TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/20 W117 2220401-1

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Veröffentlicht am 20.12.2019
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Entscheidungsdatum

20.12.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55

Spruch

W117 2220401-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Andreas DRUCKENTHANER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.05.2019, Zl. XXXX , gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 iVm § 7 Abs. 4, § 8 Abs. 1 Z 2, § 10 Abs. 1 Z 4 und § 57 AsylG 2005 und § 9 BFA-VG sowie §§ 52, 53 Abs.3 Z 1 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz

(B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation aus einem Dorf in Tschetschenien, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, ist moslemischen Glaubens und reiste am 05.03.2004 gemeinsam mit seiner Ehefrau und einem minderjährigen Kind ins österreichische Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Dies begründete er damit, im Dezember 2003 im Militärstützpunkt in XXXX gefoltert und zu dem Geständnis gezwungen worden zu sein, dass er Kämpfer gewesen sei. Nachdem er von Verwandten freigekauft worden sei, hätten ihn die russischen Truppen wiederholt festgenommen und vorgeladen. In Tschetschenien würden noch seine Eltern, drei Brüder und ein Sohn leben.

Der gegen den abweislichen Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.09.2004 erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 02.06.2005, Zl. 253.401/0-IX/49/04, stattgegeben und dem BF gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt sowie gemäß § 12 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Dies wurde damit begründet, dass der BF wegen seiner Tätigkeiten für den tschetschenischen Widerstand und seiner Eigenschaft als junger kräftiger Tschetschene wiederholt in das Blickfeld der russischen Behörden, welchen er auch namentlich bekannt war, (geraten ist). Er gehörte danach zu dem Personenkreis, dem ein Naheverhältnis zu tschetschenischen Separatisten unterstellt wurde und deshalb von anti-separatistischen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung besonders betroffen ist. Daher wurde für den Fall seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen, dass ihm besondere Aufmerksamkeit seitens der russischen Behörden zu Teil würde sowie infolge wiederholter Terroranschläge eine angespannte und Tschetschenen-feindliche Stimmung in der gesamten Russischen Föderation herrsche und im Gefolge der Ermordung von Maschadow eine Eskalierung des Konflikts zwischen Russen und Tschetschenen drohe. Infolge seiner erkennbaren ethnischen Zugehörigkeit und weil er den Behörden auch namentlich bekannt sei, könne nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass er außerhalb Tschetscheniens keinerlei asylrelevanten Übergriffen ausgesetzt sei oder dagegen effektiven behördlichen Schutz zu erwarten hätte. Es stehe ihm ferner eine innerstaatliche Fluchtalternative infolge der sich über das gesamte Staatsgebiet erstreckenden Hoheitsgewalt nicht zur Verfügung. Zudem könne er sich infolge der gegenüber Tschetschenen praktizierten Restriktionen beim Erwerb von Zugangsgenehmigungen praktisch unmöglich außerhalb Tschetscheniens dauerhaft niederlassen und eine Existenzgrundlage schaffen.

Der BF wurde mit rechtskräftigem Urteil eines LG vom 19.01.2006 wegen § 136/2 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten auf eine Probezeit von 3 Jahren verurteilt.

Mit rechtskräftigem Urteil eines LG vom 15.03.2006 wurde der BF wegen § 223/2, § 224 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 2 Monaten auf eine Probezeit von 3 Jahren verurteilt (Zusatzstrafe zum vohergehenden Urteil).

Ferner wurde der BF mit rechtskräftigem Urteil eines BG vom 06.12.2007wegen § 83/1 StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagsätzen zu je 2.- Euro (100.-) verurteilt.

Mit rechtskräftigem Urteil eines LG vom 23.04.2009 wurde der BF wegen § 15, § 105/1, § 106 1/1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren verurteilt.

Mit rechtskräftigem Urteil eines LG vom 03.02.2012 wurde der BF wegen § 15, § 105 (1) StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten auf eine Probezeit von 3 Jahren verurteilt und die Probezeit zur vorhergehenden Verurteilung auf 5 Jahre verlängert.

Mit rechtskräftigem Urteil eines LG vom 30.05.2012 wurde der BF wegen § 107(1) StGB verurteilt und unter Bedachtnahme auf das vorhergehende Urteil keine Zusatzstrafe verhängt.

Mit rechtskräftigem Urteil eines LG vom 25.11.2013 wurde der BF wegen § 84(1), § 83(1) StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten auf eine Probezeit von 3 Jahren und einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen von je 4,00 Euro (480.-) im NEF 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt.

Mit rechtskräftigem Urteil vom 25.03.2014 eines LG wurde der BF wegen § 107 (1) StGB und § 15, § 269 (1) StGB und § 107 (1 u2) StGB zunächst zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt.

Mit rechtskräftigem Urteil eines LG vom 16.01.2015 wurde der BF wegen § 125 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagsätzen zu je 4,00 Euro (480.-) im NEF 60 Tage Ersatzfreiheitstrafe verurteilt.

Mit rechtskräftigem Urteil eines LG vom 06.07.2015 wurde der BF wegen § 15 StGB, § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten verurteilt (Zusatzstrafe zum Urteil vom 16.01.2015).

Am 29.11.2018 wurde infolge geänderter Verhältnisse im Herkunftsstaat zum wiederholten Mal ein Aberkennungsverfahren gegen den BF eingeleitet und ausgeführt, dass dies gemäß § 7 Abs. 3 AsylG infolge der Straffälligkeit des BF auch möglich sei.

Nach einer Auskunft der LPD XXXX liegen im Zeitraum vom 16.04.2015 bis 22.08.2018 gegen den BF außerdem bereits 25 verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen vor.

Einer Ladung zur Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 13.03.2019 leitstete der BF keine Folge, nachdem er kurz davor telefonisch mitteilte, nicht zu wissen, warum er vorgeladen sei und dass er der Ladung nicht entsprechen werde.

Am 06.05.2019 wurde der BF beim BFA unter Beiziehung eines Dolmetschers niederschriftlich einvernommen, indem er aus dem PAZ durch eine polizeiliche Sondereinheit vorgeführt wurde. Er legte eingangs ein Clearinggutachten vor. Weiters gab er auf Befragen an, an Depressionen zu leiden und Medikamente einzunehmen; welche dies seien, ergäbe sich aus dem vorgelegten Bericht. In Österreich habe er einen Onkel, seine Frau und sieben Kinder. Er sei traditionell und standesamtlich verheiratet. Im Dezember sei er weggewiesen worden und lebe aktuell nicht im gemeinsamen Haushalt mit seiner Frau; danach sei es wieder erlaubt und alles in Ordnung. Seine Ehe werde nicht geschieden werden. Es habe einen Vorfall gegeben, "sie" sei ein bisschen eifersüchtig gewesen. Er habe eine andere Freundin gehabt. Sein Sohn XXXX lebe seit 2009 in der Ukraine bei der Mutter des BF. Nach der Lehre plane sein Sohn nach Österreich zurückzukehren. Der BF selbst arbeite nicht, er sei im Krankenstand. Er habe in Österreich 2015 bereits als Zusteller und Wachmann bei Sony kurz gearbeitet. Er hätte aus gesundheitlichen Gründen (Schmerzen, Depressionen) nicht arbeiten können. Er habe keine beruflichen Fortbildungen oder Deutschkurse besucht, weil er wegen der Wirbelsäule nicht so lange sitzen könne. Er habe kein Sprachzertifikat über seine Deutschkenntnisse erlangt. Er könne aus gesundheitlichen Gründen auch nicht in Vereinen aktiv sein. In seiner Freizeit beschäftige er sich mit seinen Kindern. Er habe viele tschetschenische Freunde. Sein Vater und ein Onkel würden in Russland bzw. Tschetschenien leben, ebenso Schulfreunde. Seit seiner Ausreise sei er nicht mehr dort gewesen. Er würde sich in Grosny wegen der Diktatur nicht zurechtfinden, er habe dort politische Probleme. Er habe am 02.03.2013 in XXXX gegen Abschiebungen und Solidarität usw. protestiert. Er könne leider nicht nach Hause, er werde dort verfolgt. Er habe Asyl bekommen, weil er gegen die russischen Kräfte gewesen sei. Er habe nicht mit Waffen gekämpft, sei aber mehrmals festgenommen worden. Zu den ihm vorgehaltenen Berichten, wonach es seit mehreren Jahren keine Verfolgungshandlungen gegen Veteranen der Tschetschenienkriege oder deren Angehörige (also Personen, denen eine Verbindung zum tschetschenischen Widerstand in den Kriegen unterstellt wurde) mehr gebe, weil sich die Sicherheitskräfte auf IS-Kämpfer und Rückkehrer konzentrierten, gab der BF an, dass nach wie vor Leute eingesperrt und verfolgt würden. Er habe Kadyrow auf einer Internetplattform kritisiert. Er habe keine Angst, die Wahrheit zu sagen. Man bekomme aber Probleme dort. Hier könne er das sagen. Aus einem You tube-Video vom 02.03.2013 ist eine fahnenschwenkende Person ersichtlich, bei welcher es sich wahrscheinlich um den BF handelt. Im Fall der Rückkehr befürchte er getötet zu werden. Zum Vorhalt, dass die Macht Kadyrows an der Grenze von Tschetschenien ende und daher von einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der Russischen Föderation auszugehen sei, entgegnete der BF, dass dies nicht stimme. Er habe auch mit Putin Probleme. Er sei auch hier schon verfolgt worden, indem er vor cirka drei Jahren in Österreich zu Streitigkeiten provoziert worden sei, damit er sich entschuldige. Seine bisher 10 Verurteilungen würden aus seinen psychischen Problemen resultieren. Er mache eine Aggressionstherapie. Zum Vorhalt, dass er im Jahr 2010 eine 13-Jährige kennenlernen habe wollen, und warum er so etwas mache, gab er an, er hätte sie seinem Sohn vorstellen wollen. Er sei unvertreten gewesen und habe manchmal Schuld gehabt, wegen der psychischen Probleme. Zum Vorhalt seiner zusätzlichen 25 verwaltungsstrafrechtlichen Übertretungen in den letzten vier Jahren, zog er sich auf den Standpunkt zurück, dass er im Durchschnitt jährlich nur fünf Übertretungen begangen habe; das habe doch fast jeder, das sitze er ab, obwohl er krank sei. Zudem sei er am 27.11.2018 wegen fortgesetzter Gewaltausübung, Körperverletzung und Vergewaltigung gegen seine Ehefrau angezeigt worden und es sei ein Betretungsverbot erlassen worden. Seine Integration in Österreich erachte er zu 50 % als gegeben. In erster Linie arbeite er an seiner Gesundheit, die Zukunft werde sich zeigen. Zum Vorhalt der beabsichtigten Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot infolge seiner Straffälligkeit wiederholte er, nicht nach Hause zurückkehren zu können. Falls diese Entscheidung doch getroffen werde, werde er dagegen berufen. Zu den vorgehaltenen Länderberichten brachte er vor, dass diese nicht den Tatsachen entsprechen würden und er wegen seiner Haft keine Stellungnahme abgeben könne. Er könne nicht auf Deutsch schreiben. Sein seit 10 Jahren unschuldig im Ural inhaftierter Bruder sei ein Beweis dafür, dass die Länderberichte nicht der Realität entsprechen würden. Abschließend bekräftigte er die Richtigkeit des Protokolls. Er legte neben einem Clearinggutachten noch ein arbeitsmedizinisches Gutachten vom 12.11.2018 sowie ein neuro-psychiatrisches Gutachten vom 08.11.2018 sowie ein Schreiben der Clearingstelle an den Magistrat der Stadt XXXX vom 25.01.2019 über die beim BF aktuell noch bestehende Arbeitsfähigkeit vor.

In der Stellungnahme vom 13.05.2019 führt der Vertreter des BF zu den Länderberichten aus, dass er an Depressionen und weiteren psychischen Krankheiten leide und "zusätzlich" zu 60% behindert sei, sodass er keinem Beruf habe nachgehen können und auf die Unterstützung durch seine in Österreich aufhältige Familie (Ehefrau, 6 Kinder, Onkel) angewiesen sei. Nach familiären Problemen habe er von seiner Familie getrennt gelebt, wolle aber nach der Beendigung seiner Haft wegen einer Verwaltungsstrafe im Einvernehmen wieder zu seiner Familie ziehen. Er habe sich in Österreich 2013 durch die Teilnahme an einer Demonstration in XXXX politisch betätigt und auch auf Internetportalen Putin und Kadyrow stark kristisiert, wofür er mehrmals bedroht worden sei; ebenso sei sein Vater in der Russischen Föderation wegen der politischen Aktivitäten des BF bedroht worden. Sodann wurde aus einem Bericht von ACCORD vom 17.01.2014 zitiert, wonach in der Russischen Föderation im November 2013 Gesetze verabschiedet worden seien, mit denen man die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreichen und die bereits im Kaukasus seit 2008 praktizierte Form des Kampfes gegen den Aufstand legalisieren wolle. Zu den vom BFA angeführten zehn Verurteilungen des BF sei nicht ausgeführt worden, inwiefern diese mit dem psychischen Zustand des BF zusammenhängen würden. Das BFA müsse seine Verurteilungen und Schwierigkeiten, eine Erwerbstätigkeit zu finden, in diesem Licht würdigen. Der BF besuche weiterhin eine Therapie. Auch seine Familie spiele für seinen psychischen Zustand eine wichtige Rolle. Für die Rückverbringung des BF trotz drohender Verfolgung müssten nach dem Erkenntnis des VwGH vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0288, kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein (besonders schweres Verbrechen, rechtskräftige Verurteilung, Gemeingefährlichkeit, Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegen seine am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat). Diese lägen beim BF jedoch nicht vor. Sodann wurde zu den Länderberichten Stellung bezogen. Danach habe Kadyrow in Tschetschenien ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen. Weiterhin würden NGOs schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische (Sicherheitskräfte beklagen). Nach einem Bericht von USDOS vom 20.04.2018 seien nach einem Terror-Angriff in Grozny hunderte Verdächtigte festgehalten und nach einem Bericht der Novaya Gazeta 27 der festgehaltenen Personen exekutiert worden. Die Lage in Tschetschenien verschlechtere sich weiter. Die Berichte würden keine wesentliche Veränderung/Verbesserung der Lage zeigen.

Nach durchgeführten Ermittlungen bezog der BF vom 25.03.2014 bis zum 15.02.2015 Mindestsicherung, war vom 09.07.2015 bis 26.08.2015 geringfügig beschäftigt und bezieht seit 18.12.2018 wieder laufend Mindestsicherung.

Nach eingeholten Berichten sind in Moskau alle medizinischen Wirkstoffe (auch alternative) verfügbar.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 15.05.2019 erkannte das BFA dem BF den mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenat vom 02.06.2005, Zl. 253.401/0-IX/49/04, zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters erkannte das BFA dem BF gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs.1 Z 4 ASylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs.3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 8 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. (Spruchpunkt VII.).

Dazu wurde u.a. festgestellt dass sich die Lage im Herkunftsstaat seit Zuerkennung des Asylstatus maßgeblich und nachhaltig geändert habe und der BF nicht (mehr) befürchten müsse, Opfer etwaiger gegen ihn persönlich gerichteter Verfolgungshandlungen zu werden. Wegen seiner mehrfachen Straffälligkeit im Bundesgebiet seien unter Bedachtnahme auf § 7 Abs. 3 AsylG 2005 die Voraussetzungen für eine Aberkennung gegeben. Er leide an keinen lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankungen (komplexe Traumastörung und Somatisierungsneigung, chronische Wirbelsäulenbeschwerden im HWSund LWS-Bereich, komplexes Schmerzsyndrom des Bewegungsapparates, Omarthalgien beidseits, Stauballergie) und sei trotz eines Behinderungsgrades von 50% grundsätzlich in der Lage, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Bei Inanspruchnahme von Behandlungen sei eine Besserung seines psychischen Gesundheitszustandes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zwischen Mai und August 2019 zu erwarten. Die von ihm benötigten Medikamente seien im Herkunftsstaat verfügbar und der praktische Zugang zu medizinischer Behandlung sei dort gegeben. Es bestehe für ihn im Herkunftsstaat nicht die Gefahr einer Art. 3 EMKR widersprechenden Situation und auch keine staatliche Verfolgung oder eine Verfolgung durch dritte Personen. Er habe Angehörige und Verwandte in der Russischen Föderation sowie ehemalige Schulfreunde. Zu seinem Privat- und Familienleben wurde im Wesentlichen festgestellt, dass er von November 2018 bis Jänner 2019 aus der ehelichen Wohnung weggewiesen worden sei und eine besondere Verbundenheit zu seinen Kindern oder seiner Gattin nicht habe festgestellt werden können. Er sei 10 Mal strafgerichtlich verurteilt worden, sei lediglich vom 09.07.2015 bis zum 26.08.2015 geringfügig beschäftigt gewesen und habe in der übrigen Zeit staatliche Leistungen bezogen. Seine Deutschkenntnisse seien relativ gering, er verfüge über keinen österreichischen Freundeskreis und daher trete sein persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an der Beendigung seines Aufenthaltes zurück. Zur Verhängung des Einreiseverbotes wurde festgestellt, dass er neben seiner strafgerichtlichen Verurteilung auch noch zahlreiche verwaltungsbehördliche Strafen erhalten habe, sodass das BFA davon ausgehe, dass die Fortsetzung seines Aufenthalts eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstelle, welcher nur durch die Verhängung eines Einreiseverbotes begegnet werden könne.

Zum Herkunftsstaat wurde wie folgt festgestellt:

"Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 19. Bewegungsfreiheit bzw. 19.2. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens).

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

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ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

1. Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018).

Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederationnode/ russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

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CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation

-

State Actors of Protection,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoirussia-

state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

-

FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichtestaat/# c17836, Zugriff 1.8.2018

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

-

OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018 - Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum

zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Dasrussische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

-

Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018 - Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin,

https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

1.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische

Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017). Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018 - ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation - Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds, http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swpberlin. org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

2. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d).

Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017). Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reiseund

Sicherheitshinweise, https://www.auswaertigesamt.

de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

-

BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation,https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/,Zugriff 28.8.2018

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Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan.

Russische

Methoden,https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russischemethoden.

         724.    de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

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EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018):Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d):Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.

org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

2.1. Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017). Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen: - AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkazuzel. eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

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Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkazuzel. eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

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DW - Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt",

https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 28.8.2018

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ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swpberlin.

org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.

org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

2.2. Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

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Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkazuzel. eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

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Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkazuzel. eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swpberlin. org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 28.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.

org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

2. Allgemeine Menschenrechtslage

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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