Entscheidungsdatum
15.10.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W253 2139948-1/20E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein ZEIGE, Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch, Ottakringer Straße 54/4/Top 2, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.06.2018 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 03.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Zuge seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 04.11.2015 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei am XXXX in Afghanistan geboren, gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei schiitischen Glaubensbekenntnisses. Er sei im Iran aufgewachsen und habe fünf Jahre die Grundschule besucht. Neben seinen Eltern habe der Beschwerdeführer noch zwei Schwestern und zwei Brüder; sein Vater sei seit drei Jahren verschwunden. Der Beschwerdeführer habe gemeinsam mit einem seiner Brüder den Lebensunterhalt der Familie gesichert. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, er habe im Iran illegal gearbeitet, weshalb er für drei Tage inhaftiert worden sei. Dort sei der Beschwerdeführer schlecht behandelt worden. Durch eine Ohrfeige habe sich sein Gehör verschlechtert. Seine Eltern seien aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten aus Afghanistan ausgereist. Der Beschwerdeführer fürchte sich vor seinen Verwandten, die die Familie bedroht hätten.
3. Mit Schreiben vom 15.03.2016 bevollmächtigte die Bezirkshauptmannschaft XXXX , als gesetzlicher Vertreter des unbegleiteten minderjährigen Beschwerdeführers, die Mitarbeiter der Caritas der Diözese XXXX mit der Vertretung des Beschwerdeführers im gegenständlichen Asylverfahren.
4. In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am XXXX 2016 führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen ergänzend aus, er sei in der Provinz Baghlan, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren worden. Als der Beschwerdeführer eineinhalb Jahre gewesen sei, seien seine Eltern mit ihm in den Iran, in die Provinz Isfahan gezogen. Den Grundschulstoff habe der Beschwerdeführer inoffiziell bei einem Afghanen gelernt. Außerdem habe er zwei bis drei Jahre in einem Restaurant als Geschirrwäscher gearbeitet. Der Vater des Beschwerdeführers sei festgenommen worden, als er seinen Chef damit konfrontiert habe, dass dieser ihm sein Gehalt nicht auszahle. Daraufhin sei sein Vater vor ungefähr drei Jahren nach Afghanistan zurückgeschickt worden. Mit Ausnahme eines Anrufs hätten der Beschwerdeführer und seine Familie nie wieder von ihm gehört. Die Mutter des Beschwerdeführers habe ihm erzählt, dass die Familie in Afghanistan Probleme gehabt habe. Dabei habe es sich um Grundstückstreitigkeiten gehandelt, und zwar sei der Großvater des Beschwerdeführers gemeinsam mit seinem Bruder im Besitz von Grundstücken gewesen. Als der Großvater gestorben sei, habe dessen Bruder über die Grundstücksdokumente verfügt. Nachdem auch dieser gestorben sei, hätten dessen Kinder die Grundstücke geerbt, obwohl auch der Vater des Beschwerdeführers einen Anspruch darauf gehabt habe. Die Familie sei allerdings gegenteiliger Meinung gewesen und habe den Vater des Beschwerdeführers mit dem Tod bedroht. Weiters brachte der Beschwerdeführer vor, dass speziell Hazara einer Gefahr in Afghanistan ausgesetzt seien.
Betreffend seinen Gesundheitszustand führte der Beschwerdeführer aus, er sei wegen seines Ohres in ärztlicher Behandlung.
5. Mit Eingabe vom 10.10.2016 langte die Vollmachtbekanntgabe für den Verein ZEIGE, Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch, ein.
6. In der Stellungnahme vom 12.10.2016 führte die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers unter anderem aus, der Beschwerdeführer leide unter psychischen Problemen, zumal er durch die schlechte Behandlung im Iran traumatisiert sei. Am XXXX 2016 habe er sich in einer Verzweiflungsstimmung selbst verletzt; der Arzt habe einen Suizidversuch vermutet. Ferner wurde auf die chronisch eitrige Mittelohrentzündung und die Trommelfellperforation des Beschwerdeführers verwiesen und um Einräumung einer Frist zur schriftlichen Stellungnahme zur Niederschrift der Einvernahme ersucht.
7. In der daraufhin am XXXX eingelangten Stellungnahme brachte die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers vor, der Beschwerdeführer verfüge über keine sozialen Anknüpfungspunkte in Afghanistan, zumal er ausschließlich im Iran sozialisiert worden sei. Weiters wurde die schlechte Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers ins Treffen geführt und auf mehrfache brutale Übergriffe auf Angehörige der schiitischen Minderheit verwiesen.
8. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Der Begründung des im Spruch bezeichneten Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist im Wesentlichen zu entnehmen, es sei weder nachvollziehbar noch glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der Grundstücksstreitigkeiten bei einer Rückkehr Verfolgung drohe, zumal die Zeitspanne über 16 Jahre betrage. Der Beschwerdeführer habe auch nicht dargetan, dass diese Übergriffe von den Behörden seines Heimatlandes geduldet worden wären. Im Fall seiner Rückkehr könne der Beschwerdeführer seinen Unterhalt zumindest durch Gelegenheitsjobs bestreiten, wobei ihm auch seine Familie finanziell unterstützen könne. Zudem habe der Beschwerdeführer weder eine lebensbedrohende Erkrankung noch einen sonstigen auf seine Person bezogenen außergewöhnlichen Umstand behauptet oder bescheinigt, der ein Abschiebungshindernis darstellen könnte. Abschließend hielt die belangte Behörde fest, dass jedenfalls das öffentliche Interesse an der Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers überwiege.
Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
9. Mit Schreiben vom 14.11.2016 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen sämtliche Spruchpunkte des gegenständlichen Bescheides und machte die unrichtige rechtliche Beurteilung aufgrund Feststellungs- und Begründungsmangels geltend. Der Beschwerdeführer führte dabei unter anderem aus, er habe im Iran fünf Jahre lang eine inoffizielle Schule für Afghanen besucht. Aufgrund der illegalen Arbeit in einem Restaurant sei er von der iranischen Polizei angehalten und misshandelt worden, weshalb er sich zur Flucht entschlossen habe. Der Beschwerdeführer befürchte, aufgrund des vor seiner Geburt stattgefunden Streites um Landbesitz in Afghanistan in Lebensgefahr zu geraten. Die belangte Behörde habe ignoriert, dass der Beschwerdeführer bereits mehr als 16 Jahre von seinem Herkunftsstaat abwesend sei. Im Fall einer Wiederansiedlung in Afghanistan fürchte der Beschwerdeführer als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara um sein Leben. Die belangte Behörde behaupte zudem aktenwidrig, dass Angehörige des Beschwerdeführers nach wie vor offensichtlich ohne Probleme in Afghanistan leben würden, wobei der Beschwerdeführer dies zu keinem Zeitpunkt angegeben habe. Ferner sei die Feststellung aktenwidrig, wonach der Beschwerdeführer aus wirtschaftlichen Gründen den Iran verlassen habe, zumal er für den Unterhalt seiner Familie alleine aufkommen hätte müssen. Vielmehr habe der Beschwerdeführer angegeben, dass seine Mutter im Iran mit Hilfe der Schwestern Schneidereiarbeiten durchführen würde. Wenn der Beschwerdeführer alleine für den Lebensunterhalt der Familie aufkommen habe müssen, sei es nicht nachvollziehbar, wenn die belangte Behörde die Zumutung treffe, dass er im Falle einer Ansiedlung in Afghanistan von seiner Mutter vom Iran aus finanziell unterstützt werden könne. Die Beweiswürdigung entbehre jedenfalls jeglicher sachlicher Grundlage und bewege sich im spekulativen Bereich.
10. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 17.11.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
11. Mit Schreiben vom 24.04.2017 teilte die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers mit, dass dieser sehr lerneifrig sei, die Aufnahmeprüfung in die Handelsschule bestanden habe und in die "HAS" aufgenommen worden sei. Ebenfalls mit Schreiben vom 24.04.2017 übermittelte die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers diverse Integrationsunterlagen.
12. Am 04.04.2018 sowie 27.04.2018 wurden dem Bundesverwaltungsgericht weitere Integrationsunterlagen des Beschwerdeführers übermittelt.
13. Mit Stellungnahme vom 05.06.2018 führte die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers im Wesentlichen aus, aufgrund der chronischen Mittelohrentzündung und der daraus resultierenden Schädigung sei beim Beschwerdeführer am XXXX 2018 eine Tympano-Meatoplastik rechtsseitig operativ eingesetzt worden. Ferner wurde die fehlende Berufs- oder Fachausbildung des Beschwerdeführers betont. Der Bericht der Afghanischen Netzwerke, EASO, Stand Jänner 2018, zeige eine schwierige Wiedereingliederungssituation nach Rückkehr, wonach eine Zumutbarkeit nicht nach pauschalen Kriterien festgestellt werden könne. Nach dem länderkundlichen Sachverständigen Dr. RASULY würden Hilfsarbeiter, d.h. Männer ohne berufliche Qualifikation, in Kabul unter sehr schwierigen und menschenunwürdigen Bedingungen leben. Die Kurzinformation des Länderinformationsblattes vom 21.12.2017 berichte zudem von den meisten Opfern unter Zivilisten durch Selbstmordattentäter und komplexe Angriffe insbesondere in der Provinz Kabul.
14. Am 20.06.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.
15. Mit ergänzender Stellungnahme vom 26.06.2018 wurde zusammengefasst vorgebracht, der Sachverständige Dr. RASULY habe bei seiner Sichtweise, dass Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, weder ausgelacht noch beschimpft werden würden, übersehen und ausgespart, dass die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung der sunnitischen Glaubensrichtung angehöre, in Afghanistan eine Mehrzahl an sunnitischen Extremistengruppen agieren und sunnitische Kreise dem iranischen Einfluss mit Misstrauen bis hin zur Feindseligkeit begegnen würden. Den Refworld vom 20.04.2016 könne entnommen werden, dass die Situation der Hazara in Afghanistan von einer besonders erhöhten Gefahrenlage geprägt sei. Die Feststellung des Länderinformationsblattes, wonach sich die Lage der Hazara verbessert habe, greife als Entscheidungsgrundlage zu kurz, da sie allzu pauschal sei. Insbesondere sei im Fall des Beschwerdeführers festzuhalten, dass eine Verfolgungsgefahr aufgrund des ungelösten Streites um Landbesitz zumindest nicht ausgeschlossen werden könne. Letztlich sei das Gutachten von Mag. MAHRINGER nicht mehr aktuell, einseitig und umstritten.
16. Mit Schreiben vom 16.06.2018 und 25.09.2018 wurden dem Bundesverwaltungsgericht erneut diverse Integrationsunterlagen des Beschwerdeführers übermittelt.
17. Am 21.02.2019 wurden dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde aktuelle Länderberichte übermittelt und ihnen eine Frist zur allfälligen Stellungnahme von 14 Tagen eingeräumt. In der daraufhin am 15.03.2019 eingelangten Stellungnahme des Beschwerdeführers wurde im Wesentlichen ausgeführt, aufgrund der derzeitigen Situation in Afghanistan würden keine internationalen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche die großen Massen an Rückkehrern und Binnenvertriebenen in Afghanistan unterstützen könnten. Das Land stehe aufgrund der Folgen der Jahrhundertdürre vor einer Hungersnot. Mit Verweis auf den EASO-Bericht vom Juni 2018 führte der Beschwerdeführer aus, es sei nicht nur zu beachten, ob der rückkehrenden Person ein familiäres Netzwerk zur Verfügung stehe, sondern auch, ob die Person auf allgemeine soziale Anknüpfungspunkte zurückgreifen könne. Aus dem ACCORD-Bericht zu Afghanistan vom 07.12.2018 folge, dass weder in Herat noch in Mazar-e Sharif sich derzeit eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative ergebe: Die Lage habe sich auch in diesen Städten dramatisch verschärft - hin zu einer schweren humanitären Krise. Auch gebe es einen Mangel an adäquaten Möglichkeiten einer Beschäftigung. Weiters seien die aus Europa Abgeschobenen in Mazar-e Sharif ein bevorzugtes Verfolgungsziel von regierungsfeindlichen Netzwerken. Abschließend verwies der Beschwerdeführer auf die von ihm beilegten Unterlagen hin und teilte mit, dass er am XXXX 2019 einer Operation unterzogen werde. Das Schriftstück des erkennenden Gerichts sei aufgrund einer maschinellen Bearbeitung im Verteilzentrum beschädigt worden und daher verspätet bei der rechtsfreundlichen Vertretung eingelangt.
18. Am 30.07.2019 übermittelte der Beschwerdeführer sein Jahreszeugnis der Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule.
19. Am 01.10.2019 wurden dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde aktuelle Länderberichte übermittelt und ihnen eine Frist zur allfälligen Stellungnahme von zehn Tagen eingeräumt. Eine Stellungnahme langte bis dato nicht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Stellungnahmen, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1. Feststellungen:
1.1. Zum Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte am 03.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 14.11.2016 fristgerecht Beschwerde, woraufhin am 20.06.2018 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari stattfand, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen.
1.2. Zum Beschwerdeführer:
Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX in der Provinz Baghlan, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist schiitischer Muslim und seine Muttersprache ist Dari, wobei er Farsi spricht. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.
Seine Kernfamilie besteht aus seinen Eltern, seinen zwei Schwestern und seinen zwei Brüdern, welche gemeinsam - mit Ausnahme des Vaters - im Iran leben. Der Vater des Beschwerdeführers wurde ungefähr im Jahr 2012 vom Iran nach Afghanistan abgeschoben; dessen derzeitiger Aufenthaltsort kann nicht festgestellt werden. Die Mutter des Beschwerdeführers bestreitet als Schneiderin den Lebensunterhalt der Familie. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt mit seiner Mutter und seinen Geschwistern.
Der Beschwerdeführer hat seine ersten eineinhalb Lebensjahre in Afghanistan verbracht, ehe seine Familie mit ihm illegal in den Iran, in die Provinz Isfahan gereist ist, wo er bis zu seiner Ausreise nach Europa im Jahr 2015 gelebt hat. Er wurde im Iran fünf Jahre in einer inoffiziellen Schule von einem afghanischen Lehrer unterrichtet und hat ungefähr zwei bis drei Jahre in einem Restaurant als Geschirrwäscher gearbeitet.
Der Beschwerdeführer verfügt in seinem Heimatdorf über zwei Cousins seines Vaters, mit denen er allerdings nicht in Kontakt steht.
Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter und ist mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut.
Der Beschwerdeführer leidet an einer chronischen Mittelohrentzündung sowie an Migräne. In Hinblick auf Ersteres wurde am rechten Ohr des Beschwerdeführers im März 2018 in Österreich eine Tympanoplastik durchgeführt; zuletzt wurde er am XXXX 2019 operiert. Der Beschwerdeführer leidet an keiner lebensbedrohlichen oder dauerhaft behandlungsbedürftigen Erkrankung und ist arbeitsfähig. Dass der Beschwerdeführer einen Suizidversuch in Österreich unternommen hat, kann nicht festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer spricht ein einfaches, aber gut verständliches Deutsch und hat die Prüfungen des ÖIF (Österreichischer Integrationsfonds) auf dem Sprachniveau A1 sowie A2 bestanden. Er hat am Seminar " XXXX " im Ausmaß von 96 Unterrichtseinheiten teilgenommen, besucht die Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule in XXXX und engagiert sich ehrenamtlich ungefähr viermal pro Monat in der Kirche, wobei er nicht konvertieren möchte. In seiner Freizeit spielt der Beschwerdeführer Fußball und Tischfußball. Er ist weder erwerbstätig noch selbsterhaltungsfähig.
Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte. Er steht mit Österreichern in Kontakt und pflegt einen guten Kontakt zu seinen Mitschülern und Nachbarn in XXXX .
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer bzw. seine Familie in Afghanistan wegen Grundstücksstreitigkeiten einer individuellen konkreten Verfolgung oder Bedrohung durch seine bzw. ihre Verwandten ausgesetzt waren.
Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass konkret der Beschwerdeführer als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sowie schiitischer Muslim bzw. dass jeder Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sowie schiitischer Muslim in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.
Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer bei einer Überstellung nach Afghanistan aufgrund der Tatsache, dass er im Iran aufgewachsen ist sowie zuletzt in Europa aufhältig war, physische und/oder psychische Gewalt droht.
1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer eine konkrete Verfolgung oder Bedrohung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hat. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan (Mazar-e Sharif) Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Insgesamt kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.
Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif ausschließen, konnten ebenfalls nicht festgestellt werden. Er kann dort seine Existenz - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Es kann nicht festgestellt werden, dass er nicht in der Lage ist, in Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Mazar-e Sharif ist über den dort vorhandenen Flughafen sicher erreichbar.
Der Beschwerdeführer kann im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit einer finanziellen Unterstützung durch seine Familie, die sich im Iran befindet und zu der er Kontakt hat, rechnen.
1.5. Zur Situation im Herkunftsstaat:
Das Bundesverwaltungsgericht trifft aufgrund der im Beschwerdeverfahren eingebrachten aktuellen Erkenntnisquellen folgende entscheidungsrelevante Feststellungen:
1.5.1. Zur Sicherheitslage in Afghanistan (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation vom 04.06.2019 [in Folge kurz "LIB"], und aus der EASO-Country Guidance zu Afghanistan vom Juni 2019, der auf Grund der gerichtsnotorischen englischen Sprache im englischen Original verwendet wird [in Folge kurz "EASO Juni 2019"]):
1.5.1.1. Zur Sicherheitslage in Afghanistan im Allgemeinen (LIB Kapitel 1. und 3.):
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil.
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil.
Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.08.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2 % gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5 % zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63 %) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37 % zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25 %. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. Bis Oktober 2018 fanden die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe.
Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis. Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung.
Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst mit Stand 22.10.2018 53,8 % der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9 % der Distrikte sind umkämpft und 12,3 % befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5 % der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8 % in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6 % leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand.
Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus.
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5 % sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11 % gegenüber dem Vorjahreswert. 42 % der zivilen Opfer (4.627 Opfer;
1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22 % und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26 % aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16 % der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen.
Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31 % der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3 % im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48 % gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren ua Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61 % und die Zahl der Todesopfer erreichte 82 %. 9 % aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009.
Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63 % der gesamten zivilen Opfer. 37 % davon werden den Taliban, 20 % dem ISKP und 6 % unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten.
Ungefähr 24 % der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14 % den afghanischen Sicherheitskräften, 6 % den internationalen Streitkräften und 4 % unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4 % gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück.
Die verbleibenden 13 % der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10 %), durch Beschuss aus Pakistan (1 %) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht.
UNAMA registrierte im ersten Quartal 2019 (01.01.2019 - 31.03.2019)
1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23 % gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist. Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde. Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden. Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen. Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge).
1.5.1.2. Zur Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers, Baghlan (LIB Kapitel 3.4.):
Baghlan liegt in Nordostafghanistan und gilt als eine der industriellen Provinzen Afghanistans. Sie befindet sich auf der Route der Autobahn Kabul-Nord, welche neun Provinzen miteinander verbindet. Ihre Hauptstadt heißt Pul-i-Khumri und ist als Wirtschaftszentrum bekannt. Die Provinz besteht aus folgenden Distrikten: Andarab, Baghlan-e-Jadid/Baghlan-e Markazi, Burka, Dahana-e-Ghori, Dehsalah/Banu, Doshi, Fereng Wa Gharu, Guzargah-e-Nur, Khenjan, Khost Wa Fereng, Nahrin, Pul-e-Hasar, Pul-e-Khumri, Tala Wa Barfak/Barfak, Jalga/Khwajahejran. Im Nordosten grenzt Baghlan an die Provinzen Panjsher, Takhar und Kunduz, im Westen an Samangan und Bamyan, im Süden grenzt sie an die Provinz Parwan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 943.394 geschätzt. Durch das von der Weltbank finanzierte Trans-Hindukush Road Connectivity Project soll bis 2022 u.a. die Baghlan-Bamiyan-Straße, auch "B2B-Road" genannt, durch eine Förderung von 170 Millionen USD gebaut werden.
Mit Stand November 2017 wird in der Provinz Baghlan Opium angebaut.
Im Februar 2017 galt Baghlan als eine der am schwersten umkämpften Provinzen des Landes. Die Sicherheitslage hatte sich seit Anfang 2016 verschlechtert, nachdem die Taliban anfingen, koordinierte Angriffe in Schlüsseldistrikten in der Nähe der Hauptstadt auszuführen. Dies führte zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften. Quellen zufolge versuchen regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen ihre Aktivitäten in einigen Schlüsselprovinzen des Nordens und Nordostens zu verstärken. Nichtsdestotrotz gehen die afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräfte mit Anti-Terrorismus-Operationen gegen diese Gruppierungen vor. Als einer der Gründe für die sich verschlechternde Sicherheitslage wird vom Gouverneur der Provinz die Korruption angegeben, die er gleichzeitig zu bekämpfen versprach. Auch zählt Baghlan zu jenen Provinzen, in denen eine hohe Anzahl an Zivilisten aufgrund explosiver Kampfmittelrückstände und indirekter Waffeneinwirkung ums Leben kam.
Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 102 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden von UNAMA 222 zivile Opfer (66 getötete Zivilisten und 156 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von Blindgängern/Landminen und gezielten Tötungen. Dies bedeutet einen Rückgang von 38 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.
In Baghlan werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden der Provinz von Aufständischen zu befreien. Bei diesen Militäroperationen werden Aufständische und in manchen Fällen auch ihre Anführer getötet.
Berichten zufolge waren im August 2017 die Taliban im Nordwesten der Provinz aktiv. Anfang 2017 fiel der Distrikt Tala Wa Barfak an die Taliban; später wurde er jedoch von den Regierungsmächten wieder eingenommen. In Baghlan stellen Kohlenbergwerke, nach der Drogenproduktion, eine der Haupteinnahmequellen der Taliban dar, nachdem im Jahr 2017 einige Bergwerke der Provinz unter Kontrolle aufständischer Gruppierungen gekommen war. Berichtet wurde von Vorfällen, in denen die Gruppierung Check-Points errichtete, um Geld von Kohle-transportierenden Fahrzeugen einzuheben.
Informationen eines hochrangigen Beamten zufolge war noch im Mai 2017 die Präsenz des IS im Norden Afghanistans schwach; ihm zufolge existierten keine Informationen zu der Anwesenheit des IS in der Provinz Baghlan. Im Zeitraum 01.01.2017 - 15.07.2017 wurde im Süden der Provinz Baghlan Gewalt gegen die Zivilbevölkerung durch den IS gemeldet, während zwischen dem 16.07.2017 und dem 31.01.2018 keine Vorfälle registriert wurden.
1.5.1.3. Zur Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh (LIB Kapitel 3.5.):
Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden. Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt.
Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:
Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar. In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, welcher 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul liegt (vgl. EASO Juni 2019, Kapitel V. "Internal protection alternative").
Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren.
Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur. Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren.
Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte.
In der Provinz befindet sich ua das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North), sowie auch das Camp Shaheen.
Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt.
Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 01.01.2017 - 15.07.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.07.2017 - 31.01.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert.
1.5.1.4. Zur den allgemeinen Lebensbedingungen in der Stadt Mazar-e Sharif (EASO Juni 2019, Kapitel V. "Internal protection alternative"):
Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan und ein Industriezentrum mit großen Produktionsunternehmen und einer großen Anzahl kleiner und mittlerer Unternehmen.
Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu verbesserten Trinkwasserquellen (76 %), die in der Regel verrohrt sind oder aus den Brunnen stammen. 92 % der Haushalte verfügen über verbesserte sanitäre Einrichtungen.
Laut Einschätzung des "Famine Early Warning System" (FEWS) ist die Situation in Mazar-e Sharif betreffend die Ernährungslage im Dezember 2018 als "angespannt" (engl.: "stressed") einzustufen, das bedeutet, dass mindestens jeder fünfte Haushalt trotz humanitärer Hilfe nur über einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch verfügt, aber nicht in der Lage ist, sich wesentliche nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden.
1.5.1.5. Zur Lage der Hazara in Afghanistan (LIB Kapitel 16.2.):
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10 % der Bevölkerung aus. Sie besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden; andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten.
Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können.
Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert.
So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft. So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt. Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke.
Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen.
Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit einem Anteil von etwa 10 % in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert.
1.5.1.6. Zur Lage der Schiiten in Afghanistan (LIB Kapitel 15.1.):
Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15 % geschätzt. Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara. Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen. Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran.
Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen.
Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS.
1.5.2. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge (LIB Kapitel 20.):
Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs). Im Zeitraum 2012 bis 2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen. Zwischen 01.01.2018 und 15.05.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23 % davon sind erwachsene Männer, 21 % erwachsene Frauen und 55 % minderjährige Kinder.
Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw. bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30 % der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.03.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt. Mit Stand Dezember 2017 lebten 54 % der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung.
Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern. Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw.
1.5.3. Grundversorgung und Wirtschaft (LIB Kapitel 21.):
Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu. Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich sechs Prozent prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1,4 % aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3,4 bzw. 1,8 %. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3 % zurückgingen und die Importe um 8 % stiegen.
1.5.4. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit (LIB Kapitel 21.):
In den Jahren 2016 und 2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013 bis 2014 bei 22,6 % gelegen hatte, um 1 %. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40 % der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80 % davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner).
1.5.5. Projekte der afghanischen Regierung (LIB Kapitel 21.):
Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern. Darunter fällt ua der fünfjährige (2017 bis 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind ua der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien. Das "Citizens' Charter National Priority Program" zB hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen.
Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant.
1.5.6. Medizinische Versorgung (LIB Kapitel 22.):
Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen. Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (va Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund zehn Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung.
In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Gründe dafür waren ua eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. Einer Umfrage der Asia Foundation zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert.
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011 bis 2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012 bis 2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren.
Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41 % der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel. In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 bis 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin