TE Bvwg Beschluss 2019/12/13 W182 1262969-2

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Veröffentlicht am 13.12.2019
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Entscheidungsdatum

13.12.2019

Norm

AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W182 1262969-2/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.08.2019, Zl. 742266104/190433529, zu Recht erkannt:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, behoben und die Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Für den aktuell XXXX -jährigen Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), der Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe ist, wurde am 06.11.2004 im Bundesgebiet ein Asylantrag gestellt.

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 21.08.2007, Zl. 262.969/0/1E-XIV/39/05, wurde dem damals minderjährigen BF gemäß § 7 iVm § 10 Abs. 2 Asylgesetz 1997 (AsylG), BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003, Asyl gewährt und gemäß § 12 leg.cit. festgestellt, dass dem BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Vater des BF Asyl gewährt wurde, weshalb nach § 10 Abs. 2 AsylG auch dem BF als dessen Familienangehörigen im Sinne von § 10 Abs. 1 AsylG der gleiche Schutzumfang zu gewähren war.

2. Mit Urteil eines Landesgerichts vom Jänner 2019 wurde der BF, der im Juni 2018 einer anderen Person durch einen Faustschlag in den Gesichtsbereich und weitere Schläge gegen den Körper eine schwere Verletzung (u.a. Nasenbein- und Sprunggelenksfraktur) zugefügt hat, wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs. 4 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 360 Tagessätzen á € 9,-, wobei ein Teil der Geldstrafe im Ausmaß von 180 Tagessätzen unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt.

3. Anlässlich dieser Verurteilung wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) ein Aberkennungsverfahren eingeleitet, dies dem BF mit Schreiben vom 29.04.2019 mitgeteilt und - unter der Aufforderung diverse Fragen (Fragen im Falle einer Rückkehr, Fragen zur aktuellen Situation in Österreich) zu beantworten - die Möglichkeit eines schriftlichen Parteiengehörs eingeräumt. Letzteres wurde vom BF mit Schreiben vom 29.07.2019 unter Beilage eines Konvolutes an kopierten Dokumenten wahrgenommen. Dem Schreiben war u.a. zu entnehmen, dass der BF seit seinem vierten Lebensjahr in Österreich aufhältig sei, hier die Schule besucht habe und perfekt Deutsch spreche. Er könne kaum seine eigene Muttersprache sprechen, beherrsche das kyrillische Alphabet gar nicht und habe auch keinen Kontakt zu seinen Verwandten im Herkunftsland, die er nie kennengelernt habe. Durch seine Eltern sei ihm nur bekannt, dass eine Großmutter dort wohne. Er sei ledig und kinderlos und arbeite bei einem XXXX und beginne dort mit einer Lehre. Im Falle einer Rückkehr wäre er im Herkunftsland sicher obdachlos, könnte sich dort nicht gut orientieren und wüsste nicht, was er mit seinem Leben dort anfangen könnte.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 21.08.2019 wurde dem BF der ihm mit Erkenntnis vom 21.08.2007 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl I Nr. 100/2005, aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 wurde festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.), und die Frist für seine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VI.).

Zur Person des BF wurde im Wesentlichen festgestellt, dass er russischer Staatsangehöriger sei, der Volksgruppe der Tschetschenen angehöre und muslimischen Glaubens sei. Der ledige und kinderlose BF sei in Tschetschenien geboren, sei arbeitsfähig und leide an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung.

Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF wurde festgestellt:

"Sie haben im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland keine Gefährdungs- bzw. Bedrohungslage eben dort zu befürchten. Eine aktuelle bzw. individuelle Furcht vor Verfolgung in der russischen Föderation konnten Sie nicht glaubhaft machen. Sie können Ihren Lebensunterhalt in der russischen Föderation bestreiten und würden ebendort Arbeitsmöglichkeiten vorfinden."

Zu dem Privat- und Familienleben des BF und seinem Aufenthalt in Österreich wurde festgestellt: "Ihre Familienangehörigen (Ihre Eltern und Ihre Geschwister) sind in Österreich asylberechtigt. Sie leben mit Ihren Familienangehörigen nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Sie sprechen Deutsch. Sie arbeiten seit XXXX beim Unternehmen " XXXX .". Am XXXX werden Sie eben dort eine Lehre als XXXX beginnen. Sie sind strafrechtlich angefallen, wurden wegen schwerer Körperverletzung rechtskräftig verurteilt. Sie reisten illegal ins Bundesgebiet ein."

Weiters wurden Feststellungen zur aktuellen Situation im Herkunftsland getroffen.

Rechtlich stützte das Bundesamt die Aberkennung auf § 7 Abs. 1 Ziffer 2 AsylG 2005 und verwies dabei auf Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention, demzufolge ein Endigungsgrund u.a. dann eingetreten sei, wenn die Umstände, auf Grund deren der Fremde als Flüchtling anerkannt worden sei, nicht mehr bestehen und dieser es daher nicht weiterhin ablehnen könne, sich unter den Schutz seines Heimatlandes zu stellen. Dazu wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es bei einer strafrechtlichen Verurteilung des BF erst gar nicht zur Schutzgewährung gekommen wäre, weshalb konsequenterweise in Fällen, in denen es nach der Gewährung des Schutzes zur Straffälligkeit gekommen sei, ein Berufen auf ein weiter bestehendes Familienverfahren unzulässig sei. Damit seien auch die früher bestehenden Voraussetzungen für eine Schutzgewährung aufgrund eines Familienverfahrens nicht mehr gegeben. Es bestehe nun kein Grund zur Gewährung des Asylstatus, umso mehr als im Verfahren keine Gründe für eine wohlbegründete Furcht aus einem in der GFK genannten Gründe ersichtlich geworden seien. Im Fall des BF sei seinerzeit, als er durch das Familienverfahren den Asylstatus erlangt habe, bereits ebenso kein Grund ersichtlich gewesen, ihm originären Schutz im Sinne des § 3 AsylG zuzuerkennen. Demnach habe seinerzeit die Feststellung zugetroffen, dass er keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK gehabt habe. Aufgrund des Umstandes, dass sich an dieser persönlichen Situation nichts geändert habe, sei dem BF gem. § 7 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten abzuerkennen gewesen.

Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung wurde im Rahmen einer Interessensabwägung konkret ausschließlich die rechtskräftige Verurteilung des BF berücksichtigt, die Dauer seines Aufenthaltes in Österreich, seine private und familiäre Situation bzw. seine Bindung zum Herkunftsstaat hingegen nicht einmal thematisiert.

5. Gegen den Bescheid wurde seitens der Rechtsvertretung des BF binnen offener Frist vollumfänglich Beschwerde erhoben. Darin wurde insbesondere bemängelt, dass es aufgrund des Umstandes, dass der BF im Jahr 2007 den Asylstatus aufgrund der Familieneigenschaft mit seinem Vater erhalten habe, es jedenfalls notwendig gewesen wäre, sich mit dem Asylakt des Vaters zu befassen, zumal die Prüfung einer Gefährdung im Herkunftsstaat aufgrund der Familieneigenschaft zu seinem Vater beim dargelegten Sachverhalt unerlässlich sei. Der BF sei der Meinung, dass sein Leben weiterhin in seiner Heimat in großer Gefahr sei und ihm eine Verfolgung aus einem in der GFK genannten Grund in Russland drohe. Eine asylrelevante Verfolgung beziehe sich auf eine Familie als eine soziale Gruppe bzw. Einheit und sei jedes Familienmitglied von dieser Verfolgung dadurch betroffen. Es könne also nach Meinung des BF nicht davon ausgegangen werden, dass sein Grund für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten weggefallen sei, weshalb eine Aberkennung des Status eines Asylberechtigten nicht rechtmäßig sei. Von Interesse sei in diesem Zusammenhang auch insbesondere der Verbleib der restlichen Familie im Bundesgebiet. Es seien überhaupt keine Ermittlungen geführt worden, was das Familienleben des BF in Österreich anbelange. Auch in diesem Zusammenhang wäre es unerlässlich gewesen, zumindest die Eltern des BF zu befragen. Auch hinsichtlich des Privatlebens des BF seien keine ausreichenden Ermittlungen durchgeführt worden. In der rechtlichen Beurteilung werde im bekämpften Bescheid mit einem Satz die Integration des BF abgetan. Es wurde u.a. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen und Beweiswürdigung:

Der unter Punkt I. ausgeführte Verfahrensgang und Sachverhalt wird den Feststellungen zugrundegelegt.

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich unstrittig aus dem Akteninhalt, insbesondere dem vom Bundesamt herangezogenen und vorgelegten Akt zur im Spruch genannten Zahl sowie der Beschwerdeschrift.

2. Rechtliche Beurteilung:

2.1. Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn (Z 1) der der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder (Z 2) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend wie folgt festgehalten (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063):

"Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f)."

Gemäß § 18. Abs. 1 AsylG haben das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

2.2. Das Bundesamt stützte die Aberkennung des dem BF zuerkannten Status des Asylberechtigten auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist der Status des Asylberechtigten einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist.

Gemäß § 7 Abs. 2 AsylG 2005 ist ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 wahrscheinlich ist.

Gemäß Art. 1 Abschnitt C Z 5 der der Genfer Flüchtlingskonvention wird dieses Abkommen auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr angewendet werden, wenn die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Die Bestimmungen der Ziffer 5 sind nicht auf die in Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels genannten Flüchtlinge anzuwenden, wenn sie die Inanspruchnahme des Schutzes durch ihr Heimatland aus triftigen Gründen, die auf frühere Verfolgungen zurückgehen, ablehnen.

Die Bestimmung des Art. 1 Abschnitt C Ziffer 5 GFK stellt primär auf eine grundlegende Änderung der (objektiven) Umstände im Herkunftsstaat ab, kann jedoch auch die Änderung der in der Person des Flüchtlings gelegenen Umstände umfassen, etwa wenn eine wegen der Mitgliedschaft zu einer bestimmten Religion verfolgte Person nun doch zu der den staatlichen Stellen genehmen Religion übertritt und damit eine gefahrlose Heimkehr möglich ist (vgl Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, § 7 Asyl- und Fremdenrecht, § 7 AsylG, K9).

Die Änderungen im Herkunftsstaat müssen nachhaltig und nicht bloß von vorübergehender Natur sein (VwGH vom 22.4.1999, 98/20/0567; VwGH vom 25.3.1999, 98/20/0475). Nach Einhaltung eines längeren Beobachtungszeitraumes wird auch der bloße "Haltungswandel" des bisherigen Verfolgers, ohne dass ein politischer Machtwechsel stattgefunden hat, eine asylrechtlich maßgebliche Änderung der Umstände ergeben und in Folge Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 5 der Genfer Flüchtlingskonvention zum Tragen kommen (VwGH vom 21.11.2002, 99/20/0171).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichthofes kommt es für die Aberkennung des einem Familienangehörigen im Familienverfahren (bzw. durch Asylerstreckung) zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände darauf an, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson (hier: der Vater des BF) als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es "diese" daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Diese Frage hat die Behörde (bzw. das Verwaltungsgericht) ohne Bindung an eine allfällige diesbezügliche Entscheidung im Verfahren über die Aberkennung des Asylstatus des Familienangehörigen selbstständig zu beurteilen (vgl. VwGH 23.10.2019, Zl. Ra 2019/19/0059-6, Rz 28-29).

2.3. Das Bundesamt hat es im gegenständlichen Fall jedoch gänzlich unterlassen, sich in einer nachvollziehbaren Weise mit den ursprünglichen Fluchtgründen des Vaters auseinanderzusetzen. Weder dem Bescheid noch dem Akteninhalt ist zu entnehmen, aus welchen konkreten Gründen dem Vater des BF der Asylstatus zuerkannt wurde. Besonders erschwerend kommt aber noch weiters hinzu, dass es das Bundesamt unter diesen Umständen zudem auch unterlassen hat, den BF persönlich in einer Einvernahme zu befragen.

Somit ist aber festzustellen, dass das Bundesamt in völlig untauglicher Weise an den Gegenstand des Verfahrens herangetreten ist. Allein schon indem das Bundesamt sich überhaupt nicht mit den Gründen, die für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Vater des BF ausschlaggebend waren, auseinandergesetzt hat, erweisen sich die Ermittlungen dazu als von Anfang an ungeeignet. Unter Zugrundelegung der diesbezüglichen höchstgerichtlichen Judikatur wird im Ergebnis auch eine Anwendung von § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 - wie sich dies bereits anhand des lediglich im untersten Bereich ausgeschöpften Strafausmaßes andeutet - ausscheiden (vgl. dazu etwa VwGH 27.04.2006, Zl. 2003/20/0050; VwGH 29.08.2019, Zl. Ra 2018/19/0522). Anhaltspunkte für einen sonstigen Aberkennungsgrund nach § 7 AsylG 2005 liegen nicht vor.

Angesichts des Ermittlungsstandes kann zudem keinesfalls ausgeschlossen werden, dass bei Vermeidung der genannten Ermittlungsmängel in der Sache ein anderes, für den BF günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können.

2.3. Im gegenständlichen Fall erweist sich daher der angefochtene Bescheid des Bundesamtes und das diesem zugrundeliegende Verfahren in besonders gravierender Weise als mangelhaft. Die entscheidenden Ermittlungshandlungen, welche grundsätzlich von der belangten Behörde durchzuführen sind, wären demnach zur Gänze erstmals durch das Verwaltungsgericht zu tätigen. Die Durchführung einer Verhandlung erscheint unvermeidlich. Die dargetanen Mängel lassen sohin im Ergebnis nur die Feststellung zu, dass das Bundesamt völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt hat, sodass vom Vorliegen besonders gravierender Ermittlungslücken auszugehen ist.

Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten kann sohin auch ausgeschlossen werden, dass zur Behebung der Mängel (lediglich) "ergänzende" Ermittlungen durch das Bundesverwaltungsgericht vorzunehmen wären (vgl. etwa VwGH 15.11.2018, Zl. Ra 2018/19/0268-9).

Der angefochtene Bescheid der belangten Behörde und das diesem zugrunde liegende Verfahren ist im Ergebnis daher so mangelhaft, dass die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde geboten erscheint.

Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Verwaltungsgerichtes gegen eine Kassation des angefochtenen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar. So können keine Anhaltspunkte dafür erkannt werden, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in der Sache im Interesse der Raschheit gelegen wäre. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren. Aus der Aktenlage ergeben sich weiters auch keine Hinweise, wonach die Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Vielmehr ist angesichts der Einrichtung und Ausstattung des Bundesamtes als asyl- und fremdenrechtliche Spezialbehörde vom Gegenteil auszugehen.

Auch vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen und den Effizienzkriterien des § 39 Abs. 2 AVG macht das Bundesverwaltungsgericht von dem ihm in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumten Ermessen Gebrauch.

Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit an das Bundesamt zurückzuverweisen.

Infolge der nachzuholenden Ermittlungstätigkeiten wird das Bundesamt unter Berücksichtigung der zitierten höchstgerichtlichen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu insbesondere VwGH 23.10.2019, Zl. Ra 2019/19/0059-6, Rz 28-29) sich erkennbar mit den Gründen, die für die Zuerkennung des Asylstatus an den Vater des BF ausschlaggebend waren, auseinanderzusetzen und dazu diesen sowie den BF selbst erstmals in einer Einvernahme zu befragen haben. Mit letzterem werden hinsichtlich einer allfälligen Rückehrentscheidung zudem auch seine familiären Verhältnisse in Österreich, seine aus seinem bisherigen inländischen Aufenthalt resultierende Integration sowie seine Bindung zum Herkunftsstaat zu erörtern und anhand der dazu vom EGMR entwickelten Kriterien (vgl. dazu insbesondere EGMR 23.06.2008, Nr. 1638/03, Fall Maslov gegen Österreich; EGMR 22.04.2004, Nr. 42703/98, Fall Radovanovic gegen Österreich) in einer nachvollziehbaren Interessensabwägung zu gewichten sein.

2.4. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 leg. cit. kann eine Verhandlung entfallen, wenn u.a. bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde in der Begründung unter Punkt 2. wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W182.1262969.2.00

Zuletzt aktualisiert am

03.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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