TE Vwgh Beschluss 2020/2/7 Ra 2019/03/0143

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Veröffentlicht am 07.02.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §45 Abs3
VwGG §30 Abs2
VwGVG 2014 §13 Abs1
VwGVG 2014 §13 Abs2
VwGVG 2014 §13 Abs4
VwGVG 2014 §22
VwGVG 2014 §22 Abs3
VwGVG 2014 §24
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Samm als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Dr. K G in M, vertreten durch Mag. Ingrid Juliane Gaismayer, Rechtsanwältin in 1020 Wien, Wohlmutstraße 23/28, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 19. Juli 2019, Zl. VGW-101/V/056/8722/2019-1, betreffend eine Angelegenheit nach dem EisbEG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien; mitbeteiligte Partei: W KG in W), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die belangte Behörde hatte mit Bescheid vom 24. Mai 2019 gemäß § 2 Abs. 1 und 2 Z 3 und 4 iVm § 17 EisbEG zu Gunsten der Mitbeteiligten die Enteignung des Revisionswerbers als Eigentümer des Grundstücks Nr. 412, inneliegend in EZ 588 der KG N, durch Einräumung näher genannter Dienstbarkeiten (im Wesentlichen:

Duldung von Errichtung, Bestand und Betrieb einer Verkehrstunnelanlage samt damit in Zusammenhang stehenden Maßnahmen, teils auf Dauer, teils auf Baudauer; zur Ermöglichung der Errichtung des Neubaus der U-Bahnlinie U2 im betreffenden Bauabschnitt) verfügt (Spruchpunkt I), gemäß § 17 Abs. 2 EisbEG die Höhe der Enteignungsentschädigung mit Euro 22.639,-- festgesetzt (Spruchpunkt II) und gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde ausgeschlossen (Spruchpunkt III); weitere Spruchpunkte betreffen Entscheidungen über Verfahrenskosten (Spruchpunkt IV) bzw. Verwaltungsabgaben (Spruchpunkt V).

2 In der Begründung führte die belangte Behörde u.a. Folgendes aus: Die Mitbeteiligte habe im Verfahren den Enteignungsantrag insofern eingeschränkt, als für die Vorhabensrealisierung nur eine geringere Fläche (226 m2) als ursprünglich angenommen und beantragt (625 m2) für die notwendigen Kompensationsinjektionen erforderlich sei. Dem habe der Revisionswerber entgegnet, diese Einschränkung erfolge nur aus wirtschaftlichen Gründen und es fehle die Bestätigung eines befugten Ziviltechnikers, wonach auch die reduzierten Sicherungsmaßnahmen ausreichend seien. Die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung sei gerade auf Basis der mitbeantragten Sicherungsmaßnahmen erteilt worden, vor der Einräumung einer Dienstbarkeit mit reduzierten Sicherungsmaßnahmen sei daher ein statischer Nachweis erforderlich.

3 Die belangte Behörde legte dazu dar, mit Rechtskraft des eisenbahnrechtlichen Baugenehmigungbescheids sei bindend festgestellt, dass das öffentliche Interesse an der Durchführung des Bauvorhabens die entgegenstehenden Interessen überwiege. Die beantragten Dienstbarkeiten seien für die Vorhabensrealisierung erforderlich. Die Fläche für Kompensationsinjektionen sei auf Grund fortgeschrittener Detailplanung eingeschränkt worden; die nunmehr enteignungsgegenständliche Fläche finde daher jedenfalls in der Baugenehmigung Deckung. Obwohl "die Frage der Flächenreduktion daher nicht Gegenstand des Enteignungsverfahrens" sei, sei die Mitbeteiligte aufgefordert worden, Nachweise vorzulegen, dass die Kompensationsinjektionen nur mehr im eingeschränkten Ausmaß erforderlich seien. Mit den daraufhin vorgelegten Unterlagen habe sich der von der Behörde bestellte eisenbahntechnische Amtssachverständige inhaltlich auseinandergesetzt und sie zusammengefasst als ausreichend, schlüssig und nachvollziehbar beurteilt; dem sei der Revisionswerber nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Die beantragte Enteignung sei daher im öffentlichen Interesse gelegen und auch notwendig.

4 Spruchpunkt III wurde (zusammengefasst) wie folgt begründet:

5 Die Mitbeteiligte habe die Aberkennung aufschiebender Wirkung gefordert, weil dem Projekt der U-Bahn-Verlängerung auf Grund des vom Wiener Gemeinderat beschlossenen "Fachkonzepts Mobilität" erste Priorität zukomme. Die finanzielle Bedeckung sei gesichert, der Konzessionsbescheid und die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung lägen vor, erforderliche öffentliche Vergaben seien bereits erfolgt oder projektplanmäßig in Vorbereitung. Zur termin- und plangemäßen Umsetzung des im öffentlichen Interesse gelegenen Bauvorhabens auf dem gegenständlichen Grundstück fehle aktuell nur die Rechteeinräumung durch den Revisionswerber. Eine mit aufschiebender Wirkung verbundene Beschwerde gegen den Enteignungsbescheid brächte die Gefahr einer wesentlichen Verzögerung des Bauvorhabens mit sich. Ein vorzeitiger Vollzug sei schon deshalb geboten, weil bis dahin jegliche Maßnahmen untersagt seien. Das öffentliche Interesse werde durch den genannten Beschluss des Wiener Gemeinderats in besonderem Maße belegt: Es sei zu erwarten, dass die Realisierung der vierten Ausbaustufe u. a. eine positive Veränderung des Bruttosozialprodukts durch Erreichbarkeitsverbesserungen, eine positive Veränderung an Emissionen und Luftschadstoffen und eine positive Veränderung von Unfallfolgekosten bewirke. Dieses öffentliche Interesse würde gefährdet, wenn die U-Bahn wegen eines verzögerten Beginns des Bauvorhabens letztendlich verspätet ausgeführt würde. "Gefahr im Verzug" iSd § 13 Abs. 2 VwGVG - also die Möglichkeit eines gravierenden Nachteils für das öffentliche Wohl durch Aufschub der Vollstreckung - sei im vorliegenden Fall gegeben, weil die Verzögerung der Ausführung des im öffentlichen Interesses gelegenen Bauvorhabens massive finanzielle sowie budgetäre Nachteile - etwa durch "klassische Mehrkostenforderungen von Auftragnehmern" -- für die Mitbeteiligte und somit für die öffentliche Hand mit sich brächte. Hinzu kämen - bei verspäteter Umsetzung der projektbedingten Verringerung des CO2-Ausstoßes um knapp 2.500 t/Jahr - unmittelbare Kosten im Umweltbereich (etwa für CO2-Zertifikate) und mit einem höheren CO2-Ausstoß verbundene mittelbare Kosten im Gesundheitsbereich. Dieser Gefahr stehe kein unbilliger Nachteil des Revisionswerbers gegenüber, weil selbst im Fall des Erfolgs einer Bescheidbeschwerde alle von der Rechtsordnung eingeräumten Ansprüche auf Geldersatz und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands offenstünden. 6 Dem habe der Revisionswerber entgegnet, es sei falsch, dass zur Ermöglichung der termingemäßen Projektausführung auf dem antragsgegenständlichen Grundstück nur die Rechteeinräumung durch ihn fehle. Vielmehr zeige schon die Anzahl der anhängigen Enteignungsverfahren, dass noch längst nicht alle für die Bauvorhabenumsetzung notwendigen Dienstbarkeiten bestünden. Das von der Mitbeteiligten angeführte Fachkonzept betreffend die projektbedingte Verminderung des CO2-Ausstoßes belege die angenommene Verminderung nicht und könne - auch als richtig unterstellt - keinen mit einem Aufschub verbundenen Nachteil für das öffentliche Wohl nachweisen.

7 Die belangte Behörde legte dazu dar, Voraussetzung für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung sei "Gefahr im Verzug", also ein mit dem Aufschub verbundener zu erwartender erheblicher Schaden, durch den öffentliche Interessen oder die einer Partei beeinträchtigt würden. Dies erfordere eine Interessensabwägung zwischen dem Rechtsschutzinteresse des Enteignungsgegners und entgegen stehenden öffentlichen oder privaten Interessen. Das öffentliche Interesse an der möglichst zügigen Umsetzung der Verlängerung der U2 - die Verbesserung des Netzes durch ein hochrangiges öffentliches Verkehrsmittel und Entlastung des Straßenverkehrs - sei evident und zudem im eisenbahnrechtlichen Konzessionsverfahren und in den den verfahrensgegenständlichen Bauabschnitt betreffenden eisenbahnrechtlichen Bauverfahren nachgewiesen worden. Daraus ergebe sich, dass die Bauarbeiten im öffentlichen Interesse geboten seien und das Interesse an ihrer Umsetzung nicht durch andere öffentliche Interessen überwogen würde. Zu berücksichtigen sei weiters, dass das Bauvorhaben der Verlängerung der U2 ein beachtliches Ausmaß aufweise und seine Realisierung von komplexen volkswirtschaftlichen und budgetären Faktoren abhänge. Eine Verzögerung bei der Inanspruchnahme der gegenständlichen Liegenschaft würde den Zeitplan für die Umsetzung des Gesamtvorhabens verzögern, was eine Gefahrenlage iSd § 13 Abs. 2 VwGVG darstelle. Da bei der Enteignungswerberin als 100%iger Tochter der Stadt Wien ausreichende Liquidität für den Schadensfall vorliege und im Fall des Erfolgs einer Bescheidbeschwerde alle Ansprüche auf Geldersatz und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands offenstünden, sei kein irreversibler Nachteil für den Revisionswerber zu befürchten, sodass dessen Interessen an der Unterlassung eines Eigentumseingriffs und der Aufrechterhaltung der unbeschränkten Nutzung der in Anspruch genommenen Flächen die dargestellten öffentlichen Interessen nicht überwögen. Da die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 VwGVG somit vorlägen, sei dem Antrag der Mitbeteiligten stattzugeben gewesen.

8 Gegen die Spruchpunkte I, III und IV dieses Bescheids erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Verwaltungsgericht. 9 Er machte u.a. geltend, es fehle - zumal es sich bei den im Zusammenhang mit der Flächenreduktion von der Mitbeteiligten vorgelegten Unterlagen nicht um eine Ziviltechnikerbestätigung handle - eine nachvollziehbare Begründung, warum auch durch die eingeschränkten Kompensationsinjektionen die Gefahr von Setzungen hintangehalten werden könne. Ein Antrag des Revisionswerbers auf Einräumung der Parteistellung "im wiederzueröffnenden" Baugenehmigungsverfahren sei bislang erfolglos geblieben, weil nach Auffassung der belangten Behörde eine Verringerung der Fläche für bautechnische Hilfsmaßnahmen nicht genehmigungspflichtig sei. 10 Er brachte weiter - unter Hinweis auf entsprechende Medienberichte - vor, es fehle an der Dringlichkeit der Enteignung, zumal das Bauprojekt schon durch einen notwendig gewordenen Widerruf von Ausschreibungen verzögert werde und die Finanzierung nicht gesichert sei, weil offenbar die finanzielle Deckung zu den derzeitigen Marktpreisen der Bauindustrie nicht gegeben sei. Dessen ungeachtet habe die belangte Behörde die Angaben der Mitbeteiligten zur finanziellen Bedeckung und Vornahme der erforderlichen Vergaben ungeprüft übernommen. Da der Beginn des Bauvorhabens schon aus den genannten Gründen verzögert worden sei, begründe die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen den Bescheid keine - weitere - Verzögerung. Eine Dringlichkeit der Umsetzung sei daher nicht gegeben. Zudem fehle es an einer gehörigen Interessenabwägung, weil die belangte Behörde die Interessen des Revisionswerbers und der Hausbewohner nicht individuell geprüft habe. Der Revisionswerber machte dazu geltend, das Argument des vollen Geldersatzanspruches im Fall des Erfolgs der Beschwerde sei schon deshalb unzutreffend, weil Mietzinsentgang nach der (vor dem Hintergrund der für Ersatzansprüche anzuwendenden objektiv-abstrakten Berechnungsmethode allerdings unzutreffenden) Rechtsauffassung der belangten Behörde nicht ersatzfähig sei. Ausreichende Ermittlungen zur Dringlichkeit, zur Interessenabwägung und zum Umfang eines allfälligen Ersatz- bzw. Wiederherstellungsanspruchs hätten zu einer anderen Entscheidung geführt.

11 Die Mitbeteiligte erstattete eine Gegenäußerung, in der sie der Beschwerde entgegentrat und u.a. geltend machte, die Kompensationsinjektionen seien nur in geringerem Ausmaß erforderlich, weil sich im Zuge der Detailplanung herausgestellt habe, dass der Untergrund wesentlich stabiler sei als angenommen. Der Umfang der Enteignung finde im Baugenehmigungsbescheid Deckung; durch die Verringerung der Kompensationsfläche würde der Revisionswerber in seinen Rechten - als "minus" - weniger beeinträchtigt. Ob es zu einer Gefährdung des Eigentums des Revisionswerbers komme, sei nicht Gegenstand des Enteignungsverfahrens, sondern ausschließlich der eisenbahnrechtlichen Baugenehmigung.

12 Mit dem nun in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht - ohne unter einem über die Beschwerde in der Hauptsache zu entscheiden - die Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt III des Bescheids) ab. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

13 In der Begründung führte das Verwaltungsgericht - nach einer Darlegung der maßgebenden Rechtsvorschriften und von sich aus der Judikatur ergebenden Grundsätzen für die Entscheidung über die Aberkennung aufschiebender Wirkung - fallbezogen im Wesentlichen Folgendes aus: Die belangte Behörde habe den mit dem Aufschub der Bauarbeiten verbundenen materiellen und immateriellen Schaden dargelegt; dieser sei von der Beschwerde nicht in Abrede gestellt worden. Die bloße zwangsweise Einräumung von Dienstbarkeiten könne bei einem Eisenbahnbauvorhaben von erheblicher verkehrspolitischer Bedeutung wie dem vorliegenden keinen unverhältnismäßigen Nachteil indizieren. Der Revisionswerber habe zwar geltend gemacht, es läge keine Dringlichkeit vor, dazu aber bloß budgetäre Probleme samt notwendiger Neuausschreibung pauschal geltend gemacht. Die damit einhergehenden Verzögerungen rechtfertigten aber kein Interesse an einer - mit einem Aufschub des vorliegenden Projekts verbundenen - weiteren Verzögerung. Der Revisionswerber habe auch nicht etwa konkret und substantiiert dargelegt, dass sich die Entscheidungsvoraussetzungen wesentlich geändert hätten. 14 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende - außerordentliche - Revision.

15 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

16 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 17 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 18 Die demnach für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision allein maßgebende Zulässigkeitsbegründung der Revision macht zusammengefasst Folgendes geltend:

19 Die angefochtene Entscheidung weiche insofern von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (zitiert wird VwGH 1.9.2014, Ra 2014/03/0028) ab, als es an der notwendigen Interessenabwägung mangle. Zudem fehle Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung im Fall von Baumaßnahmen, die von der Baubewilligung abwichen und alten historischen Baubestand massiv bedrohten und die Bewohner gefährdeten. Die Revision bringt in diesem Zusammenhang vor, die Mitbeteiligte wolle den Tunnelvortrieb insofern abweichend vom Baubescheid ausführen, als die durch Kompensationsinjektionen vor Setzungen zu schützende Fläche um zwei Drittel reduziert werden solle. Dazu lägen keine Sachverständigengutachten vor; aus dieser Maßnahme drohe dem Revisionswerber - wegen zu befürchtender massiver Setzungen - unverhältnismäßiger irreversibler Schaden. Auch wenn im Enteignungsverfahren regelmäßig das Bestehen öffentlichen Interesses nicht mehr zu prüfen sei, könne dies in einem - hier vorliegenden - Fall, wo von der Baubewilligung abgewichen werden solle, nicht gelten.

20 Damit wird nicht dargelegt, dass der Verwaltungsgerichtshof bei Entscheidung über die vorliegende Revision eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art 133 Abs. 4 B-VG zu beantworten hätte.

21 Die für die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde maßgebenden Bestimmungen des VwGVG lauten - auszugsweise - wie folgt:

"Aufschiebende Wirkung

§ 13. (1) Eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat aufschiebende Wirkung.

(2) Die Behörde kann die aufschiebende Wirkung mit Bescheid ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Ein solcher Ausspruch ist tunlichst schon in den über die Hauptsache ergehenden Bescheid aufzunehmen.

(3) Die Behörde kann Bescheide gemäß Abs. 2 von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei aufheben oder abändern, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt so geändert hat, dass seine neuerliche Beurteilung einen im Hauptinhalt des Spruchs anderslautenden Bescheid zur Folge hätte.

(4) Die Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß Abs. 2 hat keine aufschiebende Wirkung. Sofern die Beschwerde nicht als verspätet oder unzulässig zurückzuweisen ist, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Das Verwaltungsgericht hat über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden und der Behörde, wenn diese nicht von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, die Akten des Verfahrens zurückzustellen.

...

Aufschiebende Wirkung

§ 22. (1) ...

(2) Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung durch Beschluss ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist.

(3) Das Verwaltungsgericht kann Bescheide gemäß § 13 und Beschlüsse gemäß Abs. 1 und 2 auf Antrag einer Partei aufheben oder abändern, wenn es die Voraussetzungen der Zuerkennung bzw. des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung anders beurteilt oder wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über den Ausschluss bzw. die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde maßgebend waren, wesentlich geändert haben."

22 Gemäß § 13 Abs. 1 VwGVG hat eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG - ex lege -

aufschiebende Wirkung. Diese kann jedoch gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG bei Vorliegen der danach maßgeblichen Voraussetzungen von der Behörde mit Bescheid ausgeschlossen werden. § 13 VwGVG statuiert damit als Grundsatz, dass einer (rechtzeitigen und zulässigen) Bescheidbeschwerde aufschiebende Wirkung zukommt, die von der Behörde nur unter den in Abs. 2 genannten Voraussetzungen - wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheids wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist - aberkannt werden darf (Regel-Ausnahme-Prinzip).

23 Das Tatbestandsmerkmal "Gefahr im Verzug" bringt zum Ausdruck, dass der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nur das Eintreten erheblicher Nachteile für eine Partei bzw. gravierender Nachteile für das öffentliche Wohl verhindern soll (vgl. VwGH 11.4.2018, Ro 2017/08/0033 und Ro 2018/08/0005). Voraussetzung für den Ausschluss der einer Beschwerde grundsätzlich zukommenden aufschiebenden Wirkung ist daher eine nachvollziehbare Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und der Interessen der Verfahrensparteien, aus der sich ebenso nachvollziehbar ergibt, dass für den Fall, dass die aufschiebende Wirkung nicht ausgeschlossen wird, gravierende Nachteile für das öffentliche Wohl eintreten würden bzw. gravierende Nachteile für eine Partei, die jene Nachteile deutlich überwiegen, die bei nicht verfügtem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde anderen Verfahrensparteien entstehen würden (vgl. VwGH 5.9.2018, Ra 2017/03/0105); das Bestehen öffentlicher Interessen am Vollzug der Maßnahme berechtigt hingegen nicht schon ohne Weiteres zur Annahme, dass eben diese Interessen auch eine sofortige Verwirklichung der getroffenen Maßnahmen dringend gebieten (vgl. VwGH 6.5.2019, Ra 2019/03/0040 mwN, zur insoweit vergleichbaren Aufschiebungsentscheidung nach § 30 Abs. 2 VwGG). 24 Gemäß § 13 Abs. 4 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Beschwerde gegen einen die aufschiebende Wirkung ausschließenden Bescheid nach § 13 Abs. 2 VwGVG ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden. Ausgehend von § 22 Abs. 3 VwGVG hat es dabei auch auf allfällige Sachverhaltsänderungen nach Erlassung des Bescheids Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 1.9.2014, Ra 2014/03/0028).

25 § 13 Abs. 4 VwGVG steht aber auch der Berücksichtigung jener für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung maßgeblichen Umstände nicht entgegen, die bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung der Verwaltungsbehörde gegeben waren, die aber nicht Eingang in die Begründung des vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheids gefunden hatten. Dem Verwaltungsgericht ist es daher bei der nach § 13 Abs. 4 letzter Satz VwGVG unverzüglich zu treffenden Entscheidung nicht verwehrt, seine Feststellungen und die vorzunehmende Abwägung auf den gesamten Inhalt des Verfahrensaktes und das Beschwerdevorbringen zu stützen. Selbst im Fall einer gegebenenfalls mangelhaften Entscheidung der Verwaltungsbehörde über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung hat sich das Verwaltungsgericht nicht etwa darauf zu beschränken, diese Entscheidung ersatzlos zu beheben, vielmehr hat es das Vorliegen der Voraussetzungen für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nach § 13 Abs. 4 bzw. § 22 VwGVG eigenständig zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zu beurteilen.

26 Das gesetzliche Gebot, ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden, impliziert, dass grundsätzlich keine mündliche Verhandlung durchzuführen ist (VwGH 9.6.2015, Ra 2015/08/0049). Da die Entscheidung "ohne weiteres Verfahren" ergeht, hat die gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung beschwerdeführende Partei insbesondere die nicht ohne weiteres erkennbaren bzw. die in ihrer Sphäre liegenden Umstände, die ihr Interesse am Unterbleiben des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung untermauern, spätestens in der Begründung ihrer Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung konkret darzutun und zu bescheinigen (vgl. dazu VwGH 11.4.2018, Ro 2017/08/0033). Schließlich kann sich das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung nach § 13 Abs. 4 VwGVG auch auf Beschwerdevorbringen stützen, dem die anderen Verfahrensparteien, obgleich es ihnen möglich war, nicht entgegengetreten sind (vgl. dazu VwGH 1.9.2014, Ra 2014/03/0028).

27 Die auf eine rasche Entscheidung über die aufschiebende Wirkung abzielende Bestimmung des § 13 Abs. 4 letzter Satz VwGVG geht zwar davon aus, dass eine Entscheidung "ohne weiteres Verfahren" getroffen wird, also in der Regel auf der Grundlage des Verfahrensaktes und der Beschwerde sowie den allenfalls dazu erstatteten Äußerungen anderer Verfahrensparteien. Diese Bestimmung kann aber nicht dahin verstanden werden, dass es dem Verwaltungsgericht damit freigestellt wäre, seine Entscheidung auf Sachverhaltselemente zu stützen, die im Verfahren bis dahin nicht eingebracht worden waren, sodass die Verfahrensparteien keine Gelegenheit zur Äußerung zu den entsprechenden Bescheinigungs- oder Beweisergebnissen hatten. Kommt das Verwaltungsgericht daher etwa bei Prüfung der Beschwerde zum Ergebnis, dass die Entscheidung der Verwaltungsbehörde zwar im Ergebnis Bestand haben soll, dies jedoch auf Bescheinigungs- bzw. Beweismittel zu stützen wäre, zu denen einzelnen oder allen Verfahrensparteien noch keine Äußerung möglich war, so hat es diese Bescheinigungsbzw. Beweismittel mit der Gelegenheit zur Äußerung zuzustellen oder die Verfahrensparteien in geeigneter anderer Weise dazu zu hören (zur fundamentalen Bedeutung der Wahrung des Parteiengehörs vgl. etwa VwGH 13.9.2016, Ra 2016/03/0085, mwN); auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu diesem Zweck ist nicht ausgeschlossen, wenn auch grundsätzlich nicht geboten (vgl. zum Ganzen auch VwGH 5.9.2018, Ra 2017/03/0105). 28 Die Entscheidung über Zuerkennung bzw. Aberkennung (Ausschluss) der aufschiebenden Wirkung ist nach dem Gesagten das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung. Wurde eine im Einzelfall vorzunehmende Interessenabwägung vom Verwaltungsgericht auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen, so ist eine solche einzelfallbezogene Beurteilung im Allgemeinen nicht mit Erfolg mit Revision bekämpfbar. Bei der von ihm nach § 13 Abs. 4 VwGVG vorzunehmenden Entscheidung, die auf dem Boden der im Entscheidungszeitpunkt bestehenden Sach- und Rechtslage zu treffen ist, darf das Verwaltungsgericht regelmäßig von den nicht von vornherein als unzutreffend erkennbaren Annahmen der belangten Behörde ausgehen (vgl. etwa VwGH 2.11.2018, Ra 2018/03/0111, mwN). 29 Die Zulässigkeitsbegründung der Revision zeigt nicht auf, dass das Verwaltungsgericht von den durch diese Judikatur gezogenen Leitlinien, auf deren Basis auch der vorliegende Revisionsfall gelöst werden kann, abgewichen ist:

30 Sie macht im Wesentlichen geltend, die zu befürchtenden Setzungen bedrohten den alten historischen Baubestand und gefährdeten die Sicherheit der Bewohner; daraus resultiere ein unverhältnismäßiger irreversibler Schaden.

31 Wie oben (Rz. 28) dargelegt, darf das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung über die Frage der Zu- bzw. Aberkennung aufschiebender Wirkung regelmäßig von den nicht von vornherein als unzutreffend erkennbaren Annahmen der belangten Behörde ausgehen. Zwar würde eine offenbare Unrichtigkeit der behördlichen Beurteilung es ihm verwehren, seine Abwägungsentscheidung auf Basis der im Bescheid getroffenen Annahmen vorzunehmen; solches wird von der Zulässigkeitsbegründung der Revision, die geltend macht, es lägen zu dieser Frage keine Sachverständigungsgutachten vor, aber nicht aufgezeigt. Die belangte Behörde hat nämlich dargelegt, dass sich der von ihr bestellte eisenbahntechnische Amtssachverständige mit den von der Mitbeteiligten vorgelegten Nachweisen auseinandergesetzt habe und dass mit diesen Unterlagen der Nachweis erbracht worden sei, auch die eingeschränkten Kompensationsinjektionen seien ausreichend (vgl. Rz. 3). Ausgehend davon kann der Abwägungsentscheidung des Verwaltungsgerichts zur Frage der Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Beschwerde nicht zu Grunde gelegt werden, durch die in Rede stehende Reduktion der Kompensationsinjektionen drohten massive Setzungen und daraus resultierende Folgeschäden.

32 Die im Wesentlichen auf die behaupteten drohenden Setzungsschäden gestützte Zulässigkeitsbegründung der Revision zeigt daher nicht auf, dass die Abwägungsentscheidung des Verwaltungsgerichts verfehlt wäre.

33 In der Revision werden nach dem Gesagten keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 7. Februar 2020

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019030143.L00

Im RIS seit

04.03.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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