TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/8 W261 2207122-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.10.2019
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Entscheidungsdatum

08.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W261 2207122-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.08.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.02.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der nunmehrige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 11.11.2015 als Minderjähriger gemeinsam mit seinem älteren Bruder, XXXX , und dessen Familie in die Republik Österreich ein und stellte am selben Tag gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am 12.11.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi an, dass er mit seinem Bruder mitgegangen sei. Er selbst habe keine Fluchtgründe. Sein Bruder habe wegen diverser Probleme das Land verlassen müssen, dieser habe ihn mitgenommen.

Am 24.07.2017 erfolgte die niederschriftliche Ersteinvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge belangte Behörde) im Beisein seines Rechtsberaters der Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari. Er gab an, er sei in der Provinz Balkh in Mazar-e Sharif geboren, seine Familie lebe nach wie vor dort. Er habe bei seinem Bruder gelebt, welcher als Anwalt tätig gewesen sei. Im Rahmen seiner Tätigkeit sei der Bruder bedroht worden, weswegen die Familie zuerst nach Kabul gezogen sei. Von dort aus sei er nach einem ca. zweiwöchigen Aufenthalt gemeinsam mit der Familie des Bruders nach Europa geflohen. Der BF legte eine Reihe von Integrationsunterlagen vor.

Mit Eingabe vom 07.08.2017 gab der BF durch seinen Vertreter eine schriftliche Stellungnahme zu den Länderfeststellungen und zur Asylrelevanz des Vorbringens ab. Beim BF handle es sich um einen jungen Mann im wehrfähigen Alter. Mazar-e Sharif sei nicht sicher und die afghanischen Behörden seien nicht willens und in der Lage, den BF vor den privaten Bedrohungen zu schützen. Die Lage im Falle seiner Rückkehr sei prekär, er verwies auf die Situation der Waisen- und Straßenkinder und auf die Gefahr der Zwangsrekrutierung durch die Taliban. Der BF gehöre der sozialen Gruppe der Familie von Personen, welchen eine private Verfolgung drohe, und welche der Staat nicht vor dieser Bedrohung schützen könne, an, weswegen ihm der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen sei. Dem BF stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, zumal auch Kabul nicht sicher sei. Es werde daher beantragt, dem BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen bzw. in eventu, die Ausweisung für dauerhaft unzulässig zu erklären. Der BF legte weitere Integrationsunterlagen vor.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und erließ gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.). Die belangte Behörde stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, der BF habe eine Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Es liege in seinem Fall weder eine allgemeine Gefährdungslage in Bezug auf seine Herkunftsprovinz Balkh, noch für gesamt Afghanistan vor. Er könne seinen Lebensunterhalt in Mazar- e Sharif oder Kabul bestreiten. Der BF habe in Österreich lebende Familienangehörige.

Der BF erhob mit Eingabe vom 29.08.2018, bevollmächtigt vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen diesen Bescheid fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führte begründend aus, dass eine nichtstaatliche Verfolgung vorläge. Der BF gehöre der Volksgruppe der Qizilbash an, dies sei eine schiitische Minderheit, welche diskriminiert werde.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 08.10.2018 beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

Das BVwG führte am 20.02.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm. Der BF wurde im Beisein seiner Vertreterin und eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt und wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen. Im Zuge der Verhandlung erfolgte auch die Einvernahme seines älteren Bruders als Zeugen. Der BF legte eine Reihe von Integrationsunterlagen vor.

Das BVwG legte im Rahmen der Verhandlung die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan, genauer das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 08.01.2019, die aktuelle UNHCR Richtlinie vom 30.08.2018 und Auszüge aus den aktuellen EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018, vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von drei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Der BF, bevollmächtigt vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, führte in seiner Stellungnahme vom 04.03.2019 im Wesentlichen aus, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert prekär sei. Auch die Städte Kabul und Herat würden unter Hinweis auf zitierte Länderinformationen keine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative darstellen. Bei einer Rückkehrentscheidung würde in das Privat- und Familienleben des BF eingegriffen werde, was besonderer Berücksichtigung bedarf. Der BF wohne seit drei Jahren gemeinsam mit seinem Bruder und dessen Familie in Österreich. Er spreche sehr gut Deutsch, habe den Hauptschulabschluss gemacht. Er habe eine besondere Bindung zu Österreich, zumal er Deutsch lerne und seit ca. drei Jahren eine österreichische Freundin habe. Es sei ihm internationaler Schutz zu gewähren, in eventu jedenfalls jedoch ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen des Artikel 8 EMRK zu erteilen. Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

Das BVwG übermittelte mit Schreiben vom 03.09.2019 ergänzend das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 04.06.2019 und ein ecoi.net Themendossier zur Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Sharif, vom 30.04.2019 und räumte den Parteien die Möglichkeit ein hierzu innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Weder der BF noch die belangte Behörde gaben eine Stellungnahme ab.

Das BVwG führte am 03.09.2019 eine Abfrage im GVS System durch, wonach der BF seit 12.11.2015 Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung bezieht.

Aus dem vom BVwG am 03.09.2019 eingeholten Auszug aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass im Strafregister der Republik Österreich für den BF keine Verurteilungen aufscheinen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , in Mazar- e Sharif, in der Provinz Balkh, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Qizilbash an, ist schiitischer Moslem, gesund und ledig. Die Muttersprache des BF ist Dari.

Der BF wuchs in Mazar-e Sharif in der Provinz Balkh auf. Er lebte vorerst gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern in einem gemeinsamen Haushalt. Nach der Heirat seines Bruders im Jahr 2010 lebte der BF bei diesem im gemeinsamen Haushalt in einem Mietshaus in Mazar- e Sharif. Sein Bruder war Anwalt, und der BF lebte bei dieser Familie, damit die Ehefrau seines Bruders und die gemeinsame Tochter untertags nicht alleine waren. Der BF besuchte ca. acht Jahre lang die Schule. Der BF war in Afghanistan nicht beruflich tätig. Der BF ist Zivilist.

Der Vater des BF heißt XXXX . Seine Mutter heißt XXXX . Der BF hat Geschwister, drei Brüder und eine Schwester. Die Eltern und zwei Brüder des BF, XXXX , er ist ca. 14 Jahre alt und XXXX , er ist ca. acht Jahre alt, leben nach wie vor in Mazar-e Sharif. Ein Bruder des BF, XXXX , er ist ca. 31 Jahre alt, lebt gemeinsam mit seiner Ehefrau XXXX und deren Tochter, mj. XXXX , in einem gemeinsamen Haushalt mit dem BF als Asylwerber in Österreich. Die Schwester des BF, XXXX , sie ist ca. 24 Jahre alt, lebt gemeinsam mit ihrem Ehemann, XXXX als anerkannter Flüchtling ebenfalls in Österreich.

Der Vater des BF ist Eigentümer eines Geschäftes, in welchem getrocknetes Obst verkauft wird. Die Eltern des BF sind Eigentümer eines Hauses und von Grundstücken im Ausmaß von ein bis zwei Jirib in Mazar-e Sharif. Die finanzielle Lage der Familie des BF ist mittelmäßig.

Der BF hat vier Onkel väterlicherseits, zwei Onkel mütterlicherseits, zwei Tanten väterlicherseits und zwei Tanten mütterlicherseits, welche alle in Mazar-e Sharif leben. Die Onkel des BF sind ebenfalls Eigentümer von Geschäften, in welchen sie mit getrocknetem Obst handeln.

Der BF hat regelmäßigen Kontakt zu seiner Herkunftsfamilie in Afghanistan.

Der BF reiste im September 2015 aus Afghanistan aus und gelangte über Pakistan, den Iran, die Türkei über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien nach Österreich, wo er am spätestens am 11.11.2015 irregulär einreiste und am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.2 Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Das vom BF dargelegte Fluchtvorbringen betreffend die Gefahr, dass auch er persönlich von einem Klienten seines Bruders bedroht wird, ist nicht glaubhaft.

Der BF war in seinem Heimatland Afghanistan keiner psychischen oder physischen Gewalt aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt, noch hat er eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten.

Der BF wurde in Afghanistan nie persönlich bedroht oder angegriffen, es droht ihm auch künftig keine psychische oder physische Gewalt von staatlicher Seite, oder von Aufständischen, oder von sonstigen privaten Verfolgern in seinem Herkunftsstaat.

Auch sonst haben sich keine Hinweise für eine dem BF in Afghanistan individuell drohende Verfolgung ergeben.

1.3 Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der BF befindet sich seit seiner Antragstellung im November 2015 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Er bezieht seit seiner Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Der BF besuchte Deutschkurse, zuletzt A2, und verfügt über gute Kenntnisse der deutschen Sprache. Er besucht in Österreich die Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule in XXXX . Er schloss die Pflichtschulabschlussprüfung erfolgreich ab. Der BF nahm im Jahr 2017 an einem von der Caritas organisierten Nähprojekt für Männer teil. In seiner Freizeit spielte der BF Fußball, er geht derzeit keiner sportlichen Betätigung nach. Da der BF keine Arbeitserlaubnis hat, kann er in Österreich nicht arbeiten.

Der BF hat in Österreich Familienangehörige, sein älterer Bruder und seine ältere Schwester leben jeweils samt Ehefrau bzw. Ehemann und der Nichte des BF in Österreich. Der BF lebt mit seinem Bruder und dessen Familie in einem gemeinsamen Haushalt. Es besteht zwischen den BF und seinen Geschwistern bzw. deren Familien kein außergewöhnliches Naheverhältnis, welches über jenes, welche erwachsene Geschwister üblicherweise pflegen, hinausgeht. Der BF hat in Österreich seit drei Jahren eine Freundin. Neben Freundschaften konnten keine weiteren substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens des BF in Österreich festgestellt werden. Der BF wird von seinen Vertrauenspersonen als aufgeschlossen, ausdauernd und hilfsbereit beschrieben. Das Verhalten in der Schule ist laut Schulnachricht Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule in XXXX vom 08.02.2019 nicht zufriedenstellend.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.4 Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem BF ist es möglich, in seine Herkunftsstadt Mazar-e Sharif zurückzukehren, wo es ihm möglich ist, ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können bzw. in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Die Herkunftsfamilie des BF und seine Verwandten leben nach wie vor in Mazar-e Sharif. Dem BF droht bei seiner Rückkehr in diese Stadt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

Der BF ist jung und arbeitsfähig. Seine Existenz kann er in Mazar-e Sharif - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, bzw. im Geschäft seines Vaters mitarbeiten. Er ist auch in der Lage, eine einfache Unterkunft zu finden bzw. im Haus seiner Eltern zu leben. Der BF hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, sodass er im Falle der Rückkehr - neben den eigenen Ressourcen - auf eine zusätzliche Unterstützung zur Existenzsicherung greifen kann. Diese Rückkehrhilfe umfasst jedenfalls auch die notwendigen Kosten der Rückreise.

Der BF ist gesund. Der BF läuft im Falle der Rückkehr nach Mazar-e Sharif nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten, oder dass sich eine Erkrankung in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern wird. Es sind auch sonst keine objektivierten Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere schwerwiegende körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

1.5 Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 04.06.2019 (LIB), in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 (UNHCR), in den notorischen EASO Leitlinien 2019 (EASO 2019) und im ecoi.net Themendossier vom 30.04.2019 zur Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Sharif (ECOI 2019) enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.5.1 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. (LIB)

1.5.1.2 Provinz Balkh bzw. Stadt Mazar-e Sharif

Bei der Provinz Balkh handelt es sich um eine jener Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau, und dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO 2019).

Die Stadt Mazar-e Sharif wird von EASO als eine jener Regionen eingestuft, in welcher willkürliche Gewalt auf einem so niedrigen Niveau stattfindet, dass im Allgemeinen kein reales Risiko besteht, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird (EASO 2019).

Die Provinz Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt an Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan sowie an Kunduz, Baghlan, Samangan, Sar-e Pul und Jawzjan. Die Provinz besteht aus 15 Bezirken. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif (EASO 2019). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB).

Das Machtmonopol in Balkh hatte lange Zeit der frühere Kriegsherr Atta Mohammed Noor inne, der später Gouverneur von Balkh wurde, aber im Dezember 2017 nach einem Streit mit Präsident Ghani zurücktrat.

Die Mehrheit der Distrikte in Balkh steht unter staatlicher Kontrolle, wobei zwei Distrikte als umstritten und ein Distrikt als unter Kontrolle der Taliban eingestuft werden. Während Balkh Berichten zufolge eine der stabilsten Provinzen Afghanistans ist, sind in der Provinz dennoch regierungsfeindliche Elemente aktiv, und es wurden 2018 und Anfang 2019 Sicherheitsvorfälle gemeldet. Taliban-Kämpfer haben ALP-Personal, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten während des gesamten Jahres 2018 und Anfang 2019 in den Distrikten Sholgareh, Chahrbulak, Chemtal und Dawlatabad angegriffen. Die ANSF führte mehrere Clearing-Operationen in Balkh durch. Darüber hinaus führte die US-Luftwaffe im April 2018 einen Luftangriff im Bezirk Charbulak durch. Weitere Beispiele für Vorfälle waren eine Bombenexplosion am Straßenrand im Bezirk Sholgareh, die Entführung von Reisenden durch die Taliban, die Entführung und das Töten von Wahlbeobachtern. Laut GIM wurden im Zeitraum Januar 2018 - Februar 2019 131 Vorfälle in der Provinz Balkh im Zusammenhang mit Aufständischen gemeldet (durchschnittlich 2,2 Vorfälle pro Woche) (EASO 2019).

Die Stadt Mazar-e Sharif ist nach wie vor eine der stabilsten Regionen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Städten in Nordafghanistan (LIB). Die Bevölkerung wird offiziell mit 454 457 Einwohnern angegeben. Der Rücktritt von Atta Mohammed Noor als Gouverneur von Balkh im Dezember 2017 führte Berichten zufolge zu vermehrten kriminellen Aktivitäten, wie bewaffneten Raubüberfällen, Mord, Zusammenstößen und Entführungen in Mazar-e Sharif. Mazar- e Sharif steht unter staatlicher Kontrolle (EASO 2019).

1.5.2 Sichere Einreise

Die Stadt Mazar-e Sharif ist über den internationalen Flughafen sicher erreichbar. Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher. (EASO 2019)

1.5.3 Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut auch im Jahr 2018 weiterhin zu.

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten im Jahr 2018 als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant. (LIB)

1.5.3.1 Wirtschafts- und Versorgungslage der Stadt Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. (LIB)

Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan und ein Industriezentrum mit großen Produktionsbetrieben und einer großen Anzahl kleiner und mittlerer Unternehmen, die Kunsthandwerk, Teppiche und Teppiche anbieten. Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO 2019).

In Mazar-e Sharif besteht laut EASO grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Stadt Mazar-e Sharif die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO 2019).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO 2019).

Mazar-e Sharif befand sich im Februar 2019 in Phase 2 des von FEWS NET verwendeten Klassifizierungssystems. In Phase 2, auch "Stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und seien nicht in der Lage sich wesentliche, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden. (ECOI 2019)

1.5.4 Medizinische Versorgung

Medizinische Versorgung ist in Afghanistan insbesondere in größeren Städten wie etwa auch in Mazar-e Sharif sowohl in staatlichen als auch privaten Krankenhäusern verfügbar. In Mazar-e Sharif zählt dazu das Alemi Krankenhaus. Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar.

(LIB)

1.5.5 Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (LIB)

Die ethnische Minderheit der Qizilbash ist eine der 14 ethnischen Volksgruppen, welche in der afghanischen Verfassung genannt sind (UNHCR). Es existieren keine Länderberichte, wonach Mitglieder der Minderheit der Qizilbash in Afghanistan allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit diskriminiert werden.

1.5.6 Religion

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 10-15 % Schiiten, wie es auch der BF ist. (LIB)

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS. (LIB)

1.5.7 Rückkehrer/innen

In der Zeit von 2012 bis 2017 sind 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei der Großteil der Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran kommen. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. In der Provinz Balkh ließen sich von den insgesamt ca. 1,8 Millionen Rückkehrer/innen in der Zeit von 2012 bis 2017 109.845 Personen nieder.

Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Sowohl das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme) als auch andere UN-Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen.

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen. Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA Staatendokumentation 4.2018). Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist.

Die Großfamilie ist für Zurückkehrende die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen. Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden. (LIB)

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit sowie zu den Aufenthaltsorten, Familienangehörigen, Sprachkenntnissen, der Schulbildung und Berufserfahrung des BF beruhen auf dessen plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens. Die Angaben dienen zur Identifizierung im Asylverfahren.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 145/2017, (in der Folge: AsylG 2005) liegt es auch am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Das Asylverfahren bietet, wie der VwGH erst jüngst in seinem Erkenntnis vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0143-8, wieder betonte, nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Mit der Glaubhaftmachung ist demnach die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist vor allem auf folgende Kriterien abzustellen: Das Vorbringen des Asylwerbers muss - unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten - genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

Der BF gibt als Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass er in Afghanistan bei seinem Bruder gelebt habe, der Anwalt gewesen sei. Der Ehemann einer Klientin seines Bruders habe diesen und die ganze Familie bedroht (vgl. S 9 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung).

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 dient die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden und hat sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen (vgl. hierzu auch VfGH 27.06.2012, U 98/12), ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert; die Verwaltungsbehörde bzw. das BVwG können in ihrer Beweiswürdigung also durchaus die Ergebnisse der Erstbefragung in ihre Beurteilung miteinbeziehen.

In der Erstbefragung gab der BF zu seinen Fluchtgründen befragt noch Folgendes an: "Ich bin mit meinem Bruder mitgegangen. Ich habe selbst keine eigenen Fluchtgründe. Mein Bruder musste das Land verlassen aufgrund diverser Probleme. Mein Bruder hat mich mitgenommen." (vgl. S 6 der Erstbefragung am 12.11.2015). Über Befragung, was er im Falle seiner Rückkehr befürchte, führte der BF aus, dass er nichts befürchte. Er möchte jedoch in Europa bleiben, da er dort eine bessere Zukunft für sich sehe (vgl. S 6 der Erstbefragung).

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 dient die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden und hat sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen (vgl. hierzu auch VfGH 27.06.2012, U 98/12), ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert; die Verwaltungsbehörde bzw. das BVwG können in ihrer Beweiswürdigung also durchaus die Ergebnisse der Erstbefragung in ihre Beurteilung miteinbeziehen.

Es wird im vorliegenden Fall zwar nicht verkannt, dass sich die Erstbefragung des BF nicht in erster Linie auf seine Fluchtgründe bezog, und diese daher nur in aller Kürze angegeben und protokolliert wurden. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der BF zum Zeitpunkt der Erstbefragung noch minderjährig war. Wäre der BF jedoch tatsächlich bedroht worden oder würde er eine persönliche Bedrohung fürchten, so ist nicht nachvollziehbar, dass er dies auf Befragen zunächst nicht angab.

Dabei ist hervorzuheben, dass der BF grundsätzlich in der Lage sein muss, umfassende und inhaltlich übereinstimmende Angaben zu den konkreten Umständen und dem Grund der Ausreise aus dem Herkunftsstaat zu machen, zumal eine Person, die aus Furcht vor Verfolgung ihren Herkunftsstaat verlassen hat, gerade in ihrer ersten Einvernahme auf konkrete Befragung zu ihrer Flucht die ihr gebotene Möglichkeit wohl kaum ungenützt lassen wird, die Umstände und Gründe ihrer Flucht in umfassender und in sich schlüssiger Weise darzulegen, um den beantragten Schutz vor Verfolgung möglichst rasch erhalten zu können. Es entspricht auch der allgemeinen Lebenserfahrung, dass eine mit Vernunft begabte Person, die behauptet, aus Furcht vor Verfolgung aus ihrem Herkunftssaat geflüchtet zu sein, über wesentlich Ereignisse im Zusammenhang mit ihrer Flucht, die sich im Bewusstsein dieser Person einprägen, selbst nach einem längeren Zeitraum noch ausreichend konkrete, widerspruchsfreie und nachvollziehbare Angaben machen kann.

So erscheint es im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht unschlüssig, wenn den ersten Angaben, die ein Asylwerber nach seiner Ankunft in Österreich macht, gegenüber späteren Steigerungen erhöhte Bedeutung beigemessen wird (VwGH 08.07.1993, 92/01/1000; 30.11.1992, 92/01/0832; 20.05.1992, 92/01/0407; 19.09.1990, 90/01/0133). Der Umstand, dass ein Asylwerber bei der Erstbefragung gravierende Angriffe gegen seine Person unerwähnt gelassen hat, spricht gegen seine Glaubwürdigkeit (VwGH 16.09.1992, 92/01/0181).

Es ist daher davon auszugehen, dass die ursprünglichen Angaben des BF, keine eigenen Fluchtgründe zu haben und in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft mit seinem Bruder mitgegangen zu sein, den Tatsachen entsprechen und der BF sein Fluchtvorbringen in weiterer Folge bezüglich einer persönlichen Verfolgung steigerte, was als Indiz für ein insgesamt nicht glaubhaftes Vorbringen zu werten ist.

Der BF gab nämlich erstmals bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde an, dass auch er als Teil der Familie seines Bruders bedroht worden und von dem Mann, der seinen Bruder bedroht habe, auch gesehen worden sei (vgl. S 6 der Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA am 24.07.2017), wobei er jedoch über die konkrete Frage der belangten Behörde, ob er jemals persönlich bedroht oder verfolgt worden sei, mit "Nein." antwortete (vgl. S 7 der Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA).

Auch bei seiner Einvernahme vor dem BVwG im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung führte der BF aus, dass nicht nur sein Bruder, sondern auch er bedroht worden sei (vgl. S 9 der Niederschrift der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 20.02.2019). Er habe jedoch nicht mit dem Bedroher gesprochen, und habe ihn auch nie gesehen (vgl. S 9 der Niederschrift der mündlichen Beschwerdeverhandlung).

Die Angaben des BF bezüglich der angeblichen Bedrohung zeigten sich während des gesamten Verfahrens vage und unsubstantiiert. Er konnte weder den genauen Namen des Mannes angeben, der seinen Bruder und ihn bedroht habe (F: "Wie heißt der Mann, welcher Ihren Bruder bedrohte?" A: "Ich weiß es nicht. Ich habe nur 1 Mal seinen Namen gehört. Ich kann mich nicht daran erinnern." vgl. S 7 der Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA; RI: "Wissen Sie, wie er heißt?" BF: "Genau weiß ich es nicht, XXXX , genau weiß ich es nicht." Vgl. S 9 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG), noch konnte er erklären, warum ein Wohnsitzwechsel innerhalb Afghanistans nicht ebenso ausgereicht hätte, sich der Verfolgung des Bedrohers zu entziehen. Dabei berief er sich auf seinen Bruder. (RI:

"Warum sind Sie ins Ausland geflohen und haben sich nicht in einem anderen Teil Afghanistans niedergelassen?" BF: "Die anderen Provinzen sind nicht so sicher, er konnte uns überall finden." RI:

"Wieso?" BF: "Das muss mein Bruder wissen." Vgl. S 10 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG).

Der BF gab sogar selbst an, zunächst nichts von der Bedrohung gewusst zu haben. Er habe seinen Bruder auch nicht gefragt, warum sie nach Kabul gegangen seien und nur aus einem Gespräch seines Bruders und dessen Frau erfahren, dass sie wegen der Bedrohungen das Land verlassen müssten (vgl. S 9 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG). Das Vorbringen stützt sich daher ausschließlich auf Hörensagen, der BF schilderte während des gesamten Verfahrens betreffend seine Fluchtgründe keine persönlichen Erlebnisse.

Darüber hinaus gelang es weder dem BF noch seinem in der Beschwerdeverhandlung als Zeuge befragten Bruder schlüssig darzulegen, warum der Mann zwar den BF bei seiner Rückkehr finden und töten würde, die Eltern und Geschwister hingegen nach wie vor unbehelligt in derselben Stadt leben können. Beide begründeten dies auf entsprechende Fragen damit, dass der BF bei seinem Bruder gelebt habe, die Eltern hingegen woanders leben würden und der Mann diese daher nicht kennen würde (vgl. S 9 und 13 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG). Dazu ist zunächst auszuführen, dass laut den Länderberichten in Afghanistan grundsätzlich die Identität des Vaters einer Person bekannt ist. Wäre der Bedroher tatsächlich ein so mächtiger und einflussreicher Mann, wie vom Bruder des BF in seiner Zeugenaussage behauptet, wäre es somit ein Leichtes für ihn, neben den Informationen über den BF und seinen Bruder auch die Identität und Adresse der Eltern herauszufinden, zumal sie ebenfalls in Mazar-e Sharif leben. Auf entsprechenden Vorhalt wiederholte der Bruder des BF, dass der BF deshalb von der Bedrohung betroffen sei, da er mit ihm zusammengelebt habe, die Eltern hingegen nicht in der Nähe gewohnt hätten. Sogar seine Nachbarn hätten nicht gewusst, wie die Eltern heißen und wo sie lebten (vgl. S 13 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Der Bruder des BF gab darüber hinaus an, nur per SMS bedroht worden zu sein und den Ehemann seiner Klientin selbst noch nie persönlich gesehen zu haben. Er konnte dabei nicht schlüssig begründen, warum der Mann daher den BF tatsächlich erkennen sollte (RI: "Haben Sie den Mann schon mal persönlich gesehen?" Z: "Nein." RI: "Und Mustafa?" Z: "Nein, aber er kennt mich und Mustafa kennt er auch."

RI: Woher wissen Sie das?" Z: "Weil er mich bedroht hat."). Es ist daher auch unter hypothetischer Annahme, dass der Bedroher den BF tatsächlich erkennen sollte, da er mit seinem Bruder zusammenlebte, nicht nachvollziehbar, wie der Mann - nach über vier Jahren - von einer Rückkehr des BF nach Afghanistan erfahren sollte, zumal in Afghanistan keine Meldepflicht besteht und die restliche Familie - laut der eigenen Angaben des BF und seines Bruders - ob der getrennten Wohnsituation bisher nicht bedroht wurde.

Im Gesamtzusammenhang betrachtet ist daher nicht davon auszugehen, dass dem BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Übergriffe durch den Ehemann einer Klientin seines Bruders drohen.

Die Feststellungen hinsichtlich einer nicht bestehenden Gefährdung des BF aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Asylantragstellung sowie seiner rechtswidrigen Ausreise beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten bzw. wurde vom BF auch keine über die oben dargestellten Fluchtgründe hinausgehende drohende Verfolgung substantiiert vorgebracht.

Das Vorbringen, dass dem BF im Falle seiner Rückkehr eine Zwangsrekrutierung bzw. ein Dasein als Straßenkind drohen werde, führte dieser lediglich in seinen Stellungnahmen aus, in keiner der Einvernahmen erstattete er diesbezüglich ein entsprechend substantiiertes Vorbringen, weswegen diese Vorbringen als bloße Schutzbehauptungen gewürdigt werden, welche dazu dienen sollen, in Österreich den Asylstatus zu erhalten.

Wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid bereits richtig anführte, gibt es beim BF abseits dieser oben genannten Fluchtgründe keine besonderen Vulnerabilitäten des BF, die eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan wahrscheinlich erscheinen lassen.

2.3 Zu den Feststellungen zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Betreffend das Familien- und Privatleben und insbesondere die Integration des BF in Österreich wurden dessen Angaben in der Beschwerdeverhandlung sowie die vorgelegten Unterlagen den Feststellungen zugrunde gelegt.

Der BF führt über Befragen der erkennenden Richterin, ob zwischen dem BF und seinem Bruder, mit welchem er im gleichen Haushalt lebt, ein Abhängigkeitsverhältnis in irgendeiner Form bestehe, welches über ein normales Geschwisterverhältnis unter Erwachsenen hinausgehe, aus: "Nein" (vgl. S 7 der Niederschrift der mündlichen Beschwerdeverhandlung), weswegen die entsprechende Feststellung getroffen wird.

Die Feststellung der Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

2.4 Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Rückkehr des BF nach Afghanistan ergeben sich aus den o.a. Länderfeststellungen unter Berücksichtigung des vom BF in seiner Beschwerde, in seinen Stellungnahmen zur Gefährdungslage in Afghanistan diesbezüglich angeführten Länderberichtsmaterials in Zusammenschau mit den vom BF glaubhaft dargelegten persönlichen Umständen.

Entgegen den Ausführungen des BF in seinen Stellungnahmen ist es ihm möglich, in seine Heimatstadt Mazar-e Sharif zurückzukehren. Nachdem er als Person nicht verfolgt wird, kann er wieder zu seinen Eltern und seinen Brüdern zurückkehren. Mazar-e Sharif ist, wie aus den zitierten Länderfeststellungen, insbesondere aus den notorischen aktuellen EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2019 zu entnehmen ist, für Zivilisten, wie es der BF ist, weitgehend sicher, sodass der BF bei einer Rückkehr in diese Stadt mit keinen Eingriffen in seine körperliche Unversehrtheit zu rechnen hat. Sein Fluchtvorbringen wird, wie schon oben ausgeführt, als nicht glaubhaft erachtet, woraus sich ergibt, dass der BF im Falle einer Rückkehr nicht Gefahr laufen wird, aus einer individuellen Bedrohung ernsthaft Schaden zu nehmen. Eine Reise nach Mazar-e Sharif ist über den internationalen Flughafen sicher und legal möglich, die Kosten für die Anreise werden ihm im Rahmen der Rückkehrhilfe grundsätzlich ersetzt.

Die Feststellungen, dass der BF in der Lage sein wird, in Mazar-e Sharif für seine grundlegendsten Bedürfnisse selbst aufzukommen, und dass er familiäre Anknüpfungspunkte in dieser Stadt hat, ergeben sich aus seinen eigenen Angaben im gegenständlichen Asylverfahren unter Berücksichtigung der dieser Entscheidung zugrundeliegenden Länderinformationen. Laut den zitierten EASO Leitlinien vom Juni 2019 ist in der Stadt Mazar-e Sharif die Lebensmittelsicherheit gewährleistet und die unter Punkt 1.5.3.2 genannte Basisinfrastruktur steht dem BF zur Verfügung. Derzeit liegen nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in Mazar-e Sharif keine exzeptionellen Umstände vor, die annehmen lassen würden, dass der BF dort keine Lebensgrundlage vorfindet, und von ihm die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können.

Es wird dem BF möglich sein, bei seinen Eltern zu wohnen und im Geschäft seines Vaters Arbeit zu finden. Er kann sich als junger, gesunder und arbeitsfähiger die Lebensgrundlage und die Existenz im Falle seiner Rückkehr bei Inanspruchnahme der angebotenen Rückkehrhilfe und durch Gelegenheitsarbeiten auch selbst sichern.

Worin die vom BF insbesondere in seiner Beschwerde und der Stellungnahme angeführte reale Gefahr der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan konkret liegt, vermochte der BF nicht darzutun.

Der BF ist nach seinen eigenen glaubhaften Angaben gesund. Ausgehend von diesen Ermittlungsergebnissen wird keine Feststellung getroffen, dass der BF auch im Falle seiner Rückkehr aufgrund seines Gesundheitszustandes in einen unmittelbaren lebensbedrohlichen Zustand geraten wird bzw. dass keine Gründe gesundheitlicher Natur einer Rückführung des BF in seinen Heimatstaat entgegenstehen.

2.5 Zu den Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das BVwG kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die Parteien des Verfahrens haben alle genannten Länderinformationen, mit Ausnahme der notorischen EASO Leitlinien 2019, mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme vom erkennenden Gericht übermittelt bekommen und haben von diesem Recht auch teilweise Gebrauch gemacht. Das BVwG zog die notorischen EASO Leitlinien vom Juni 2019 als Entscheidungsgrundlage heran, weil diese die aktuellsten Informationen über die Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Mazar- e Sharif enthalten. Diese Richtlinien sind sowohl der belangten Behörde als auch der Rechtsvertretung des BF bekannt. Die vom BF in seinen Stellungnahmen zitierten Länderinformationen finden Großteils Deckung in dem von der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erstellten Länderinformationen zu Afghanistan. Insoweit es hier Abweichungen zu den dieser Entscheidung zugrunde gelegten Länderinformationen gibt, wird dem entgegengehalten, dass diese Länderinformationen der Staatendokumentation auf dem aktuellen Stand sind, und alle, für das gegenständliche Verfahren wesentlichen Aspekte berücksichtigen. Insoweit in der Beschwerde und den Stellungnahmen auf die schlechte Sicherheitslage in Kabul Bezug genommen wird, ist festzuhalten, dass der BF, mangels individueller Bedrohung in seine Heimatstadt Mazar-e Sharif zurückkehren kann, und eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht erforderlich ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1 Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Artikel 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelne

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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