TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/16 W191 2132304-1

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Veröffentlicht am 16.10.2019
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Entscheidungsdatum

16.10.2019

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W191 2132304-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.07.2016, Zahl 1067843107-150479821, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Asylgesetz 2005 als unbegründet

abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 09.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass der BF am 18. und 20.04.2015 in Ungarn erkennungsdienstlich behandelt worden war.

1.2. In seiner Erstbefragung am 10.05.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion (PI) Traiskirchen, Erstaufnahmestelle (EAST) Ost, gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu und einer Rechtsberaterin im Zulassungsverfahren im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, sunnitischer Moslem und verheiratet. Er stamme aus XXXX Pol-e Khomri (Pul-e Khumri), Provinz Baghlan und habe dort mit seinen Eltern, seiner 16-jährigen Gattin und drei Geschwistern gelebt.

Vor ca. einem Monat habe er auf Beschluss seiner Familie seine Reise von Pol-e Khomri aus begonnen und sei über den Iran und ihm unbekannte Länder schließlich über Ungarn nach Österreich gelangt. Die Reise habe seine Familie organisiert und bezahlt.

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, dass sein Cousin für die Polizei tätig gewesen und getötet worden sei. Man habe seine Familie bezichtigt, diesen Mord begangen zu haben. Deshalb sei sein älterer Bruder XXXX zu 18 Jahren Haft verurteilt worden. Da seine Familie auch Angst um das Leben des BF gehabt habe, habe man ihn fortgeschickt.

1.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) hatte offenbar Zweifel an dem vom BF angegebenen Alter (Aktenvermerk Indikatoren für Altersfeststellung vom 13.05.2015) und veranlasste eine sachverständige Altersschätzung.

Dem medizinischen multifaktoriellen Sachverständigengutachten vom 24.07.2015 zufolge (Röntgenaufnahme der linken Hand vom 27.05.2015, Befragung und körperliche Untersuchung, Computertomographie der brustbeinnahen Schlüsselbeinregion und Panoramaröntgenaufnahme des Gebisses vom 10.07.2015) betrug das Mindestalter des BF zum Untersuchungszeitpunkt 15 Jahre und widersprach somit nicht dem angegebenen Alter von 16 Jahren und sechs Monaten.

1.4. Bei seiner Einvernahme am 21.06.2016 vor dem BFA, Regionaldirektion Vorarlberg, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu und seiner damaligen Vertreterin, beantwortete der BF Fragen zu seiner Person und zu seinen Lebensumständen. Er sei nicht verheiratet, ihm sei lediglich ein Mädchen versprochen worden. Er habe die Schule besucht, aber die Mittelschule wegen Problemen in der 10. Klasse abbrechen müssen. Er habe zuhause eine Tazkira (afghanisches Personaldokument), aber keinen Kontakt zu seiner Familie.

Bezüglich seines bei der Erstbefragung angegebenen Fluchtvorbringens gab der BF an, seine Mutter und Dorfbewohner hätten ihm gesagt, dass sein Cousin von den Taliban getötet worden sei. Die Regierung habe jedoch den Bruder des BF festgenommen und verurteilt. Der Bruder des Getöteten hätte auf Rache gesonnen, sodass zuerst der Vater des BF geflüchtet sei und schließlich - mit Hilfe eines Onkels - auch der BF. Er habe nicht mehr gehört, da er noch klein gewesen sei und man ihm nicht viel gesagt habe.

Schließlich brachte der BF als weiteren Fluchtgrund vor, dass er ca. drei Monate vor dem angegebenen Vorfall auf dem Weg von der Moschee nach Hause von zwei Männern in ein Auto gezerrt, entführt und vergewaltigt worden sei. Sie hätten ihn ein Monat lang festgehalten und er habe für sie tanzen müssen. Dann hätten sie ihn in die Nähe seines Hauses gebracht. Seine Mutter hätte ihn zum Arzt gebracht, der ihm Medikamente gegeben hätte.

Er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, seine Heimat sei für ihn wie eine Hölle.

Der BF legte mehrere Belege bezüglich seiner Integrationsbemühungen vor.

Ihm wurde die Möglichkeit eingeräumt, Einsichtnahme in "die Feststellungen des Bundesamtes zur Lage in seinem Heimatland" [Anmerkung: anzunehmenderweise in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA] zu nehmen und eine Stellungnahme dazu abzugeben.

1.5. Mit Schreiben seiner damaligen Vertreterin vom 28.06.2016 erstattete der BF eine Stellungnahme "zu den Länderfeststellungen Afghanistan", in der aus diversen Berichten zur allgemeinen Lage, zu Blutrache, zu Bacha Bazi (Tanzknaben) u.a.m. (teilweise in englischer Sprache) zitiert wurde.

Mit ergänzender Stellungnahme vom 01.07.2016 wurde aus einem weiteren Bericht zu Bacha Bazi zitiert und moniert, dass der BF im Falle, dass sein Missbrauch bekannt werden würde (seine Familie wisse bereits Bescheid), einer großen Ausgrenzung und Diskriminierung ausgesetzt wäre.

1.6. Mit Bescheid vom 26.07.2016 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 09.05.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 25.07.2017 (Spruchpunkt III.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Der BF habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht.

Sein Fluchtvorbringen beurteilte das BFA wegen widersprüchlicher Vorbringen und oberflächlicher, wenig detailreicher, unplausibler und unstimmiger Angaben, die teilweise in der Einvernahme völlig neu erstattet worden seien - unter Berücksichtigung seines persönlichen Eindrucks vor der Asylbehörde - als unglaubhaft.

Subsidiärer Schutz wurde ihm zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes gegeben sei. Dem BF sei gegenwärtig aufgrund der aktuellen prekären Sicherheitslage eine Rückkehr nach Afghanistan - ohne dies näher zu begründen - nicht zumutbar. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe ihm derzeit auch nicht offen.

1.7. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schreiben seiner damaligen Vertreterin vom 08.08.2016 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG), mit dem der Bescheid bezüglich Spruchpunkt I. angefochten wurde.

In der Beschwerdebegründung wurde das Fluchtvorbringen des BF zusammengefasst wiederholt und auf die bereits eingebrachten Auszüge aus diversen Berichten zu Blutrache und Bacha Bazi verwiesen. Das Verfahren sei nicht ordnungsgemäß geführt worden, die Minderjährigkeit des BF nicht hinreichend berücksichtigt worden. Die Länderfeststellungen seien teilweise veraltet und die Beweiswürdigung des BFA sei mangelhaft und nicht zutreffend vorgenommen worden.

Beantragt wurde unter anderem, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen.

1.8. Das BVwG führte am 11.02.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu durch, zu der der BF persönlich in Begleitung seines zur Vertretung bevollmächtigten Rechtsberaters erschien. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme an der Verhandlung und beantragte schriftlich, die Beschwerde abzuweisen.

Dabei gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"[...] RI [Richter]: Was ist Ihre Muttersprache?

BF: Paschtu. Ich spreche darüber hinaus auch Dari und Farsi und etwas Englisch.

RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für den BF?

D: Paschtu.

RI befragt BF, ob er D gut verstehe; dies wird bejaht.

Zur heutigen Situation:

RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF: Ja. Warum nicht?

RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF: Ich bin ganz gesund.

[...]

Der BF hat bisher keine Bescheinigungsmittel zu seiner Identität oder zu seinem Fluchtvorbringen vorgelegt und hat auch heute keine bei sich. Bezüglich seiner Integration legt er Lohnzettel seines Dienstgebers (Gastronomiebetrieb in Hohenems) vor, die in Kopie zum Akt genommen werden.

BF: Ich arbeite seit ca. einem Jahr, bisher bei einer Leihfirma. Ab nächster Woche habe ich einen fixen Arbeitsplatz bei einem Metallproduktionsbetrieb in Hohenems. Ich habe mich bemüht, aber keinen Pflichtschulabschluss gemacht. Ich habe Deutsch gelernt und die Prüfung A1 abgelegt.

Der BF legt vor: Deutschzeugnis A1, Teilnahmebestätigung am Werte und Orientierungskurs sowie an diversen weiteren Kursen. Diese werden in Kopie zum Akt genommen.

[...]

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?

BF: Ja.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF: Ich bin Paschtune.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?

BF: Ich bin sunnitischer Moslem.

RI: Sind Sie verheiratet, verlobt oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?

BF: Ich bin gottseidank ledig. Die arrangierte Verlobung, die ich im Verfahren erwähnt habe, gilt nicht mehr. Es ist für mich noch nicht die Zeit zum Heiraten. Ich möchte mir zuerst ein Leben aufbauen und dann einmal die Frau selber aussuchen.

RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF: Ich habe die Schule bis zur neunten Klasse besucht. Kurz vor der zehnten Klasse habe ich Afghanistan verlassen.

RI: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

BF: Es gibt Verwandte von mir, diese leben in Baghlan. Sie sind auch nicht viele.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Nein.

RI: Haben Sie Kontakt zu Österreichern? Haben Sie in Österreich wichtige Kontaktpersonen, und wie heißen diese?

BF: Ich habe viele Kontakte mit Österreichern, wir treffen uns am Wochenende und spielen Fußball und Volleyball, und wir gehen auch miteinander fort. Kontakt mit Landsleuten habe ich weniger.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?

BF: Ich verstehe das meiste, was Sie sagen, außer Sie sprechen sehr schnell.

RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und halbwegs auf Deutsch beantwortet hat.

RI: Warum sprechen Sie nicht noch besser Deutsch?

BF: Ich tue mir etwas schwer. Wenn ich mit meinen österreichischen Freunden spreche, dann korrigieren sie mich oft. Ich werde die A2 Prüfung schafffen. Ich möchte sogar die B1 Prüfung ablegen.

RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

BF: Nein.

RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF: Leider nicht, ich habe weder Telefonnummern, noch möchte ich wieder den Kontakt herstellen, ich möchte mir hier mein eigenes Leben aufbauen.

RI ersucht den BF, seinen Heimatort XXXX auf der ihm vorgelegten Bezirkskarte von Pul-e-Khumri zu zeigen.

BF: Mein Heimatort liegt ca. eine halbe Stunde von der Hauptstadt Pul-e-Khumri entfernt.

Der BF zeigt auf XXXX und nennt einzelne Nachbarorte, die auf der Karte verzeichnet sind.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI: Warum haben Sie bei der Erstbefragung andere Fluchtgründe als bei der Einvernahme vor dem BFA angegeben?

BF: Zu Beginn wollte ich das nicht angeben, dass ich vergewaltigt wurde. Irgenwann dachte ich, ich sollte es schon vorbringen und die Wahrheit sagen.

RI: Wer hat Sie vergewaltigt?

BF: Es war so, dass ich auf dem Weg zu einer Moschee war. Ich war wieder unterwegs von der Moschee nachhause, auf dem Weg fuhr ein Auto vorbei, es hat angehalten, aus dem Auto sind zwei bewaffnete Personen mit verdeckten Gesichtern ausgestiegen.

Angemerkt wird, dass der BF weint.

RI: Haben Sie heute noch Folgen von diesem Vorfall?

BF: Nur mein Gott/Schöpfer weiß, wie es mir geht und wie ich mein Leben hier führe.

RI: Wie lange haben Sie die gefangen gehalten?

BF: Ca. einen Monat lang.

RI: Was hat Ihre Familie nachher gemacht?

BF: Meine Familie hat nach mir gesucht, sie konnten mich nicht finden.

RI: Was hat sie nachher gemacht?

BF: Meine Familie hat aufgegeben gehabt, sie dachte, ich sei tot.

RI: Was hat sie nachher gemacht?

BF: Nachdem mich meine Mutter sah, brachte sie mich zum Arzt, weil es mir nicht gut ging, sie brachte mich in eine Klinik.

RI: Was hatten Sie gesundheitlich?

BF: Ich wurde von einem Arzt untersucht, er verschrieb mir auch Medikamente, ich befand mich ca. ein Monat in Behandlung. Welche Medikamente es waren, weiß ich nicht, weil ich damals sehr klein war. Ich war ca. 15 Jahre alt, mit 15 ist man noch ein Kind. Man kennt sich weder mit der rechten, noch mit der linken Hand aus.

RI: Waren es Medikamente für die Nerven?

BF: Ich verstand damals gar nicht, wofür die Medikamente waren. Der behandelnde Arzt hat mir damals nur Tabletten verschrieben.

RI: Nehmen Sie in Österreich Medikamente?

BF: Derzeit nicht.

RI: Haben Sie vorher welche in Österreich genommen?

BF: Nur wenn ich krank war, wenn ich eine Erkältung hatte, dann bekam ich Medikamente vom Arzt.

RI: Haben Sie keine Alpträume und brauchen Medikamente aufgrund des Vorfalles?

BF: Ja, Alpträume habe ich. Vor kurzem träumte ich, dass ich nach Afghanistan abgeschoben wurde. Ich hatte sehr viel Angst. Von meinem Gott habe ich mir meinen Tod gewünscht, besser mein Tod als eine Abschiebung nach Afghanistan. Dann wachte ich auf, ich schwitzte voll. Mein Körper war total nass. Dann konnte ich feststellen, dass es ein Traum war.

RI: Bei einem Arzt waren Sie in Österreich nie?

BF: Nein, noch nicht.

RI: Wieso noch nicht?

BF: Einmal war ich bei einem Psychologen. Es war im Jahr 2016 oder 2017, ich habe mich einmal mit dieser Person unterhalten.

RI: Sind Sie aus eigenem hingegangen?

BF: Ich hatte einen Termin, diesen machte einer meiner Betreuer aus. Ich wurde gefragt, ob ich Alpträume habe, ich sagte ja, aber ich sagte, dass ich mich an meine Alpträume nicht erinnern könne.

RI: Sie haben auch gesagt, dass Ihr Bruder 18 Jahre Haft bekam, stimmt das?

BF: Ja, das stimmt.

RI: Der sitzt jetzt zu Unrecht im Gefängnis?

BF: Ja, er ist unschuldig.

RI: Wer war wirklich schuld an diesem Mord?

BF: Mein Cousin, der Sohn der Tante väterlicherseits war bei Arbaki Miliz tätig. Er wurde umgebracht. Die Leute haben gesagt, dass mein Bruder ihn umgebracht habe, aber er wurde von den Taliban getötet.

Anmerkung: BF weint.

RI: Ist Ihr Bruder bei den Taliban?

BF: Nein, er war ein Hilfsarbeiter.

RI: Was sagte Ihr Vater dazu?

BF: Mein Vater ist geflohen, weil die Söhne meiner Tante an unserer Familie Rache ausüben wollten.

RI: Die Mutter lebt jetzt zuhause alleine mit Ihren Geschwistern?

BF: Als ich Afghanistan verlassen habe, sind meine Geschwister und meine Mutter zu meinem Onkel mütterlicherseits gezogen, auch in Baghlan. Das Haus meines Onkels liegt ca. zehn Minuten entfernt, auch in XXXX .

RI: In welchem Gefängnis ist Ihr Bruder?

BF: Ich weiß es nicht. Wo mein Vater derzeit ist, weiß ich nicht. Mit meinen Geschwistern habe ich keinen Kontakt, auch nicht über Facebook.

RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF: Ich bitte Sie darum, dass Sie den Namen Afghanistan nicht erwähnen.

RI wiederholt die Frage.

BF: Ich würde umgebracht werden. Ich könnte nicht einmal eine Minute dort überleben. Ich möchte nicht jung sterben, der Tod kommt zu allen, aber es wäre für mich zu früh um zu sterben.

Der RI bringt unter Berücksichtigung des Vorbringens des BF auf Grund der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Informationen die dieser Niederschrift beiliegenden Feststellungen und Berichte [...] in das gegenständliche Verfahren ein.

Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.

RI folgt BFV [Vertreterin des BF] Kopien dieser Erkenntnisquellen aus und gibt ihr die Möglichkeit, dazu sowie zu den bisherigen Angaben des BF Fragen zu stellen. Zudem wird der BFV eine Frist von zwei Wochen zur Nachbringung einer schriftlichen Stellungnahme eingeräumt.

BFV: Wer weiß davon, dass Sie vergewaltigt wurden in Afghanistan?

BF: Meine Mutter.

RI: Der Vater nicht?

BF: Nein, sollte er das wissen, dann wäre es für mich nicht gut.

RI: Was können Sie dafür?

BF: Ich kann nichts dafür, aber im Paschtunwali zählt das nicht.

BFV: Wie wird denn im Paschtunwali damit umgegangen, wenn jemand vergewaltigt wird?

BF: Wenn die Verwandten davon erfahren, dann gefährdet das das Leben des Opfers. Man könnte verspottet werden, und daher kommt es vielleicht dazu, dass man sich selbst das Leben nehmen würde. Die meisten Menschen in Afghanistan sind sehr ignorant. Es ist möglich, dass sie sogar das Opfer töten.

[...]

RI befragt BFV, ob sie noch etwas Ergänzendes vorbringen will; dies wird verneint.

RI befragt BF, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen will.

BF: Ja, ich möchte, dass mir Asyl gewährt wird, weil ich nicht sicher bin, ob mir mein jetziger Status verlängert wird. Ich möchte sicher sein, um mein Leben weiterführen zu können. Dann werde ich den Führerschein machen und weiter lernen.

RI befragt BF, ob er D gut verstanden habe; dies wird bejaht. [...]"

Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).

Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.

1.9. Mit Schreiben seiner Vertreterin vom 25.02.2019 erstattete der BF eine ergänzende Stellungnahme, in der im Wesentlichen das Vorbringen des BF bezüglich seiner angegebenen Vergewaltigung wiederholt und unter Verweis auf Auszüge aus diversen Berichten moniert wurde, dass der BF nach seiner Vergewaltigung im Falle seiner Rückkehr wegen unterstellter Homosexualität gesellschaftlich geächtet und strafrechtlich - somit asylrelevant - verfolgt werden würde.

Auch diese Stellungnahme wurde dem BFA übermittelt.

1.10. Mit Bescheid vom 24.07.2019, Zahl 1067843107 - 150479821 / BMI-BFA_VBG_RD, verlängerte das BFA die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 25.07.2021.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 10.05.2015 und der Einvernahme vor dem BFA am 21.06.2016, die eingeholte medizinische sachverständige Altersschätzung vom 24.07.2015 sowie die Beschwerde vom 08.08.2016

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Aktenseiten 312 bis 337)

* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 11.02.2019 und Einsicht in die ergänzende Stellungnahme des BF vom 25.02.2019

* Einsicht in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

? Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat sowie in der Provinz Baghlan und die Lage von Frauen und Kindern (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018)

? Auszüge aus dem EASO (European Asylum Support Office) - Bericht vom Juni 2018 betreffend Leitlinien zu Afghanistan (insbesondere zu Subsidiärschutz und innerstaatliche Schutzalternative)

? Auszug aus einer Auskunft der SFH-Länderanalsyse vom 05.04.2017, zum Thema: "Afghanistan: Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung"

? gutachterliche Stellungnahme von Mag. Zerka Malyar vom 27.07.2009 vor dem Asylgerichtshof, zitiert vom BVwG im Erkenntnis vom 21.01.2016, Zahl W174 1436214-1, zu "Blutrache und Ehrenmord in Afghanistan"

? Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 17.06.2017 zu Afghanistan: Blutrache und Blutfehde sowie einen Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 06.08.2013, zu "In Blutfehden verwickelte Personen" (inhaltlich im Wesentlichen gleichlautend mit den aktuellen Richtlinien vom 30.08.2018) sowie

? ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Informationen zu Vergewaltigungen von Männern/Jungen durch Männer vom 06.10.2015

Der BF hat keinerlei Beweismittel oder sonstige Belege für sein Vorbringen vorgelegt.

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Die nachfolgenden Feststellungen gründen sich auf die unter Punkt 2. erwähnten Beweismittel.

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam und ist ledig. Die Muttersprache des BF ist Paschtu, er spricht auch etwas Dari und Farsi und hat neun Jahre lang die Schule besucht.

Er stammt aus XXXX , Distrikt Pul-e Khumri, Provinz Baghlan (Afghanistan), wo auch seine Familie lebt.

3.1.2. Der BF hat Afghanistan aus angegebenen Gründen verlassen und in Österreich internationalen Schutz beantragt. Ihm wurde mit Bescheid des BFA vom 26.07.2016 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Das BFA verlängerte die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF gemäß § 8 Abs. 4 AsylG, zuletzt mit Bescheid vom 24.07.2019 bis zum 25.07.2021.

3.1.3. Der BF ist ein tüchtiger junger Mann in einer schwierigen Lebenssituation. Er verließ im Alter von 17 Jahren Afghanistan und ging alleine nach Europa, wo er sich recht gut mit seiner Situation zurechtfindet und offenbar in der Lage ist, sein Leben in Österreich zu meistern und für seinen Unterhalt selbst zu sorgen.

3.2. Zu den Fluchtgründen:

3.2.1. Der BF ist nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft. Er war nicht politisch aktiv und hatte auch sonst keine über das Antragsvorbringen hinausgehenden Probleme in seinem Herkunftsstaat.

3.2.2. Der BF hat sein Vorbringen - zum einen, dass sein Cousin für die Polizei tätig gewesen und getötet worden sei und man seine Familie bezichtigt habe, diesen Mord begangen zu haben, weswegen sein älterer Bruder XXXX zu 18 Jahren Haft verurteilt worden sei; zum anderen, dass er ca. drei Monate davor auf dem Weg von der Moschee nach Hause von zwei Männern in ein Auto gezerrt, entführt und vergewaltigt worden sei; sie hätten ihn ein Monat lang festgehalten und er habe für sie tanzen müssen, dann hätten sie ihn in die Nähe seines Hauses gebracht und seine Mutter hätte ihn zum Arzt gebracht, der ihm Medikamente gegeben hätte - nicht glaubhaft gemacht.

Asylrelevante Gründe des BF für das Verlassen seines Heimatstaates konnten somit nicht glaubhaft gemacht werden.

3.2.3. Es konnte vom BF auch nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus (im Punkt 3.2.2. angeführten) asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.

3.3. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren zusätzlich eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

3.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", zuletzt aktualisiert am 04.06.2019, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"[...] 2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.03.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 06.05.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.05.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 151.2016; vgl. AB 295.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 21.08.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).

Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich Am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).

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2. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)

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Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.2016).

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Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.08.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.02.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.02.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.02.2018).

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Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 06.06.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.02.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.02.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.02.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.02.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.02.2018, NZZ 21.03.2018, UNGASC 27.02.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.03.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 01.06. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.02.2018; vgl. Slate 22.04.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.03.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.03.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.01.2018; vgl. BBC 29.01.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.01.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.01.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.05.2018; AD 20.05.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.02.2018), [...]

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei zwölf Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 07.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 07.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 07.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

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Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.05.2018; vgl. DW 06.05.2018, AJ 06.05.2018, Tolonews 06.05.2018, Tolonews 29.04.2018, Tolonews 220.4.2018).

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Zivilist/innen

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Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 01.01.2009 - 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 01.01.2018 - 31.03.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.04.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56,3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14,5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29,2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.04.2018).

[...]

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.01.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 Verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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