TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/29 I420 2136901-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.04.2019
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Entscheidungsdatum

29.04.2019

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I420 2136898-1/22E

I420 2136901-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Magdalena HONSIG-ERLENBURG als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, StA. Irak, und der XXXX, StA. Syrien, beide vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.04.2016, Zl. 1074820205-150730133 und Zl. 1074803901-150730150, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.02.2019, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Verfahren von XXXX (Erstbeschwerdeführer) und seiner Ehefrau XXXX (Zweitbeschwerdeführerin) sind im Sinne des § 34 AsylG 2005 gemeinsam als Familienverfahren zu führen.

Die Beschwerdeführer reisten unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellten am 24.06.2015 Anträge auf internationalen Schutz.

Am 24.06.2015 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch niederschriftlich einvernommen und dabei u.a. zu ihrem Gesundheitszustand, ihren Lebensumständen im Irak bzw. in Syrien, ihren Familienangehörigen und ihren Fluchtgründen bzw. Rückkehrbefürchtungen befragt. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin gaben an, miteinander verheiratet und sunnitische Muslime zu sein. Der Erstbeschwerdeführer führte aus, aus Ramadi, Irak, zu stammen. Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der Erstbeschwerdeführer zu Protokoll, dass er Angst vor bewaffneten Gruppierungen bzw. vor den schiitischen bewaffneten Milizen habe. Aus Angst um sein Leben und um jenes seiner Ehefrau habe er den Irak verlassen. Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, aus Al-Hasaka, Syrien, zu stammen und führte zu ihren Fluchtgründen aus, dass Krieg und Terror durch den IS herrsche. Zudem habe ihr Ehemann auf seinem Mobiltelefon Aufnahmen eines Bombenanschlages. Aus Angst um ihr Leben seien sie geflohen.

Am selben Tag wurden sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch die Zweitbeschwerdeführerin niederschriftlich durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) einvernommen. Befragt zu seinen Fluchtgründen führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass er seit 2004 als irakischer Flüchtling in Syrien gelebt habe. Im Zuge des Bürgerkriegs in Syrien sei das Haus der Familie in Damaskus (Syrien) zerstört worden. Daraufhin sei die Familie in den Irak, nach Ramadi geflüchtet. Kurz darauf sei die Stadt bombardiert worden und es seien auch militärische Operationen durchgeführt worden. Daher sei die Familie wieder nach Syrien gegangen. Da sie keinen Wohnort mehr gehabt hätten, seien sie nach Erbil zurückgegangen. Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, dass das Land in terroristischer Hand sei, ihre Häuser zerstört worden seien und sie Angst um ihr Leben hätten.

Sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch die Zweitbeschwerdeführerin wurden nochmals am 21.11.2015 niederschriftlich durch das BFA einvernommen. Der Erstbeschwerdeführer legte zu seinen Fluchtgründen befragt dar, dass er und seine Familie 2004 aufgrund des Krieges aus dem Irak geflüchtet seien. Sein Stamm sei gegen die Terrorgruppe "Al-Qaida" gewesen und hätte diese aus dem Irak vertrieben. Der Erstbeschwerdeführer habe in einer staatlichen Firma gearbeitet, welche Waren versichert hätte, die von Jordanien in den Irak gekommen seien, bzw. Irak und Syrien. Im Jahr 2015 sei der Erstbeschwerdeführer mit seiner Ehefrau, der Zweitbeschwerdeführerin, in den Irak gegangen: Er sei von der Firma, in der er gearbeitet habe, an die jordanisch-irakische Grenze versetzt worden und habe an der Grenze gearbeitet. Eines Tages hätte der IS mit Sprengstoff beladene LKWs gesprengt. Bei diesem Anschlag seien auch Freunde von ihm getötet worden. Hintergrund des Anschlages sei, dass der IS den Platz als Stützpunkt habe einnehmen wollen. Auf Nachfrage legte der Erstbeschwerdeführer dar, dass seiner Ehefrau und er im Jahr 2013 nach Ramadi (Irak) gereist seien, weil sich die Lage in Syrien verschlechtert habe. Genau zu dieser Zeit seien jedoch die IS-Terroristen gekommen und 17 Cousins des Erstbeschwerdeführers seien umgebracht worden. Die Zweitbeschwerdeführerin führte in der behördlichen Einvernahme zu ihrem Fluchtgrund befragt aus, dass sie und ihr Ehemann, der Erstbeschwerdeführer, in Damaskus, Syrien, gelebt hätten, ihr Ehemann für eine LKW-Versicherungsfirma an der syrisch-irakischen Grenze gearbeitet habe und die beiden im Jänner 2015 in den Irak gereist seien und dort in Erbil gelebt hätten. Ihr Ehemann habe dort an der irakisch-jordanischen Grenze für die Versicherungsfirma gearbeitet. Eines Tages hätten die IS-Terroristen den Arbeitsplatz ihres Ehemannes bombardiert. Die Terroristen hätten Fahrzeuge mit Sprengstoff in die Luft gejagt. Daraufhin hätten sich die Beschwerdeführer zur Flucht entschlossen. Auf Nachfrage, ob es zu einer persönlichen Bedrohung in Syrien gekommen sei, hielt die Zweitbeschwerdeführerin fest, dass es dort keine Sicherheit gebe.

Im Zuge des behördlichen Verfahrens wurden ein irakischer Reisepass, ein irakischer Staatsbürgerschaftsnachweis bzw. ein irakischer Personalausweis des Erstbeschwerdeführers und ein syrischer Reisepass bzw. ein syrischer Personalausweis der Zweitbeschwerdeführerin vorgelegt.

In der Folge wurden die Anträge der Beschwerdeführer mit den im Spruch genannten Bescheiden des BFA vom 12.04.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde den Beschwerdeführern der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide). Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 12.04.2017 erteilt (Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide). Die belangte Behörde führte aus, dass die Beschwerdeführer keiner konkreten Verfolgungshandlung ausgesetzt gewesen seien. Eine aktuelle individuelle Bedrohung der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat Irak bzw. Syrien habe daher nicht erkannt werden können.

Gegen Spruchpunkt I. der im Spruch genannten Bescheide wurde fristgerecht mit Schreiben der Beschwerdeführer vom 04.05.2016 Beschwerde erhoben sowie entsprechende Vollmachten für die Vertretung durch den Verein Menschenrechte Österreich vorgelegt. Es wurde beantragt das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG durchführen; die angefochtenen Entscheidungen hinsichtlich Spruchpunkt I. beheben und den Beschwerdeführern Asyl zuerkennen; sowie in eventu die angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 3 und 4 VwGVG beheben und zur Erlassung neuer Bescheide an die Behörde zurückverweisen.

Hierzu führten die Beschwerdeführer begründend aus, dass der Erstbeschwerdeführer im Jahr 2004 aus dem Irak nach Syrien geflüchtet sei, dort im Jahr 2011 seine Ehefrau, die Zweitbeschwerdeführerin, kennengelernt und 2013 geheiratet habe. Er habe durchgehend in einer staatlichen bzw. staatsnahen Versicherungsfirma für Waren, die von Jordanien nach Syrien oder in den Irak transportiert worden seien, gearbeitet. Der Geschäftsführer dieser Firma sei ein Verwandter des Erstbeschwerdeführers. Von Syrien aus sei der Erstbeschwerdeführers an der Grenze zwischen Jordanien und Irak stationiert gewesen, weswegen auch Besuche seiner Familie im Irak möglich gewesen seien. Im Zeitraum von Mitte 2013 bis April 2014 hätten sich die Beschwerdeführer im Irak aufgehalten. Im April 2014 seien sie gezwungen gewesen, wieder nach Syrien zu ziehen und schließlich 2015 nach Europa zu flüchten. Der Erstbeschwerdeführer sei Teil des Stammes namens XXXX, welcher von 2005 bis 2007 die Terrorgruppe "Al-Qaida" bekämpft habe. Dieser Stamm habe die Bürgerwehr "Al-Sahwa" ausgebildet. Der Nachfolger der Terrorgruppe, der IS, habe Blutrache u.a. am Stamm der XXXX geschworen, woraufhin Mitglieder seines Stammes - unter anderem auch der Erstbeschwerdeführer- Drohbriefe erhalten hätten. Im Mai 2014 seien 17 Cousins ermordet worden. Im April 2015 seien mehrere Lastwagen seitens des IS mit Sprengstoff angegriffen und gesprengt worden, da der IS den Platz als Stützpunkt einnehmen habe wollen. Mehrere Menschen seien ums Leben gekommen. Da die Firma von einem Mitglied des Stammes des Erstbeschwerdeführers geleitet worden sei (der Geschäftsführer sei Teil der Bürgerwehr), sei diese absichtlich als Ziel seitens des IS gewählt worden. Zudem sei der Erstbeschwerdeführer in Syrien von irakischen Milizen aufgefordert worden, mitzukämpfen. Des Weiteren sei die Familie der Zweitbeschwerdeführerin Verfolgungshandlungen in Syrien ausgesetzt gewesen, ihr Vater sei inhaftiert und schließlich ermordet worden. Sie sei in Syrien seitens der schiitischen und regierungsnahen Milizen mehrmals nach ihrem Ehemann gefragt worden, da er irakischer Sunnit sei. Die Beschwerdeführer hätten von der belangten Behörde im Zuge der behördlichen Einvernahme nicht ausreichend Gelegenheit erhalten, ihre Fluchtgründe zu schildern: Die Einvernahmen hätten jeweils nur ca. 30 Minuten gedauert. Die Fluchtgründe seien zudem - trotz der kurzen Einvernahmen - ohne wesentliche Abweichungen geschildert worden. Der Erstbeschwerdeführer habe aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung den Irak verlassen, weil er dem Stamm der XXXX angehöre und dieser Stamm im Irak gezielten Vergeltungsangriffen des IS ausgesetzt sei. Wären die Beschwerdeführer nicht geflüchtet, hätten diese mit Haft oder dem Tod rechnen müssen. Zum Beweis der Verfolgung des Stammes der XXXX wurden verschiedenste Medienberichte vorgelegt.

Beschwerde und Bezug habende Verwaltungsakte wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 07.10.2016 vorgelegt. Am 04.07.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung der erkennenden Richterin zugewiesen.

Mit Schreiben vom 16.11.2016 übermittelten die Beschwerdeführer Medienberichte, welche die Bedrohung des Stammes der "Al-Burishe", welchem der Erstbeschwerdeführer angehöre, belegen würden.

Mit Schreiben vom 12.01.2017 wurden Deutsch-Zertifikate, Niveau B1, der Beschwerdeführer vorgelegt.

Mit Schreiben vom 04.10.2017 übermittelten die Beschwerdeführer ein Praktikumszeugnis bzw. einen Dienstvertrag über ein befristetes Dienstverhältnis für den Erstbeschwerdeführer und eine Ausbildungsvereinbarung für die Zweitbeschwerdeführerin.

Am 12.02.2019 wurde eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht abgehalten, in welcher der Erstbeschwerdeführer sowie die Zweitbeschwerdeführerin im Beisein ihrer Rechtsvertretung befragt wurden; im Vorfeld war den Beschwerdeführern das Länderinformationsblatt zum Irak bzw. zu Syrien zugeschickt worden.

Die Verfahren der Beschwerdeführer wurden seitens des Bundesverwaltungsgerichts zur gemeinsamen Verhandlung verbunden. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden die Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch getrennt voneinander u.a. zu ihrer Identität, ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, ihren Familienverhältnissen und ihren Fluchtgründen befragt. Im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde eine Todeserklärung eines Cousins des Erstbeschwerdeführers und schwedische Identitätskarten des Cousins und des Bruders des Erstbeschwerdeführer sowie Fotographien zum Beweis des IS-Angriffs auf den Arbeitsplatz und zum Beweis der Zerstörung des Wohnhaues in Syrien vorgelegt. Zudem nahm die erkennende Richterin Einsicht in zwei vom Erstbeschwerdeführer auf seinem Mobiltelefon abgespielte Videosequenzen zum Beweis eines IS- Angriffs auf den Arbeitsplatz des Erstbeschwerdeführers.

Mit Schreiben der Beschwerdeführer vom 13.02.2019 wurden nochmals die zwei Videolinks zum Download übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

-

Einsicht in die die Beschwerdeführer betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakte des BFA, insbesondere in die Befragungsprotokolle;

-

Befragung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.02.2019;

-

Einsicht in zwei im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom Erstbeschwerdeführer abgespielte Videosequenzen bzw. in Fotographien zum Beweis eines IS- Angriffs auf den Arbeitsplatz des Erstbeschwerdeführers und in Fotographien zum Beweis des Angriffs auf das Haus in Syrien;

-

Einsicht in die mit Schreiben der Beschwerdeführer vom 13.02.2019 übermittelten Videosequenzen;

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in das Verfahren eingeführte Länderberichte zur Situation im Herkunftsstaat Irak bzw. Syrien;

-

Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Der Erstbeschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Republik Irak. Die Zweitbeschwerdeführerin ist Staatsangehörige Syriens. Es handelt sich bei den Beschwerdeführern um einen volljährigen Mann (Erstbeschwerdeführer) und seine volljährige Ehefrau (Zweitbeschwerdeführerin). Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben in Syrien nach islamischem Recht geheiratet.

Die Identität der Beschwerdeführer steht fest.

Die Beschwerdeführer gehören der Volksgruppe der Araber an und sind sunnitische Muslime.

Die Beschwerdeführer halten sich seit spätestens 24.06.2015 in Österreich auf.

Im Bundesgebiet leben die Beschwerdeführer in einem gemeinsamen Haushalt und sind strafrechtlich unbescholten.

II.1.2. Zu den Fluchtmotiven der Beschwerdeführer:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer im Irak und die Zweitbeschwerdeführerin in Syrien aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden würden.

II.1.3. Zur Situation im Irak:

Zur allgemeinen Lage:

Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war seit dem Oktober 2016 von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, im Genaueren nichtstaatlichen bewaffneten Milizen, z.B. den sogenannten Peshmerga der kurdischen Regionalregierung sowie ausländischen Militärkräften auf der einen Seite und den bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der anderen Seite geprägt. Dabei stand vor allem die Kontrolle der Stadt MOSUL, Hauptstadt der Provinz NINAWA, im Fokus. Diesen Kämpfen ging die sukzessive Zurückdrängung des IS aus den zuvor ebenfalls von ihm kontrollierten Gebieten innerhalb der Provinzen ANBAR, DIYALA und SALAH AL-DIN im Zentral- und Südirak voraus.

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, gemeinsam mit den schiitischen Milizen, den Popular Mobilisation Forces (PMF), sowie mit Unterstützung alliierter ausländischer Militärkräfte die Einheiten des IS sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz ANBAR als auch aus den nördlich an BAGDAD anschließenden Provinzen DIYALA und SALAH AL-DIN zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines "Kalifats" in der Stadt MOSUL sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze westlich von MOSUL.

Der IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in BAGDAD und anderen Städten im Südirak und im Zentralirak seine - wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte - Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren.

Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premierminister Haider AL-ABADI die Stadt MOSUL für vom IS befreit. In der Folge wurden von der Militärallianz auch frühere Bastionen des IS westlich von MOSUL in Richtung der irakisch-syrischen Grenze zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz ANBAR sowie einer Enklave südlich von KIRKUK, doch gab der Premierminister AL-ABADI im Dezember 2017 bekannt, dass der IS, auch in diesen Gebieten, besiegt sei.

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich DOHUK, ERBIL und SULEIMANIYA, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte, sowie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen, als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung bezüglich der Frage der Kontrolle der kurdischen Sicherheitskräfte. Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz BASRA, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und seit 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in ANBAR und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte zuletzt eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden, verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt, mit sich brachte. Die sicherheitsrelevante Situation im Großraum BAGDAD ist durch die genannten Ereignisse im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu dienen sollte, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte zu richten um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden.

Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten ebenso wenig, wie Hinweise auf eine Säuberung von durch ethnische oder religiöse Gruppierungen bewohnten Gebieten.

Beim Unabhängigkeitsreferendum bezüglich der Frage der Loslösung Irakisch Kurdistans (KRI) vom irakischen Staat stimmten am 25.09.2017 92,7 Prozent der Stimmberechtigten für einen eigenen Staat (Wahlbeteiligung: 72 Prozent) (ORF 27.9.2017). Als Reaktion darauf verbot die irakische Zentralregierung u.a. internationale Flüge in die Region. Die irakische Zentralregierung bat zudem die beiden Länder Türkei und Iran darum, ihre Grenzen zu den kurdischen Autonomiegebieten zu schließen sowie jeglichen Handel einzustellen. Die Grenzübergänge von der KRI zum Iran und der Türkei sind seit dem Referendum nur mehr teilweise geöffnet (s. Karte unten). Die Irakischen Sicherheitskräfte (ISF) haben außerdem begonnen, Checkpoints an diesen Grenzübergängen einzurichten. Irakische Regierungskräfte haben als Reaktion auf das Kurdenreferendum beinahe alle Gebiete eingenommen, die zu den sogenannten "umstrittenen Gebieten" zählen, einschließlich Kirkuk und die dort befindlichen Ölquellen. Neben den militärischen Maßnahmen fasste die Zentralregierung in Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum eine Reihe weiterer Maßnahmen, darunter: Die Sanktionierung kurdischer Banken, das Einfrieren von Fremdwährungstransfers, sowie das Einstellen von Flugverbindungen und mobilen Kommunikationsnetzen.

Die kriegerischen Ereignisse im Irak seit 2014 brachten umfangreiche Flüchtlingsbewegungen aus den umkämpften Gebieten in andere Landesteile, sowie umgekehrt Rückkehrbewegungen in befreite Landesteile mit sich. Zahlreiche nationale und internationale Hilfsorganisationen unter der Leitung des UNHCR versorgen diese Binnenvertriebenen in Lagern und Durchgangszentren.

In den südlichen Provinzen ist der Großteil der Gewalt, die dort stattfindet, nicht terroristischer Natur, sondern krimineller und "tribaler" (d.h. stammesbezogener) Natur. Die Provinz BASRA war nicht direkt von der Offensive der Gruppe Islamischer Staat (IS) im Juni 2014 betroffen und sind dort keine direkten Auseinandersetzungen zwischen IS-Kämpfern und irakischen Truppen festzustellen gewesen. Es wird zwar über Auseinandersetzungen zwischen schiitischen Stämmen berichtet, jedoch finden sich keine Berichte über Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten. Auch wird über kriminelle Banden berichtet, die für Entführungen zur Erpressung von Lösegeld, einen Anstieg von Gewalttaten, von Diebstahl, von bewaffneten Raubüberfällen, Tötungen und Drogenhandel verantwortlich gemacht werden (OSAC 07.03.2017). Die Bestrebungen der ISF gehen dahin, die Sicherheit in Stadt und Provinz BASRA aufrecht zu erhalten, während bewaffnete Gruppen um die vorhandenen Ressourcen kämpfen/rivalisieren (OSAC 07.03.2017).

Die Verfassung des Iraks gewährt das Recht auf freie Meinungsäußerung, sofern die Äußerung nicht die öffentliche Ordnung oder die Moral verletzt, Unterstützung für die Baath-Partei ausdrückt oder das gewaltsame Verändern der Staatsgrenzen befürwortet. Der größte Teil der Einschränkungen dieses Rechts kommt durch Selbstzensur auf Grund von glaubhafter Furcht vor Repressalien durch die Regierung, politische Parteien, ethnische und konfessionelle Kräfte, terroristische und extremistische Gruppen oder kriminelle Banden zustande. Bestimmte Berufsgruppen sind im Irak einem hohen Risiko, Opfer konfessioneller oder extremistischer Gewalt zu werden, ausgesetzt. Zu diesen Berufsgruppen zählen Künstler, Schriftsteller, Musiker und Poeten.

Quelle:

BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 25.10.2017,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1416409/5818_1508929404_irak-lib-2017-08-24-ke.doc mwN.

Zur Lage Angehöriger der sunnitischen Glaubensgemeinschaft in der Stadt Bagdad:

Es gibt keine Berichte dazu, dass der irakische Staat Muslime sunnitischer Glaubensrichtung systematisch verfolgen und/oder misshandeln würde. Dennoch kommt es vor, dass Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zu Zielen von Angriffen von schiitischen Milizen werden.

Seit dem Jahr 2003 nahm die Dominanz der schiitischen Gemeinschaft in Bagdad stets zu. Der Bürgerkrieg im Irak in den Jahren 2006 und 2007 hat die vormals friedliche Koexistenz zwischen Sunniten und Schiiten im Irak nochmals schwer erschüttert. In Hinblick auf Bagdad kam es seitdem verstärkt zur Spaltung Bagdads in konfessionelle Linien, zu interkonfessioneller Gewalt und zu Vertreibungen und schließlich zur Bildung von separaten sunnitischen und schiitischen Vierteln. In Bezug auf Bagdad ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die dort lebenden Sunniten einer Gruppenverfolgung bzw. einer systematischen Verfolgung durch schiitische Milizen ausgesetzt wären.

Quellen:

-

BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 25.10.2017,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1416409/5818_1508929404_irak-lib-2017-08-24-ke.doc mwN (Letzter Zugriff am 06.08.2018)

-

UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf (Letzter Zugriff am 07.08.2018)

-

Al-Araby, 'Don't enter Baghdad': Wave of murder-kidnappings grips Iraq capital,

https://www.alaraby.co.uk/english/news/2017/5/17/dont-enter-baghdad-wave-of-murder-kidnappings-grips-iraq-capital, 17.05.2017 (Letzter Zugriff am 07.08.2018)

Eine landesweite und systematische Verfolgung für Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft besteht nicht.

Obwohl die sunnitische Glaubensgemeinschaft in Bagdad gegenüber der schiitischen Gemeinschaft die Minderheit darstellt, sie sie nach wie vor in der Gesellschaft und in der Regierung präsent.

In Bagdad gibt es Bezirke und Stadtteile, in denen überwiegend Sunniten leben. Als solche werden in den Länderberichten insbesondere Adhamiya, Mansour und Abu Ghraib genannt.

Quellen:

-

Australian Government, DFAT COUNTRY INFORMATION REPORT IRAQ, 26.06.2017,

http://dfat.gov.au/about-us/publications/Documents/country-information-report-iraq.pdf (Letzter Zugriff am 08.08.2018)

-

ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Aktivitäten der Asa'ib Ahl al-Haqq, insbesondere Verhalten gegenüber sunnitischen MuslimInnen 02.02.2018,https://www.ecoi.net/de/dokument/1424853.html (Letzter Zugriff am 08.08.2018)

-

UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf (Letzter Zugriff am 07.08.2018)

-

UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.04.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf (Letzter Zugriff am 07.08.2018)

-

UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf (Letzter Zugriff am 08.08.2018)

-

BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete (Ergänzung zum Länderinformationsblatt), 04.01.2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1422124/5618_1516263925_irak-sm-von-schiitischen-milizen-dominierte-gebiete-2018-01-04-ke.doc (Letzter Zugriff am 08.08.2018)

Laut UNHCR wurden in fast allen Teilen des Landes für Binnenflüchtlinge verschärfte Zugangs- und Aufenthaltsbeschränkungen implementiert. Zu den verschärften Maßnahmen gehören die Notwendigkeit des Vorweisens von Bürgen, die Registrierung bei lokalen Behörden sowie das Durchlaufen von Sicherheitsüberprüfungen durch mehrere verschiedene Sicherheitsbehörden. Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen variieren von Provinz zu Provinz und beinhalten nicht nur Sicherheits-Screenings, sondern hängen Berichten zufolge auch vom persönlichen Profil der flüchtenden Personen und Familien ab, wie z.B. vom ethnisch-konfessionellen Hintergrund, dem Herkunftsort oder der Zusammensetzung der Familie der jeweiligen Person.

Quellen:

-

BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 25.10.2017,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1416409/5818_1508929404_irak-lib-2017-08-24-ke.doc mwN (Letzter Zugriff am 08.08.2018)

-

UNHCR - UN High Commissioner for Refugees, Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.04.2017, http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf (Letzter Zugriff am 08.08.2018)

II.1.4. Zur Situation in Syrien:

Zur politischen Lage:

[...]

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit über 50 Jahren, seit Hafez al-Assad 1963 mit fünf anderen Offizieren einen Staatsstreich durchführte und sich dann 1971 als der Herrscher Syriens ernannte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad diese Position. Seit dieser Zeit haben Vater und Sohn keine politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt (USCIRF 26.4.2017). 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten (USDOS 3.3.2017). Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere mögliche, jedoch relativ unbekannte, Kandidaten. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten, wodurch ein großer Teil der syrischen Bevölkerung nicht an der Wahl teilnehmen konnte. Die Wahl wurde als undemokratisch bezeichnet. Die syrische Opposition bezeichnete sie als "Farce" (Haaretz 4.6.2014; vgl. USDOS 13.4.2016).

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat (USDOS 3.3.2017). Am 13.4.2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden (Reuters 13.4.2016; vgl. France24 17.4.2017). Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" bekam einen Parlamentssitz. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen (France24 17.4.2016). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten (FH 1.2017)

Seit 2011 tobt die Gewalt in Syrien. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten. Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weit verbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 10.8.2016). Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierte Gebiete aufgeteilt (BS 2016). Der IS übernahm seit 2014 vermehrt die Kontrolle von Gebieten in Deir ez-Zour und Raqqa, außerdem in anderen Regionen des Landes und rief daraufhin ein "islamisches Kalifat" mit der Hauptstadt Raqqa aus (USDOS 3.3.2017). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer, die noch nicht aus Syrien geflohen sind, leben (Reuters 13.4.2016). Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen kontrollieren verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten diese Gruppierungen Regierungsstrukturen bzw. errichten sie wieder, inklusive irregulär aufgebauter Gerichte (USDOS 3.3.2017). Seit 2016 hat die Regierung große Gebietsgewinne gemacht, jedoch steht noch beinahe die Hälfte des syrischen Territoriums nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung. Alleine das Gebiet, welches unter kurdischer Kontrolle steht wird auf etwa ein Viertel des syrischen Staatsgebietes geschätzt (DS 23.12.2017; vgl. Standard 29.12.2017).

Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Seit 2015 schickte Russland auch Truppen und Ausrüstung nach Syrien und begann außerdem Luftangriffe von syrischen Militärbasen aus durchzuführen. Während Russland hauptsächlich auf von Rebellen kontrollierte Gebiete abgezielt, führt die von den USA geführte internationale Koalition Luftangriffe gegen den IS durch (FH 27.1.2016; vgl. AI 24.2.2016).

Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava genannt werden (Spiegel 16.8.2017). 2011 soll der damalige irakische Präsident Jalal Talabani ein Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), deren Mitglieder die PYD gründeten, vermittelt haben: Im September 2011 stellte der iranische Arm der PKK, die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê - PJAK), ihren bewaffneten Kampf gegen den Iran ein. Etwa zur selben Zeit wurde die PYD in Syrien neu belebt. Informationen zahlreicher Aktivisten zufolge wurden bis zu zweihundert PKK-Kämpfer aus der Türkei und dem Irak sowie Waffen iranischer Provenienz nach Syrien geschmuggelt. Aus diesem Grundstock entwickelten sich die Volksverteidigungseinheiten (YPG). Ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel begann die PYD, die kurdische Bevölkerung davon abzuhalten, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden ?Afrin, ?Ain al-?Arab (Kobanî) und die Dschazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (ES BFA 8.2017). Im März 2016 wurde die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin steht zwar unter kurdischer Kontrolle, ist jedoch nicht mit dem Rest des kurdischen Gebietes verbunden (ICC 4.5.2017; vgl. IRIN 15.9.2017). Das von der PYD in den kurdischen Gebieten etablierte System wird von der PYD als "demokratische Autonomie" bzw. "demokratischer Konföderalismus" bezeichnet. "Demokratischer Konföderalismus" strebt danach, die lokale Verwaltung durch Räte zu stärken, von Straßen- und Nachbarschaftsräten über Bezirks- und Dorfräte bis hin zu Stadt- und Regionalräten. "Demokratischer Konföderalismus" muss somit als Form der Selbstverwaltung verstanden werden, in der Autonomie organisiert wird. Die Realität sieht allerdings anders aus. Tatsächlich werden in "Rojava" Entscheidungen weder von den zahlreichen (lokalen) Räten getroffen, noch von Salih Muslim und Asya Abdullah in ihrer Funktion als Co-Vorsitzende der PYD, stattdessen liegt die Macht bei der militärischen Führung im Kandilgebirge, die regelmäßig hochrangige Parteikader nach Syrien entsendet (ES BFA 8.2017 und ICC 4.5.2017). In den kurdischen Gebieten haben die Bürger durch die PYD auch Zugang zu Leistungen, wobei die Partei unter anderem die Bereitstellung von Leistungen nutzt, um ihre Macht zu legitimieren. Die Erbringung öffentlicher Leistungen variiert jedoch. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung existiert, haben sich zahlreiche Institutionen entwickelt und dadurch wurden Parallelstrukturen geschaffen. In Gebieten in denen die PYD mehr Kontrolle besitzt, bleibt die Macht in der Hand der PYD zentralisiert, trotz den Behauptungen der PYD die Macht auf die lokale Ebene zu dezentralisieren (CHH 8.12.2016).

Noch sind die beiden größeren von Kurden kontrollierten Gebietsteile voneinander getrennt, das Ziel der Kurden ist es jedoch entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen (Spiegel 16.8.2016). Der Ton zwischen Assad und den an der Seite der USA kämpfenden syrischen Kurden hat sich in jüngster Zeit erheblich verschärft. Assad bezeichnete sie zuletzt als "Verräter". Das von kurdischen Kämpfern dominierte Militärbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) konterte, Assads Regierung entlasse "Terroristen" aus dem Gefängnis, damit diese "das Blut von Syrern jeglicher Couleur vergießen" könnten (Standard 29.12.2017).

Quellen:

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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): Syria Country Report, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Syria.pdf, Zugriff 22.12.2017

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CHH - Chatham House (8.12.2017): Governing Rojava - Layers of Legitimacy in Syria,

https://www.chathamhouse.org/sites/files/chathamhouse/publications/research/2016-12-08-governing-rojava-khalaf.pdf, Zugriff 11.12.2017

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DS - The Daily Star (23.12.2017): Syria war winds down but tangled map belies conflict ahead,

https://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2017/Dec-23/431317-syria-war-winds-down-but-tangled-map-belies-conflict-ahead.ashx, Zugriff 28.12.2017

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ES BFA - Eva Savelsberg: Der Aufstieg der kurdischen PYD im syrischen Bürgerkrieg (2011 bis 2017) in BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 12.12.2017

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FH - Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2016 - Syria, https://www.ecoi.net/local_link/327745/468444_de.html, Zugriff 22.12.2017

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FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Syria, https://www.ecoi.net/local_link/341821/485142_de.html, Zugriff 17.1.2018

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France24 (17.4.2016): Assad's Party wins majority in Syrian election,

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Haaretz (4.6.2014): Landslide Win for Assad in Syria's Presidential Elections,

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ICC - International Crisis Group (4.5.2017): The PKK's Fateful Choice in Northern Syria,

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IRIN - Integrated Regional Information Networks (15.9.2017): The Kurdish struggle in northern Syria, http://www.irinnews.org/analysis/2017/09/15/kurdish-struggle-northern-syria, Zugriff 2.1.2018

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Spiegel - Spiegel Online (10.8.2016a): Die Fakten zum Krieg in Syrien: 1. Was sind die Ursachen des Konflikts in Syrien?, http://www.spiegel.de/politik/ausland/krieg-in-syrien-alle-wichtigen-fakten-erklaert-endlich-verstaendlich-a-1057039.html#sponfakt=1, Zugriff 22.12.2017

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Spiegel - Spiegel Online (16.8.2016b): Ankara sieht kurdischen Militärerfolg mit Sorge,

http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-kurden-traeumen-nach-eroberung-von-manbidsch-von-eigenem-staat-rojava-a-1107785.html, Zugriff 22.12.2017

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Der Standard (29.12.2017): Syrien: USA warnen Assad vor Offensive gegen Kurden,

https://derstandard.at/2000071227330/USA-warnen-Assad-vorOffensive-gegen-Kurden, Zugriff 3.1.2018

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USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (26.4.2017): United States Commission on International Religious Freedom 2017 Annual Report; 2017 Country Reports: USCIRF Recommended Countries of Particular Concern (CPC): Syria, https://www.ecoi.net/file_upload/5250_1494489917_syria-2017.pdf, Zugriff 11.1.2017

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Syria, http://www.ecoi.net/local_link/322447/461924_de.html, Zugriff 22.12.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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