TE Vwgh Beschluss 1998/7/1 98/09/0026

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Veröffentlicht am 01.07.1998
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §34 Abs2;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):98/09/0027

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, in den Beschwerdesachen des Ing. O in K, vertreten durch Gruner & Pohle, Rechtsanwälte in Wien VII, Kirchengasse 19, über die Anträge des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ergänzung der zu den hg. Zlen. 98/09/0026 und 98/09/0027 protokollierten Beschwerden gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich jeweils vom 11. September 1996, Zlen. Senat-WU-94-162 (protokolliert zur hg. Zl. 98/09/0026) und Senat-WU-95-068 (protokolliert zur hg. Zl. 98/09/0027) jeweils betreffend Bestrafung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales), den Beschluß gefaßt:

Spruch

Gemäß § 46 VwGG wird den Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattgegeben.

Begründung

Die Wiedereinsetzungsanträge des Beschwerdeführers wurden im wesentlichen damit begründet, der Beschwerdeführer, damals vertreten durch Dr. Heinz-Volker Strobl, Rechtsanwalt in Wien XXI, Floridsdorfer Hauptstraße 31, habe gegen die vorgenannten Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich die zu hg. Zlen. 96/09/0343 und 96/09/0344 protokollierten Beschwerden erhoben, die mit Berichterverfügungen jeweils vom 20. November 1996, zur Behebung von Mängeln zurückgestellt worden seien. Durch ungenütztes Verstreichen der gesetzten dreiwöchigen Verbesserungsfrist sei das Verfahren über die Beschwerden in der Folge mit Beschlüssen des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. März 1997 eingestellt worden. Ab Mitte 1996 seien bei Dr. Strobl erhebliche gesundheitliche und familiäre Probleme aufgetreten, die dazu geführt hätten, daß er nicht mehr in der Lage gewesen sei, den Kanzleibetrieb ordnungsgemäß aufrechtzuerhalten. Sowohl Dr. Strobl als auch die Angestellten seiner Kanzlei seien naturgemäß bemüht gewesen, diesen Umstand nach außen hin geheim zu halten, sodaß es für den Beschwerdeführer nicht erkennbar gewesen sei, daß seine Rechtsangelegenheiten durch Dr. Strobl nicht mehr mit der gewohnten Zuverlässigkeit und Genauigkeit bearbeitet worden seien. Auf Grund des genannten Zustandes der Kanzlei sei es in der Folge zu zahlreichen Fristversäumnissen gekommen, die dem Beschwerdeführer aus den oben angeführten Gründen nicht mitgeteilt worden seien. Da sämtliche behördliche Schriftstücke direkt an Dr. Strobl als dem in den Verfahren ausgewiesenen rechtsfreundlichen Vertreter gesandt worden seien, habe der Beschwerdeführer keine Chance gehabt, davon Kenntnis zu erlangen, daß Fristenversäumnisse eingetreten seien. Am 20. Juni 1997 sei über das Vermögen Dris. Strobl der Konkurs eröffnet und Rechtsanwalt Dr. Robert Pohle zum mittlerweiligen Stellvertreter bestellt worden. Bei einer von diesem durchgeführten Kanzleibesichtigung habe sich herausgestellt, daß der Kanzleibetrieb bereits 1996 zusammengebrochen sein müsse und zumindest seit Herbst 1996 keine zuverlässige Aktenevidenz und Fristeneinhaltung mehr gewährleistet gewesen sei. Es habe sich weiters herausgestellt, daß Akten teilweise unvollständig oder überhaupt nicht vorhanden gewesen seien, was sich erst gezeigt habe, als ehemalige Klienten sich wegen ihrer Angelegenheiten an Dr. Pohle gewandt hätten. Vom gegenständlichen Verfahren habe dieser erst indirekt dadurch Kenntnis erlangt, daß am 25. November 1997 ein Bescheid des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung in seiner Kanzlei eingelangt sei, in dem u.a. auch die den vorliegenden Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden Straferkenntnisse angeführt worden seien. Es habe sich weiters herausgestellt, daß im gegenständlichen Verfahren auch Verwaltungsgerichtshofbeschwerden anhängig gemacht worden seien, wovon sich Dr. Pohle erst durch eine Akteneinsicht beim Verwaltungsgerichtshof am 4. Dezember 1997 habe überzeugen können. Am 13. Dezember 1997 seien sodann in einem losen Stapel von Papieren die zurückgestellten Beschwerden aufgefunden worden.

Dieses Vorbringen wurde durch die amtswegig eingeholte Auskunft der Rechtsanwaltskammer Wien vom 12. Juni 1998 bestätigt.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Gemäß Abs. 3 leg. cit. ist der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach Aufhören des Hindernisses zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.

Bei dem Begriff "unvorhergesehen" sind, wenn auch unter strenger Würdigung, die subjektiven Verhältnisse der Partei zu berücksichtigen. Wiedereinsetzungsgründe und ihre Bedeutung sind daher nicht nur nach dem objektiven Gewicht ihres Tatbestandes, sondern auch nach der Bedeutung, die sie subjektiv für die Partei im Einzelfall hatten, zu beurteilen. Maßgebend ist dabei nicht der objektive Durchschnittsablauf, sondern der konkrete Ablauf der Ereignisse. Unvorhergesehen ist ein Ereignis dann, wenn die Partei es tatsächlich nicht mit einberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht erwarten konnte (vgl. auch den Beschluß eines verstärkten Senates vom 25. März 1976, Slg. Nr. 9024/A und das hg. Erkenntnis vom 16. Mai 1984, Slg. Nr. 11.439/A). In der Person eines bevollmächtigten Vertreters eingetretene Tatumstände sind für die vertretene Partei dann ein Wiedereinsetzungsgrund, wenn sich diese Umstände als ein unverschuldetes und unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen. Die im Zeitraum zwischen Erlassung der angefochtenen Bescheide und dem Ablauf der Verbesserungsfristen im Beschwerdeverfahren nach außen hin nicht augenscheinlich zutage getretene, sondern erst ex post festgestellte Dispositionsunfähigkeit des damaligen Rechtsvertreters des Beschwerdeführers stellt ein derartiges, für diesen selbst unverschuldetes und sowohl unvorhergesehenes als auch unabwendbares Ereignis dar, weshalb im Sinn des § 46 VwGG die Wiedereinssetzung zu bewilligen war.

Den Wiedereinsetzungsanträgen war daher stattzugeben.

Schlagworte

Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7FristAuslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1998090026.X00

Im RIS seit

03.04.2001

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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