Entscheidungsdatum
06.12.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1Spruch
W222 1436151-3/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. OBREGON als Einzelrichterin über
die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.11.2019, Zl. XXXX zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 AVG, § 57 AsylG, 10 Abs. 1 BFA-VG iVm § 52 Abs. 2 FPG, § 52 Abs. 9 FPG iVm § 46 FPG sowie § 55 Abs. 1a FPG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I.Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte am 11.04.2013 den ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Dazu wurde er am 12.04.2013 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen. Zum Fluchtgrund befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er ein Mädchen hätte heiraten wollen, die Eltern dieses Mädchens aber nicht damit einverstanden gewesen seien da beide aus unterschiedlichen Kasten stammen würden. Sie seien mehrmals von den Familienangehörigen mit dem Umbringen bedroht worden. Seine Freundin sei dann von ihrer eigenen Familie ermordet worden. Aus Angst um sein Leben habe er Indien verlassen. Die Familie seiner ermordeten Freundin sei sehr einflussreich gewesen und hätte gute Kontakt zur Polizei gehabt.
Am 24.05.2013 ist der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt, Außenstelle Wien, einvernommen worden.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 27.05.2013, Zahl: XXXX , den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ab und erkannte dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten nicht zu (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien nicht zu (Spruchpunkt II.) und wies ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien aus (Spruchpunkt III.).
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 02.09.2013, Zahl: XXXX als verspätet zurückgewiesen.
Am 11.06.2019 stellte der Beschwerdeführer den zweiten Antrag auf internationalen Schutz und wurde dazu am 12.06.2019 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen. Zu seinem Fluchtgrund befragt, gab der Beschwerdeführer an: "Mein Fluchtgrund ist heute selbiger wie 2013 - neue oder andersgelagerte Fluchtgründe habe ich nicht. Ich war damals in ein Mädchen verliebt, welches dem Hinduismus angehörte. Ich bin ein Sikh und daher ist diese Liebe nicht möglich. Ihre Familie war natürlich dagegen. Wir trafen uns und liebten uns aber trotzdem. Aufgrund dessen wurde meine Freundin von ihrer Familie ermordet und ich wurde verletzt - ich konnte aber vor dieser Familie flüchten. Aus diesem Grund musste ich Indien verlassen. Vor ca. 10 Tagen teilte mir ein in Indien lebender Freund telefonisch mit, dass die Familie meiner ermordeten Freundin den Verdacht habe, dass ich mich wieder in Indien befinden könnte. Die Familie griff sogar meine Familie in ihrem Haus tätlich an - es wurde in meinem Elternhaus randaliert und meine Eltern geschlagen. Ich kann nun wieder nicht nach Indien zurück. Ich beschloss daher einen neuen Asylantrag zu stellen. Ich habe alle meine Fluchtgründe genannt. Andere Fluchtgründe habe ich nicht." Der Beschwerdeführer gab weiters an, dass er sich seit April 2013 in Österreich aufhalte. Bei einer Rückkehr befürchte er von der Familie seiner damaligen Freundin getötet zu werde. Er habe Angst um sein Leben. Er habe seit seiner Ankunft in Österreich im Jahr 2013 Österreich nicht mehr verlassen. Er habe seinen Wohnsitz in Wien.
Bei der niederschriftlichen Einvernahme am 27.08.2019 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab der Beschwerdeführer an, dass er keine Medikamente nehme und gesund sei. Er habe hier in Österreich keine Eltern oder Kinder. Seine Freunde würden ihn finanziell helfen. Wegen seiner Probleme könne er nicht mehr zurück nach Indien. Er würde gerne hier einen Deutschkurs besuchen. Wegen seiner Probleme habe sein Freund gesagt, dass er nicht mehr nach Indien kommen solle. Auf die Frage, ob sich im Vergleich zu seinem Erstantrag mittlerweile irgendetwas an seinen Fluchtgründen geändert habe, gab der Beschwerdeführer an: "Wegen meiner Probleme. Meine Eltern wurden geschlagen. Sie sagten, dass ich nicht zurückkommen kann. Daher kann ich zurzeit nicht nach Indien zurück." Auf Aufforderung es ausführlich zu beschreiben, gab der Beschwerdeführer u. a. an: "Es ist so. Mein Freund hat mich angerufen und mir gesagt, das XXXX mit anderen Personen in meinem Elternhaus war, nach mir gefragt hat, meine Eltern geschlagen hat und zu meinen Eltern gesagt hat, dass wenn ich nach Indien zurückkehre, er mich umbringen wird."
XXXX sei der Bruder des Mädchens, in welches er verliebt gewesen sei.
Mit Bescheid vom 06.11.2019, Zahl: XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG erteilt und gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrens-gesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idgF (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF (FPG) erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig sei, wobei gemäß § 55 Abs. 1aFPG keine Frist für eine freiwillige Ausreise bestehe.
Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren dieselben Gründe, die er im ersten Asylverfahren behauptet habe, vorgebracht habe:
"Gefragt wie Sie in den Besitz dieses Zeitungsartikels kamen, behaupteten Sie eingangs, dass eine Person namens XXXX Ihnen dieses per Post geschickt hätte. Darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Beweismittel ohne Zweifel um einen Screenshot, welcher auf einem Smartphone angefertigt wurde, handelt, behaupteten Sie plötzlich "ein Freund", welchen Sie völlig unbeschrieben ließen, hätte es Ihnen gegeben.
Die, zur Einvernahme hinzugezogene Dolmetscherin stellte fest, dass der Artikel in Hindi verfasst ist. Nach dem Inhalt des Artikels befragt, gaben Sie an, dass Sie diesen nicht kennen würden, da Sie des Hindi nicht mächtig sind und Sie diesen daher nicht gelesen haben.
Zusammengefasst bedeutet dies also, dass Sie weder erhellen können wie Sie in den Besitz Ihres Beweismittels gekommen sind, noch was genau damit eigentlich bewiesen werden soll.
In diesem Artikel ist die Rede von einem XXXX , welcher seit 6 Jahren in Australien lebt. Dies wird mehrmals im Artikel gleichlautend erwähnt. Der Vater dieses XXXX gab an, dass sein Sohn vor seiner Ausreise in XXXX gewohnt hätte und dort Probleme mit mafiösen Leuten (sic!) gehabt hätte.
Damit konfrontiert, gaben Sie an, dass Sie niemals in XXXX gewohnt hätten. Sie hätten stets in XXXX gewohnt.
Aufgrund dieses Umstandes, der Inkongruenz des angegebenen Namens mit dem Ihrigen und dem vermeintlichen Aufenthaltsort Australien, kann dieser Artikel Ihnen nicht zweifelsfrei zugeordnet werden, weswegen er nicht vermag Ihr Vorbringen zu untermauern.
Sie halten Ihren Fluchtgrund aus Ihrem Erstverfahren im Jahr 2013 aufrecht und ergänzen, dass nun der Bruder Ihrer ehemaligen Freundin Ihre Eltern geschlagen hätte und gedroht hätte Sie zu töten, sollten Sie nach Indien zurückkehren.
Sie brachten somit keine neuen Fluchtgründe vor, sondern bauten untrennbar auf Ihr früheres, bereits als unwahr erkanntes, Vorbringen auf. Weiter konnten Sie auch diesmal Ihr Vorbringen nicht glaubhaft erscheinen lassen.
Sie behaupteten mehrere Sachverhalte welche Sie von XXXX erfahren hätten und konnten letztlich nicht einmal darstellen wie dieser XXXX , der, Ihrer Aussage nach ebenso wie Sie, keinen Kontakt mit Ihren Eltern hatte, überhaupt in Besitz dieser Informationen gelangt sein kann. Damit sind Gesprächsinhalte, die Einbringung einer Anzeige durch Ihre Eltern und die darauf bezogene Untätigkeit der Polizei gemeint. Auch der Umstand, dass Sie gar nicht erst erfragt hätten, wie diese Person dies alles erfahren hätte, lässt Sie äußerst unglaubwürdig erscheinen.
In Ihrem Erstverfahren behaupteten Sie, dass XXXX Ihr Klassenkollege in der Schule gewesen sei und, dass Sie seine Telefonnummer nicht hätten. Im gegenwärtigen Verfahren konnten Sie nicht einmal die Existenz dieser Person glaubhaft machen. So behaupteten Sie, dass diese Person Sie seit Ihrer Einreise in Österreich alle zwei bis vier Monate anrufen würde. Sie behaupteten, dass er dies täte, weil Sie befreundet seien. Diese Aussage und die Vorangegangene, werden jedoch aufgrund Ihres Unvermögens irgendwelche Details zu dieser Person außer, dass er Landwirt sei und in XXXX lebe, schlicht unglaubhaft.
Kurioserweise konnten Sie nicht einmal glaubhaft machen, tatsächlich in XXXX gewohnt zu haben. Sie konnten nur einen Stadtteil, in welchem Sie angeblich gewohnt haben, benennen. Sie gaben einen Schulnamen an, welcher nicht gefunden werden konnte, Sie konnten Ihren Schulweg nicht beschreiben, Sie konnten den Straßennamen Ihrer Heimatadresse nicht angeben und konnten kein einziges öffentliches oder religiöses Gebäude in der Nähe Ihrer Wohnadresse im Heimatland namentlich benennen.
Sie haben zirka 25 Jahre, Ihrer Aussage nach, in XXXX gelebt. Es widerspricht jeglicher Lebensrealität, dass Sie, bei Wahrunterstellung, nicht fähig waren diese Fragen zu beantworten, was letztlich Ihre persönliche Glaubwürdigkeit weiter massiv schädigt.
Es wird besonders betont, dass dies Ihr erster Folgeantrag seit Abschluss Ihres Erstverfahrens im Jahr 2013 ist. Alleine der Fakt, dass Sie in den letzten 6 Jahren, niemals versuchten einen Folgeantrag zu stellen oder Ihr Erstvorbringen erneut glaubhaft zu machen, lässt die Wahrhaftigkeit Ihres Vorbringens nahezu denkunmöglich erscheinen.
Zusammenfassend brachten Sie keine neuen, entscheidungsrelevanten Sachverhalte vor und untergruben mehrfach Ihre eigene Glaubwürdigkeit indem Sie es nicht vermochten zentrale Angaben Ihrerseits (Existenz der Person " XXXX "; vor Ausreise in XXXX wohnhaft) glaubhaft zu machen.
Es liegt weiterhin der Umstand der entschiedenen Sache vor. Im nunmehrigen Asylantrag haben Sie offenbar die wiederholte Aufrollung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt. Die vorgebrachten Gründe, warum es Ihnen nun nicht mehr möglich wäre, in Ihr Herkunftsland zurückzukehren, sind somit nicht geeignet, eine neue, inhaltliche Entscheidung der Behörde zu bewirken und kann darin kein neuer, entscheidungsrelevanter asyl- bzw. refoulementrelevanter Sachverhalt festgestellt werden. Werden nur Nebenumstände modifiziert, so wie in diesem Fall, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, so ändert dies nichts an der Identität der Sache. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl, zB VwGH 27.9.2000, 98/12/0057).
Was die weiteren und gemäß §8 AsylG 2005 berücksichtigungswürdigen Aspekte betrifft, ist anzumerken, dass sich im gegenständlichen Verfahren ebenso kein Hinweis auf einen seit Rechtskraft Ihres Erstverfahrens entscheidungsrelevant geänderten Sachverhalt ergeben hat, weder im Hinblick auf Ihre persönliche Situation, noch im Hinblick auf die allgemeine Lage in Ihrem Heimatland.
Die Antragsstellung soll demnach offenbar die Überprüfung eines bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens und die Legalisierung Ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet bewirken. Das Bundesamt gelangt im Ergebnis zur Ansicht, dass ein neuer Sachverhalt, welcher im gegenständlichen Fall eine anders lautende Entscheidung in der Sache rechtfertigen würde, nicht vorliegt."
Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger Indiens. Der Beschwerdeführer hat bereits einmal in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Dieser Antrag wurde im Mai 2013 durch das Bundesasylamt rechtskräftig abgewiesen und mit einer Rückkehrentscheidung bezogen auf den Herkunftsstaat verbunden. Das Vorbringen des Beschwerdeführers wurde dabei als nicht glaubhaft beurteilt. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 02.09.2013 als verspätet zurückgewiesen. Der Beschwerdeführer bringt im gegenständlichen Verfahren im Kern die gleichen Asylgründe vor, wie in seinem ersten Verfahren. Er erweitert diese lediglich um die Behauptung, dass die Familie seiner ermordeten Freundin seine Eltern geschlagen und ihnen gedroht hätten den Beschwerdeführer falls er nach Indien zurückkehre zu töten. Dieser neuen Behauptung kann kein glaubhafter Kern attestiert werden.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten oder sonstige Personen, zu denen eine besonders enge Beziehung bestehen würde, hingegen halten sich seine Eltern, Onkeln, Tanten und Cousins in Indien auf. Er spricht nicht Deutsch und ist in keiner Form substanziell integriert. Der Beschwerdeführer ist seiner Verpflichtung zur Ausreise nicht nachgekommen, sondern hat einen zweiten Asylantrag gestellt.
Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Indien wird Folgendes festgestellt:
Politische Lage
Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 23.1.2019; vgl. AA 18.9.2018). Die Zentralregierung hat im indischen Föderalsystem deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten. Indien verfügt über 29 Bundesstaaten und sechs Unionsterritorien (AA 11.2018a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 20.4.2018). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 11.2018a).
Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 18.9.2018), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 11.2018a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 18.9.2018). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 3.2018a). Die Pressefreiheit ist von der Verfassung verbürgt, jedoch immer wieder Anfechtungen ausgesetzt (AA 9.2018a). Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 11.2018a).
Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 20.4.2018). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 18.9.2018).
Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 20.4.2018). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2017 ist Präsident Ram Nath Kovind indisches Staatsoberhaupt (AA 11.2018a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 3.2018a).
Wahlen zum Unterhaus finden nach einfachem Mehrheitswahlrecht ("first-past-the-post") alle fünf Jahre statt, zuletzt im April/Mai 2014 mit knapp 830 Millionen Wahlberechtigten (AA 18.9.2018). Dabei standen sich drei große Parteienbündnisse gegenüber: Die United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der Bharatiya Janata Party (BJP - Indische Volkspartei) und die so genannte Dritte Front, die aus elf Regional- und Linksparteien besteht sowie die aus einem Teil der India-Against-Corruption-Bewegung hervorgegangene Aam Aadmi Party (AAP) (GIZ 3.2018a; vgl. FAZ 16.5.2014). Abgesehen von kleineren Störungen, verliefen die Wahlen korrekt und frei (AA 18.9.2018). Als deutlicher Sieger mit 336 von 543 Sitzen löste das Parteienbündnis "National Democratic Alliance" (NDA) mit der "Bharatiya Janata Party" (BJP) als stärkste Partei (282 Sitze) die Kongress-Partei an der Regierung ab (AA 18.9.2018). Die BJP holte sie nicht nur die absolute Mehrheit, sie ließ auch den bislang regierenden Indian National Congress (INC) weit hinter sich. Der INC kam nur noch auf 46 Sitze und erlitt die schlimmste Niederlage seit der Staatsgründung 1947. Wie es mit dem INC mit oder ohne die Familie Gandhi weitergeht, wird abzuwarten sein. Die Gewinne der Wahlen im Punjab, Goa und Manipur sowie das relativ gute Abschneiden in Gujarat sind jedenfalls Hoffnungsschimmer, dass die Zeit der Kongresspartei noch nicht vorbei ist (GIZ 13.2018a). Die Anti-Korruptionspartei (AAP), die 2013 bei der Wahl in Delhi 28 von 70 Sitzen erringen konnte, errang 2014 landesweit nur vier Sitze (GIZ 3.2018; vgl. FAZ 16.5.2014). Der BJP-Spitzenkandidat, der bisherige Ministerpräsident von Gujarat, Narendra Modi, wurde zum Premierminister gewählt und steht seither einem 26-köpfigen Kabinett (mit zusätzlichen 37 Staatsministern) vor (AA 18.9.2018).
In Indien wird im Zeitraum zwischen April und Mai 2019 wiedergewählt. Der genaue Zeitplan ist jedoch noch unklar. In den Umfragen liegt der hindu-nationalistische Premier Narendra Modi mit seiner BJP vorne (DS 1.1.2019).
Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 3.2018b).
Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktive Außenpolitik. Der außenpolitische Kernansatz der "strategischen Autonomie" wird zunehmend durch eine Politik "multipler Partnerschaften" ergänzt. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und als aufstrebende Gestaltungsmacht die zunehmende verantwortliche Mitgestaltung regelbasierter internationaler Ordnung (AA 11.2018b). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 3.2018a). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an, wobei nicht zuletzt Alternativkonzepte zur einseitig sino-zentrisch konzipierten "Neuen Seidenstraße" eine wichtige Rolle spielen. In der Region Südasien setzt Indien zudem zunehmend auf die Regionalorganisation BIMSTEC (Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation). Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft und Mitglied im "Regional Forum" (ARF). Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. Die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) hat Indien und Pakistan 2017 als Vollmitglieder aufgenommen. Der Gestaltungswille der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) schien zuletzt abzunehmen (AA 11.2018b).
In den Beziehungen zum gleichfalls nuklear gerüsteten Nachbarn Pakistan haben sich in den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit wiederholt Phasen des Dialogs und der Spannungen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzung abgelöst. Größtes Hindernis für eine Verbesserung der Beziehungen ist weiterhin das Kaschmir-Problem (AA 11.2018b).
Indien ist durch das Nuklearabkommen mit den USA ein Durchbruch gelungen. Obwohl es sich bis heute weigert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, bedeutet das Abkommen Zugang zu Nukleartechnologie. Ebenfalls positiv hat sich das Verhältnis Indiens zu China entwickelt. Zwar sind die strittigen Grenzfragen noch nicht geklärt, aber es wurden vertrauensbildende Maßnahmen vereinbart, um zumindest in dieser Frage keinen Konflikt mehr herauf zu beschwören. Auch ist man an einer weiteren Steigerung des bilateralen Handels interessiert, der sich binnen eines Jahrzehnts mehr als verzehnfacht hat (GIZ 3.2018a).
Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 3.2018a).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
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AA - Auswärtiges Amt (11.2018a): Indien, Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206048, Zugriff 23.1.2019
-
AA - Auswärtiges Amt (11.2018b): Indien, Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206046, Zugriff 23.1.2019
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CIA - Central Intelligence Agency (15.1.2019): The World Factbook
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India,
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 23.1.2019
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DS - Der Standard (1.1.2019): Was 2019 außenpolitisch bringt. Die US-Demokraten übernehmen die Mehrheit im Repräsentantenhaus, Großbritannien plant den Brexit - und in Indien, der größten Demokratie der Welt, sind Wahlen, https://www.derstandard.de/story/2000094950433/was-2019-aussenpolitisch-bringt, Zugriff 28.1.2019
-
FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.5.2014): Modi ist Mann der Stunde,
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fruehaufsteher/wahlentscheid-in-indien-modi-ist-der-mann-der-stunde-12941572.html, Zugriff 11.10.2018
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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2018a): Indien, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 23.1.2019
-
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmBH (3.2018b): Indien, Wirtschaftssystem und Wirtschaftspolitik, https://www.liportal.de/indien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 23.1.2019
-
USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018
A) Sicherheitslage
Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven, die sich oft in kommunal begrenzten Ausschreitungen entladen (GIZ 3.2018a). Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 in Mumbai, September 2011 in New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 in Chennai und Dezember 2014 in Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Aber auch im Rest des Landes gab es Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des "Islamischen Staates" (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017).
Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 3.2018a). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 18.9.2018).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 898 Todesopfer durch terrorismus-relevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 803 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 wurden 935 Menschen durch Terrorakte getötet. Bis zum 13.1.2019 wurden 12 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 13.1.2019).
Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People's Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie. Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2018).
Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 18.9.2018).
Pakistan und Indien
Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (AA 11.2018b). Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BBC 23.1.2018).
Nach dem friedlichen Unabhängigkeitskampf gegen die britische Kolonialherrschaft zeigte bereits die blutige Teilung Britisch-Indiens, die mit einer Massenflucht, schweren Gewaltausbrüchen und Pogromen einherging, wie schwierig es sein wird, die ethnisch, religiös, sprachlich und sozioökonomisch extrem heterogene Gesellschaft in einem Nationalstaat zusammenzuhalten. Die inter-religiöse Gewalt setzte sich auch nach der Teilung zwischen Indien und Pakistan fort (BPB 12.12.2017).
Indien wirft Pakistan vor, Infiltrationen von Terroristen auf indisches Staatsgebiet zumindest zu dulden, wenn nicht zu befördern. Größere Terroranschläge in Indien in den Jahren 2001 und 2008 und ein terroristischer Angriff auf eine Militärbasis im indischen Teil Kaschmirs im September 2016 hatten die Spannungen in den bilateralen Beziehungen erheblich verschärft. Gemäß Regierungserklärung reagierte Indien auf den Anschlag, bei dem 18 indische Soldaten ums Leben kamen, mit einer begrenzten Militäroperation ("surgical strike") im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs, die sich nach indischen Angaben gegen eine bevorstehende terroristische Infiltration richtete. Immer wieder kommt es zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir. Indien sieht Pakistan in der Verantwortung für die terroristischen Bedrohungen an seiner Nordwestgrenze und erhöht den Druck auf den Nachbarn, um wirksame pakistanische Maßnahmen gegen den Terrorismus zu erreichen (AA 11.2018b).
Der von 2014-2015 Hoffnung gebende Dialogprozess zwischen beiden Seiten ist 2016 zum Stillstand gekommen. Aktuell sind die Beziehungen auf sehr niedrigem Niveau stabil (AA 11.2018b).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien
-
AA - Auswärtiges Amt (11.2018b): Indien, Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206046, Zugriff 23.1.2019
-
BBC - British Broadcasting Corporation (23.1.2018): India country profile - Overview,
http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 29.1.2019
-
BPB - Bundeszentrale für Politische Bildung (12.12.2017):
Innerstaatliche Konflikte - Indien, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/215390/indien, Zugriff 23.10.2018
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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2018a): Indien, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 11.10.2018
-
ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018):
Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion
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SATP - South Asia Terrorism Portal (13.1.2019): Data Sheet - India Fatalities: 1994-2019,
http://www.satp.org/satporgtp/countries/india/database/indiafatalities.htm, Zugriff 23.1.2019
Punjab
Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.).
Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 12.2018).
Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Im Mai 2007 wurden dem indischen Geheimdienst Pläne des pakistanischen Geheimdienstes, Inter-Services-Intelligence (ISI) bekannt, welcher gemeinsam mit der in Indien verbotenen Sikh-Gruppierung Babbar Khalasa International (BKI) und anderen militanten Sikh- Gruppierungen Anschläge auf Städte im Punjab (Jalandhar, Ludhiana, Pathankot) beabsichtigten. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 12.2018). In Jammu und Kaschmir, im Punjab und in Manipur haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 20.4.2018; vgl. BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen insbesondere der Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 12.2018).
Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich 200-300 Beschwerden über Menschenrechtsverletzung und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind Unterkastige oder Kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 12.2018).
Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in den nördlichen Bundesstaaten Haryana und Punjab weiterhin ein Problem dar (USDOS 20.4.2018).
Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. Die Sikhs, 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, stellen dort einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 10.2017).
In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 10.2017).
Quellen:
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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1394309.html, Zugriff 6.11.2018
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BBC - British Broadcasting Corporation (20.10.2015): Why are Indian Sikhs angry?,
http://www.bbc.com/news/world-asia-india-34578463, Zugriff 18.10.2018
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MoHA - Government of India, Ministry of Home Affairs, Office of the Registrar General & Census Commissioner, India (o.D.): C-1 Population By Religious Community, http://www.censusindia.gov.in/2011census/C-01.html, Zugriff 18.10.2018
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ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018):
Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion
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USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018
USDOS - US Department of State (29.5.2018): 2015 Report on International Religious Freedom - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436757.html, Zugriff 23.10.2018
B) Rechtsschutz/Justizwesen
In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig überlange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 18.9.2018). Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Vorurteile z.B. gegenüber Angehörigen niederer Kasten oder Indigenen dürften zudem eine nicht unerhebliche Rolle spielen (AA 18.9.2018).
Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 27.1.2018). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberstes Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 12.2018).
Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet und verfügt nicht über moderne Systeme zur Fallbearbeitung. Der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums für 2015 bis 2016 ergab eine Vakanz von 43 Prozent der Richterstellen an den Obergerichten (USDOS 20.4.2018). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 18.9.2018).
Insbesondere auf unteren Ebenen der Justiz ist Korruption weit verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als es der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 27.1.2018). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei von Todstrafe bedrohten Delikten soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70 Prozent aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 18.9.2018).
In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 18.9.2018).
Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Diese Fristen werden regelmäßig überschritten. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit ("National Security Act", 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit ("Jammu and Kashmir Public Safety Act", 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem Jahr ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt. (AA 18.9.2018).
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischen Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es gibt Fälle, in denen Häftlinge misshandelt werden. Ein im Mai 2016 von der renommierten National Law University Delhi veröffentlichter empirischer Bericht zur Situation der Todesstrafe in Indien zeichnet ein düsteres Bild des indischen Strafjustizsystems. So haben bspw. 80 Prozent aller Todeskandidaten angegeben, in Haft gefoltert worden zu sein. Nach glaubwürdigen, vertraulichen Schätzungen des IKRK Internationales Komitee des Roten Kreuz) kommt es weiterhin zu systematischer Folter in den Verhörzentren in Jammu und Kaschmir (AA 18.9.2018).
Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des "Unlawful Activities (Prevention) Amendment Bill", und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen. Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt (USDOS 20.4.2018). Gerichte sind verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht schuldig zu bekennen (USDOS 20.4.2018).
Gerichtliche Ladungen in strafrechtlichen Angelegenheiten sind im Criminal Procedure Code 1973 (CrPC, Chapter 4, §§61-69), in zivilrechtlichen Angelegenheiten im Code of Civil Procedure 1908/2002 geregelt. Jede Ladung muss schriftlich, in zweifacher Ausführung ausgestellt sein, vom vorsitzenden Richter unterfertigt und mit Gerichtssiegel versehen sein.
Ladungen werden gemäß CrPC prinzipiell durch einen Polizeibeamten oder durch einen Gerichtsbeamten an den Betroffenen persönlich zugestellt. Dieser hat den Erhalt zu bestätigen. In Abwesenheit kann die Ladung an ein erwachsenes männliches Mitglied der Familie übergeben werden, welches den Erhalt bestätigt. Falls die Ladung nicht zugestellt werden kann, wird eine Kopie der Ladung an die Residenz des Geladenen sichtbar angebracht. Danach entscheidet das Gericht, ob die Ladung rechtmäßig erfolgt ist, oder ob eine neue Ladung erfolgen wird. Eine Kopie der Ladung kann zusätzlich per Post an die Heim- oder Arbeitsadresse des Betroffenen eingeschrieben geschickt werden. Falls dem Gericht bekannt wird, dass der Betroffene die Annahme der Ladung verweigert hat, gilt die Ladung dennoch als zugestellt. Gemäß Code of Civil Procedure kann die Ladung des Gerichtes auch über ein gerichtlich genehmigtes Kurierservice erfolgen (ÖB 12.2018).
Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - was besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten betrifft (FH 27.1.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
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FH - Freedom House (27.1.2018): Freedom in the World 2018 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1142635.html, Zugriff 22.10.2018
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ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018):
Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion
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USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018
C) Sicherheitsbehörden
Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 12.2018) und untersteht den Bundesstaaten (AA 18.9.2018). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Gehe