LIB 26.03.2019, S. 36).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer (LIB 26.03.2019, S. 104).

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB 26.03.2019, S. 105).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien 30.08.2018, Seite 35) ausgesetzt.

Zur Provinz Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (LIB 26.03.2019, S. 139). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler, etwa 10 km außerhalb von Herat-Stadt (LIB 26.03.2019, S. 261), und ein militärischer in Shindand (LIB 26.03.2019, S. 139). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken. Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (LIB 26.03.2019, S.139).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen Afghanistans gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (LIB 26.03.2019, S. 140); die Sicherheitslage in der Provinz Shindand ist vergleichsweise schlecht (LIB 26.03.2019, S. 139). Es gibt interne Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (LIB 26.03.2019, S. 142).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 26.03.2019, S. 140).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 26.03.2019, S. 140 f.).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB 26.03.2019, S. 141). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) zählt Herat neben den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar und Uruzgan zu den Provinzen Afghanistans, in welchen bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen stattfanden (LIB 26.03.2019, S. 16).

Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren in der Provinz Herat (mit Stand 19.03.2019) die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi von der Zerstörung und Beschädigung von Häusern infolge starker Regenfällen betroffen. Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der Herat (und die Provinz Badghis) am meisten betroffen war und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren) sie es weiterhin sind. In den beiden Provinzen wurden am 13.09.2018 ca. 266.000 IDPs (afghanische Binnenflüchtlinge) vertrieben; davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (LIB 26.03.2019, S. 12).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien, 30.08.2018, Seite 35) ausgesetzt.

Wirtschaft:

Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Dennoch ist das Land weiterhin arm und von Hilfeleistungen abhängig. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 26.03.2019, S. 353). Mehr als 60% der afghanischen Arbeitskräfte arbeiten im Landwirtschaftssektor, dieser stagniert. Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. 55% der afghanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans ist nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 26.03.2019, S. 354, UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, S. 19, 20).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus dem Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus den an Afghanistan angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (LIB 26.03.2019, S. 366).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 26.03.2019, S. 367 f.)

Die Organisationen IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden. Die internationale Organisation für Migration IOM bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an. Das Norwegian Refugee Council (NRC) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die Afghanistan Independent Human Rights Commission. Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (LIB 26.03.2019, S. 369 f.). Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten Rückkehr/innen Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (LIB 26.03.2019, S. 370).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 26.03.2019, S. 370 f.).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 26.03.2019, S. 371).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 26.03.2019, S. 370 f.).

Religionsfreiheiten:

Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017).

Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara (USDOS 15.8.2017). Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016). Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (CRS 13.12.2017).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 11.4.2018). Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 15.8.2017).

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30% (AB 7.6.2017; vgl. USDOS 15.8.2017). Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 15.8.2017).

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen (USDOS 15.8.2017). Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet (CRS 13.12.2017). In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (HRW 2018; vgl. USCIRF 2017).

Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten (USDOS 15.8.2017).

Weiterführende Informationen zu Angriffen auf schiitische Glaubensstätten, Veranstaltungen und Moscheen können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken (LIB 26.03.2019, S. 314). Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist somit die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (LIB 26.03.2019, S. 319). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten, wo diese mehrheitlich gesprochen werden, eingeräumt (LIB 26.03.2019, S. 315).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Ausführliche Informationen zu Angriffen auf schiitische Gedenkstätten, sind dem Kapitel Sicherheitslage zu entnehmen; Anmerkung der Staatendokumentation.

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der TalibanHerrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5.2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert. Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (LIB 26.03.2019, S. 304 f.).

1.2.2. Auszug aus den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender (vgl. S. 124 f. der UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018; zur Zwangsrekrutierung vgl. S. 59 ff.):

"[...] UNHCR ist der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, der massiven Flüchtlingsströme und der internen Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig.

..."

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen konnten auf Grundlage der Niederschrift über die Einvernahme des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde, des Beschwerdevorbringens, der mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie der Länderberichte zur Lage in Afghanistan und der von ihm vorgelegten Unterlagen getroffen werden.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu Staatsangehörigkeit, Religionszugehörigkeit, Muttersprache und weiteren Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers basieren auf den diesbezüglich gleichbleibenden und glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers im Verlauf des Verfahrens. Die Feststellung der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sadat ergibt sich aus den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

Das Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem Gutachten vom 05.02.2016.

Auch die Feststellungen über den Geburtsort des Beschwerdeführers im Iran und seinen legalen Aufenthalt dort stützen sich auf die Aussagen des Beschwerdeführers im Asylverfahren und in der mündlichen Verhandlung.

Das Datum der Asylantragstellung basiert auf dem Inhalt des Verwaltungsaktes.

2.2. Zu einer allfälligen Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers:

Das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Furcht vor Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan ergibt sich insbesondere aus seinen Angaben bei der Einvernahme vor dem BFA, aus dem Beschwerdeschriftsatz sowie aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Der Beschwerdeführer hat aufgrund der Tatsache, dass er nie in Afghanistan aufhältig war, auch keine bereits erfolgten Verfolgungshandlungen geltend gemacht.

Auch konnte im Lichte des Vorbringens des Beschwerdeführers und vor dem Hintergrund der Berichtslage nicht festgestellt werden, dass dieser ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Merkmale mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder (von staatlichen Organen geduldet:) durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit (Sadat), seiner Religion (schiitischer Islam), Nationalität (Afghanistan), Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung zu erwarten hätte.

Dafür, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines Aufenthaltes in Europa und einer allfälligen "Verwestlichung" seines Lebensstils psychischer und/oder physischer Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen ausgesetzt wäre, bestehen ebenfalls keine Anhaltspunkte. Der Beschwerdeführer hat nicht vorgebracht, dass ihm in Afghanistan aufgrund seines knapp vierjährigen Aufenthalts in Europa eine konkret gegen ihn gerichtete physische und/oder psychische Gewalt oder andere erhebliche Eingriffe drohen würden. Auf Nachfrage des erkennenden Gerichtes, inwieweit ihm aufgrund seiner "westlichen Orientierung" eine asylrechtlich relevante Verfolgung in Afghanistan droht, führte der Beschwerdeführer aus, dass er in Österreich nicht bete, nicht faste, nicht in die Moschee gehe und Alkohol trinke und ein derartiges Verhalten in Afghanistan bestraft werde. Dass es dem Beschwerdeführer als erwachsenem Mann in Afghanistan nicht möglich wäre, ein selbstständiges und eigenständiges Leben mit außerhäuslicher Erwerbsarbeit sowie freier Lebensgestaltung (im Rahmen der islamischen Religion) zu führen, wurde damit jedoch nicht dargetan. Der Beschwerdeführer wurde im Iran, einem islamisch geprägten Land geboren und lebte bis zu seiner Ausreise in einem afghanischen Familienverband eingebettet und spricht eine in Afghanistan weit verbreitete Sprache. Dass der Beschwerdeführer etwa vom Glauben abgefallen oder konvertiert wäre, wurde nicht behauptet. Vielmehr bezeichnete sich der Beschwerdeführer selbst als schiitischer Moslem.

Vor diesem Hintergrund kann nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer aufgrund einer "Verwestlichung" eine konkrete Verfolgungsgefahr in Afghanistan drohen würde (vgl. dazu auch die rechtliche Beurteilung unter Pkt. II.3.1.4.). Dass jeder afghanische Staatsangehörige, der sich einige Jahre in Europa aufgehalten hat, im Falle einer Rückkehr alleine aus diesem Grund einer Verfolgung ausgesetzt wäre, ergibt sich auch aus der Berichtslage nicht.

Soweit der Beschwerdeführer behauptete, dass er aufgrund seines langjährigen Aufenthalts im Ausland eine Entfremdung von afghanischen Traditionen und Sitten erfahren habe, ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise aus dem Iran stets in einem muslimisch geprägten Land lebte und in einem afghanischen Familienverband eingebettet war, wodurch ihm trotz Abwesenheit von seinem Herkunftsstaat im Lichte der allgemeinen Lebenserfahrung eine hinreichende Rückbindung zur Lebensweise in seinem Herkunftsstaat vermittelt wurde. Auch der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich in der Dauer von vier Jahren vermochte dessen persönliche Prägung durch sein Umfeld und seine sozialen Kontakte noch nicht nachhaltig zu verändern, zumal die Annahme einer "westlichen" Lebensweise seitens des Beschwerdeführers nicht glaubhaft gemacht wurde und er in Österreich (auch) einen afghanischen bzw. iranischen Freundeskreis pflegte.

2.3. Zur Rückkehrmöglichkeit des Beschwerdeführers nach Afghanistan:

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gesund ist und an keinen relevanten medizinischen Beschwerden leidet, konnte aufgrund der Aussagen des Beschwerdeführers im Lauf des Verfahrens sowie auch in der mündlichen Verhandlung getroffen werden. Zweifel an der grundsätzlichen Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers sind im Übrigen während des gesamten Verfahrens nicht aufgetaucht.

Auch die Feststellungen zur Schulbildung im Iran samt Schreib- und Lesekompetenz, zu seinen Sprachkenntnissen sowie zu seiner bisherigen Berufserfahrung stützen sich auf dessen Angaben im Asylverfahren sowie in der Beschwerdeverhandlung.

Ebenso brachte der Beschwerdeführer glaubhaft vor, dass er in Afghanistan keine Angehörigen mehr hat.

Die Feststellungen zu den Folgen bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers in die Herkunftsprovinz Sar-e-Pul ergibt sich aus den oben angeführten Länderberichten (Pkt. 2.1.). Auf das Wesentliche zusammengefasst geht aus den Länderberichten hervor, dass die Provinz Sar-i-Pul im Februar und Juni 2017 noch zu den relativ friedlichen Provinzen in Nordafghanistan zählte, jedoch im August 2017 als volatil bezeichnet wurde. Die Sicherheitslage in der Provinz Sar-i Pul hat sich in den letzten Jahren verschlechtert, nachdem Aufständische der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Gruppierungen in gewissen Gegenden aktiv geworden sind. Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 74 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 108 zivile Opfer (67 getötete Zivilisten und 41 Verletzte) registriert. Hauptursache waren gezielte Tötungen, Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Angesichts dieser Ausführungen kann die Provinz Sar-e-Pul nicht zu den "sicheren" Provinzen Afghanistans gezählt werden. Dass darüber hinaus die Erreichbarkeit der Provinz (etwa von Kabul aus) auf sicherem Weg nicht gewährleistet werden kann, ergibt sich aus dem Fehlen entsprechender aus den Länderberichten ableitbarer Informationen über die Verkehrswege unter sicherheitsbezogenen Aspekten.

Die Feststellung, dass es dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar ist, sich stattdessen in Herat oder Mazar-e Sharif niederzulassen, basiert auf einer Zusammenschau der länderspezifischen Feststellungen mit den beim Beschwerdeführer vorliegenden persönlichen Umständen.

Diesbezüglich sind insbesondere der gute Gesundheitszustand, die Arbeitsfähigkeit, die mehrjährige Berufserfahrung im Iran sowie die Sprachkenntnisse bzw. die in Österreich erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten des Beschwerdeführers hervorzuheben. Dass der Beschwerdeführer mit den kulturellen Gepflogenheiten und einer in Afghanistan gesprochenen Sprache (Dari) vertraut ist, ergibt sich daraus, dass er im Iran in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen ist und auch in Österreich freundschaftliche Kontakte fast ausschließlich zu Afghanen und Iranern pflegte.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer nie in Herat oder Mazar-e Sharif gelebt hat und dort über keine familiären Anknüpfungspunkte verfügt, konnte auf Grundlage der diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers über seine Geburt und anschließenden Aufenthalt im Iran bis zu seiner Ausreise sowie über das Fehlen von Verwandten in Afghanistan getroffen werden.

Für eine existenzielle Gefährdung des Beschwerdeführers im Falle einer Niederlassung in Herat oder Mazar-e Sharif bestehen keine Hinweise. Es gibt keinen Anhaltspunkt, wieso er in Herat oder Mazar-e Sharif nicht in der Lage sein sollte, seine Existenz - etwa auch durch Gelegenheits- und Hilfsarbeiten - zu sichern und eine einfache Unterkunft zu finden. Wie dargelegt, könnte er seine bisherige Berufserfahrung als Hilfsarbeiter auf Baustellen im Iran, seine Sprachkenntnisse (Dari, Farsi und Deutsch) bzw. die in Österreich erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten nutzen, um in Herat oder Mazar-e Sharif

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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