TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/15 W119 2153909-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.10.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

15.10.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W119 2153909-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Robert BITSCHE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 5. 4. 2017, ZL 1066999800/150454527, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 4. 5. 2015 in Österreich einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz.

Bei seiner am 5. 5. 2015 erfolgten Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er an, in der Stadt XXXX geboren zu sein und der tadschikischen Volksgruppe anzugehören. Sein Vater sei vor vielen Jahren im Zuge von Grundstücksstreitigkeiten getötet worden. Seine Mutter, seine drei Brüder und seine beiden Schwestern würden in Mazar-e Sharif leben. Er sei bis zu seiner Ausreise in seinem Geburtsort aufhältig gewesen, bevor er vor zwei Jahren in den Iran geflüchtet sei.

Zu seinem Fluchtgrund gab er an, dass er Afghanistan wegen der in seiner Familie herrschenden Grundstücksstreitigkeiten habe verlassen müssen. Im Fall seiner Rückkehr habe er Angst vor den Feinden innerhalb seiner Familie.

Da das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) Zweifel an der von ihm behaupteten Minderjährigkeit hatte, wurde der Beschwerdeführer aus diesem Grund einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung seines tatsächlichen Lebensalters zugeführt.

Dem diesbezüglichen zusammenfassenden medizinischen Sachverständigengutachten des Zentrums für Anatomie und Zellbiologie der medizinischen Universität Wien vom 9. 7. 2015 ist zu entnehmen, dass unter Berücksichtigung des Erscheinungsbildes des Handskelettes und des jeweils frühestmöglichen Auftretens entsprechender Entwicklungsstadien der Zähne und der Schlüsselbeine zum Untersuchungszeitpunkt am 20. 6. 2015 das höchstmögliche Mindestalter mit XXXX Jahren anzunehmen sei. Das daraus errechnete "fiktive" Geburtsdatum laute XXXX , es könne damit zum Zeitpunkt der Asylantragstellung von einem Mindestalter von XXXX Jahren ausgegangen werden.

Mit Verfahrensanordnung vom 30. 7. 2015 stellte das Bundesamt fest, dass der Beschwerdeführer spätestens am XXXX geboren wurde.

Am 2. 3. 2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt einvernommen. Dabei gab er an, in der Stadt XXXX geboren zu sein und der tadschikischen Volksgruppe anzugehören. Dies habe er von seiner Mutter erfahren. Sein Vater sei gestorben, als er ein Kleinkind gewesen sei. Danach sei er mit seiner Familie sehr häufig umgezogen. Zuletzt habe er in Mazar-e Sharif gelebt. Zuvor habe er in einem Dorf gewohnt, das sich zwei Autostunden von Mazar-e Sharif befunden habe. Er habe mit seiner Familie ständig in Mietwohnungen gelebt. Wenn der Mietvertrag abgelaufen sei, hätte sie sich an einem anderen Ort niedergelassen. Die Familie habe sich erst getrennt, als das Problem mit seinem Bruder XXXX begonnen habe. Er könne sich an das Datum nicht erinnern. Sein Bruder habe nämlich als Dolmetscher für die Amerikaner gearbeitet.

Er wisse nicht, wo sich seine Familie derzeit befinde. Seine Mutter sei circa vor einem Jahr eines natürlichen Todes gestorben. Vor einem Jahr habe er von seinem Bruder XXXX erfahren, dass seine Familie wegen der Probleme hinsichtlich seines Bruders Afghanistan verlassen habe. Er wisse jedoch nicht wohin. Zudem habe es noch zwei weitere Probleme geben, eines sei religiös motiviert gewesen, das andere habe darin bestanden, dass seine Familie Feinde besessen habe.

Auf die Frage, um wen es sich bei den behaupteten Feinden gehandelt habe, gab er an, dass er damit alle seine zwölf Halbgeschwister meine, welche die Kinder der zweiten Frau seines Vaters seien. Diese Halbgeschwister hätten zum Zeitpunkt seiner Ausreise in XXXX gelebt. Sein Bruder habe ihm auch erzählt, dass diese nicht mehr dort leben würden.

Zu seinem Bruder XXXX befragt, gab er an, dass dieser zehn Jahre bei einem Unternehmen gearbeitet habe, das in Mazar-e Sharif und XXXX Filialen besessen habe. Die Firmenmitarbeiter hätten seine Familie auch zu Hause besucht. Er könne jedoch keine Angaben zu dem Unternehmen machen, weil er diese Leute nicht verstanden habe.

Er selbst habe zwei Jahre in Mazar-e Sharif die Grundschule besucht und danach als Verkäufer in einem Geschäft gearbeitet.

In Afghanistan habe er nur Probleme mit den Taliban gehabt. Als die Taliban seinen Bruder festgenommen hätten, seien sie davon ausgegangen, dass die gesamte Familie zum Christentum konvertiert sei. Sein Bruder sei von den Taliban gefoltert worden, er selbst sei nicht zu Hause gewesen, seine Mutter sei jedoch mit dem Tod bedroht worden. Die Taliban seien immer wieder zu ihnen gekommen. Das letzte Mal hätten sie seinen Bruder XXXX mitgenommen.

Auf die Frage, wie sich sein Privatleben in Österreich gestalte, gab er an, dass er Fußball spiele und später als Krankenpfleger arbeiten wolle.

Es wurden ein Zertifikat über die Basisbildung und Vorbereitung auf den Pflichtschulabschluss sowie Deutschkursbesuchsbestätigungen und eine Bestätigung über eine Freiwilligentätigkeit des Beschwerdeführers vorgelegt.

Mit Schreiben vom 27. 3. 2017 legte der Beschwerdeführer das ÖSD Zertifikat A2 vor.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 5. 4. 2017, ZL 1066999800/150454527, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG i.V.m. § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für seine freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Mit Verfahrensanordnung vom 6. 4. 2017 wurde dem Beschwerdeführer die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberaterin zur Seite gestellt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen nunmehr bevollmächtigten Vertreter mit Schriftsatz vom 19. 4. 2017 Beschwerde.

Am 11. 4. 2018, am 10. 12. 2018 und am 12. 6. 2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der das Bundesamt am 11. 4. 2018 als weitere Verfahrenspartei nicht teilnahm. Dazu legte der Beschwerdeführer zunächst Empfehlungsschreiben, eine Bestätigung über seine ehrenamtlichen Tätigkeiten, eine Bestätigung über einen Antrag auf Feststellung der Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft sowie einen Bescheid der MA 62, in dem festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer nicht der Islamischen Glaubensgemeinschaft angehört, vor.

Weiters gab der Beschwerdeführer an, sein bisher erstattetes Vorbringen korrigieren zu wollen, wonach er bei der Erstbefragung dem Rat des Schleppers gefolgt sei und er angegeben habe in Afghanistan geboren zu sein. Als er die Kanzlei Mag. BITSCHE mit seiner Vertretung beauftragt habe, sei ihm empfohlen worden, die Wahrheit zu erzählen, was er tun wolle.

Er sei tatsächlich in XXXX im Iran geboren und habe vier Brüder und zwei Schwestern. Seine Mutter sei bereits gestorben, sein Vater habe wieder geheiratet, er habe zu ihm keinen Kontakt. Seine Familie stamme ursprünglich aus Mazar-e Sharif. Er habe im Iran keine Schule besucht, aber privat Farsi-Kurse besucht. Weiters habe er als Reinigungskraft gearbeitet. Vor circa einem Jahr habe er begonnen, sich vom Islam abzuwenden. Er habe sich intensiv mit den Religionen beschäftigt und sei zum Ergebnis gekommen, dass es keinen Gott gebe. Er sei Atheist. Er habe seinem Bruder XXXX , der Muslim sei, noch nichts darüber gesagt. Von seinen in Österreich lebenden afghanischen Freunden sei er wegen seiner Ansichten über die Religionen beleidigt worden. Er habe im Iran keine Moscheen besucht, sein Bruder sei ebenso wenig ein gläubiger Muslim.

Er führe in Österreich eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin, die er ein bis zweimal in der Woche treffe.

Mit Schriftsatz vom 28. 5. 2018 langte eine Stellungnahme des rechtsfreundlichen Vertreters des Beschwerdeführers ein, in der zunächst darauf hingewiesen wurde, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan über kein soziales Netzwerk verfüge. Zudem wurde dargetan, dass gemäß den Länderberichten in Afghanistan innerhalb der Bevölkerung eine starke Intoleranz gegenüber Menschen bestehe, die vom Islam zu einer anderen Religion konvertiert seien. Konversion oder Apostasie stellten nach islamischen Recht Afghanistans ein Verbrechen dar und werde mit dem Tod bestraft. Dazu wurden mehrere Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes zitiert, die diese Problematik zum Inhalt haben.

Am 10. 12. 2018 fand eine weitere Verhandlung statt, an der sich eine Vertreterin des Bundesamtes beteiligte. Auf die Frage, welche Religionszugehörigkeit der Beschwerdeführer besitze, gab er an, ein Atheist ohne Glaubensbekenntnis zu sein. Seine afghanischen und iranischen Freunde hätten den Kontakt zu ihm abgebrochen, nachdem er vom islamischen Glauben abgefallen sei. Auf die Frage, wie er sich über den Atheismus informiert habe, gab er an, dass er vieles aus "Google" entnommen habe, zB, dass es die Evolution gebe. Verfasser sei ein gewisser Charles gewesen. Er habe auch über die Entstehung des Menschen gelesen. Auf die Frage, inwiefern sich dies nicht mit dem islamischen Glauben vereinbaren ließe, gab er an, dass diese Religion dem Menschen aufgezwungen werde. Darin gebe es viele Gräueltaten und Unterdrückungen. Es gebe keine Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen. Er würde auch niemals Fetwas und die religiösen Regeln im Islam akzeptieren. Er werde von vielen seiner afghanischen Freunde beleidigt.

Weiters führte er aus, dass die Beziehung zu seiner Freundin XXXX vor zwei Wochen geendet habe.

Auf die Frage der Behördenvertreterin gab er an, dass er viel über den Atheismus gelesen habe. Befragt, welche Werke er konkret meine, gab er an, dass er sich im Internet Informationen darüber beschaffe. Er lebe nun in Europa, wo Religionsfreiheit herrsche.

Auf die Frage der Behördenvertreterin, welche Persönlichkeiten ihn inspiriert hätten, gab er an, darüber gelesen zu haben. Auf die Frage, ob sein Abfall vom Islam an ein bestimmtes Verhaltensmuster geknüpft sei, gab er an, dass er Atheist geworden sei, weil er an die Menschlichkeit glaube. Auf die Frage, ob er bei einer Rückkehr nach Afghanistan seine Überzeugung geheim halten und in die Moschee gehen, beten und fasten würde, gab er an, dass er kein Muslim sei und er dort umgebracht werden würde.

Die Behördenvertreterin hielt zu den Ausführungen des Beschwerdeführers fest, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte vor allem die innere Überzeugung maßgeblich dafür sei, ob ein nachvollziehbarer Abfall vom Glauben stattgefunden habe. Im Konkreten Fall könne jedoch die bloße Unzufriedenheit des Beschwerdeführers mit der islamischen Religion nicht jene Intensität erreichen, um eine Asylgewährung zu begründen. Darüber hinaus verstoße der Beschwerdeführer gegen das Neuerungsverbot und es sei ihm letztendlich die Steigerung seines Fluchtvorbringens vorzuwerfen.

Den beteiligten Parteien wurde eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme von zwei Wochen gewährt.

Mit Schriftsatz vom 4. 12. 2018 hielt der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers fest, dass der Abfall des Beschwerdeführers vom Islam entgegen der Ansicht des Bundesamtes kein gesteigertes Vorbringen darstelle, weil er sich bereits im Iran nicht mit dem Islam habe identifizieren können. Es sei ihm jedoch erst in Österreich möglich gewesen, in Österreich seine Freiheiten auszuleben und sich näher mit dem Atheismus auseinanderzusetzen. Es handle sich damit um einen subjektiven Nachfluchtgrund.

Diese Stellungnahme wurde dem Bundesamt mit Schriftsatz vom 14. 1. 2019 unter Gewährung einer zweiwöchigen Frist zur Abgabe einer Stellungnahme zur Kenntnis gebracht. Eine solche ist jedoch ausgeblieben.

In weiterer Folge wurde der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers aufgefordert, Zeugen namhaft zu machen, die den Abfall des Beschwerdeführers vom Islam bezeugen könnten.

Nach Bekanntgabe der Namen der drei genannten Zeugen wurde am 12. 6. 2019 eine weitere mündliche Verhandlung anberaumt, an der sich das Bundesamt nicht beteiligte. Dort wurde zunächst der absolvierte Pflichtschulabschluss des Beschwerdeführers vorgelegt.

Die zunächst einvernommene Zeugin, eine Sozialarbeiterin, gab an, dass sie beim Beschwerdeführer vermutet habe, dass er Muslim sei, weil er im Iran geboren sei. Nach längeren Gesprächen habe sich jedoch herausgestellt, dass er der Religion gegenüber sehr kritisch eingestellt sei und sich dies in Richtung Atheismus konkretisiert habe. Das bedeute, dass es für ihn wichtig sei, eine Religion ablegen zu können und die Freiheit zu besitzen, eine solche selbst auswählen zu können. Er habe kritisiert, eine Religion aufgezwungen bekommen zu haben und die einzigen Inhalte, die er gelernt habe, die islamischen Werte gewesen seien. Zuletzt seien die wesentlichsten Inhalte für den Beschwerdeführer die Frauenproblematik, gleiche Chancen für alle und die Frage, wie man Menschenrechte einklagen könne.

Eine weitere Zeugin, die ihm Nachhilfe erteilt habe, gab an, dass er sie ein halbes Jahr nach ihrer Bekanntschaft über den Atheismus befragt habe. Sie habe nie den Eindruck gehabt, dass er die islamische Religion praktizieren würde. Er habe sich - im Gegenteil - sehr kritisch geäußert, indem er von den im Iran und in Afghanistan begangenen Menschenrechtsverletzungen und der Ungleichbehandlung von Mann und Frau gesprochen habe.

Der dritte geladene Zeuge, der Standortleiter eines Grundversorgungshauses, gab an, dass der Beschwerdeführer ihm erzählt habe Atheist zu sein. Auf die Frage, ob es in der Unterkunft Probleme zwischen dem Beschwerdeführer und anderen Heimbewohnern gegeben habe, verneinte er dies, weil in der Unterkunft der Glaube kein Thema sein dürfe. Er habe jedoch nie bemerkt, dass der Beschwerdeführer an islamischen Festivitäten teilgenommen habe.

Auf weitere Befragung gab der Beschwerdeführer an, niemals gezwungenermaßen den islamischen Glauben praktizieren zu wollen. Wenn er nach Afghanistan zurückkehrte und er die Moschee nicht besuchte, könnte ihm alles passieren.

Zu den dem rechtsfreundlichen Vertreter in der Verhandlung übergebenen Länderberichten erstattete dieser mit Schriftsatz vom 22. 7. 2019 eine schriftliche Stellungnahme, in der erneut auf die dem Beschwerdeführer drohende Gefahr in Afghanistan wegen seines Abfalls vom Islam hingewiesen wurde. In diesem Fall habe der Beschwerdeführer nicht seine Religion gewechselt, sondern sei vom Islam abgefallen, wie auch die in der Verhandlung anwesenden Zeugen und Zeuginnen bestätigen hätten können.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der tadschikischen Volksgruppe an. Er ist im Iran geboren, seine Familie stammt aus Mazar-e Sharif in der Provinz Balkh. Die Mutter des Beschwerdeführers ist bereits gestorben, zu seinem Vater, der danach wieder heiratete, hat der Beschwerdeführer keinen Kontakt. Er besuchte im Iran keine Schule, aber privat Farsi-Kurse. Überdies bestritt er seinen Lebensunterhalt durch Reinigungsarbeiten.

Der Beschwerdeführer war sunnitischer Muslim und hat sich in Österreich gänzlich vom Islam abgewandt und weigert sich den Islam zu praktizieren. Er besuchte bereits im Iran keine Moschee. Er ist offiziell aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten. Er lehnt die strengen Zwänge des Islam ab und begründet dies damit, dass der muslimische Glauben der Bevölkerung aufgedrängt wird, es sehr viel Gräueltaten und Unterdrückungen gibt und keine Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen existiert. Er würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan diese Einstellung gegenüber Dritten zum Ausdruck bringen.

Er war auch innig mit einer österreichischen Staatsbürgerin befreundet.

Er befürchtet mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit, infolge seiner Abwendung vom muslimischen Glauben in Afghanistan verfolgt zu werden bzw sich dort zu dieser Abwendung nicht offen bekennen zu können.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

Zur maßgeblichen Lage in Afghanistan:

Apostasie:

Auszug aus der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 01.06.2017 u.a. zur Situation von vom Islam abgefallenen Personen (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

"[...] Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass Apostasie (Arabisch: ridda) in der klassischen Scharia als ‚Weggehen' vom Islam verstanden werde und ein Apostat (Arabisch: murtadd) ein Muslim sei, der den Islam verleugne. Apostasie müsse nicht unbedingt bedeuten, dass sich der Apostat einer neuen Glaubensrichtung anschließe[...]

[...]

Artikel 2 der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan vom Jänner 2004 legt die ‚heilige Religion des Islam' als Religion Afghanistans fest. Angehörige anderer Glaubensrichtungen steht es frei, innerhalb der Grenzen des Gesetzes ihren Glauben und ihre religiösen Rituale auszuüben. Gemäß Artikel 3 der Verfassung darf kein Gesetz in Widerspruch zu den Lehren und Vorschriften des Islam stehen. Laut Artikel 7 ist Afghanistan indes verpflichtet, die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen, zwischenstaatlicher Vereinbarungen, internationaler Vertragswerke, deren Vertragsstaat Afghanistan ist, sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einzuhalten. Artikel 130 der Verfassung schreibt vor, dass die Gerichte bei der Beurteilung von Fällen die Bestimmungen der Verfassung und anderer Gesetze zu berücksichtigen haben. Wenn es jedoch zu einem Fall keine Bestimmungen in der Verfassung oder anderen Gesetzen gibt, so haben die Gerichte entsprechend der (sunnitischen) hanafitischen Rechtssprechungstradition innerhalb der Grenzen der Verfassung auf eine Art und Weise zu entscheiden, welche am besten geeignet ist, Gerechtigkeit zu gewährleisten[...]

[...]

Bezugnehmend auf den soeben zitierten Artikel 130 der afghanischen Verfassung schreibt Landinfo im August 2014, dass dieser Artikel hinsichtlich Apostasie und Blasphemie relevant sei, da Apostasie und Blasphemie weder in der Verfassung noch in anderen Gesetzen behandelt würden (Landinfo, 26. August 2014, S. 2). Im afghanischen Strafgesetzbuch existiere keine Definition von Apostasie (Landinfo, 4. September 2013, S. 10; USDOS, 10. August 2016, Section 2). Die US Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt, dass das Strafgesetzbuch den Gerichten ermögliche, Fälle, die weder im Strafgesetz noch in der Verfassung explizit erfasst seien, darunter Blasphemie, Apostasie und Konversion, gemäß dem Scharia-Recht der Hanafi-Rechtsschule und den sogenannten ‚hudud'-Gesetzen, die Vergehen gegen Gott umfassen würden, zu entscheiden (USCIRF, 26. April 2017). Die Scharia zähle Apostasie zu den sogenannten ‚hudud'-Vergehen (USDOS, 10. August 2016, Section 2) und sehe für Apostasie wie auch für Blasphemie die Todesstrafe vor (Landinfo, 26. August 2014, S. 2).

Die United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF), eine staatliche Einrichtung der USA zur Beobachtung der Situation hinsichtlich der Meinungs-, Gewissens- und Glaubensfreiheit im Ausland, schreibt in ihrem Jahresbericht vom April 2017, dass staatlich sanktionierte religiöse Führer sowie das Justizsystem dazu ermächtigt seien, islamische Prinzipien und das Scharia-Recht (gemäß Hanafi-Rechtslehre) auszulegen. Dies führe zuweilen zu willkürlichen und missbräuchlichen Auslegungen und zur Verhängung schwerer Strafen, darunter der Todesstrafe (USCIRF, 26. April 2017).

Die Internationale Humanistische und Ethische Union (International Humanist and Ethical Union, IHEU), ein Zusammenschluss von über 100 nichtreligiösen humanistischen und säkularen Organisationen in mehr als 40 Ländern, bemerkt in ihrem im November 2016 veröffentlichten ‚Freedom of Thought Report 2016', dass sich die Gerichte bei ihren Entscheidungen weiterhin auf Auslegungen des islamischen Rechts nach der Hanafi-Rechtslehre stützen würden. Das Office of Fatwa and Accounts innerhalb des Obersten Gerichtshofs Afghanistans würde die Hanafi-Rechtsprechung auslegen, wenn ein Richter Hilfe dabei benötige, zu verstehen, wie die Rechtsprechung umzusetzen sei[...]

[...]

Thomas Ruttig, Ko-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN), einer unabhängigen, gemeinnützigen Forschungsorganisation mit Hauptsitz in Kabul, die Analysen zu politischen Themen in Afghanistan und der umliegenden Region erstellt, bemerkte in einem Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016) Folgendes bezüglich der Rechtspraxis:

‚Zwar gibt es drei parallele Rechtssysteme (staatliches Recht, traditionelles Recht und islamisches Recht/Scharia), doch letztendlich ziehen sich viele Richter, wenn die Lage irgendwie politisch heikel wird, auf das zurück, was sie selber als Scharia ansehen, statt sich etwa auf die Verfassung zu berufen. Die Scharia ist nicht gänzlich kodifiziert, obwohl verschiedenste Rechtskommentare etc. existieren, und zudem gibt es zahlreiche Widersprüche in den Lehrmeinungen.' (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Michael Daxner, Sozialwissenschaftler, der das Teilprojekt C9 ‚Sicherheit und Entwicklung in Nordost-Afghanistan' des Sonderforschungsbereichs 700 der Freien Universität Berlin leitet, bemerkte beim selben Expertengespräch vom Mai bezüglich der Auslegung des islamischen Rechts und islamischer Prinzipien:

‚Sehr oft stammen die liberalsten Auslegungen von Personen, die etwa an einer Einrichtung wie der Al-Azhar in Kairo studiert haben und daher mit den Rechtskommentaren vertraut sind. Man kann sich indes kaum vorstellen, wie wenig theologisch und religionswissenschaftlich versiert die Geistlichen auf den unteren Ebenen sind. Wenn ein Rechtsgelehrter anwesend ist, der etwa von der Al-Azhar kommt, kann er die Sache auch ein Stück weit zugunsten des Beschuldigten drehen, denn je mehr glaubwürdige Kommentare dem Scharia-Text zugefügt werden, desto besser sieht es für die Betroffenen aus.' (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) geht in seinen im April 2016 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender wie folgt auf die strafrechtlichen Konsequenzen von Apostasie bzw. Konversion vom Islam ein:

‚Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tod bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten ‚ungeheuerlichen Straftaten', die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft fallen.

Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist.'

(UNHCR, 19. April 2016, S. 61)

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem im August 2016 veröffentlichten Länderbericht zur internationalen Religionsfreiheit (Berichtsjahr 2015), dass laut Hanafi-Rechtlehre Männer bei Apostasie mit Enthauptung und Frauen mit lebenslanger Haft zu bestrafen seien, sofern die Betroffenen keine Reue zeigen würden. Richter könnten zudem geringere Strafen verhängen, wenn Zweifel am Vorliegen von Apostasie bestünden. Laut der Auslegung des islamischen Rechts durch die Gerichte würde der Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion Apostasie darstellen. In diesem Fall habe die betroffene Person drei Tage Zeit, um die Konversion zu widerrufen. Widerruft sie nicht, so habe sie die für Apostasie vorgesehene Strafe zu erhalten. Die genannten Entscheidungsempfehlungen würden in Bezug auf Personen gelten, die geistig gesund und vom Alter her ‚reif' seien. Dieses Alter werde im Zivilrecht mit 18 Jahren (bei Männern) bzw. 16 Jahren (bei Frauen) festgelegt. Gemäß islamischem Recht erreiche eine Person dieses Alter, sobald sie Anzeichen von Pubertät zeige[...]

[...]

Auch der Bericht von Landinfo vom September 2013 behandelt unter Berufung auf verschiedene Quellen die rechtlichen Folgen von Apostasie. Das Strafrecht sehe gemäß Scharia die Todesstrafe für erwachsene zurechnungsfähige Männer vor, die den Islam freiwillig verlassen hätten. Diese Rechtsauffassung gelte sowohl für die schiitisch-dschafaritische als auch für die (in Afghanistan dominierende) sunnitisch-hanafitische Rechtsschule. Nach einer Einschätzung in einer Entscheidung des britischen Asylum and Immigration Tribunal aus dem Jahr 2008 sei das Justizwesen in Afghanistan mehrheitlich mit islamischen Richtern besetzt, die den Doktrinen der hanafitischen bzw. dschafaritischen Rechtsprechung folgen würden, welche die Hinrichtung von muslimischen Konvertiten empfehlen würden. Die Strafen für Frauen im Falle von Apostasie seien indes weniger schwer: sie würden ‚gefangen gehalten'. Die sunnitisch-hanafitische Rechtslehre sehe dabei eine mildere Bestrafung vor als die schiitisch-dschafaritische. Während letztere vorsehe, dass (weibliche) Apostatinnen täglich jeweils zu den Gebetszeiten ausgepeitscht würden, sehe die hanafitische Lehre vor, dass sie jeden dritten Tag geschlagen würden, um sie zu zur Rückkehr zum Islam zu bewegen. Neben Frauen seien auch Kinder, androgyne Personen und nichtgebürtige Muslime im Fall von Apostasie von der Todesstrafe ausgenommen. Bezüglich der Anwendung der Scharia und der strafrechtlichen Konsequenzen für Apostasie liege kein Erfahrungsmaterial speziell zu Afghanistan vor. Zugleich sei Landinfo der Auffassung, es gebe Grund zur Annahme, dass etwaige gerichtliche Entscheidungen in diesem Bereich unterschiedlich ausgefallen seien, jedoch den soeben beschriebenen Richtlinien entsprechen würden, wobei die Variationen eventuell weniger ausgeprägt sein könnten. Dies gelte auch für die zivilrechtlichen Folgen von Apostasie. Wie Landinfo bemerkt, könne in Afghanistan gemäß Verfassung und religiösen Rechtsmeinungen die Todesstrafe verhängt werden, wenn ein Fall von Konversion vor Gericht komme. Dies gelte sowohl für das staatliche als auch für das traditionelle Rechtssystem[...]

[...]

Dem USDOS zufolge seien aus dem Berichtsjahr 2015 keine Fälle von tätlichen Übergriffen, Inhaftierungen, Festnahmen oder Strafverfolgung wegen Apostasie bekannt (USDOS, 10. August 2016, Section 2).

UNHCR schreibt in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender Folgendes über zivilrechtliche und gesellschaftliche Folgen einer (vermeintlichen) Apostasie bzw. Konversion:

‚Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grundes und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren.

Berichten zufolge herrscht in der öffentlichen Meinung eine feindliche Einstellung gegenüber missionarisch tätigen Personen und Einrichtungen. Rechtsanwälte, die Angeklagte vertreten, denen Apostasie zur Last gelegt wird, können Berichten zufolge selbst der Apostasie bezichtigt und mit dem Tod bedroht werden. [...]

Darüber hinaus besteht für Personen, denen Verstöße gegen die Scharia wie Apostasie, Blasphemie, einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Ehebruch (Zina) vorgeworfen werden, nicht nur die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaften, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs)." (UNHCR, 19. April 2016, S. 61-62)'

Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass die Situation von Apostaten, die hin zu einer anderen Religion konvertieren, eine andere sei als jene von Atheisten oder säkular eingestellten Personen. Mit dem Negieren bzw. Bezweifeln der Existenz Gottes würden keine Erwartungen an ein bestimmtes Verhalten im Alltag einhergehen. Eine Konversion zu einer Religion hingegen sei mit Verhaltensvorschriften, kirchlichen Traditionen und Ritualen zu verbinden, die schwieriger zu verbergen seien[...]

[...]

Die IHEU bemerkt in ihrem Bericht vom November 2016, dass nur sehr wenige Fälle von ‚Ungläubigen' bzw. Apostaten verzeichnet würden, was wahrscheinlich jedoch bedeute, dass viele Konvertiten und Andersgläubige zu viel Angst davor hätten, ihren Glauben öffentlich kundzutun. Der Übertritt vom Islam werde selbst von vielen Personen, die sich allgemein zu demokratischen Werten bekennen würden, als Tabu angesehen. (IHEU, 1. November 2016)

Laut einem Artikel von BBC News vom Jänner 2014 stelle Konversion bzw. Apostasie in Afghanistan nach islamischem Recht eine Straftat dar, die mit der Todesstrafe bedroht sei. In manchen Fällen würden die Leute jedoch die Sache selbst in die Hand nehmen und einen Apostaten zu Tode prügeln, ohne dass die Angelegenheit vor Gericht gelange[...]

[...]

Weiters bemerkt BBC News, dass für gebürtige Muslime ein Leben in der afghanischen Gesellschaft eventuell möglich sei, ohne dass sie den Islam praktizieren würden oder sogar dann, wenn sie ‚Apostaten' bzw. ‚Konvertiten' würden. Solche Personen seien in Sicherheit, solange sie darüber Stillschweigen bewahren würden. Gefährlich werde es dann, wenn öffentlich bekannt werde, dass ein Muslim aufgehört habe, an die Prinzipien des Islam zu glauben. Es gebe kein Mitleid mit Muslimen, die ‚Verrat an ihrem Glauben' geübt hätten, indem sie zu einer anderen Religion konvertiert seien oder aufgehört hätten, an den einen Gott und an den Propheten Mohammed zu glauben. In den meisten Fällen werde ein Apostat von seiner Familie verstoßen[...]

[...]"

Situation für Rückkehrer aus dem Westen / Risiken aus einer "Verwestlichung"

Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen. Es liegen Berichte über Personen vor, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten und von regierungsfeindlichen Gruppen als "Ausländer" oder vermeintliche für ein westliches Land tätige Spione gefoltert oder getötet wurden. Ähnlich kann Personen mit Profilen als "Mitarbeiter von humanitären Hilfs- und Entwicklungsorganisationen" und "Frauen im öffentlichen Leben" von regierungsfeindlichen Gruppen zur Last gelegt werden, Werte und/oder ein Erscheinungsbild übernommen zu haben, die mit westlichen Ländern in Zusammenhang gebracht werden. Auch aus diesem Grund können sie Opfer von Angriffen werden.

Generell kann gesagt werden, dass Afghanen, die sich mit westlichen Werten identifizieren, von aufständischen Gruppen angegriffen werden können, da sie als unislamisch oder regierungsfreundlich wahrgenommen werden können oder als Spione betrachtet werden können.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus den UNHCR-Richtlinien, S. 46 f)

Generell kann gesagt werden, dass Afghanen, die sich mit westlichen Werten identifizieren, von aufständischen Gruppen angegriffen werden können, da sie als unislamisch oder regierungsfreundlich wahrgenommen werden können oder als Spione betrachtet werden können.

Für die Gesellschaft ist eine Unterscheidung nach der Einstellung gegenüber Männern einerseits und Frauen andererseits erforderlich. Afghanische Frauen und Kinder, die sich an die Freiheiten und die Unabhängigkeit im Westen gewöhnt haben, können Schwierigkeiten haben, sich an die sozialen Restriktionen in Afghanistan anzupassen. Frauen können auch als "verwestlicht" angesehen werden, wenn sie außerhalb des Hauses arbeiten oder eine höhere Ausbildung haben. Frauen, die als "verwestlicht" wahrgenommen werden, können als gegen kulturelle, soziale und religiöse Normen verstoßend empfunden werden und können Gewalt von ihrer Familie, konservativen Elementen in der Gesellschaft und Aufständischen ausgesetzt sein.

Bei den Männern sind die gesellschaftlichen Haltungen gegenüber "verwestlichten" Individuen gemischt. Es werden nur sehr wenige Fälle von Vorfällen im Zusammenhang mit der "Verwestlichung" gemeldet. Teile der Gesellschaft, meist in Städten (z.B. Kabul-Stadt), sind offen für westliche Ansichten, während andere Teile, meist in ländlichen oder konservativen Umgebungen, dagegen sind.

(Auszug aus dem EASO-Länderleitfaden Afghanistan, Juni 2018, S. 57 mit dortigen Hinweisen auf weitere Berichte dieser Organisation)

Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 30.08.2018 (S. 66ff)

Die Verfassung sieht vor, dass Anhänger anderer Religionen als dem Islam "innerhalb der durch die Gesetze vorgegebenen Grenzen frei sind in der Ausübung und Erfüllung ihrer religiösen Rechte". Allerdings wird in der Verfassung auch festgestellt, dass der Islam die offizielle Religion des Staates ist und "kein Gesetz gegen die Lehren und Bestimmungen der heiligen Religion des Islam in Afghanistan verstoßen darf". Darüber hinaus sollen die Gerichte gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung noch andere Gesetze Vorgaben enthalten, der Hanafi-Rechtsprechung folgen, einer sunnitisch-islamischen Rechtslehre, die unter zwei Dritteln der muslimischen Welt verbreitet ist.368 Afghanische Juristen und Regierungsvertreter wurden dafür kritisiert, dass sie dem islamischen Recht Vorrang vor Afghanistans Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechtsabkommen in Situationen einräumen, in denen ein Widerspruch der verschiedenen Rechtsvorschriften vorliegt, insbesondere in Bezug auf die Rechte von afghanischen Staatsbürgern, die keine sunnitischen Muslime sind, und in Bezug auf die Rechte der Frauen.

2. Beweiswürdigung:

Die Länderfeststellungen gründen auf den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten.

Der Verfahrensgang und die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes sowie des Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts, insbesondere aus der mündlichen Verhandlung am 11. 4. 2018, am 10. 12. 2018 und am 12. 6. 2019.

Das festgestellte Geburtsdatum folgt dem Ergebnis des vom Bundesamtes in Auftrag gegebenen Altersfeststellungsgutachten, dessen Ergebnis vom Beschwerdeführer unstrittig zur Kenntnis genommen wurde.

Der Beschwerdeführer erklärte in der mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht aufrichtig den Hintergrund für seine beim Bundesamt getätigten unrichtigen Angaben zu seinem Geburts- bzw Aufenthaltsort und den damit verbundenen Fluchtgründen, indem er diese mit Empfehlungen des Schleppers begründete. Dass der Beschwerdeführer nunmehr anführte, im Iran geboren, dort aufgewachsen und einer Erwerbstätigkeit nachgegangen zu sein, steht unter Zugrundelegung der von ihm genannten Begründung zu seinen bisher falsch getätigten Angaben seiner persönlichen Glaubwürdigkeit nicht entgegen.

Die Feststellungen zur Volksgruppenzugehörigkeit und Religion beruhen auf seinen diesbezüglich plausiblen und im ganzen Verfahren widerspruchsfrei bleibenden Angaben.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug.

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers:

Er schilderte in der mündlichen Verhandlung sehr überzeugend, dass er sich bereits im Iran kritisch mit der Religion auseinandergesetzt hatte, diese aber nur in der Weigerung eine Moschee zu besuchen, Eingang fand.

In Österreich fand eine stärkere Auseinandersetzung mit dem muslimischen Glauben statt, wonach der Beschwerdeführer auch intensive Internetrecherchen durchführte, was ihn auch zu Charles Darwin führte und ihn dazu bewog, sich mit der Evolutionstheorie auseinanderzusetzen. Dies brachte es mit sich, dass er offiziell aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft austrat, was jedoch dazu führte, dass sich zahlreiche Freunde und Bekannte aus seinem muslimisch geprägten Bekannten- bzw Freundeskreis von ihm abwandten und ihn beleidigten. Dass sich der Beschwerdeführer vom Islam tatsächlich ernsthaft abwendete, bestätigen auch die in der mündlichen Verhandlung einvernommenen Zeugen, die diese stark ausgeprägte Absicht ebenfalls in ihren Aussagen bestätigten, wonach insbesondere zwei Zeuginnen übereinstimmend ausführten, dass es für den Beschwerdeführer wichtig war, eine Religion ablegen zu können, weil er mit den im Islam vorgegebenen Regeln nicht konformgehen kann. Alle drei Zeugen gaben übereinstimmend an, dass der Beschwerdeführer in Gesprächen seine atheistische Haltung zum Ausdruck brachte und keiner der Zeugen auch nur ansatzweise daran zweifelte.

Wenn auch die Vertreterin des Bundesamtes in der Verhandlung vom 10. 12. 2018 dem Beschwerdeführer keine innere Überzeugung attestierte, wonach ein nachvollziehbarer Abfall vom Glauben stattgefunden habe, ist ihm dies - verstärkt durch die Zeugenaussagen - nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes tatsächlich gelungen seine atheistische Überzeugung glaubhaft darzulegen.

Wenn die Vertreterin des Bundesamtes im Vorbringen des Beschwerdeführers ein gesteigertes Vorbringen und einen Verstoß gegen das Neuerungsverbot erblickte, ist dem zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer bereits in der Verhandlung vom 11. 4. 2018 anführte, sich bereits im Iran nicht mit dem Islam identifiziert haben zu können. Ein völliges Abgehen von seinem ursprünglichen Glauben war ihm jedoch erst in Österreich möglich. Somit ist weder von einem gesteigerten Vorbringen noch von einem Verstoß gegen das Neuerungsverbot auszugehen. Weitere Ausführungen finden sich dazu in der rechtlichen Beurteilung.

Insofern war das Vorbringen des Beschwerdeführers zur möglichen Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan ausreichend substantiiert, umfassend, in sich schlüssig und im Hinblick auf die besonderen Umstände betreffend seine Person und die allgemeine Situation in Afghanistan plausibel. Der Beschwerdeführer hinterließ in der mündlichen Verhandlung, wie bereits ausgeführt, einen insgesamt glaubwürdigen Eindruck.

Im Übrigen sind im Verfahren keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die geeignet wären, das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner drohenden Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan in Zweifel zu ziehen oder für nicht maßgeblich wahrscheinlich erscheinen zu lassen.

In einer Gesamtschau der Angaben des Beschwerdeführers während des Verfahrens und aus den dargelegten Erwägungen erscheint sein Vorbringen zu seiner Furcht vor Verfolgung in Afghanistan insgesamt als glaubhaft. Es ist daher davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verfolgung drohen würde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

In vorliegendem Fall ist in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen und obliegt somit in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 3 Bundesgesetz über die Einrichtung und Organisation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA-Einrichtungsgesetz - BFA-G) BGBl. I Nr. 87/2012 idgF obliegt dem Bundesamt die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl.I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr.100 (Z 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes - Bund 2005, BGBl.I Nr.100 (Z 4).

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs.1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: "Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

Dies bedeutet für diesen Fall folgendes:

Zu berücksichtigen sind aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts bei der Beurteilung des gegenständlichen Falls insbesondere folgende ersichtliche Linien der Rechtsprechung: Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 5. September 2012, C- 71/11 und C-99/11, BRD gg Y Z) kommt es darauf an, ob der Asylbewerber aufgrund der Ausübung der Religionsfreiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (VwGH 23.06.2015, Ra 2014/01/0210). Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (VwGH 23.6.2015, Ra 2014/01/0117 mwN).

er Verwaltungsgerichtshof hat zum Thema Religion auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13.12.2018, Ra 2018/18/0395, hinzuweisen, das auch für den vorliegenden Fall folgende relevante Aussagen beinhaltet:

"Die Verfolgung aus Gründen der Religion ist nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK geschützt, wobei der Begriff der Religion auch atheistische Glaubensüberzeugungen umfasst (vgl. Art. 10 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2011/95/EU - Statusrichtlinie).

...

In seinem Urteil vom 4. Oktober 2018, Bahtiyar Fathi, C-56/17, hat der EuGH präzisiert, dass eine "schwerwiegende Verletzung" der Religionsfreiheit vorliegen muss, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt, damit die betreffenden Handlungen als Verfolgung im asylrechtlichen Sinne (vgl. Art. 9 Abs. 1 und 2 der Statusrichtlinie) gelten können. Dieses Erfordernis ist erfüllt, wenn die Person, die internationalen Schutz beantragt, aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in ihrem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Die Tatsache, dass einem Asylwerber im Herkunftsstaat etwa aufgrund eines Gesetzes über Apostasie eine Todes- oder Freiheitsstrafe droht, kann für sich genommen eine "Verfolgung" im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie darstellen, sofern eine solche Strafe in dem Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird.

...

Der EuGH hat im Urteil vom 4.10.2018, C-56/17, Bahtiyar Fathi insoweit klargestellt, dass die Behörden der Mitgliedstaaten in Verfahren, in denen es um die Bestrafung von Handlungen im Zusammenhang mit der Ausübung der Religionsfreiheit geht, auf der Grundlage der Aussagen des Antragstellers und gegebenenfalls der von ihm vorgelegten Dokumente oder auf der Basis von Informationen aus zuverlässigen Quellen ermitteln müssen, ob die in den Regelungen des Herkunftsstaats vorgesehene Todes- oder Freiheitsstrafe in der Praxis verhängt wird. Im Licht dieser Informationen haben die natio

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten