TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/21 W238 2177476-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.10.2019
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Entscheidungsdatum

21.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W238 2177476-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Claudia MARIK über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, p.A. Wattgasse 48/3.Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.10.2017, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.10.2019 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht

zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer stellte am 30.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er afghanischer Staatsangehöriger sowie Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen sunnitisch-muslimischen Glaubens sei. Er stamme aus der Provinz Zabul. Er sei 16 Jahre alt (Geburtsjahr 1999). Als Fluchtgrund gab er an, dass die Taliban immer wieder in sein Elternhaus gekommen seien, um ihn für den Kampf im Jihad zu gewinnen.

2. Aufgrund von Zweifeln an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, Außenstelle Salzburg (im Folgenden: BFA), eine Altersfeststellungsuntersuchung durchgeführt. Aus dem darauf basierenden medizinischen Sachverständigengutachten vom 24.06.2016 geht ein Mindestalter des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Untersuchung (19.05.2016) von 18,1 Jahren hervor. Zum Zeitpunkt der Asylantragstellung sei der Beschwerdeführer 17,63 Jahre alt gewesen. Das fiktive Geburtsdatum des Beschwerdeführers laute XXXX . Von diesem Geburtsdatum ging das BFA in weiterer Folge aus.

3. Anlässlich der am 13.09.2017 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu durchgeführten Einvernahme vor dem BFA wiederholte der Beschwerdeführer seine Angaben hinsichtlich Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie Herkunftsprovinz. Weiters gab er an, dass er lediglich eine Koranschule besucht und zu Hause Unterricht erhalten habe; er könne nicht schreiben und ein wenig lesen. Zuletzt sei er als Bauhilfsarbeiter tätig gewesen. Er gab an, gesund zu sein. Seine Familie sei in Afghanistan aufhältig. Er erläuterte seinen Fluchtgrund, wobei er eine versuchte Zwangsrekrutierung durch Taliban anführte. Diese seien insgesamt dreimal in das Haus seiner Eltern gekommen; einmal sei er von den Taliban mitgenommen, geschlagen und einem Kommandanten der Taliban vorgeführt worden. Auch erwähnte er eine Grundstücksstreitigkeit zwischen seinem Vater und einem Dorfbewohner. Der Beschwerdeführer brachte Unterlagen zum Beweis seiner Integration in Österreich in Vorlage.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 23.10.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Schließlich wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

5. Gegen diesen Bescheid des BFA richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde. Darin wiederholte der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen und bekräftigte, dass er aufgrund seiner Weigerung der Zusammenarbeit mit Taliban Verfolgung wegen (unterstellter) politischer und religiöser Gesinnung befürchte. Das Verfahren des BFA sei als mangelhaft zu bezeichnen; die dem Bescheid zugrunde gelegten Länderberichte seien unvollständig und teilweise unrichtig. Dem Beschwerdeführer stehe mangels eines familiären und sozialen Netzwerks keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, zumal Rückkehrern aus Europa besonderes Misstrauen entgegengebracht werde. Im Übrigen sei die derzeitige Sicherheitslage in ganz Afghanistan lebensbedrohlich. Bezüglich seiner Integration verwies der Beschwerdeführer auf seine Kontakte zur österreichischen Bevölkerung, die strafrechtliche Unbescholtenheit und seine Bemühungen, die deutsche Sprache zu erlernen.

6. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt langten am 23.11.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Am 14.10.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertreterin teilnahmen und der ein Dolmetscher für die Sprache Paschtu beigezogen wurde. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm (entschuldigt) nicht an der Verhandlung teil. Das Verhandlungsprotokoll wurde dem BFA im Anschluss an die Verhandlung übermittelt.

Der Beschwerdeführer wurde vom erkennenden Gericht eingehend zu seiner Identität, Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu seinen Fluchtgründen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich befragt. Im Zuge der Verhandlung wurden vom erkennenden Gericht auch die Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren eingebracht. Die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers erstattete dazu in der Verhandlung eine mündliche Stellungnahme und legte einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zur Sicherheitslage in Afghanistan vom 12.09.2019 vor. Der Beschwerdeführer legte weitere Unterlagen betreffend seine Integration in Österreich vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu Person, Fluchtgründen, Rückkehrmöglichkeit und (Privat-)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

1.1.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch dieses Erkenntnisses enthaltenen Namen, ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Paschtu.

Er wurde spätestens am XXXX in Afghanistan, Provinz Zabul, Distrikt XXXX , Dorf XXXX geboren, wo er bis zu seiner Ausreise lebte.

Der Beschwerdeführer stellte am 30.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

1.1.2. Der Beschwerdeführer begründete seinen Antrag auf internationalen Schutz im Zuge der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA damit, dass ihm in Afghanistan Verfolgung durch Taliban wegen versuchter Zwangsrekrutierung und seiner Weigerung zur Zusammenarbeit drohe. Dies wurde im Rahmen des Beschwerdeschriftsatzes und der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wiederholt. In Ergänzung dazu wurde in der Beschwerde ausgeführt, dass Rückkehrern aus Europa besonderes Misstrauen entgegengebracht werde, weil davon ausgegangen werde, dass sie in Europa kriminell geworden seien und daher von der Gesellschaft als andersartig bzw. als Verräter angesehen würden.

Zu den vorgebrachten Fluchtgründen wird vom erkennenden Gericht im Einzelnen Folgendes festgestellt:

Weder war der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat einer individuellen gegen ihn gerichteten Verfolgung - etwa durch Taliban oder ähnliche (regierungsfeindliche) Gruppierungen - ausgesetzt noch wäre er im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan einer solchen ausgesetzt.

Ebenso wenig wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er sich seit November 2015 in Europa aufhält, im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen ausgesetzt wäre. Er hat keine "westliche" oder unislamische Lebenseinstellung/Gesinnung angenommen, welche im Widerspruch zur Gesellschaftsordnung in Afghanistan steht. Eine solche würde ihm im Falle der Rückkehr nach Afghanistan auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit unterstellt werden.

Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Merkmale mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder (von staatlichen Organen geduldet:) durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit (Paschtunen), seiner Religion (sunnitischer Islam), Nationalität (Afghanistan), Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung zu erwarten hätte.

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan weder vorbestraft noch wurde er dort jemals inhaftiert und hatte auch mit den Behörden des Herkunftsstaates keine Probleme. Der Beschwerdeführer war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Es gibt insgesamt keinen stichhaltigen Hinweis, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer (asylrelevanten) Verfolgung ausgesetzt wäre.

1.1.3. Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und arbeitsfähig. Er besuchte in Afghanistan keine (reguläre) Schule. Er erhielt Koranunterricht in der Dorfmoschee. Zusätzlich wurde er zu Hause von seinem Vater unterrichtet. Er verfügt in seiner Muttersprache über eine (ausreichende) Schreib- und Lesekompetenz.

Der Beschwerdeführer arbeitete in der familieneigenen Landwirtschaft. Im Sommer arbeitete er als Tagelöhner im Baubereich. Im Winter räumte er Schnee.

Mit dem dadurch erzielten Einkommen und dem Einkommen seines Vaters aus der Landwirtschaft wurde die gesamte Familie erhalten.

Die Eltern, fünf Brüder und zwei Schwestern des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Heimatdorf. Drei Onkel väterlicherseits und vier Onkel mütterlicherseits leben im Gebiet der Provinz Zabul.

Der Vater des Beschwerdeführers besitzt landwirtschaftliche Grundstücke, die er selbst bewirtschaftet. Die finanzielle Situation der Familie ist gut.

Der Beschwerdeführer hat regelmäßig (ein- bis zweimal monatlich) telefonischen Kontakt zu seiner Familie.

Eine Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Zabul scheidet aus, weil ihm dort aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde, zumal die Provinz für den Beschwerdeführer nicht sicher erreichbar wäre.

Der Beschwerdeführer kann sich stattdessen im Rückkehrfall in einer der relativ sicheren Städte Herat oder Mazar-e Sharif niederlassen und mittelfristig dort eine Existenz aufbauen. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und einer in Afghanistan gesprochenen Sprache (Paschtu) vertraut und wuchs in einem afghanischen Familienverband auf. Der Beschwerdeführer hat zwar nie in Herat oder Mazar-e Sharif gelebt und verfügt dort auch über keine familiären Anknüpfungspunkte. Angesichts seiner Schreib- und Lesekompetenz, seiner Arbeitsfähigkeit und seiner Erfahrungen in der Landwirtschaft, im Baubereich, beim Schneeräumen und als Kochlehrling könnte sich der Beschwerdeführer dennoch in Herat oder Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen und diese - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, zumal er in der Vergangenheit auch körperlich schwere Arbeit verrichtet hat. Dem Beschwerdeführer ist der Aufbau einer Existenzgrundlage in Herat oder Mazar-e Sharif möglich. Er ist in der Lage, in Herat oder Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Er kann diese Städte insbesondere auf dem Luftweg (von Kabul aus) sicher erreichen.

1.1.4. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Er hat keine Familienangehörigen im Bundesgebiet. Er verfügt über freundschaftliche Kontakte zu österreichischen Privatpersonen. Seine Bindung zu Afghanistan ist angesichts seiner langen Aufenthaltsdauer im Herkunftsstaat - insbesondere auch unter dem Aspekt seiner Sozialisierung in einem afghanischen Familienverband, seiner Muttersprache Paschtu und der daraus abgeleiteten Verbundenheit mit der afghanischen Kultur - deutlich intensiver als jene zu Österreich, zumal seine Familie nach wie vor in Afghanistan lebt. Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Asylantragstellung am 30.11.2015 im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer absolviert seit 24.12.2017 eine Lehre als Koch bei der XXXX GmbH. Seit Dezember 2017 bezieht er keine Grundversorgung. Er erhält eine Lehrlingsentschädigung in Höhe von monatlich 757,49 EUR netto und ist selbsterhaltungsfähig.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich Alphabetisierungskurse sowie Deutschkurse besucht und die Prüfung auf Niveau A1 bestanden. Derzeit besucht er einen A2-Kurs. Zum Zeitpunkt der Verhandlung wies er bereits recht gute Deutschkenntnisse auf. Er erhält auch privaten Unterricht (Deutsch, Grundrechnungsarten, gastronomische Fachausdrücke, Internet). Zudem hat er einige Tage ehrenamtlich gearbeitet. In seiner Freizeit ist der Beschwerdeführer sportlich aktiv (Fußball, Cricket, Wandern).

Der Beschwerdeführer ist zum Zeitpunkt dieser Entscheidung strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur Lage in Afghanistan

Betreffend die Lage in Afghanistan werden der vorliegenden Entscheidung insbesondere die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 29.06.2018 inkl. Kurzinformationen (zuletzt eingefügt am 04.06.2019), die in den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 sowie die in Berichten von EASO - EASO Country Guidance Afghanistan von Juni 2019, EASO Afghanistan Security Situation von Juni 2019, EASO Country of Origin Information Report Afghanistan Key socio-economic indicators Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von April 2019 - enthaltenen Informationen zugrunde gelegt.

1.2.1 Zusammenfassung des Länderinformationsblatts der Staatendokumentation Afghanistan:

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren.

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB 26.03.2019, S. 59).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 26.03.2019, S. 59). Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt

23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan; für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712. Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 60).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 26.03.2019, S. 62). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 16).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 70).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 26.03.2019, S. 63).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten ‚high-profile'-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 26.03.2019, S. 63). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 26.03.2019, S. 63).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist kaum entwickelt. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (LIB 26.03.2019, S. 346 f.).

Zur Herkunftsprovinz Zabul:

Die südliche Provinz Zabul grenzt im Süden an Pakistan und Kandahar, im Nordwesten an Uruzgan und im Osten an Ghazni und Paktika (NPS o. D.). Die Provinz Zabul besteht aus folgenden Distrikten: der Provinzhauptstadt Qalat, Shamulzai/Shomulzay, Arghandab, Khagiran Khaki Afghan Khakar/Kakar, Daichopan/Daychopan, Mizan, Shah Joy/Shahjoy, Shari Safa/Tarnak wa Jaldak, Shinkay, Naubahar, Atghar und NawBaha/Nawbahar (Pajhwok o.D.; vgl. UN OCHA 4.2014, NPS o.D.). In der Provinz Zabul gibt es einen militärischen Flughafen. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 314.325 geschätzt (CSO 4.2017). Die Provinz ist auch als Zabalistan bekannt und ist eine Heimatregion der Paschtunen (Pajhwok o.D.). In ihr leben verschiedene Teilstämme der Paschtunen (NPS o.D.).

In der Provinz Zabul sind konservative Einstellungen der Gesellschaft gegenüber Frauen weit verbreitet. Diese und die Angst von Frauen, sich der Tradition zu widersetzen, sind beispielsweise Grund für einen Frauenmangel in der medialen Landschaft der Provinz. Berichten zufolge sind in Zabul keine Frauen als Journalistinnen tätig; dies wird von vielen Stimmen in der Gesellschaft kritisiert, da medienrelevante Themenbereiche wie häusliche Gewalt und sexuelle Belästigung dadurch nicht genügend behandelt werden können. Trotzdem bemühen sich Journalisten und Reporter, Frauen zur Teilnahme an journalistische Aktivitäten zu motivieren (IWPR 19.3.2018; vgl. Pajhwok 11.12.2017).

Mitte 2017 wurden von der afghanischen Regierung in mehreren Provinzen, u.a. auch Zabul. Verträge zur Implementierung von gesundheitsbezogenen Projekten unterzeichnet (Khaama Press 10.7.2017).

Im Februar 2018 startete Provinzgouverneur Khiyal Mohammad Hussaini eine Korruptionsermittlung gegen einen Politiker der Provinz (Pajhwok 4.2.2018). Auch rief er die Bevölkerung dazu auf, die lokalen Jirgas anstatt der Gerichte zu nutzen: Die Bevölkerung würde Entscheidungen einer lokalen Jirga gegenüber Gerichtsurteilen bevorzugen (Pajhwok 30.1.2018).

Zahlreiche Schulen mussten im Laufe des Jahres 2017 u.a. wegen Aktivitäten der Aufständischen schließen (Pajhwok 14.2.2018; vgl. Tolonews 7.11.2017).

Wie in der gesamten südlichen Region des Landes stieg im Jahr 2017 der Opiumanbau in Zabul im Vergleich zu 2016 (+768 Hektar oder +56%); in der Provinz wurden 2017 keine Mohnfelder umgewidmet (UNODC 11.2017).

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage (LIB 26.03.2019, S. 253 ff.).

Zabul zählt zu den volatilen Provinzen in Südafghanistan - Mitglieder der Taliban und anderer aufständischer Gruppierungen sind in bestimmten Distrikten aktiv (TRTW 21.5.2018; vgl. TPI 23.4.2017, Khaama Press 26.4.2017, Khaama Press 5.5.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 102 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden in Zabul 333 zivile Opfer (107 getötete Zivilisten und 226 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und Blindgängern/Landminen. Dies bedeutet eine Steigerung von 3% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Zabul

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Terroristen zu befreien (THI 24.3.2018; vgl. BJ 18.3.2018, Pajhwok 16.3.2018, Pajhwok 9.3.2018, Tolonews 18.2.2018, Tolonews 13.2.2017, Khaama Press 10.10.2017, TPI 23.4.2017, Khaama Press 26.4.2017); dabei werden Aufständische getötet (THI 24.3.2018; vgl. Pajhwok 16.3.2018, Pajhwok 9.3.2018, Khaama Press 25.1.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Khaama Press 10.1.02017).

Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (Pajhwok 22.2.2018; vgl. Tolonews 17.2.2018, SN 17.2.2018, Tolonews 21.5.2017, Tolonews 12.4.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Zabul

Mitglieder der Taliban und anderer Gruppen von Aufständischen sind in bestimmten Distrikten aktiv (Khaama Press 26.4.2017; vgl. TPI 23.4.2017). Berichten zufolge sind Mitglieder der Taliban und al-Qaida (TPI 23.4.2017) sowie des IS in der Provinz aktiv (Khaama Press 5.5.2017). So zählen die beiden Distrikte Khak-e-Afghan und Daychopan zu jenen Distrikten, in denen der IS und al-Qaida aktiv sind (VoA 10.1.2018; vgl. Khaama Press 26.4.2017, Tolonews 24.1.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden in der Provinz Zabul IS-bezogene Vorfälle gemeldet, während zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 keine Ereignisse bzgl. des IS registriert wurden (ACLED 23.2.2018).

Zur Provinz Balkh:

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt. Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan] und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 26.03.2019, S. 102). Die Infrastruktur ist noch unzureichend, da viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, in schlechtem Zustand und in den Wintermonaten unpassierbar sind (LIB 26.03.2019, S. 103). Mazar-e Sharif ist jedoch grundsätzlich auf dem Straßenweg mittels Bus erreichbar, eine Fahrt kostet zwischen 400 und 1.000 Afghani (LIB 26.03.2019, S.258). In Mazar-e Sharif gibt es zudem einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist (LIB 26.03.2019, S. 103 und 261).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften. Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 103 f.). Im Herbst 2018 wurde im Norden Afghanistans - darunter u.a. in der Provinz Balkh - eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden registriert; Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit (LIB 26.03.2019, S. 36).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer (LIB 26.03.2019, S. 104).

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB 26.03.2019, S. 105).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien 30.08.2018, Seite 35) ausgesetzt.

Zur Provinz Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (LIB 26.03.2019, S. 139). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler, etwa 10 km außerhalb von Herat-Stadt (LIB 26.03.2019, S. 261), und ein militärischer in Shindand (LIB 26.03.2019, S. 139). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken. Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (LIB 26.03.2019, S.139).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen Afghanistans gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (LIB 26.03.2019, S. 140); die Sicherheitslage in der Provinz Shindand ist vergleichsweise schlecht (LIB 26.03.2019, S. 139). Es gibt interne Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (LIB 26.03.2019, S. 142).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 26.03.2019, S. 140).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 26.03.2019, S. 140 f.).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB 26.03.2019, S. 141). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) zählt Herat neben den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar und Uruzgan zu den Provinzen Afghanistans, in welchen bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen stattfanden (LIB 26.03.2019, S. 16).

Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren in der Provinz Herat (mit Stand 19.03.2019) die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi von der Zerstörung und Beschädigung von Häusern infolge starker Regenfällen betroffen. Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der Herat (und die Provinz Badghis) am meisten betroffen war und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren) sie es weiterhin sind. In den beiden Provinzen wurden am 13.09.2018 ca. 266.000 IDPs (afghanische Binnenflüchtlinge) vertrieben; davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (LIB 26.03.2019, S. 12).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien, 30.08.2018, Seite 35) ausgesetzt.

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken (LIB 26.03.2019, S. 314). Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist somit die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (LIB 26.03.2019, S. 319). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten, wo diese mehrheitlich gesprochen werden, eingeräumt (LIB 26.03.2019, S. 315).

Paschtunen

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari (CSR 12.1.2015). Die Pashtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze (USDOS 20.4.2018). Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert. Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (LIB 26.03.2019, S. 304 f.).

Wirtschaft:

Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Dennoch ist das Land weiterhin arm und von Hilfeleistungen abhängig. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 26.03.2019, S. 353). Mehr als 60% der afghanischen Arbeitskräfte arbeiten im Landwirtschaftssektor, dieser stagniert. Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. 55% der afghanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans ist nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 26.03.2019, S. 354, UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, S. 19, 20).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus dem Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus den an Afghanistan angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (LIB 26.03.2019, S. 366).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 26.03.2019, S. 367 f.)

Die Organisationen IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden. Die internationale Organisation für Migration IOM bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an. Das Norwegian Refugee Council (NRC) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die Afghanistan Independent Human Rights Commission. Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (LIB 26.03.2019, S. 369 f.). Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten Rückkehr/innen Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (LIB 26.03.2019, S. 370).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile ‚universell' geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 26.03.2019, S. 370 f.).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 26.03.2019, S. 371).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 26.03.2019, S. 370 f.).

1.2.2. Auszug aus den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender (vgl. S. 124 f. der UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018; zur Zwangsrekrutierung vgl. S. 59 ff.):

"[...] UNHCR ist der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, der massiven Flüchtlingsströme und der internen Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig.

...

A. Risikoprofile

3. Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung

Berichten zufolge werden Fälle der Zwangsrekrutierung von Kindern zu einem großen Teil unzureichend erfasst. Jedoch geht aus Berichten hervor, dass die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern durch alle Konfliktparteien für Unterstützungs- und Kampfhandlungen im ganzen Land beobachtet werden.

a) Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs)

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden.

Regierungsfeindliche Kräfte rekrutieren, so wird berichtet, weiterhin Kinder, um sie für Selbstmordanschläge, als menschliche Schutzschilde oder für die Beteiligung an aktiven Kampfeinsätzen zu verwenden, um Sprengsätze zu legen, Waffen und Uniformen zu schmuggeln sowie als Spione, Wachposten oder Späher für die Aufklärung.

b) Zwangsrekrutierung und Rekrutierung Minderjähriger durch regierungsnahe Kräfte

Trotz der Bemühungen der Regierung, die Rekrutierung Minderjähriger zu unterbinden, werden Kinder Berichten zufolge weiterhin durch die ANDSF, vor allem die ANP und die ALP, sowie durch regierungsnahe Milizen für militärische Zwecke angeworben. Im Januar 2011 unterzeichneten die Vereinten Nationen und die Regierung einen Aktionsplan für die Verhinderung der Rekrutierung Minderjähriger. Im Juli 2014 legte die Regierung ein Konzept für die Umsetzung des Aktionsplans fest. Im Februar 2015 stimmte Präsident Ghani einem von Parlament und Senat 2014 beschlossenen Gesetz zu, das die Rekrutierung Minderjähriger durch die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) unter Strafe stellt. Das neue Strafgesetzbuch, das am 15. Februar 2018 in Kraft trat, enthält Bestimmungen, die die Rekrutierung und die Verwendung von Kindern durch die Streitkräfte verbietet und unter Strafe stellt. Doch trotz der Bemühungen der Regierung, die Rekrutierung von Minderjährigen auszumerzen, bleiben Berichten zufolge Herausforderungen bestehen, etwa nichtstandardisierte Anwerbungsprozesse, ineffiziente Altersüberprüfung und mangelnde Rechenschaftspflicht für die Anwerbung von Minderjährigen. Im August 2017 stellte der Generalsekretär der Vereinten Nationen fest, dass es zwar Fortschritte im Hinblick auf eine Stärkung der Verfahren zur Altersbestimmung gegeben habe, doch bereiteten das Fehlen entsprechender Verfahren für die Rekrutierung in die ALP sowie die fortgesetzte Inanspruchnahme von regierungsnahen Milizen, bei denen weiterhin keine Aufsichtsmechanismen für die Rekrutierung erkennbar seien, weiterhin Sorge.

Es wurde außerdem berichtet, dass regierungsnahe bewaffnete Gruppen Familien zwingen, junge Männer für den Kampf gegen Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) bereitzustellen.

..."

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen konnten auf Basis der Niederschrift über die Erstbefragung des Beschwerdeführers, der Niederschrift über seine weitere Einvernahme durch die belangte Behörde, des Gutachtens über die Altersfeststellung, des Beschwerdevorbringens, der mündlichen Verhandlung, der Länderberichte zur Lage in Afghanistan, der dazu erstatteten Stellungnahme des Beschwerdeführers und der von ihm vorgelegten Unterlagen getroffen werden:

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu Namensführung, Staatsangehörigkeit, Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit sowie Muttersprache des Beschwerdeführers basieren auf den diesbezüglich gleichbleibenden und glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers im Verlauf des Verfahrens.

Auch die Feststellungen über den Geburtsort des Beschwerdeführers in Afghanistan und seinen anschließenden Aufenthalt dort bis zu seiner Ausreise stützen sich auf die Aussagen des Beschwerdeführers im Asylverfahren und in der mündlichen Verhandlung.

Das vom Beschwerdeführer im Asylverfahren angegebene Alter von 16 Jahren zum Zeitpunkt der Antragstellung war hingegen mit dem Ergebnis der multifaktoriellen Altersfeststellung nicht in Einklang zu bringen. Im medizinischen Sachverständigengutachten vom 24.06.2016 wurde ein Mindestalter zum Untersuchungszeitpunkt (19.05.2016) von 18,1 Jahren festgestellt. Das BFA ging darauf gestützt von einem spätest möglichen "fiktiven Geburtsdatum" des Beschwerdeführers am XXXX aus. Dem nachvollziehbaren und schlüssigen Sachverständigengutachten trat der Beschwerdeführer weder substantiiert noch auf derselben fachlichen Ebene entgegen, weshalb das Geburtsdatum XXXX festzustellen war.

Das Datum der Asylantragstellung basiert auf dem Inhalt des Verwaltungsaktes.

2.2. Zu den Fluchtgründen und einer allfälligen Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers:

2.2.1. Das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen bzw. zur Furcht vor Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan ergibt sich insbesondere aus seinen Angaben bei der Erstbefragung und bei der Einvernahme vor dem BFA, aus dem Beschwerdeschriftsatz sowie aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Der Beschwerdeführer behauptete zusammengefasst, dass Taliban wiederholt in sein Elternhaus gekommen seien, um den Beschwerdeführer für den Kampf im Jihad zu gewinnen; ihm sei (jeweils) Bedenkzeit für eine Entscheidung eingeräumt worden. Zuletzt sei er von Taliban mitgenommen, geschlagen und einem ihrer Kommandanten vorgeführt worden. Dieser habe ihm eine letzte Entscheidungsfrist gesetzt und dann freigelassen.

Weiters erwähnte er bei der Einvernahme vor dem BFA eine Grundstücksstreitigkeit zwischen seinem Vater und einem Dorfbewohner, machte diesbezüglich im Verlauf des Verfahrens aber keine davon ausgehende Verfolgungsgefahr geltend (vgl. S. 20 der Verhandlungsschrift), weshalb eine weitere Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen unterbleibt.

In der Beschwerde wurde zudem vorgebracht, dass Rückkehrern aus Europa besonderes Misstrauen entgegengebracht werde, weil davon ausgegangen werde, dass sie in Europa kriminell geworden seien und daher von der Gesellschaft als andersartig bzw. als Verräter angesehen würden.

Festzuhalten ist, dass die geltend gemachten Verfolgungsgründe nicht bewiesen worden sind. Daher ist zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, auf die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen.

Im Hinblick auf die zum Zeitpunkt der Ausreise aus Afghanistan und der Antragstellung in Österreich noch bestehende Minderjährigkeit des Beschwerdeführers ist zunächst auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach es zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Minderjährigen einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung bedarf (vgl. VwGH 24.09.2014, Ra 2014/19/0020 mwN; 23.02.2016, Ra 2015/20/0161).

Im vorliegenden Fall ist demnach im Rahmen der Beweiswürdigung insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich beim Beschwerdeführer im Antragszeitpunkt und zum Zeitpunkt der Erstbefragung um einen Minderjährigen im Alter von ca. 17 Jahren gehandelt hat. Zum Zeitpunkt der Einvernahme vor dem BFA und der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht war der Beschwerdeführer bereits volljährig. Im vorliegenden Fall wurden die vorgebrachten Fluchtgründe des Beschwerdeführers insbesondere unter dem Aspekt seines Alters zum Zeitpunkt der fluchtauslösenden Ereignisse (ca. 17 Jahre) vom Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt.

2.2.2. Dennoch vermochte der Beschwerdeführer nach ausführlicher Einvernahme in der mündlichen Verhandlung eine Verfolgung im Sinne der GFK nicht glaubhaft darzulegen. Dies aus folgenden Gründen:

Vorauszuschicken ist, dass das Fluchtvorbringen insoweit einen realen Hintergrund aufweist, als der Berichtslage zufolge Mitglieder der Taliban in der Provinz Zabul aktiv sind und (generell) Zwangsrekrutierungen von jungen Männern durch regierungsfeindliche Gruppierungen bekannt sind. Dies vermag jedoch die - vorliegend nicht gelungene - Glaubhaftmachung einer individuellen und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bestehenden Verfolgungsgefahr nicht zu ersetzen.

Ein krasser Widerspruch trat bereits im Kernvorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Anzahl der Besuche der Taliban im Haus seiner Eltern auf. Während der Beschwerdeführer bei der Schilderung seines Fluchtgrundes vor dem BFA darüber berichtete, dass die Taliban zweimal zu ihm nach Hause gekommen seien, ihn unter Einräumung einer Bedenkzeit zur Zusammenarbeit aufgefordert und schließlich beim dritten Besuch gegen seinen Willen mitgenommen, geschlagen, ihrem Kommandanten vorgeführt und eine letztmalige Entscheidungsfrist gegeben hätten (S. 8 der Niederschrift), beantwortete der Beschwerdeführer in der Verhandlung die Frage, wie oft die Taliban insgesamt bei ihm zu Hause waren, wie folgt:

"Zweimal, beim ersten Mal gab es eine Warnung und beim zweiten Mal wurde ich schon mitgenommen" (S. 15 der Verhandlungsschrift). Mit seinem früheren Vorbringen vom Gericht konfrontiert, entgegnete der Beschwerdeführer, dass die Taliban beim dritten Mal in sein Elternhaus gekommen seien, als er Afghanistan schon verlassen habe. Dieses - im Übrigen erstmalig geäußerte - Vorbringen vermag den aufgezeigten Widerspruch jedoch nicht aufzulösen, zumal der Beschwerdeführer beim BFA unzweifelhaft drei Besuche (zwei Warnungen, eine Entführung) vor seiner Ausreise schilderte.

Unabhängig davon erscheint das vom Beschwerdeführer geschilderte Vorgehen der Taliban mit Blick auf dessen Reaktion auf die Aufforderung zur Zusammenarbeit keinesfalls nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer brachte beim BFA vor, dass er bereits beim ersten Besuch der Taliban eine Zusammenarbeit abgelehnt habe (S. 8 der Niederschrift). Zu welchem Zweck seitens der Taliban eine Bedenkzeit für eine Entscheidung eingeräumt werden sollte, wenn der Beschwerdeführer bereits seine (ablehnende) Entscheidung zum Ausdruck gebracht hat, erschließt sich dem Bundesverwaltungsgericht nicht. Auch im Zuge der Verhandlung brachte der Beschwerdeführer vor, dass der Kommandant der Taliban anlässlich der Entführung des Beschwerdeführers von diesem verlangt habe, er solle sich ihnen anschließen. Der Beschwerdeführer habe jedoch erneut abgelehnt. Dem Beschwerdeführer sei dennoch eine Frist von 15 Tagen für eine Entscheidung gegeben worden (S. 14 der Verhandlungsschrift). Darauf angesprochen, erklärte der Beschwerdeführer in der Verhandlung, dass die Taliban immer so vorgehen würden. Beim ersten Mal würden sie keinen Druck machen und ohne Gewalt agieren. Die Taliban würden nämlich nicht wollen, dass ihnen vorgeworfen werde, sie seien gewalttätig. Abgesehen davon, dass es äußerst befremdlich erscheint, wenn der Beschwerdeführer einer Gruppierung, die zahlreiche blutige Anschläge in ganz Afghanistan für sich reklamiert, zusinnt, auf ihren guten Ruf bedacht zu sein, ergibt es auch unter der Annahme einer gewissen Ausdauer der Taliban bei Rekrutierungsversuchen keinen Sinn, jemandem eine Bedenkzeit einzuräumen, der seine Entscheidung bereits (mehrfach) kundgetan hat. Vielmehr wäre in diesem Fall entweder zu erwarten, dass die Taliban entweder von ihrer Absicht Abstand nehmen oder aber den Betroffenen für seine bereits nachhaltig zum Ausdruck gebrachte Weigerung bestrafen würden.

Eine weitere Unstimmigkeit ergab sich bei der Schilderung der Entführung des Beschwerdeführers. Während der Beschwerdeführer beim BFA angab, dass er nahe seines Hauses bei einem Hügel geschlagen worden sei (S. 10 der Niederschrift), führte er bei der Verhandlung aus, dass er von den Taliban mit dem Motorrad zu einem Hügel gebracht worden sei, wo er dann geschlagen worden sei (S. 17 der Verhandlungsschrift). Unbeschadet dessen, wie weit der vom Beschwerdeführer beschriebene Ort nun von seinem Elternhaus entfernt gewesen sein soll, erscheint für das Gericht jedenfalls nicht nachvollziehbar, warum der Beschwerdeführer zuerst an einen Ort gebracht werden sollte, wo er geschlagen wird, um erst dann weiter zu jenem Ort gebracht zu werden, wo er angeblich die Nacht verbrachte und den Kommandanten der Taliban traf. Auch der Beschwerdeführer vermochte dieses Vorgehen nicht nachvollziehbar zu erklären.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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