Entscheidungsdatum
17.12.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z4Spruch
W147 2209110-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Kanhäuser als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Wattgasse 48/3. Stock, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 3. Oktober 2018, Zl:
740626308 - 180516176/BMI-BFA_BGLD_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20. Februar 2019 zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis VI. und VIII. wird gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 iVm § 7 Abs. 4 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation sowie § 57 AsylG 2005 BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, und § 46 Fremdenpolizeigesetz (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, § 52 Abs. 9 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, § 55 Abs. 1 bis 3 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, und §§ 94 Abs. 5 iVm 93 Abs. 1 Z 1 und 94 Abs 1 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. wird gemäß §§ 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf fünf Jahre herabgesetzt wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 164/2013, nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Dem Beschwerdeführer, ein zum damaligen Zeitpunkt minderjähriger Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig, wurde mit rechtskräftigem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 7. Dezember 2007, Zahl: 254.079/0/1E-III/09/04, in Stattgabe eines durch seine Mutter als damalige gesetzliche Vertreterin infolge gemeinsamer illegaler Einreise am 31. März 2004 eingebrachten Asylantrages gemäß § 7 AsylG 1997 (bezogen auf das Verfahren seines Vaters) in Österreich Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass diesem damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
2. Aufgrund eines Antrages wurde dem Beschwerdeführer mit 11. September 2014 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Konventionsreisepass Nr. K XXXX mit der Gültigkeit bis zum 10. September 2019 ausgestellt.
3. Mit Urteil des XXXX vom XXXX , Zahl: XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1, 148 zweiter Fall StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von neun Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Das Strafurteil erwuchs am XXXX in Rechtskraft.
4. Infolgedessen leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Aktenvermerk vom 16. Juni 2018 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten wegen geänderter Verhältnisse im Herkunftsstaat ein, in welchem am 17. August 2018, nach einer erfolglosen Ladung für den 24. Juli 2018, eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers im Rahmen des Parteiengehörs im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache stattgefunden hat.
Der Beschwerdeführer gab befragt, weshalb er der Ladung für den 24. Juli 2018 nicht Folge geleistet habe, an, dass er sich drei Wochen im Urlaub bei seinem Cousin in Weißrussland aufgehalten habe. Zu seinem Gesundheitszustand führte der Beschwerdeführer aus, dass er Rückenprobleme habe, jedoch wegen dieser Beschwerden keine Medikamente nehme und sich bei einem tschetschenischen Arzt in Weißrussland habe behandeln lassen. Auf Vorhalt der belangten Behörde, dass aufgrund der Verurteilung des Beschwerdeführers ein Aberkennungsverfahren und Passentziehungsverfahren eingeleitet worden sei, führte dieser aus, dass er die Taten aufgrund seiner Schulden in Zusammenhang mit offenen Handyrechnungen begangen habe und sein Verhalten nicht in Ordnung gewesen sei. Zu seinen Schulabschlüssen befragt, antwortete der Beschwerdeführer, dass er die Volksschule, Hauptschule, AMS-Kurse besucht habe und eine Lehre für Elektronik, jedoch ohne Lehrabschlussprüfung, gemacht habe. Der Beschwerdeführer führte weiters aus, dass er keine Kinder habe, ledig sei, seine Eltern, eine Tante und Geschwister in Österreich leben würden. Er lebe gemeinsam mit seiner Mutter, zwei Schwestern und einem Bruder in einem gemeinsamen Haushalt. Die Eltern seien seit vier Jahren geschieden und habe sein Vater einen gesonderten Wohnsitz genommen. Er besuche seinen Vater ein bis zwei Mal im Monat. Der Beschwerdeführer gab an, dass er AMS-Leistungen beziehe, da er aufgrund seiner Rückenschmerzen seine Arbeit nach einem Monat habe aufgeben müssen. Zu seinen Verwandten im Herkunftsland gefragt, antwortete der Beschwerdeführer, dass er Tanten, Onkeln und Cousins in XXXX habe und er das letzte Mal im Jahr 2003 [Anm.: der Beschwerdeführe befindet sich seit März 2004 in Österreich], sohin vor seiner Einreise nach Österreich, im Heimatland gewesen sei. Auch seine in Österreich lebenden Familienmitglieder seien nicht wieder ins Herkunftsland gereist. Zu seiner Religion befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er praktizierender Moslem sei und er regelmäßig die Moschee besuche. Auf Vorhalt der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer im Heimatland niemals verfolgt worden sei und auch seine Mutter im Rahmen der Asylantragstellung keine persönliche Verfolgung vorgebracht habe, führte der Beschwerdeführer aus, dass er nicht im Heimatland leben wolle, da es dort "anders" sei. Zu einem allfälligen Einreiseverbot angesprochen, rechtfertigte der Beschwerdeführer, dass er nur einmal verurteilt worden sei und es schlimmere Straftaten gäbe und es sich bei seinem Verbrechen um eine lächerliche Sache handeln würde. Der Beschwerdeführer verzichtete nach ausführlicher Erklärung auf die Aushändigung der Länderinformationen zur Russischen Föderation.
5. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid des Bundesasylsenates vom 7. Dezember 2007, Zahl:
254.079/0/1E-III/09/04, zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.).
Unter Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt.
Unter Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 4 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 3 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde in Spruchpunkt V. gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei.
Mit Spruchpunkt VI. wurde die Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen festgesetzt und gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs 1 iVm Absatz 3 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBL. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, ein auf die Dauer von 8 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.)
Mit Spruchpunkt VIII. wurde gemäß § 94 Absatz 5 iVm § 93 Absatz 1 Zif. 1 und § 94 Absatz 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, dem Beschwerdeführer der Konventionsreisepass mit der Nummer XXXX entzogen und aufgetragen, das Dokument gemäß § 93 Absatz 2 FPG unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen.
Nach allgemeinen Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation und nach Wiedergabe des Verfahrensganges hielt die belangte Behörde im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland keine Gefährdungs- bzw. Bedrohungslage zu befürchten hätte. Eine aktuelle bzw. individuelle Furcht vor Verfolgung habe dieser nicht glaubhaft machen können. Er könnte seinen Lebensunterhalt in der Russischen Föderation bestreiten und würde dort Arbeitsmöglichkeiten vorfinden. Der Beschwerdeführer sei jung und habe durch seine dort lebenden Verwandten einen familiären Anknüpfungspunkt in Tschetschenien und sei davon auszugehen, dass er sich, da er Russisch und Tschetschenisch spreche, rasch wieder eingliedern werde.
In rechtlicher Hinsicht wurde im Wesentlichen erwogen, dass dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten wegen des Endigungsgrundes des Art. 1 Abschnitt C GFK abzuerkennen sei, zumal die in § 7 Abs. 3 AsylG 2005 normierte Fünfjahresfrist aufgrund seiner Straffälligkeit dem nicht entgegenstehe.
Die belangte Behörde führte aus, dass sich die Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers seit der Asylgewährung nachhaltig geändert habe und sich viele Familienangehörigen im Heimatland aufhalten würden. Es könne daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgehalten werden, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr keine Verfolgungsgefahr drohe.
Der Beschwerdeführer habe im Rahmen der Einvernahme auch keinerlei Gründe geltend gemacht, die die Gewährung subsidiären Schutzes erforderlich erscheinen lassen.
Bei einer Zusammenschau aller bekannten Umstände würden im Falle des Beschwerdeführers auch keine Umstände überwiegen, die nicht für eine Rückkehr in seinen Herkunftsstaat sprechen.
Da keine Gründe für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG vorliegen würden und sich ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung als gerechtfertigt erweise, sei eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen. Das Verhalten des Beschwerdeführers stelle eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar und es könne aufgrund der Verurteilung des Beschwerdeführers sowie seinem Gesamtverhalten in Österreich keine Zukunftsprognose zu seinen Gunsten getroffen werden. Die Gesamtbeurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers, seiner Lebensumstände sowie seiner privaten und familiären Anknüpfungspunkte habe daher im Zuge der von der Behörde vorgenommenen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung eines Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig sei, die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Da Konventionsreisepässe nur an Fremde auszustellen seien, denen in Österreich der Status des Asylberechtigten zukomme, sei der Konventionsreisepass dem Beschwerdeführer zu entziehen gewesen.
6. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG vom 3. Oktober 2018 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die "ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/ 3. Stock, 1170 Wien" als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
7. Mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2018 wurde fristgerecht Beschwerde gegen den genannten Bescheid erhoben und die erstinstanzliche Erledigung wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung in vollem Umfang angefochten.
8. Die Beschwerdevorlage der belangten Behörde vom 5. November 2018 langte am 8. November 2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
9. Am 20. Februar 2019 fand zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache sowie des Rechtsvertreters eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher der Beschwerdeführer zu seinen Verwandten im Herkunftsland, seinem Tagesablauf in Österreich, zu seinen Krankheiten und seinen Reisebewegungen befragt wurde.
Einvernehmlich wurde übereingekommen, dass die Vertretung binnen 14 Tagen (einlangend) zu den nachfolgenden Länderquellen bzw. den daraus gezogenen Schlussfolgerungen schriftlich Stellung nehmen kann. Eine solche Stellungnahmemöglichkeit stand in derselben Frist dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl offen.
10. Mit Schriftsatz vom 5. März 2019 nahm die belangte Behörde fristgerecht Stellung.
11. Am 7. März 2019 langte die Stellungnahme des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein. Im Wesentlichen führt der Beschwerdeführer aus, dass seine Schutzbedürftigkeit nach wie vor bestehe und keine Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland eingetreten sei.
Das Bundesverwaltungsgericht hat zur vorliegenden Beschwerde wie folgt erwogen:
1. Feststellungen:
Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Russischen Föderation wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:
1.1. Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, welcher der tschetschenischen Volksgruppe angehört und sich zum muslimischen Glauben bekennt. Der damals minderjährige Beschwerdeführer reiste im März 2004 gemeinsam mit seinen Eltern sowie seinen zwei Geschwistern illegal in das Bundesgebiet ein und stellte durch seine Mutter als gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz, dem mit seit 7. Dezember 2007, Zahl: 254.079/0/1E-III/09/04, rechtskräftigem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 7 AsylG 1997 iVm § 12 AsylG 1997 (bezogen auf das Verfahren seines Vaters) Asyl in Österreich gewährt wurde.
Die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten an den Vater des Beschwerdeführers wurde im Wesentlichen damit begründet, dass aufgrund des Umstands, dass der Vater einerseits den tschetschenischen Widerstand unterstützt habe und andererseits mit Anschlägen auf den Leiter der Miliz in Verbindung gebracht worden sei. Weiters sei der Vater zweimal von den russischen Sicherheitskräften festgenommen worden und sei hiebei Misshandlung ausgesetzt gewesen. Aufgrund dessen liege eine wohlbegründete Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der engen Familienangehörigen von politisch Verfolgten vor.
1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation festgestellt werden.
Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tschetschenien respektive in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer spricht Tschetschenisch auf muttersprachlichem Niveau, zudem spricht er zumindest grundlegend Russisch und verfügt durch seine dort lebenden Tanten, Onkel und Cousins über einen familiären Anknüpfungspunkt im Herkunftsstaat. Der Beschwerdeführer, welcher sein Heimatland im Alter von acht Jahren verlassen hat, leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen.
1.3. Mit Urteil des XXXX vom XXXX , Zahl: XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1, 148 zweiter Fall StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von neun Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Das Strafurteil erwuchs am XXXX in Rechtskraft.
Ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet würde eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen.
1.4. Der ledige und kinderlose Beschwerdeführer lebt in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt mit zwei seiner drei Geschwister und seiner Mutter, welche zuletzt für seinen Lebensunterhalt aufgekommen ist. Zu keinem der genannten Angehörigen liegt ein persönliches oder finanzielles Abhängigkeitsverhältnis vor. Der Beschwerdeführer hat sich während seines langjährigen Aufenthaltes Deutschkenntnisse angeeignet, er hat die Volksschule, Hauptschule und die Berufsschule besucht. Er hat eine Lehre als Elektroniker absolviert, die Lehrabschlussprüfung aber nicht geschafft bzw. abgeschlossen. Der Beschwerdeführer ging nie einer längerfristigen beruflichen Tätigkeit nach (so hat er ein begonnenes Angestelltenverhältnis im Sommer 2018 nach einem Monat beendet) und war bislang nicht selbsterhaltungsfähig.
Er legte zuletzt ein Personalaufnahmeblatt/Dienstvertrag einer Personalbereitstellungs-GmbH vom 11. Februar 2019 vor, nach dem sich der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Vorlage im Probemonat als Reinigungskraft auf Teilzeitbasis befunden hat. Der Beschwerdeführer hat sich in keinen Vereinen betätigt und ist keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen. Er gab an, hauptsächlich tschetschenische Freunde im Bundesgebiet zu haben.
Eine den Beschwerdeführer betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde keinen ungerechtfertigten Eingriff in dessen gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.
1.5. Hinsichtlich der relevanten Situation in der Russischen Föderation, insbesondere Tschetschenien, wird zunächst prinzipiell auf die im Akt einliegenden und dem Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgehaltenen Länderfeststellungen verwiesen.
Zur aktuellen politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation werden insbesondere folgende Feststellungen getroffen:
1. Vergleichende Länderkundliche Analyse (VLA) i.S. §3 Abs 4a AsylG
Erläuterung
Bei der Erstellung des vorliegenden LIB wurde die im §3 Abs 4a AsylG festgeschriebene Aufgabe der Staatendokumentation zur Analyse "wesentlicher, dauerhafter Veränderungen der spezifischen, insbesondere politischen Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind", berücksichtigt. Hierbei wurden die im vorliegenden LIB verwendeten Informationen mit jenen im vorhergehenden LIB abgeglichen und auf relevante, im o.g. Gesetz definierte Verbesserungen hin untersucht.
Als den oben definierten Spezifikationen genügend eingeschätzte Verbesserungen wurden einer durch Qualitätssicherung abgesicherten Methode zur Feststellung eines tatsächlichen Vorliegens einer maßgeblichen Verbesserung zugeführt (siehe Methodologie der Staatendokumentation, Abschnitt II). Wurde hernach ein tatsächliches Vorliegen einer Verbesserung i.S. des Gesetzes festgestellt, erfolgte zusätzlich die Erstellung einer entsprechenden Analyse der Staatendokumentation (siehe Methodologie der Staatendokumentation, Abschnitt IV) zur betroffenen Thematik.
Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB RUSS übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 16.3. Zeugen Jehovas).
Änderungen seit Mai 2018:
Erstens wurde weitere, die Zeugen Jehovas betreffende Literatur in die "Föderale Liste extremistischer Materialien" des Justizministeriums der RF
(http://minjust.ru/ru/extremist-materials?field_extremist_content_value) aufgenommen. Es handelt sich dabei um die Positionen 4471, 4472, 4485 bis 4488 und 4502, die aufgrund der Entscheidungen diverser russischer Gerichte am 5.7.2018 bzw. am 31.8.2018 in die Liste aufgenommen wurden. Zweitens wurde der Erlass N 11 "Über die gerichtliche Praxis in Strafsachen zu Verbrechen mit extremistischer Ausrichtung" des Plenums des Obersten Gerichts vom 28.6.2011 am 20.9.2018 novelliert, die Definition der Z 20 Abs. 2, was unter einer Teilnahme an einer extremistischen Organisation iSd Art. 282.2 russ. StGB zu verstehen ist, ist aber ebenso unverändert geblieben wie der Art. 282.2 russ. StGB ("Organisation der Tätigkeit einer extremistischen Organisation") selbst. Auch die Entscheidung des Obersten Gerichts der RF N AKPI 17-238 vom 20. April 2017, mit der das "Leitungszentrum der Zeugen Jehovas in Russland" als extremistische Organisation eingestuft und verboten wurde, ist unverändert gültig.
Unter dem Link http://gorod-che.ru/new/2018/10/10/58877 findet sich ein Artikel vom 10.10.2018, wonach fünf Bewohner der Kirowsker Oblast festgenommen wurden wegen des Versuches, die Tätigkeit einer religiösen Organisation, die die Glaubenslehre der Zeugen Jehovas weiterverbreitet, wieder aufzunehmen. Trotz der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts vom 20.4.2017 hätten die Festgenommenen laut Untersuchungskomitee - in voller Kenntnis der Gerichtsentscheidung - in der Zeit vom 16.8.2017 bis zum 29.9.2018 beschlossen, die religiöse Tätigkeit wieder aufzunehmen.
Unter Beachtung aller konspirativen Maßnahmen hätten sie jedes Mal in neuen Wohnungen Treffen von Jüngern und Teilnehmern der religiösen Vereinigung organisiert. Dort hätten sie biblische Lieder gesungen, die Fertigkeiten bei der Durchführung der missionarischen Tätigkeit vervollkommnet und in der Extremismus-Liste aufgeführte verbotene Literatur studiert (New World Translation of the Holy Scriptures, Nr. 4488 der Liste). Außerdem hätten sie eine verbotene religiöse Organisation finanziert, indem sie ca. 500.000 RUB von den Glaubensanhängern gesammelt hätten. Dieses Geld sei zwischen den Führern der Organisation für die Miete der Räumlichkeiten, für den Erwerb und die Wartung von Computern aufgewendet worden. Der Rest der Summe sei dem Leitungszentrum überwiesen worden. Art. 282.3 des russ. StGB
(http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/51346ce1f845bc43ee6f3eadfa69f65119c941fa/) stellt die Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit unter gerichtliche Strafe. Er lautet:
"Art. 282.3 Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit
1. Die Zurverfügungstellung oder Sammlung von Mitteln oder die Erbringung finanzieller Dienstleistungen, wissentlich bestimmt für die Finanzierung der Organisation, der Vorbereitung und Begehung zumindest eines der Verbrechen extremistischer Ausrichtung oder für die Sicherstellung der Tätigkeit einer extremistischen Vereinigung oder extremistischen Organisation wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 1 bis 4 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 3 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist bis zu 1 Jahr oder mit Freiheitsstrafe von 3 bis 8 Jahren.
2. Diese Taten, begangen von einer Person unter Ausnutzung ihrer Amtsstellung wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder ohne eine solche oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 2 bis 5 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 5 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist von 1 bis zu 2 Jahren oder mit Freiheitsstrafe von 5 bis 10 Jahren.
Anmerkung: Eine Person, die erstmals ein Verbrechen gemäß dieses Art. begangen hat, wird von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit frei, wenn sie mittels rechtzeitiger Benachrichtigung der Behörden oder auf andere Weise die Verhinderung des Verbrechens, das sie finanziert hat, sichergestellt hat, ebenso wenn sie die Verhinderung der Tätigkeit der extremistischen Gesellschaft oder der extremistischen Organisation sichergestellt hat, für deren Sicherstellung der Tätigkeit sie Mittel zur Verfügung gestellt oder gesammelt oder finanzielle Dienstleistungen erbracht hat, wenn in ihren Handlungen kein anderer Straftatbestand enthalten ist."
Teilnahmen an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen (der Zeugen Jehovas) werden also von den russischen Behörden im Lichte der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts, des Auslegungserlasses und der Extremismus-Liste des russischen Justizministeriums im Rahmen der russischen Strafgesetze weiterhin verfolgt.
Eine nochmalige Internetrecherche der ÖB Moskau hat aber weiterhin keine Hinweise erbracht, dass einfache Gläubige der Zeugen Jehovas, die nicht an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen teilnehmen, von legalen Repressionen betroffen wären.
Quellen:
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ÖB Moskau (23.10.2018): Information per Email
Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 19. Bewegungsfreiheit bzw. 19.2. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens).
Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).
Quellen:
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ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email
Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 4. Rechtsschutz / Justizwesen).
Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).
Quellen:
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ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email
0. "Politische Lage
Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).
Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).
Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).
Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018
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CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018
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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018
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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018
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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018
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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018
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OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,
https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018
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Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",
https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018
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Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,
https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018
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Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018
0.1. Tschetschenien
Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.
Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).
In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).
Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür
des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
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GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,
http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018
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ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation
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Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,
http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018
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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018
0.2. Dagestan
Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 16.5.2018, vgl. IOM 6.2014). Im Unterschied zu den faktisch mono-ethnischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien setzt sich die Bevölkerung Dagestans aus ein