TE Vwgh Beschluss 2020/1/20 Ra 2019/20/0617

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Veröffentlicht am 20.01.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Dr. Schwarz und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in der Rechtssache der Revision des M A R in B, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Juli 2019, W232 2171124-1/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 7. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass die Taliban ihn mitgenommen hätten, um ihn zwangsweise zu rekrutieren. Überdies gab er später an, er habe sich vom Islam abgewendet. 2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom 22. August 2017 ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 3. Oktober 2019, E 3364/2019-6, die Behandlung derselben ablehnte. Mit Beschluss vom 25. November 2019, E 3364/2019-8, trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde des Revisionswerbers über nachträglichen Antrag gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 8 Die Revision bringt in der Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst zunächst vor, dem Revisionswerber drohe aufgrund seiner Abkehr vom Islam eine asylrelevante Verfolgung. Eine solche könne nicht nur daraus resultieren, eine Religion vollkommen abzulehnen, eine andere Religion anzunehmen oder sich zum Atheismus zu bekennen. Der Revisionswerber würde in Afghanistan jedenfalls wegen Blasphemie und Apostasie verfolgt werden. Das BVwG habe sich nicht ausreichend mit der religiösen Einstellung des Revisionswerbers auseinandergesetzt. Das BVwG habe nicht begründet, warum es eine innere Überzeugung des Revisionswerbers für nicht glaubhaft erachte. Der Revisionswerber lehne den Islam ab und zeige dies auch. Das BVwG hätte feststellen müssen, dass der Revisionswerber Atheist sei. Es gebe Anzeichen dafür, dass der Revisionswerber insofern seine Religion gewechselt habe, als er nicht mehr der in Afghanistan praktizierten Form des Islam anhänge. Aufgrund seiner mangelnden Religiosität würde der Revisionswerber in Afghanistan keine Unterstützung erhalten. Es sei aktenwidrig, wenn das BVwG ausführe, der Revisionswerber habe sein Vorbringen gesteigert, weil er Probleme mit seiner Religionszugehörigkeit nicht schon bei der Einvernahme vor dem BFA geltend gemacht habe. Weiters wendet sich die Revision gegen die Beweiswürdigung zur behaupteten Entführung des Revisionswerbers durch die Taliban und macht in diesem Zusammenhang Begründungsmängel geltend.

9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 20.11.2019, Ra 2019/20/0286, mwN). 10 Eine solche Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung vermag der Revisionswerber nicht aufzuzeigen. Das BVwG hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlungen mit dem Vorbringen des Revisionswerbers zu den Gründen seiner Flucht umfassend auseinandergesetzt und ausführlich dargelegt, warum es diesem keinen Glauben schenkt bzw. dieses als nicht asylrelevant betrachtet. Es führte zum behaupteten Abfall vom Islam zusammengefasst aus, dass sich der Revisionswerber in Österreich zwar für keine Religion interessiere, aber keine ernsthafte Abwendung des Revisionswerbers vom Islam vorliege, die er in Afghanistan nach außen tragen würde. Bei seinen beweiswürdigenden Erwägungen stützte sich das Verwaltungsgericht nicht bloß auf eine Steigerung des diesbezüglichen Vorbringens, sondern darüber hinaus auf zusätzliche, für sich tragende Erwägungen, denen die Revision nicht konkret entgegentritt, sodass die Beweiswürdigung aus diesem Blickwinkel keinen Bedenken begegnet. Der Revisionswerber hat in der mündlichen Verhandlung selbst angegeben, er glaube, dass es einen Gott gebe. Ausgehend davon ist die Einschätzung des BVwG, wonach der Revisionswerber sich in Afghanistan nicht zum Atheismus bekennen würde, unbedenklich.

11 Bei der Beurteilung des BVwG, wonach der Revisionswerber im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seines mangelnden Interesses am islamischen Glauben keiner Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre, zumal er den Islam nicht öffentlich kritisiere, stützte sich das Verwaltungsgericht auf eine ACCORD-Anfragebeantwortung zur Situation von Personen in Afghanistan, die sich nicht an die Regeln des Islam halten. Die Revision legt nicht dar, warum die Beurteilung des BVwG vor dem Hintergrund der fallbezogen getroffenen Feststellungen, welchen nicht entgegen getreten wird, unvertretbar sein sollte.

12 Soweit die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung weiters geltend macht, das BVwG habe seiner Entscheidung veraltete Länderberichte zugrunde gelegt, ist auf ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach das BVwG seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen hat. Eine Verletzung dieser Vorgabe stellt einen Verfahrensmangel dar. Es reicht jedoch nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 3.9.2019, Ra 2019/20/0022, mwN). Der Revision gelingt es mit ihrem pauschalen Vorbringen, dass sich laut der Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) die Situation in Afghanistan seit dem Jahr 2018 verschlechtert habe, nicht, die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels darzutun, zumal das BVwG seiner Entscheidung das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29. Juni 2018 samt aktueller Kurzinformation vom 4. Juni 2019 zugrunde gelegt hat. Ergänzend wird angemerkt, dass der vom Revisionswerber zum Beweis der Verschlechterung der Sicherheitslage insbesondere im dritten Quartal 2019 ins Treffen geführte vierteljährige Bericht betreffend den Zeitraum Jänner bis September 2019 dem Verwaltungsgericht im Entscheidungszeitpunkt 31. Juli 2019 noch nicht vorgelegen sein konnte.

13 Soweit die Revision schließlich die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK beanstandet, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 17.10.2019, Ra 2019/20/0311, mwN). Mit dem allgemein gehaltenen Vorbringen, der Rückkehrentscheidung liege keine rechtskonforme Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Einzelfalles zugrunde, gelingt es der Revision nicht aufzuzeigen, dass die Interessenabwägung des BVwG fallbezogen unvertretbar wäre.

14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 20. Jänner 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019200617.L00

Im RIS seit

04.03.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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