TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/31 W211 2210612-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.12.2019
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Entscheidungsdatum

31.12.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W211 2210612-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX ,

StA: Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen

Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird der Beschwerde stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigten bis zum 31.12.2020 erteilt.

III. Die Spruchpunkte III. bis VI. werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am

XXXX 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei seiner Erstbefragung am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er zusammengefasst an, aus Bosasso in der Region Bari in Puntland zu stammen. Der Aufenthaltsort seines Vaters sei unbekannt, seine Mutter und sieben Geschwister würden sich in Äthiopien aufhalten. Der Beschwerdeführer sei von Mitgliedern der Al Shabaab bedroht worden. Diese hätten den Beschwerdeführer zwangsrekrutieren wollen und verhaftet. Er habe sodann ein Jahr bei der Miliz in Gefangenschaft verbracht und Somalia im November des Jahres 2016 über die Grenze zum Jemen verlassen.

Am XXXX 2017 wurde der Beschwerdeführer zwecks "Family Tracing" einvernommen und gab an, seine Eltern würden sich in einem Flüchtlingslager in Äthiopien aufhalten, wobei er jedoch in keinem Kontakt zu diesen stehe. Er selbst habe in Somalia in einem Dorf namens Buale gelebt und weder eine Schule besucht, noch gearbeitet.

3. Nach einer Untersuchung zur Altersfeststellung wurde der Beschwerdeführer am XXXX 2018 von der belangten Behörde abermals einvernommen. Dabei gab er zusammengefasst an, er sei gesund, sunnitischen Glaubens und würde dem Clan der Ashraf angehören. Seinen Subclan kenne er nicht. Er sei in Bosasso geboren worden, sei ledig und habe keine Kinder. Er habe in Somalia vier Jahre lang eine Koranschule besucht, anschließend jedoch keinen Beruf ausgeübt. Seine Familie, bestehend aus den Eltern, mehreren Geschwistern und Onkeln sowie Tanten, würde sich in Somalia aufhalten. Die Lebensbedingungen in Somalia seien schlecht gewesen. Sein Vater habe als Taxifahrer gearbeitet und seine Mutter habe Jausen an Schüler verkauft. Zu seinem Fluchtgrund befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er von seinem Koranlehrer im September des Jahres 2016 in der Moschee angesprochen und mit dessen Auto zusammen mit vier weiteren Koranschülern in ein in der Ortschaft Galgale befindliches Camp der Al Shabaab gebracht worden sei. Der Beschwerdeführer und die weiteren Koranschüler seien dann geschlagen und in einem mit einem Netz bedeckten Loch für insgesamt drei Monate gefangen gehalten worden. Der Beschwerdeführer sei in dieser Zeit trainiert worden und habe Waffen reinigen müssen. Dann habe er gemeinsam mit anderen Mitgefangenen den Auftrag erhalten, einen Mordanschlag auf einen Mann in Bosasso zu verüben. Nachdem jener Mann ein Teehaus verlassen habe, sei er von einem älteren ebenfalls zwangsrekrutierten Mitglied der Al Shabaab erschossen worden. Der Beschwerdeführer habe sodann seine Waffe weggeworfen und sei davongelaufen. Zufälligerweise habe er dabei seinen Onkel angetroffen, der den Beschwerdeführer bei sich zuhause versteckt und seinen Vater kontaktiert habe. Dieser habe schließlich entschieden, dass der Beschwerdeführer Somalia verlassen müsse.

4. Mit Stellungnahme der rechtlichen Vertretung des Beschwerdeführers vom XXXX 2018 wurde ausgeführt, dass es sich bei den Regionen Bosasso und Galgale offenkundig um Rückzugsgebiete der Al Shabaab in Puntland handle. In der Region Mudug, in den zwischen Puntland und Somaliland umstrittenen Gebieten sowie in Teilen der Region Bari müsse mit Anschlägen und Kampfhandlungen gerechnet werden. Aufgrund seiner Flucht werde dem Beschwerdeführer von der Miliz eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt, wobei keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe. Auch gehöre der Beschwerdeführer zur besonders vulnerablen Gruppe der Minderjährigen und verfüge über keine belastbaren familiären Anknüpfungspunkte in Somalia. Weiter verwies die rechtliche Vertretung auf Informationen des deutschen Auswärtigen Amtes zu den betreffenden Regionen, eine Accord-Anfragebeantwortung zu Somalia: Security Situation vom 26.04.2018, einen Bericht von Amnesty International, Somalia 2017 und den FFM-Bericht aus August 2018.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ab (Spruchpunkt I.), den Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) und sprach aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

6. Gegen diesen Bescheid wurde rechtzeitig eine Beschwerde eingebracht, in der auf die bereits in der Stellungnahme vom XXXX 2018 genannten Länderinformationen Bezug genommen und zusammengefasst ausgeführt wurde, dass aufgrund der Berichtslage zu Bosasso eine vom Beschwerdeführer vorgebrachte Entführung und Zwangsrekrutierung durch Al Shabaab glaubhaft erscheine. Die staatlichen Behörden könnten keinen effektiven Schutz gegen die Miliz gewähren, eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht. Auch Minderjährige würden Opfer von Al Shabaab. Es sei daher festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Somalia eine asylrelevante Verfolgung drohe und auch eine Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK nicht ausgeschlossen werden könne. Dem Beschwerdeführer sei daher der Status eines Asylberechtigten bzw. zumindest eines subsidiär Schutzberechtigten zu erteilen.

7. Am XXXX 2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seiner Vertretung eine mündliche Verhandlung durch. Die belangte Behörde entschuldigte sich mit Schreiben vom XXXX 2019 für die Teilnahme an der Verhandlung. Zu den in der Verhandlung eingebrachten Auszügen aus dem FFM-Bericht aus 2017 langte keine Stellungnahme ein.

8. Mit Schreiben vom XXXX 2019 und XXXX 2019 legte die der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht Berichte der Landespolizeidirektion Steiermark vom XXXX 2019 vor, wonach der Beschwerdeführer aufgrund des Verdachts eines Verstoßes gegen § 27 Abs. 2a Suchtmittelgesetz (SMG) am 24.06.2019 festgenommen worden war.

9. Mit Schreiben vom XXXX .2019 legte die belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht eine Verständigung von der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft Graz vom XXXX 2019 vor, wonach die gegen den Beschwerdeführer wegen § 27 Abs. 2a SMG Anklage erhoben worden war.

10. Mit Parteiengehör vom XXXX 2019 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl davon verständigt, dass sich in Bezug auf die Nahrungsmittelversorgungslage in Somalia eine neue Situation ergeben habe, die sich aus mehreren zusätzlich ins Verfahren eingebrachten Länderinformationen ablesen lassen würde.

11. Mit Schreiben vom XXXX 2019 nahm die belangte Behörde zu den am

XXXX 2019 zusätzlich zur Versorgungslage eingebrachten Länderinformationen Stellung und führte aus, dass aus dem übermittelten Beweisergebnis, insbesondere aufgrund der Einstufung der Herkunftsregion in IPC 3 von 5, keine "exzeptionellen Umstände" iSd Rechtsprechung des EGMR abgeleitet werden könnten, welche eine Rückkehr des Beschwerdeführers als unzumutbar erscheinen lassen würden.

12. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX 2019 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 der Verlust des Aufenthaltsrechts wegen eingebrachter Anklage einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann, durch die Staatsanwaltschaft, mitgeteilt.

Mit Bescheid desselben Tages wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem XXXX 2019 verloren hat.

13. Mit Schreiben vom XXXX 2019 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien das aktuelle Länderinformationsblatt zu Somalia vom 17.09.2019, zu welchem innerhalb der gewährten Frist keine Stellungnahme eingebracht wurde.

14. Mit Schreiben vom XXXX 2019 übermittelte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht einen Bericht der Landespolizeidirektion Steiermark vom XXXX 2019, wonach bei der beschwerdeführenden Partei Suchtgift aufgefunden und Ermittlungen aufgenommen worden sind.

1. Feststellungen:

1.1. Zum Beschwerdeführer:

Der Beschwerdeführer ist ein Staatsangehöriger Somalias, der am XXXX 2017 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte.

Der Beschwerdeführer stammt aus Bosasso in der Region Bari, Puntland, ist ledig, kinderlos und gehört dem Clan der Ashraf an. Er reiste im Jahr 2016 aus Somalia aus.

Der Beschwerdeführer verfügt noch über seine Eltern und sechs Geschwister. Der Aufenthaltsort der Verwandten des Beschwerdeführers wird nicht festgestellt.

Es wird keine Feststellung zur Schulausbildung des Beschwerdeführers in Somalia getroffen.

Der Beschwerdeführer ist gesund.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen:

Eine erfolgte Zwangsrekrutierung des Beschwerdeführers durch seinen Koranlehrer bzw. Al Shabaab im Jahr 2016 in Bosasso wird nicht festgestellt. In weiterer Folge wird auch die Beteiligung des Beschwerdeführers an einem Mordanschlag in Bosasso und eine anschließende Flucht nicht festgestellt.

Eine Gefährdung des Beschwerdeführers durch Al Shabaab im Falle einer Rückkehr nach Somalia wird nicht festgestellt.

1.3. Zum Abschiebehindernis:

In der Herkunftsregion des Beschwerdeführers herrscht eine Dürre. Die Region ist in den verfügbaren Informationen und Karten zum Thema "projected food security outcomes" als IPC 2 -3 - stressed - crisis - vermerkt.

1.4. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten wiedergegeben:

a) Länderinformationsblatt Staatendokumentation, Somalia 17.09.2019 (Auszüge):

Puntland

Puntland ist eine relativ friedliche Region Somalias (VOA 8.1.2019). Die puntländische Regierung übt über das ihr unterstehende Gebiet die Kontrolle aus (USDOS 13.3.2019, S.1), und die Lage ist dort stabiler als in Süd-/Zentralsomalia (AA 5.3.2019b; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.34). Es gibt im Land keine relevanten größeren Streitpunkte, und nur sporadisch werden Konflikte bewaffnet ausgetragenen (LIFOS 3.7.2019, S.34; vgl. BFA 8.2017, S.86). Stammesmilizen spielen eine untergeordnete Rolle (AA 4.3.2019, S.5). Die wichtigsten Clans sind in das staatliche Gefüge Puntlands eingebunden (LIFOS 3.7.2019, S.36).

Allerdings sind die Grenzen im Süden und Nordwesten nicht klar definiert. Dies führt immer wieder zu kleineren Scharmützeln, im Süden - v.a. um die Stadt Galkacyo - auch zu schwereren gewaltsamen Auseinandersetzungen (AA 4.3.2019, S.5/16).

In Garoowe gibt es kaum nennenswerte Vorfälle (LIFOS 3.7.2019, S.34), die Stadt wird als nahezu frei von al Shabaab beschrieben (BMLV 3.9.2019).

Al Shabaab ist weiterhin in Puntland aktiv (UNSC 21.12.2018, S.3). Al Shabaab kontrolliert in Puntland keine relevanten Gebiete, sondern ist nur in wenigen, schwer zugänglichen Bergregionen mit Lagern vertreten - namentlich im Gebiet der Galgala-Berge (AA 4.3.2019, S.5; vgl. LI 21.5.2019a, S.1). Es gibt Hinweise, wonach al Shabaab diese verstärkt hat (SEMG 9.11.2018, S.22). Von dort aus unternimmt die Gruppe - meist kleinere - Operationen ins Umland. Manchmal sickern Insurgenten nach Bossaso ein, wo sie in gewissem Ausmaß auch tatsächlich eine Bedrohung darstellen, und wo es ständig v. a. zu kleineren Anschlägen kommt (BFA 8.2017, S.92; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.34). Auch Galkacyo ist davon betroffen. In beiden Städten treibt al Shabaab auch Steuern ein (LIFOS 3.7.2019, S.34f).

Al Shabaab verfügt in Puntland über finanzielle Netzwerke sowie über Möglichkeiten zur Rekrutierung, Propaganda und Indoktrination. Generell ist die al Shabaab in Puntland aber mangels Ressourcen in ihren Aktivitäten eingeschränkt (BFA 8.2017, S.92f; vgl. BMLV 3.9.2019).

Wehrdienst und Rekrutierungen (durch den Staat und Dritte)

Kindersoldaten - al Shabaab: Beginnend im Jahr 2017 hat al Shabaab immer mehr Kinder zwangsrekrutiert (NLMBZ 3.2019, S.11), teils mit aggressiven und gewalttätigen Methoden. Berichten zufolge wurden Kinder von Minderheitengruppen sogar systematisch entführt (BS 2018, S.21). Ein Grund dafür ist, dass aufgrund der umfassenden Rekrutierungsmaßnahmen unterschiedlicher bewaffneter Gruppen der Rekrutierungspool auch für al Shabaab immer kleiner geworden ist. Ein weiterer Grund ist, dass Kinder einfacher zu manipulieren sind (ME 27.6.2019). So indoktriniert und rekrutiert al Shabaab Kinder etwa gezielt in Koranschulen (LWJ 24.1.2018; vgl. USDOS 13.3.2019, S.15).

In Lagern werden Kinder einer grausamen körperlichen Ausbildung unterzogen. Sie erhalten keine adäquate Verpflegung, dafür aber eine Ausbildung an der Waffe, physische Strafen und religiöse Indoktrination. Al Shabaab zwingt Kinder, an Kampfhandlungen teilzunehmen; sie setzt diese auch für Selbstmordanschläge ein (USDOS 13.3.2019, S.13f). Außerdem rekrutiert die Gruppe Straßenkinder und -Waisen, die einfach zu manipulieren sind. Manche erhalten zur Ausführung einer Aktion (z.B. Wurf einer Handgranate) einen kleinen Geldbetrag (FIS 5.10.2018, S.34).

Manchmal werden Kinder aus den Händen der al Shabaab befreit. So z. B. Anfang 2018 durch somalische Kräfte im Bezirk Wanla Weyne (SEMG 9.11.2018, S.39) oder im Jänner 2018 durch US-Militär in Middle Shabelle. Die Kinder wurden der UN zur Rehabilitation übergeben (HRW 17.1.2019). UNICEF stellt 721 Buben und 96 Mädchen, die al Shabaab entkommen sind oder die von bewaffneten Gruppen entlassen wurden, Schutz zur Verfügung. So hat die Organisation z.B. 36 bei einer Operation in Middle Shabelle aus der Gewalt der al Shabaab befreite Kinder in einem Rehabilitationszentrum in Mogadischu untergebracht (USDOS 13.3.2019, S.14f).

(Zwangs-)Rekrutierung: Im Jahr 2017 begann al Shabaab noch intensiver, arbeitslose junge Männer zu rekrutieren (NLMBZ 3.2019, S.11). Es gibt sehr unterschiedliche Gründe, al Shabaab beizutreten:

die Aussicht auf Gehalt und Status, Abenteuerlust und Rachegefühle (Khalil 1.2019, S.33). Jugendliche selbst geben an, dass der Hauptgrund zum Beitritt zu al Shabaab oder zur Armee das Einkommen ist (DI 6.2019, S.22f). Von Deserteuren wurde der monatliche Sold für verheiratete Angehörige der Polizei und Armee von al Shabaab mit 50 US-Dollar angegeben; Unverheiratete erhielten nur Gutscheine oder wurden in Naturalien bezahlt. Jene Angehörigen der al Shabaab, welche höherbewertete Aufgaben versehen (Kommandanten, Agenten, Sprengfallenhersteller, Logistiker und Journalisten) verdienen 200-300 US-Dollar pro Monat; allerdings erfolgen Auszahlungen nur inkonsequent (Khalil 1.2019, S.16).

Meist erfolgt ein Beitritt zur al Shabaab aufgrund ökonomischer, sicherheitsbedingter und psycho-sozialer Motivation. Nur wenige der befragten Deserteure gaben an, al Shabaab aufgrund einer religiösen Motivation beigetreten zu sein; dahingegen maßen mehr als die Hälfte gesellschaftlichen Erwägungen eine besondere Rolle zu, darunter Status (inkl. Eheschließung) und Macht. Auch Abenteuerlust spielt eine große Rolle. Manche versprechen sich durch ihre Mitgliedschaft bei al Shabaab die Möglichkeit einer Rache an Angehörigen anderer Clans (Khalil 1.2019, S.14f). Für Angehörige marginalisierter Gruppen bietet der Beitritt zu al Shabaab zudem die Möglichkeit, sich selbst und die eigene Familie gegen Übergriffe anderer abzusichern (FIS 5.10.2018, S.34). Die Aussicht auf eine Ehefrau wird als Rekrutierungswerkzeug verwendet (USDOS 13.3.2019, S.32). Insgesamt handelt es sich bei Rekrutierungsversuchen oft um eine Mischung aus Druck und Anreizen (ICG 27.6.2019, S.2).

Knapp ein Drittel der in einer Studie befragten al Shabaab-Deserteure gab an, dass bei ihrer Rekrutierung Drohungen eine Rolle gespielt haben. Dies kann freilich insofern übertrieben sein, als Deserteure dazu neigen, die eigene Verantwortung für begangene Taten dadurch zu minimieren (Khalil 1.2019, S.14). Generell kommen Zwangsrekrutierungen ausschließlich in Gebieten unter Kontrolle der al Shabaab vor. So gibt es etwa in Mogadischu keine Zwangsrekrutierungen durch die al Shabaab (BMLV 16.9.2019; vgl. BFA 8.2017, S.51; DIS 3.2017, S.20f).

Verweigerung: Üblicherweise richtet die al Shabaab ein Rekrutierungsgesuch an einen Clan oder an ganze Gemeinden und nicht an Einzelpersonen. Die meisten Rekruten werden über Clans rekrutiert. Es wird also mit den Ältesten über neue Rekruten verhandelt. Dabei wird mitunter auch Druck ausgeübt. Kommt es bei diesem Prozess zu Problemen, dann bedeutet das nicht notwendigerweise ein Problem für den einzelnen Verweigerer (BFA 8.2017, S.52), denn die Konsequenzen einer Rekrutierungsverweigerung trägt üblicherweise der Clan. Damit al Shabaab die Verweigerung akzeptiert, muss eine Form der Kompensation getätigt werden (DIS 3.2017, S.21). Entweder der Clan oder das Individuum zahlt, oder aber die Nicht-Zahlung wird durch Rekruten kompensiert. So gibt es also für Betroffene manchmal die Möglichkeit des Freikaufens. Diese Wahlmöglichkeit ist freilich nicht immer gegeben. In den Städten liegt der Fokus der al Shabaab eher auf dem Eintreiben von Steuern, in ländlichen Gebieten auf der Aushebung von Rekruten (BFA 8.2017, S.54f).

Deserteure und ehemalige Kämpfer der al Shabaab

Allgemein geben Deserteure für das Verlassen der al Shabaab aber folgende Gründe an: inadäquate Bezahlung, familiäre Verpflichtungen, schlechte Lebensbedingungen, Risiko für Leib und Leben (Khalil 1.2019, S.33/16f). Mit letzterem ist nicht bloß die Gefahr von Kampfhandlungen gemeint, sondern auch die von al Shabaab angewandte Bestrafung bei (vermeintlichen) Regelbrüchen (Khalil 1.2019, S.16f). Generell stellt die Desertion eines Einzelnen für al Shabaab ein kleineres Problem dar, als der Seitenwechsel ganzer Clans und der zugehörigen Milizen, z.B. als Abgaal-Subclans sich in Galgaduud der Ahlu Sunna Wal Jama'a zuwandten, oder als Hawadle-Subclans der al Shabaab in Hiiraan die Miliz Macaawuusely entgegenstellten (SEMG 9.11.2018, S.27).

Nicht alle ehemaligen Kämpfer der al Shabaab sind Deserteure. Es gibt Beispiele, wo Angehörige die Entlassung eines Familienmitglieds durch die al Shabaab erwirken konnten (Khalil 1.2019, S.18).

Verfolgung: Oft gleicht eine Desertion einer Flucht - mit entsprechender Angst vor Vergeltungsmaßnahmen seitens der al Shabaab, die auch in Form einer Todesstrafe erfolgen kann. Manche Deserteure warten Monate oder sogar Jahre, bevor sich ihnen eine Gelegenheit zur Flucht bietet (Khalil 1.2019, S.17f). Al Shabaab ist in der Lage, einen Deserteur aufzuspüren - auch auf dem Gebiet von AMISOM und der somalischen Regierung. Sie tragen wahrscheinlich ein Risiko der Verfolgung (BFA 8.2017, S. 43f; vgl. DIS 3.2017, S.17f; NLMBZ 3.2019, S.12f). Dies gilt insbesondere für Deserteure mittleren Ranges. Doch auch einfache Mannschaftsgrade können zum Ziel werden (BFA 8.2017, S.43f). Tatsächlich finden sich aber kaum Beispiele von Morden an Deserteuren (BMLV 16.9.2019). Einmal wird vom Mord an zwei jungen Bantu-Männern berichtet, die im August 2017 von al Shabaab entdeckt und ermordet worden sind, bevor sie Kismayo erreichen konnten. An anderer Stelle werden Deserteure auch wieder in die Reihen der al Shabaab aufgenommen, so geschehen in Tayeeglow Anfang 2017, als Buben, die von der Gruppe desertiert waren, zum erneuten Eintritt in die al Shabaab gezwungen wurden (SEMG 8.11.2017, S.43/137). Interessanterweise sind auch die vorhandenen Rehabilitationszentren für ehemalige Angehörige der al Shabaab noch nie zum Angriffsziel geworden [siehe unten] (NLMBZ 3.2019, S.12f; vgl. BFA 8.2017, S.45ff). Inwiefern al Shabaab also tatsächlich Energie in das Aufspüren und Töten von desertierten Fußsoldaten investieren will, ist unklar. Insgesamt besteht in einigen Fällen offenbar auch die Möglichkeit, dass sich ein Deserteur mit der al Shabaab verständigt - etwa durch die Zahlung von Geldbeträgen (BFA 8.2017, S.43ff).

Subjekte gezielter Attentate durch al Shabaab und den IS

Kapazitäten: Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, auf Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie direkt Soldaten von Armee und AMISOM (LIFOS 3.7.2019, S.23). Al Shabaab verfügt über die Kapazitäten, menschliche Ziele - auch in Mogadischu - aufzuspüren. Unklar ist allerdings, für welche Personen al Shabaab bereit ist, diese Kapazitäten auch tatsächlich aufzuwenden. Außerdem unterliegt auch al Shabaab den Clan-Dynamiken. Die Gruppe ist bei der Zielauswahl an gewisse Grenzen gebunden. Durch die Verbindungen mit unterschiedlichen Clans ergeben sich automatisch Beschränkungen. Zusätzlich möchte die al Shabaab mit jedem begangenen Anschlag und mit jedem verübten Attentat auch ein entsprechendes Publikum erreichen (BFA 8.2017, S.35f).

Insgesamt muss hinzugefügt werden, dass al Shabaab nicht für alle an diesen Personengruppen begangenen Morde die Verantwortung übernimmt oder trägt (HRW 17.1.2019). Es muss davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Angriffe und Morde politisch motiviert oder einfach Verbrechen sind, die nicht auf das Konto von al Shabaab gehen (LIFOS 3.7.2019, S.26).

Al Shabaab greift Zivilisten, die nicht in eine der weiter oben genannten Kategorien fallen, nicht spezifisch an. Für diese besteht das größte Risiko darin, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (NLMBZ 3.2019, S.23; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.25) und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, S.25).

Somalische Kräfte

Puntland: Die Sicherheitskräfte in Puntland setzen sich wie folgt zusammen:

* Die Puntland Defense Forces (PDF; auch Darawish genannt): <3.000

* Puntland Maritim Police Force (PMPF): 1.200

* Präsidentengarde: 300-400

* Bossaso Port Police: 300

* Polizei: 3.600 (BFA 8.2017, S.87f; vgl. BMLV 3.9.2019)

Vor allem die Polizei ist für die relative Ruhe in Puntland verantwortlich. Es gibt so gut wie keine Berichte über Polizeiübergriffe oder Willkür in Puntland. Zusätzlich zu den offiziell ins staatliche System eingegliederten Kräften stützt sich Puntland maßgeblich auf lokale Milizen (BFA 8.2017, S.87f). Die zivile Kontrolle über die Sicherheitskräfte ist in Puntland etwas stärker ausgeprägt als in Süd-/Zentralsomalia, doch entzieht sich das Handeln der Sicherheitskräfte auch dort weitgehend Kontrolle der öffentlichen Kontrolle. Vorwürfe aufgrund systematischer Verfolgung werden keine erhoben (AA 1.1.2017). Die früher beobachteten Schwierigkeiten mit ausständigen Soldzahlungen sind nicht mehr erkennbar, im Jahr 2019 kam es zu keinen diesbezüglichen Protesten der Sicherheitskräfte. Die Einsatzbereitschaft der verschiedenen Teilkräfte hat sich wieder verbessert (BMLV 3.9.2019).

Grundversorgung / Humanitäre Lage

Die humanitäre Krise in Somalia bleibt eine der komplexesten und am längsten dauernden weltweit (SRSG 3.1.2019, S.4f). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet (AA 5.3.2019a; vgl. AA 4.3.2019, S.20). Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen und die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia zum Land mit dem fünftgrößten Bedarf an internationaler Nothilfe weltweit (AA 4.3.2019, S.4; vgl. AA 5.3.2019a). Auch der bewaffnete Konflikt trägt seinen Teil dazu bei (SRSG 3.1.2019, S.4f).

Zwischenzeitlich hatte sich die humanitäre Situation aufgrund guter Regenfälle im Jahr 2018 etwas entspannt (SRSG 3.1.2019, S.4f; vgl. NLMBZ 3.2019, S.49). Die Sicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung hatte sich verbessert (UNSC 21.12.2018, S.14; vgl. USDOS 13.3.2019, S.22) - nicht zuletzt aufgrund fortgesetzter humanitärer Hilfe und aufgrund überdurchschnittlicher Regenfälle (USDOS 13.3.2019, S.22). Trotzdem blieb auch dann die Zahl der auf Hilfe angewiesenen Menschen bei 4,2 Millionen (SRSG 3.1.2019, S.4f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.14).

Aktuelle Lage: Somalia steht wieder vor einem großen humanitären Notfall. Am meisten betroffen sind IDPs und marginalisierte Gruppen (SLS 12.7.2019; vgl. UNOCHA 31.7.2019, S.1). Das Land leidet unter den negativen Folgen unterdurchschnittlicher Regenfälle in der Gu-Regenzeit (April-Juni) 2019 (UNSC 15.8.2019, Abs.38ff). Letztere hat sehr spät eingesetzt. Der gefallene Regen hat die Dürre-Bedingungen zwar etwas entspannt und den Zustand des Viehs etwas verbessert; trotzdem reichte er nicht aus, um die Landwirtschaft nachhaltig zu stärken (UNSC 15.8.2019, Abs.38ff). Am Ende ist die Gu zwar normal oder fast normal ausgefallen; doch war der Niederschlag erratisch und schlecht verteilt. Außerdem kam er um ein Monat später als normal (FAO 19.7.2019, S.1). Bereits zuvor war die Deyr-Regenzeit (Oktober-Dezember) 2018 schlecht ausgefallen und Anfang 2019 war ungewöhnlich trocken. Mit Ausnahme der Gu im Jahr 2018 ist seit Ende 2015 jede Regenzeit unterdurchschnittlich ausgefallen (UNSC 15.8.2019, Abs 38ff).

Versorgungslage / IPC: [IPC = Integrated Phase Classification for Food Security; 1-moderat bis 5-Hungersnot] Der humanitäre Bedarf ist nach wie vor hoch, Millionen von Menschen befinden sich in einer Situation akuter Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung (UNOCHA 31.7.2019, S.1). In Nord- und Zentralsomalia herrschen durchgehend moderate bis große Lücken in der Versorgung. Dort wird für August/September 2019 in einigen Teilen mit IPC 3 und IPC 4 gerechnet. Das gleiche gilt für den Süden, wo aufgrund einer unterdurchschnittlichen Ernte die Lebensmittelpreise steigen werden (FEWS 31.7.2019). Der Preis für Sorghum befindet sich bereits auf einer außergewöhnlichen Höhe (UNOCHA 9.9.2019, S.1). Viele Menschen aus ländlichen Gebieten sind in Städte gezogen, um Zugang zu Hilfsgütern zu erhalten (BAMF 20.5.2019, S.5).

Verarmte Pastoralisten mit kleinen Herden stehen in den nächsten Monaten vor Lücken in der Nahrungsmittelversorgung. Davon sind landesweit auch viele Agropastoralisten und Bauern betroffen. Während der Viehbestand vorübergehend von besserer Weide profitiert, ist in der Landwirtschaft mit einem Ernteausfall von 50% zu rechnen (UNSC 15.8.2019, Abs.38ff) - etwa bei Mais und Sorghum (DEVEX 9.7.2019). Nach neueren Angaben war die letzte Ernte in Südsomalia die schlechteste seit 1995 - 68% unter dem Durchschnitt; im Nordwesten lag sie mit 44% unter dem Durchschnitt (FEWS 2.9.2019a).

Schätzungen zufolge werden bis September 2019 5,4 Millionen Menschen von Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung betroffen sein; davon 3,2 Millionen in IPC-Phase 2 (UNOCHA 14.8.2019) und 2,2 Millionen in den Phasen 3 und 4 (UNOCHA 14.8.2019; vgl. UNSC 15.8.2019, Abs.38ff). Ca. eine Million Kinder unter fünf Jahren werden bis Mitte 2020 vor einer Situation der akuten Unterernährung stehen, 178.000 vor schwerer akuter Unterernährung. Bis zu 2,1 Millionen Menschen werden sich hinsichtlich Nahrungsmittelversorgung in einer Krisensituation finden (IPC >2), 6,3 Millionen werden von einer Versorgungsunsicherheit bedroht sein (UNOCHA 9.9.2019, S.1f; vgl. FEWS 2.9.2019a; STC 3.9.2019). Dieses Szenario gilt dann, wenn die gegenwärtig getätigten humanitären Interventionen nicht verstärkt werden (UNOCHA 9.9.2019, S.1). Mit Stand September 2019 verhindert eine großangelegte humanitäre Hilfe schlimmere Zahlen. Geht die Hilfeleistung zurück, ist von einer Verschlechterung auszugehen. Und auch für den Fall, dass die Deyr-Regenzeit (Oktober-Dezember) besser ausfallen sollte, wird sich dies frühestens Ende Dezember auf die Versorgungslage auswirken (FEWS 2.9.2019a).

Bei gegebener humanitärer Hilfe gilt für die meisten ländlichen Gebiete im September 2019 IPC 2. In Agrargebieten von Guban (Somaliland), Bay und Bakool sowie in Teilen von Hiiraan, Galgaduud, Lower und Middle Juba gilt IPC 3. Dahingegen haben stabile Lebensmittelpreise und Arbeitsmöglichkeiten in den meisten städtischen Gebieten dazu beigetragen, dass IPC 2 nicht überschritten wurde oder auch nur IPC 1 gilt. Lediglich in Städten in Sool, Sanaag und Hiiraan wird mitunter auch IPC 3 verzeichnet - bedingt durch hohe Lebenskosten und begrenzte Einkommensmöglichkeiten (FEWS 2.9.2019a).

Gesellschaftliche Unterstützung: Es gibt kein öffentliches Wohlfahrtssystem (BS 2018, S.30), keinen sozialen Wohnraum und keine Sozialhilfe (AA 4.3.2019, S.20). In Mogadischu muss für jede Dienstleistung bezahlt werden, es gibt keine öffentlichen Leistungen (FIS 5.10.2018, S.22). Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor (BS 2018, S.30). Das eigentliche soziale Sicherungsnetz für Personen, deren Unterhalt und Überleben in Gefahr ist, bilden (Sub-)Clan (OXFAM 6.2018, S.11f; vgl. BS 2018, S.30, AA 4.3.2019, S.20), erweiterte Familie (BS 2018, S.30; vgl. AA 4.3.2019, S.20) und Remissen aus dem Ausland (BS 2018, S.30). Während Krisenzeiten (etwa Hungersnot 2011 und Dürre 2016/17) helfen neben Familie und Clan auch andere soziale Verbindungen - seien es Freunde, geschlechtsspezifische oder Jugendgruppen, Bekannte, Berufsgruppen oder religiöse Bünde. Meist ist die Unterstützung wechselseitig. Über diese sozialen Netzwerke können auch Verbindungen zwischen Gemeinschaften und Instanzen aufgebaut werden, welche Nahrungsmittel, medizinische Versorgung oder andere Formen von Unterstützung bieten. Auch für IDPs stellen solche Netzwerke die Hauptinformationsquelle dar, wo sie z.B. Unterkunft und Nahrung finden können (DI 6.2019, S.15).

b) Fact Finding Mission Bericht, Staatendokumentation, Schweizer Staatssekretariat für Migration, Sicherheitslage, August 2017 (Auszüge):

Al Shabaab in Puntland

Generell prosperiert al Shabaab in jenen Gebieten, wo die Clan-Dynamik es zulässt. Dies gilt auf Bezirksebene etwa dann, wenn ein Clan marginalisiert wird und al Shabaab dann eben diesen Clan unterstützt. Dort, wo ein Gleichgewicht herrscht oder wo nur ein Clan vertreten ist, kann al Shabaab nicht profitieren. Die Clan-Homogenität in Puntland ist also ein Vorteil: Es ist relativ leicht erkennbar, welche Person eine Bedrohung darstellt. Hier kann es aber auch Verwicklungen geben. In den puntländischen Sicherheitskräften gibt es Personen, die genau wissen, wo sich gewisse Mitglieder der al Shabaab aufhalten. Sie wissen aber auch, dass diese z.B. vom lokalen Clan geschützt werden, was ein Eingreifen erschwert. Überhaupt ist es kein Geheimnis, wessen Söhne für die al Shabaab im Süden kämpfen. Es wurde ein Beispiel genannt, wo im Jahr 2015 verletzte Kämpfer der al Shabaab zur Regeneration nach Hause nach Puntland gingen. Jeder wusste, dass diese Leute der al Shabaab angehören. Nachdem sie genesen waren, kehrten sie in den Süden zurück.

Verbreitung

Während Garoowe nahezu frei von al Shabaab ist, gibt es in den Galgala-Bergen im nördlichen Grenzgebiet zwischen Somaliland und Puntland bzw. zwischen Sanaag und Bari nach wie vor einen Ableger der al Shabaab. Von dort aus sickern Insurgenten nach Bossaso ein, wo sie in gewissem Ausmaß auch tatsächlich eine Bedrohung darstellen, und wo es ständig v.a. zu kleineren Anschlägen kommt.

Kapazitäten

Al Shabaab verfügt in Puntland über finanzielle Netzwerke sowie über Möglichkeiten zur Rekrutierung, Propaganda und Indoktrination. In den vergangenen Monaten war in Puntland ein Anstieg an Aktivitäten der al Shabaab zu verzeichnen. Es gibt auch regelmäßig Berichte über gezielte Attentate. Im Juni 2017 kam es in Puntland erstmals zu einem größeren, erfolgreichen Angriff der al Shabaab auf Sicherheitskräfte. Dabei wurde ein Stützpunkt der PDF/Darawish in Af Urur überrannt, die puntländischen Kräfte hatten 50 Verluste zu beklagen. Offenbar wurden für diesen Angriff alle verfügbaren Kräfte der al Shabaab in den Galgala-Bergen - maximal 200 Mann - zusammengefasst. Der Erfolg war auch deswegen so groß, weil sich PDF/Darawish überrumpeln hat lassen.

Insgesamt verfügt al Shabaab in Puntland über größere Kapazitäten als in Somaliland. Die Gruppe verfügt dort auch mit Sicherheit über Mitglieder, welche Deserteure aus Süd- /Zentralsomalia abfangen können. Um aber auch Fußsoldaten tatsächlich nachzuspüren, bedürfte es nach Meinung einer Quelle seitens der al Shabaab absoluter Entschlossenheit. Die Quelle geht davon aus, dass für eine derartige Vorgangsweise - also der Verfolgung eines Deserteurs in Puntland - ein besonderer Grund vorliegen müsste. Eine andere Quelle gibt an, dass Deserteure der al Shabaab in den meisten Teilen Puntlands nicht als gefährdet erachtet werden, da al Shabaab dort über keine weitreichenden Netzwerke verfügt, um gezielte Attentate durchführen zu können. Als gefährdet gelten hingegen Bossaso, Caluula, Qandala und Xaafun.

Generell ist die al Shabaab in Puntland in ihren Aktivitäten eingeschränkt.

Beim Versuch der al Shabaab im März größere Truppen an der puntländischen Küste anzulanden, sind diese nicht nur von Sicherheitskräften, sondern auch von örtlichen Kräften angegriffen und aufgerieben worden. Bei diesen Anlandungen von Kämpfern im Raum Garacad und im Raum Bandar Beyla wurde al Shabaab unmittelbar von der lokalen Bevölkerung bekämpft.

c) OCHA Humanitarian Bulletin Somalia, April 2019, S. 2 (Auszug - übersetzt aus dem Englischen):

Die Versorgungssicherheit in den Gebieten East Golis Pastoral of Bari, Hawd Pastoral of Nugaal, Mudug, Galgaduud, und Hiraan hat sich von der IPC Kategorie 2 (stressed) zur IPC Kategorie 3 (crisis) verschlechtert, insbesondere da im Juni 2019 mehr Haushalte Lücken in der Nahrungsmittelversorgung erleiden werden.

d) FSNAU - FEWS NET Food Security Quarterly Brief, April 2019, S. 10 (Auszug - übersetzt aus dem Englischen):

In den nördlichen Regionen Somalias (Bari und Sanaag) kam es zu Berichten von Fehlgeburten und Todesfällen den Viehbestand betreffend, wegen unzureichender Fütterung und dürrebedingten Krankheiten.

e) Joint FEWS NET-FSNAU Somalia Food Security Outlook Report for June 2019 to January 2020, S. 2 f (Auszug - übersetzt aus dem Englischen):

Der verspätete und schwache Beginn der Gu-Regenfälle von April bis Juni 2019 führte Anfang Mai zu einer schweren Dürre in ganz Somalia. Bedingt durch unterdurchschnittliche Deyr-Regenfälle von Oktober bis Dezember 2018 und eine überdurchschnittliche Jilal-Trockenzeit von Jänner bis März 2019, setzten die Gu-Regenfälle zwei bis drei Wochen später als üblich ein. Im April zeigten auf Satellitenbildern basierende Schätzungen, dass im Großteil Somalias weniger als 50% der üblichen Regenmenge niederfiel, in den am stärksten von der Dürre betroffenen Gebieten wie Bari, Galgaduud und Nugal hingegen weniger als 25%.

[...]

Ende Mai führten verstärkte Regenfälle zu einem Anstieg der Regenmenge auf 60-80% des Normalwertes, wobei erwartet wird, dass der normale Jahresdurchschnitt in den meisten Gebieten Somalias bis Ende 2019 erreicht wird. In Teilen von Awdal, Bari und Middle und Lower Shabelle, Bay-Bakool und Lower Gedo besteht jedoch weiterhin ein beträchtliches Regendefizit. Auch haben schwere Regenfälle besonders in den Regionen Nugaal und Bari auch Sturzfluten, beschädigte Straßen und Gebäude sowie eine Verringerung des Viehbestandes zur Folge gehabt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden.

Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Zu folgenden Feststellungen unter oben 1. wird weiter näher ausgeführt wie folgt:

2.2.1. Zum Beschwerdeführer:

Die Feststellungen zur Herkunft aus Bosasso und zur Clanzugehörigkeit, zu seiner Kinderlosigkeit, und dass er ledig ist, gründen sich auf die diesbezüglich gleichbleibenden und glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren. Diese Feststellungen wurden im Wesentlichen außerdem bereits von der belangten Behörde getroffen.

Die Feststellungen zu den Familienangehörigen beruhen auf den, was die Personen angeht, unzweifelhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren. Jedoch kann nicht festgestellt werden, wo sich jene Personen aufhalten, weil die Angaben des Beschwerdeführers zu Orten an Widersprüchen leiden, die sich auf seine diesbezügliche Glaubwürdigkeit auswirken:

So gab der Beschwerdeführer bei seiner Erstbefragung am XXXX 2017 noch an, der Aufenthalt seines Vaters sei unbekannt, seine Mutter und Geschwister würden sich jedoch in Äthiopien aufhalten (AS 15). In der Einvernahme durch die belangte Behörde am XXXX 2017 wurde der Beschwerdeführer zwecks "Family Tracing" einvernommen und gab an, seine Eltern würden sich in einem Flüchtlingslager in Äthiopien aufhalten, wobei er jedoch in keinem Kontakt zu diesen stehe (AS 51). In der Einvernahme vor der belangten Behörde am XXXX 2018 hingegen erklärte der Beschwerdeführer seine Familie lebe in Somalia, wobei er hinsichtlich des genauen Aufenthaltsortes keine Angaben machte. Weiter erklärte er, sein Vater befinde sich ebenfalls bei seiner Familie (AS 141).

In der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2019 gab der Beschwerdeführer an, dass seine Mutter und insgesamt sechs Geschwister in Bosasso aufhältig seien, und er mit seiner Mutter in Kontakt stehe. Sein Vater sei vor drei Monaten von zuhause weggegangen (S. 6 f des Verhandlungsprotokolls). Im Rahmen der Verhandlung wurde der Widerspruch zu den ursprünglichen Angaben des Beschwerdeführers zum Aufenthalt seiner Verwandten und insbesondere der Umstand, dass im Rahmen zweier Befragungen (Erstbefragung und Einvernahme zu "Family Tracing") als Aufenthaltsort Äthiopien protokolliert wurde, angesprochen, jedoch vermochte der Beschwerdeführer diese Inkonsistenz nicht aufzuklären, sondern verwies wiederum bloß auf die falsche Aufzeichnung seiner Daten (S. 4 f des Verhandlungsprotokolls).

Bezüglich der Schulausbildung des Beschwerdeführers ist zunächst anzumerken, dass seine diesbezüglichen Angaben bereits in der Einvernahme durch das Bundesamt am XXXX 2017 insofern widersprüchlich blieben, als er zunächst ausdrücklich erklärte, er habe vier Jahre eine Koranschule, jedoch keine weitere Schule besucht (AS 141 und 145). Zeitlich wenig später befragt, wie lange er in jener Koranschule gewesen sei, erklärte der Beschwerdeführer hingegen, er habe diese vom sechsten bis zum fünfzehnten Lebensjahr, somit insgesamt neun Jahre besucht (AS 149). In der Beschwerde wiederum wurde angegeben, dass er sowohl Koran- als auch Grundschule für acht Jahre gleichzeitig besucht habe (S. 6 der Beschwerde). Diese Angabe wurde vom Beschwerdeführer auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2019 (S. 5 des Verhandlungsprotokolls) wiederholt. Von der erkennenden Richterin im Zuge der Verhandlung auf die Diskrepanz zu den früheren Befragungen angesprochen, konnte der Beschwerdeführer diese nicht erklären, sondern bestand auf der Behauptung, er habe diesbezüglich immer gleichbleibende Angaben gemacht (S. 7 des Verhandlungsprotokolls).

Damit blieben die Angaben des Beschwerdeführers zum Aufenthalt seiner Angehörigen und zu seiner Schulausbildung in Somalia auch unter Bedachtnahme auf sein junges Alter im Zeitpunkt der Erstbefragung bzw. den Einvernahmen vor dem Bundesamt widersprüchlich, weshalb diesbezügliche Feststellungen unterbleiben mussten. Diese Zweifel wirken sich weiter auf die Glaubhaftigkeit sonstiger im Verfahren gemachter Angaben aus.

Die Feststellung zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers basiert auf seinen Angaben im Laufe des Verfahrens und dem Fehlen anderslautender Unterlagen.

Bezüglich der Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ist auszuführen, dass sowohl die von der belangten Behörde übermittelte Verständigung von der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft Graz vom XXXX 2019, wonach gegen den Beschwerdeführer wegen § 27 Abs. 2a SMG Anklage erhoben wurde, als auch der Bericht der Landespolizeidirektion Steiermark vom XXXX 2019, wonach beim Beschwerdeführer Suchtgift aufgefunden und Ermittlungen aufgenommen worden sind, zur Kenntnis genommen werden. Eine Anfrage im Strafregister mit den Daten des Beschwerdeführers am XXXX 2019 verlief jedoch ergebnislos, weshalb von einer strafrechtlichen Verurteilung nicht auszugehen ist und der Beschwerdeführer dementsprechend als unbescholten zu gelten hat.

2.2.2. Zum Fluchtvorbringen

Als Fluchtvorbringen brachte der Beschwerdeführer eine im Jahr 2016 erfolgte Zwangsrekrutierung zur Al Shabaab durch seinen Koranlehrer vor.

Zum Ablauf der Zwangsrekrutierung und zum Anschlag in Bosasso sowie zu seiner Desertion gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2019 folgendes an (Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll):

"[...] R: Eines Tages waren wir in der Schule und hatten eine Pause und wir sind gegenüber in eine Cafeteria gegangen. Wir wollten Tee trinken. Dann ist der Lehrer zu uns gekommen. Dort waren ich und zwei andere Mitschüler. Er hat uns gesagt, dass wir morgen am Nachmittag mit ihm in die Moschee kommen sollen. Wir haben ja gesagt und wir sind am nächsten Tag zur Moschee gegangen. Nach dem Nachmittagsgebet hat er uns in einem Auto mitgenommen.

R: Wer war dieser Lehrer, wie lange haben Sie ihn gekannt, hatte er einen Namen?

P: Er hat in Bosasso gewohnt. Er hat in der Schule unterrichtet und er hieß Mustafa.

R: Wie lange hatten Sie ihn als Lehrer?

P: 4 Jahre.

R: Hat er Sie diese 4 Jahre hindurch in der Moschee unterrichtet, oder war das eher punktuell? Ich meine damit diesen Nachhilfeunterricht durch Mustafa?

P: Dieser Unterricht in der Moschee hat nicht jeden Tag stattgefunden, sondern manchmal und es war donnerstags. Auf

Nachfrage: Ca. 1 Mal in der Woche.

R: War das nur über einen kurzen Zeitraum oder länger?

P: Es war über diese 4 Jahre, und in der gewöhnlichen Schule hat er auch andere Fächer unterrichtet. Er hat nur Religion unterrichtet.

R: Hat er andere Fächer unterrichtet oder nur Religion?

P: Er hat nur Religion unterrichtet. Ich meinte, er hat in der normalen Schule auch alle Schüler in Religion unterrichtet.

R: Erzählen Sie mir ganz detailliert alles über diesen Anschlag, zu dem Sie gegangen sind: Was war Ihre Rolle, wo hat er stattgefunden?

P: Eines Tages sind wir zur Cafeteria in der Pause gegangen.

R: Da muss ich jetzt leider unterbrechen. Es geht um den Anschlag, den Sie für die Al-Shabaab verüben sollten.

P: Sie wollten, dass ich jemanden töte. Es war 1 Person. Ich war mit den anderen, die diese Person töten sollten.

R: Wer sollte nun diese Person töten?

P: Ich und 3 andere waren dabei. Eine Person sollte diese Person töten und wir sollten diesen Täter schützen. Wenn die anderen auf ihn schießen, sollten wir ihn verteidigen. Man hat uns geschickt, um diesen Mann zu töten. Das war der Plan von Al-Shabaab. Wir sollten diesen Auftrag für sie erfüllen, und der Chef von unserer Angriffstruppe war der Mann, der den anderen Mann töten sollte. Der Plan von Al-Shabaab war, diese Person zu töten und keinen anderen Anschlag zu verüben. Der Mann, der getötet wurde, saß in einer Cafeteria und gegenüber gab es eine Moschee. Der Täter hat auf das Opfer geschossen und hat ihn getötet.

R: In welchem Stadtteil war denn das?

P: Im Bezirk Roda in Bosasso.

P: Als die Leute die Schüsse gehört haben, gab es ein Durcheinander und die anderen in der Cafeteria sind geflüchtet.

R: Ist Roda in Biyo Kulule?

P: Ja. Die Moschee hieß Roda. [...]"

Und:

"[...] R: Erzählen Sie mir bitte etwas über den Tagesablauf im Al-Shabaab-Camp?

P: Wir waren dort gefangen. Es war nicht wie ein Gefängnis. Man hat uns in Gruppen aufgeteilt. In der Früh sind wir aufgewacht. Wir waren die jüngeren, und jede Gruppe hatte Aufgaben bekommen. Weil wir jung waren, haben wir leichtere Aufgaben bekommen. Wir mussten die Gewehre für die anderen reinigen. Die anderen haben andere Aufgaben bekommen, wie spionieren, Anschläge verüben, Minen in der Erde vergraben, Leute töten usw. Dort gab es Berge und dort haben sie Gefängnisse gehabt. Sie haben die Leute dorthin gebracht. Sie haben die Leute in einem Loch in der Erde gefangen gehalten.

R: Wie viele Leute waren ungefähr in dem Camp?

P: Viele.

R: Wie viele ungefähr?

P: Ich habe viele Leute gesehen. Ich sage das, was ich gesehen habe. Es gab andere Personen, die ich nicht gesehen habe. Sie sind in den Bergen geblieben und nicht heruntergekommen.

R: Erzählen Sie mir etwas über die Tage vor dem Anschlag?

P: Wir waren dort an dieser Stelle im Al-Shabaab-Camp. Man hat uns schwer gefoltert. Ich war damals jung. In der Früh mussten wir unsere Aufgaben erfüllen. Ich war jung und wenn ich übermüdet war und aufgehört habe, zu arbeiten, kamen zwei Männer und haben mich misshandelt. Man hat auch eine schwere Strafe bekommen, wenn man sich für die Gebetszeit verspätet hat, auch, wenn es nur eine kurze Zeit war. Wir mussten auch das Geschirr spülen und die Gewehre reinigen. Die Männer, die dort waren, haben manchmal von uns verlangt, Sachen zu holen. Wenn wir uns geweigert haben, haben sie uns schwer geschlagen. Wie hätten wir ihre Befehle verweigern können? Kurz vor diesem Anschlag hat ihr Kommandant jemanden zu mir geschickt, während ich die Gewehre gereinigt habe. Man hat mich und 3 andere Personen geschickt, um diesen Auftrag zu erfüllen. Bevor wir weggegangen sind, ist der Chef von unserer Gruppe zum Kommandanten des Camps gegangen und hat etwas besprochen. Ich weiß nicht, was. Dann wurde eine zweite Person von unserer Gruppe gerufen. Er ist zum Kommandanten gegangen. Ich meine, alle 3 waren in einem Zimmer. Es wurde irgendwas besprochen. Dann sind wir zwei, die noch draußen waren, drangekommen. Man hat uns gesagt, dass wir eine Person töten müssen. Man hat uns gesagt, wer der Chef unserer Gruppe ist, und dass er die Person töten wird. Der Chef der Gruppe ist unser Anführer und zeigt uns den Weg. Um ca. 11:00 Uhr am Vormittag haben wir das Camp verlassen. Man hat uns gesagt, dass wir irgendwo in Bosasso schlafen werden. Wir haben in einem Hotel geschlafen. Man hat uns erklärt, dass dieser Mann uns anführen wird und dass wir seine Beschützer sein müssen. Als wir dort im Camp waren, hat die Regierung mehrmals dieses Camp angegriffen. [...]"

Es ist einleitend darauf aufmerksam zu machen, dass der Beschwerdeführer bereits bezüglich der Frage, wie lange er durch jenen Koranlehrer unterrichtet wurde, unterschiedliche Angaben machte. Etwa erklärte er in der Einvernahme vor dem Bundesamt am XXXX 2017, er habe etwa ein Monat Privatunterricht durch den Koranlehrer (AS 149) erhalten, während er in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2019 angab, dieser habe sich über einen Zeitraum von vier Jahren, einmal wöchentlich, erstreckt (siehe oben angeführte Passage des Verhandlungsprotokolls). Dieser Widerspruch ruft in Verbindung mit den zuvor erörterten Inkonsistenzen hinsichtlich der in Somalia erhaltenen Schulbildung erhebliche Zweifel an einer tatsächlich stattgefundenen Zwangsrekrutierung durch jenen Koranlehrer hervor.

Auch erklärte der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem Bundesamt am XXXX 2017 noch, besagter Koranlehrer habe ihn in der Moschee, in der er unterrichtet worden sei, zusammen mit mehreren Mitschülern zu sich gerufen und ihnen mitgeteilt, dass sie "wo hingehen müssen". Er habe sie dann am Nachmittag nach dem Gebet in ein Teehaus gebracht und von dort direkt in das Lager der Al Shabaab in Galgale gefahren (AS 145). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2019 beschrieb der Beschwerdeführer den zeitlichen Ablauf der Zwangsrekrutierung insofern unterschiedlich, als er angab, er und weitere Schüler seien in einer Pause in eine Cafeteria gegangen, wobei der Koranlehrer dazugekommen sei. Dieser habe ihnen aufgetragen, am Nachmittag in die Moschee zu kommen, und habe sie nach dem Nachmittagsgebet in einem Auto mitgenommen (siehe oben angeführte Passage des Verhandlungsprotokolls).

Darüber hinaus blieben die Angaben des Beschwerdeführers zum Tagesablauf im Camp der Al Shabaab in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2019 wenig konkret. Der Beschwerdeführer beschrieb keinen Kontext, keinen Hintergrund, keine konkrete Situation, noch schilderte er die Kontakte und den Tagesablauf dort nachvollziehbar, sondern bleib mit seinen Angaben sehr oberflächlich. Dabei fällt auch auf, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2019 vorbrachte, das Camp sei während seines Aufenthalts mehrmals von der Regierung angegriffen worden, wobei er dies in den vorgehenden Befragungen gänzlich unerwähnt ließ.

Zum vorgebrachten Anschlag in Bosasso ist überdies auszuführen, dass die Angaben des Beschwerdeführers auch zu diesem Punkt unsubstantiiert und teilweise widersprüchlich waren. Etwa konnte er keine Angaben zur Person des Opfers und der Gründe für dessen Ermordung machen. Behauptete er weiter noch in der Einvernahme durch das Bundesamt am XXXX 2017, er sei zuerst vom Camp nach Bosasso in ein Hotel gebracht und dort über den Mordauftrag informiert worden (AS 147), erklärte er in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2019, er und drei weitere Mitgefangene seien bereits im Camp der Miliz von einem Kommandanten über den geplanten Mordanschlag in Kenntnis gesetzt worden (siehe oben angeführte Passage des Verhandlungsprotokolls). Weiter muss darauf hingewiesen werden, dass die Beschreibung der Ausführung des Anschlags und auch die anschließende Flucht sehr vage und detailarm blieb. Das vorgebrachte zufällige Antreffen eines Onkels des Beschwerdeführers im Zuge der Flucht nach dem Anschlag wirkt schließlich konstruiert und wenig glaubhaft.

Abgesehen von den zahlreichen Widersprüchen im Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, findet das vom Beschwerdeführer geschilderte Szenario einer erfolgten Zwangsrekrutierung durch Al Shabaab in Bosasso auch keine Deckung in den oben angeführten Länderberichten. Danach kontrolliert Al Shabaab in Puntland keine relevanten Gebiete, sondern ist nur in wenigen, schwer zugänglichen Bergregionen mit Lagern vertreten, namentlich im Gebiet der Galgala-Berge. Generell kommen Zwangsrekrutierungen ausschließlich in Gebieten unter Kontrolle der al Shabaab vor (siehe oben S. 9). Die Stadt Bosasso selbst steht jedoch unter der Kontrolle puntländischer Sicherheitskräfte.

Es wird nicht übersehen, dass die Länderinformationen dennoch davon ausgehen, dass Al Shabaab in Puntland über größere Kapazitäten als in Somaliland verfügt. Die Gruppe verfügt dort auch mit Sicherheit über Mitglieder, welche Deserteure aus Süd- /Zentralsomalia abfangen können. Um aber auch Fußsoldaten tatsächlich nachzuspüren, bedürfte es nach Meinung einer Quelle seitens der Al Shabaab absoluter Entschlossenheit. Diese Quelle gibt an, dass für eine derartige Vorgangsweise - also der Verfolgung eines Deserteurs in Puntland - ein besonderer Grund vorliegen müsste. Eine andere Quelle gibt an, dass Deserteure der Al Shabaab in den meisten Teilen Puntlands nicht als gefährdet erachtet werden, da Al Shabaab dort über keine weitreichenden Netzwerke verfügt, um gezielte Attentate durchführen zu können.

Vor diesem Hintergrund ist eine Bedrohung des Beschwerdeführers durch Al Shabaab als allfälliger einfacher Deserteur niedrigen Ranges, selbst bei einer Annahme seiner Fluchtgeschichte als wahr, im Falle einer Rückkehr nach Bosasso nicht wahrscheinlich.

Eine erfolgte Zwangsrekrutierung des Beschwerdeführers durch seinen Koranlehrer bzw. Al Shabaab im Jahr 2016 in Bosasso, eine Beteiligung an einem Mordanschlag in Bosasso und eine anschließende Flucht können mangels Glaubhaftmachung nicht festgestellt werden. Ebensowenig kann die Feststellung einer Gefährdung des Beschwerdeführers durch Al Shabaab im Falle einer Rückkehr nach Somalia erfolgen.

2.2.3. Zum Abschiebehindernis

Die Feststellung zum Bestehen eines Abschiebehindernis beruht im Wesentlichen auf den aktuellen Informationen zur schlechten Versorgungslage infolge ausgefallener Regenfälle in Somalia allgemein und insbesondere in der Region Bari, in der der Herkunftsort des Beschwerdeführers liegt. Die herangezogenen Berichte führen aus, dass das verspätete Einsetzen der Gu-Regenfälle im ersten Halbjahr 2019 zu einer schweren Dürre geführt hat. In der Region Bari fiel nur 25% der sonst üblichen Regenmenge, was sich besonders negativ auf den dortigen Viehbestand auswirkte und es zu erheblichen Versorgungsengpässen kam.

Zwar haben die mittlerweile eingesetzten Gu-Regenfälle die Dürre-Bedingungen Gesamtsomalia betreffend etwas entspannt, doch war der Niederschlag erratisch und schlecht verteilt. Der FSNAU Somalia Food Security Outlook Report for June 2019 to January 2020 besagt die Region Bari betreffend einerseits, dass in Teilen der Region weiterhin ein Regendefizit herrscht und andererseits, dass es in anderen Teilen der Region zu schweren Regenfällen kam, die mit Sturzfluten einhergingen, welche zu einer Beschädigung der Infrastruktur un

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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