TE Lvwg Erkenntnis 2019/11/12 VGW-031/077/11001/2019

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.11.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

12.11.2019

Index

90/01 Straßenverkehrsordnung
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

StVO §52 lita Z10a
VStG §45 Abs1 Z1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Dr. Oppel über die Beschwerde der Frau A. B. gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, PK ..., vom 09.07.2019, GZ: ..., wegen Übertretung des § 52 lit. a Z 10a Straßenverkehrsordnung (StVO), am 21.10.2019 durch mündliche Verkündung

zu Recht e r k a n n t :

I.       Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben, das beschwerdegegenständliche Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 erster Fall VStG eingestellt.

II.      Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat die Beschwerdeführerin keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

III.    Die ordentliche Revision ist zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Mit dem im Spruch zitierten Straferkenntnis wurde der Beschwerdeführerin angelastet, sie habe zur angeführten Tatzeit am angeführten Tatort mit dem angeführten Kraftfahrzeug die durch Straßenverkehrszeichen in diesem Bereich kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit bei Nässe von 50 km/h um 15 km/h überschritten.

Gegen dieses Straferkenntnis hat die Beschwerdeführerin rechtzeitig Beschwerde erhoben und im Wesentlichen vorgebracht, die Fahrbahn sei nicht nass, sondern lediglich feucht gewesen.

Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens hat das Verwaltungsgericht zum Sachverhalt erwogen und festgestellt:

Die Beschaffenheit der Fahrbahn lässt sich nicht mehr mit Sicherheit, sondern lediglich mit hoher (noch nicht an Sicherheit grenzender) Wahrscheinlichkeit feststellen.

Das Verwaltungsgericht versteht unter einer feuchten Fahrbahn eine Fahrbahn, bei der sich zwar der Straßenbelag durch Feuchtigkeit bereits verfärbt haben mag, auf dem sich aber noch kein Wasserfilm gebildet hat. Eine feuchte Fahrbahn kann sich beispielsweise durch Nebel, Nieseln, sonstigen Niederschlag mit ähnlicher Niederschlagsmenge oder auch bei stärkerem Regen dann, wenn dieser soeben erst begonnen hat, ergeben.

Das Verwaltungsgericht versteht unter einer nassen Fahrbahn eine Fahrbahn, auf der sich bereits ein Wasserfilm bzw. Flüssigkeitsfilm gebildet hat. Eine nasse Fahrbahn macht sich beispielsweise dadurch bemerkbar, dass fahrende Fahrzeuge Spuren im Wasserfilm hinterlassen und dass es, wenn auch allenfalls nur in geringem Ausmaß, zu Spritzwasser kommen kann. Ist die Fahrbahn lediglich feucht, so fehlt es sowohl an einer solchen Spurenbildung als auch am Auftreten von Spritzwasser.

Im Behördenverfahren hat die Behörde eine Auskunft der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik eingeholt, der zufolge es zum Tatzeitpunkt mit leichter Intensität gerechnet hat, wobei die Niederschlagsintensität etwa 0,1 mm pro 10 Minuten betragen hat.

Dazu hat das Verwaltungsgericht erwogen, dass Feuchtigkeit oder Nässe einer Fahrbahn Folge von Niederschlägen, die vor dem Tatzeitpunkt erfolgt sind, sind. Das Verwaltungsgericht hat daher eine Stellungnahme der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik zu den Niederschlags-, Temperatur- und Windverhältnissen in den letzten 12 Stunden vor dem angelasteten Tatzeitpunkt eingeholt.

Der von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik mit Schreiben vom 28.08.2019 erteilten Auskunft zufolge fielen am 2.1.2018 zwischen 21:30 und 23:00 Uhr Niederschläge in sehr geringem Ausmaß in Form von leichtem Regen (kleiner 0,1 mm/10 Minuten). Am 3.1.2018 um 8:30 Uhr setzte neuerlich leichter Regen mit etwas größerer Intensität als am Vortag (zwischen weniger als 0,1 mm und 0,2 mm/10 Minuten) ein, wobei am 3.1.2018 bis zum Tatzeitpunkt insgesamt 0,2 mm Regen fielen.

Die Temperatur betrug in der Nacht zu den Tiefstwerten zwischen 1°C und 2°C und stieg bis zum Tatzeitpunkt auf 4°C bis 5°C. Der Wind wehte aus westlicher Richtung mit etwa 10 km/h bis 15 km/h mit Windspitzen bis 40 km/h. Die Fahrbahn hatte zum Tatzeitpunkt und unmittelbar davor ebenfalls leichte Plusgrade.

Der als Zeugin einvernommenen Meldungslegerin war erinnerlich, dass die Fahrbahn aufgrund der Niederschläge zumindest dunkler eingefärbt und damit zumindest feucht war. Nähere Angaben, die gegebenenfalls darauf schließen lassen könnten, dass sich auf der Fahrbahn bereits ein Wasserfilm, wenn auch nur ein dünner Wasserfilm, gebildet hätte, vermochte die Zeugin nicht anzugeben. Die Zeugin ist vielmehr davon ausgegangen, dass auch eine feuchte Fahrbahn bereits eine nasse Fahrbahn ist, und hat daher bei ihrer Amtshandlung keinen Anlass gesehen, hinsichtlich der Fahrbahnbeschaffenheit zwischen Nässe und bloßer Feuchtigkeit zu unterscheiden.

Die oben wiedergegebene Auskunft der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik lässt nur mit Wahrscheinlichkeit, nicht aber mit Sicherheit, darauf schließen, dass die obigen Niederschlagsmengen auch auf den angelasteten Tatort zutreffen. Dies ist in der Tatsache begründet, dass die Niederschlagsmengen regional unterschiedlich sein können, aber nicht müssen. Es wäre daher auch nicht auszuschließen gewesen, dass am angelasteten Tatort wesentlich mehr Niederschlag gefallen sein könnte, als dies der Auskunft der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik als Durchschnittswert entspricht. Für eine etwaige Annahme einer höheren Niederschlagsintensität vor Ort hätte es jedoch konkreter Angaben der Zeugin wie etwa die Wahrnehmung eines Wasserfilmes aufgrund von sich bildenden Spurrinnen oder von auftretendem Spritzwasser bedurft.

Das Verwaltungsgericht geht daher von folgendem Sachverhalt als wahrscheinlich aus:

Am Tatort setzte um 8:30 Uhr leichter Regen ein. Die Niederschlagsmenge bis zum Tatzeitpunkt betrug 0,2 mm. Aufgrund der geringen Temperaturen und des nur schwachen Windes konnte diese Niederschlagsmenge, obwohl sie nur gering ist, nicht trocknen. Die Fahrbahn nahm diese Flüssigkeitsmenge auf und verfärbte sich dadurch dunkel. Diese Feuchtigkeit der Fahrbahn wurde von der Meldungslegerin aufgrund der dunklen Verfärbung des Straßenbelags wahrgenommen. Die Niederschlagsmengen von insgesamt 0,2 mm bis zum Tatzeitpunkt waren jedoch so gering, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Straßenbelag noch vollständig aufgenommen werden konnten und sich deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit noch kein Wasserfilm auf der Fahrbahn gebildet hatte. Etwaige Hinweise darauf, dass sich ein solcher Wasserfilm auf der Fahrbahn bereits gebildet hätte, sind im Beweisverfahren nicht hervorgekommen.

Es ist daher mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Fahrbahn zum angelasteten Tatzeitpunkt bloß feucht, aber noch nicht nass im Sinne des obigen Begriffsverständnisses des Verwaltungsgerichtes gewesen ist.

Für den angelasteten Tatort gilt eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung von 70 km/h sowie bei Nässe eine ordnungsgemäß kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Die Beschwerdeführerin hat zur angelasteten Tatzeit am angelasteten Tatort das im Straferkenntnis angeführte Kraftfahrzeug mit 65 km/h gelenkt.

Die Entscheidung über die Beschwerde hängt entscheidungswesentlich von der Rechtsfrage ab, ob die Geschwindigkeitseinschränkung von 50 km/h bei Nässe auch dann gilt, wenn sich die Fahrbahn aufgrund der aufgenommenen, geringen Niederschlagsmengen lediglich dunkel eingefärbt hat, sie die geringen Niederschlagsmengen aber noch vollständig aufnehmen konnte und sich deshalb auf der Fahrbahn noch kein Wasserfilm gebildet hat.

In rechtlicher Hinsicht hat das Verwaltungsgericht erwogen:

Gemäß § 52 lit. a Z 10a StVO bedeuten die für den angelasteten Tatort kundgemachten Straßenverkehrszeichen, deren Übertretung der Beschwerdeführerin zur Last gelegt wurde, eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h bei Nässe.

Die Zusatztafeln, die eine Regenwolke mit Niederschlag in Form von Regen und Schnee zeigen, sind nach Ansicht des Verwaltungsgerichts so auszulegen, dass die betreffende Geschwindigkeitsbeschränkung dann gilt, wenn sich auf der Fahrbahn Nässe oder Schnee befindet. Dies ergibt sich aus einer teleologischen Interpretation, der zu Folge auf die Beschaffenheit der Fahrbahn als Folge von Regen bzw. als Folge von Schneefall abzustellen ist. Ob im Augenblick des Lenkens gerade Regen oder Schnee fällt, ist hingegen nicht unmittelbar relevant. Die Geschwindigkeitsbeschränkung gilt daher im Fall von Regen erst dann, wenn der Regen Nässe der Fahrbahn zur Folge hat, und gilt solange, als die Fahrbahn nass ist.

Eine Fahrbahn kann jedoch nicht nur trocken oder nass, sondern auch feucht sein. Eine solche Feuchtigkeit kann insbesondere in der kalten Jahreszeit bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt - im Anlassfall - dann auftreten, wenn geringe Mengen an Wasser dazu führen, dass die Fahrbahn nicht mehr trocken ist. Dies kann beispielsweise durch leichten Regen mit sehr geringer Intensität, durch Nieseln oder einfach auch durch Nebel auftreten.

Höchstgerichtliche Rechtsprechung aus Österreich zur Frage, ob auch eine bloß feuchte Fahrbahn eine nasse Fahrbahn ist, konnte nicht aufgefunden werden. Umso weniger konnte höchstgerichtliche Rechtsprechung aus Österreich zur Frage aufgefunden werden, auf welche Weise eine bloß feuchte Fahrbahn von einer bereits nassen Fahrbahn abzugrenzen ist.

Der UVS Steiermark ist in seinem Bescheid vom 12.02.2004, 30.14-11/2003, davon ausgegangen, dass eine Fahrbahn dann, wenn sie bloß feucht ist, noch nicht nass im Sinne einer Geschwindigkeitsbeschränkung für den Fall von Nässe ist. Dem vom UVS Steiermark entschiedenen Anlassfall lag eine Niederschlagsmenge von 0,1 mm zugrunde.

Eine Internetrecherche seitens des Verwaltungsgerichtes hat ergeben, dass die Abgrenzung zwischen Feuchtigkeit und Nässe vor allem in Deutschland im Zusammenhang mit Geschwindigkeitsbeschränkungen bei Nässe ein oft behandeltes Thema sind. Gefunden wurden unter anderem Meinungen zu dieser Frage durch den Ratgeber NTV vom 12.12.2014 (https://www.n-tv/ratgeber/wie-nass-muss-die-Fahrbahn-sein), durch ADAC vom 15.05.2019 (https://www.fahrschule-online.de/was-bedeutet-bei-naesse) und Zeit Online, wann ist eine Straße nass, vom 27.04.2017 (https://www.zeit.de/mobilitaet/2017-04/tempolimit-naesse-strasse). Den gefundenen Quellen war gemeinsam, dass jeweils nicht nur zwischen trockener und nasser Fahrbahn, sondern auch zwischen feuchter und nasser Fahrbahn unterschieden wurde. Den gefundenen Quellen war ebenfalls gemeinsam, dass für das Vorliegen von Nässe auf die Bildung eines Wasserfilmes auf der Fahrbahn abgestellt wurde. Das Gefahrenpotenzial durch Nässe wurde dabei darin gesehen, dass ein Wasserfilm Ursache von Aquaplaning sein kann. Ebenfalls wurde in diesen Quellen dargelegt, dass man einen Wasserfilm insbesondere daran erkenne, dass die Reifen von fahrenden Autos auf der nassen Fahrbahn Spuren hinterlassen und dass Wasser, wenn auch gegebenenfalls nur in geringem Ausmaß, wegspritzen kann, wodurch der Wasserfilm jeweils erkennbar wird.

Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass die obgenannten Quellen für eine rechtliche Recherche insoweit keine zuverlässigen Quellen darstellen, als es sich dabei im Wesentlichen lediglich um Meinungen handelt, die nicht bis zu einer juristisch zuverlässigen Quelle wie beispielsweise einer höchstgerichtlichen Entscheidung zurückverfolgt werden konnten.

Das Verwaltungsgericht ging jedoch davon aus, dass die in diesen Quellen ausgeführte Differenzierung eine hohe innere Schlüssigkeit und Überzeugungskraft hat.

Demnach ist eine Fahrbahn solange nicht nass im Sinne einer Geschwindigkeitsbeschränkung bei Nässe, solange der Straßenbelag die Feuchtigkeit noch vollständig aufzunehmen vermag und sich auf der Fahrbahn noch kein, und sei er auch noch so gering, Wasserfilm gebildet hat. Die Gefahr des Aquaplaning, die durch Geschwindigkeitsbeschränkungen bei Nässe vermieden werden soll, tritt erst auf, sobald sich auf der Fahrbahn ein Wasserfilm gebildet hat, mag dieser auch noch so gering sein. Eine bloß feuchte Fahrbahn erkennt man daran, dass sich lediglich die Farbe des Straßenbelages verändert, ein etwaiger Wasserfilm – da noch nicht vorhanden – jedoch nicht durch Spuren durchfahrender Fahrzeuge oder Wegspritzen von Wasser sichtbar wird.

Sobald der Straßenbelag die Feuchtigkeit jedoch nicht mehr vollständig aufzunehmen vermag und sich auf der Fahrbahn ein, wenn auch noch so geringer, Flüssigkeitsfilm bildet, ist die Fahrbahn nicht mehr bloß feucht, sondern bereits nass. Ab diesem Stadium greift die Geschwindigkeitsbeschränkung bei Nässe. Für den Betrachter wird ein solcher Flüssigkeitsfilm dadurch optisch wahrnehmbar, dass fahrende Fahrzeuge Spuren in diesem Wasserfilm hinterlassen und es auch zum Aufspritzen von Wasser kommen kann.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes war die Geschwindigkeitsbeschränkung, deren Übertretung der Beschwerdeführerin angelastet worden ist, auf den Fall einer bloß feuchten, aber noch nicht nassen Fahrbahn nicht anwendbar.

Für den Fall, dass die Fahrbahn bloß feucht, aber noch nicht nass war, hat die Beschwerdeführerin die ihr angelastete Tat nicht begangen.

Das durchgeführte Beweisverfahren hat lediglich mit Wahrscheinlichkeit, nicht aber mit Sicherheit, ergeben, dass die Fahrbahn bloß feucht, aber noch nicht nass gewesen ist. Die Möglichkeit, dass die Fahrbahn nicht bloß feucht, sondern bereits nass gewesen sein könnte, konnte mangels diesbezüglicher konkreter Anhaltspunkte lediglich nicht ausgeschlossen werden.

Im Hinblick auf die Tatsache, dass Nässe der Fahrbahn zwar nicht ausgeschlossen, aber auch nicht nachgewiesen werden konnte, war das Strafverfahren lediglich im Zweifel einzustellen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Die ordentliche Revision war zuzulassen, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den Fragen fehlt, ob auch eine bloß feuchte Fahrbahn als nass im Sinne einer Geschwindigkeitsbeschränkung bei Nässe gilt, und, wie eine feuchte Fahrbahn von einer nassen Fahrbahn abzugrenzen ist.

Schlagworte

Geschwindigkeitsbeschränkung; Zusatztafel; nasse Fahrbahn

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.031.077.11001.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.02.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten