TE Vfgh Erkenntnis 1996/9/24 B1544/95

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Veröffentlicht am 24.09.1996
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §5

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mangels Vorliegen einer ortsüblichen Unterkunft; Unterlassen der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid in dem durch Art8 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit 18.000,-- S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin ist ägyptische Staatsangehörige und stellte mit einer Eingabe vom 29. Jänner 1994 bei der Österreichischen Botschaft Kairo einen Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz. Ihr Mann M A und der 1995 in Wien geborene Sohn A A leben in Österreich; zwischenzeitlich sind beide österreichische Staatsbürger. Die Beschwerdeführerin beabsichtigt, mit ihrem 1992 geborenen Kind A M R nach Österreich zu kommen.

Mit Bescheid vom 1. Juli 1994 wies der Landeshauptmann von Wien den Antrag mangels einer für Inländer ortsüblichen Unterkunft in Österreich gemäß §5 Abs1 des Aufenthaltsgesetzes, BGBl. 466/1992 idF 314/1994, ab. Die dagegen erhobene Berufung wies der Bundesminister für Inneres mit dem angefochtenen Bescheid gemäß §5 Abs1 AufG ab, weil die zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel für den dauernden Aufenthalt nicht ausreichten. Dazu ist im Bescheid auch noch folgendes ausgeführt:

"Gerade die Notwendigkeit, in einem ohnedies sensiblen Bereich die weitere Zuwanderung sorgfältig zu steuern, macht es erforderlich, strenge Maßstäbe an die Beurteilung der gesicherten Unterhaltsmittel von Zuwanderern anzulegen. Ist der Unterhalt für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert, so darf gemäß §5 Abs1 des Aufenthaltsgesetzes eine Bewilligung nicht erteilt werden."

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 Abs1 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Der Bundesminister für Inneres als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte - ohne auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin einzugehen - die Abweisung der Beschwerde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Der angefochtene, die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem AufG versagende Bescheid greift in das der Beschwerdeführerin durch Art8 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein, weil sich ihr Mann und eines ihrer Kinder - die im übrigen österreichische Staatsbürger sind - in Österreich aufhalten und die Versagung der Aufenthaltsbewilligung die Familienzusammenführung verhindert.

1.2. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 16.3.1995, B2259/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

3. Die belangte Behörde hat im Fall der Beschwerdeführerin das Vorliegen des Versagungstatbestandes des §5 Abs1 AufG mit der Notwendigkeit der sorgfältigen Steuerung der weiteren Zuwanderung von Fremden begründet. Sie hat damit die von Verfassungs wegen gebotene Interessenabwägung in Wahrheit nicht vorgenommen.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000,-- S enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B1544.1995

Dokumentnummer

JFT_10039076_95B01544_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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