Entscheidungsdatum
29.05.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I406 2119287-1/20E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. NIGERIA, vertreten durch RA Edward W. DAIGNEAULT, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.05.2019, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Spruchpunkt III., erster Satz zu lauten hat:
"Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz wird Ihnen gemäß § 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), nicht erteilt."
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste spätestens im September 2013 in das österreichische Bundesgebiet ein, stellte am 22.09.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab im Rahmen der Erstbefragung am 24.09.2013 an, er sei am XXXX in XXXX, Sierra Leone, geboren. Sein Fluchtgrund sei, dass er in der Heimat kaum Möglichkeit gehabt habe, zu überleben, da seine Eltern verstorben seien und sein Ziehvater sich nicht mehr um ihn habe kümmern können.
Das XXXX Institut XXXX XXXX hielt in einem gerichtsmedizinischem Gutachten zur forensischen Altersschätzung vom 27.11.2013 ein Mindestalter des Beschwerdeführers zum Untersuchungszeitpunkt von 21 Jahren fest.
Auf Vorhalt dieses Gutachtens erklärte der Beschwerdeführer in der Einvernahme durch die belangte Behörde am 09.12.2013, nach dem Tod seines Vaters habe ihm sein Vormund gesagt, sein Geburtsdatum sei der XXXX.
In der Einvernahme durch die belangte Behörde am 18.03.2014 beharrte der Beschwerdeführer, befragt zu seiner Herkunft, darauf, aus Sierra Leone zu stammen, und verneinte die Frage, ob er je außerhalb von XXXX gelebt habe, weiters die Frage, ob er je in einem anderen Land außerhalb von XXXX Probleme gehabt habe.
Ein XXXX vom 07.05.2014 hielt fest, der Beschwerdeführer stamme mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht aus Sierra Leone.
In der Einvernahme durch die belangte Behörde am 12.01.2015 verneinte der Beschwerdeführer nach Vorhalt des XXXX erneut die Frage, ob er vor der Einreise nach Österreich jemals außerhalb von Sierra Leone gelebt habe.
In seinem Gutachten vom 28.11.2015 hielt der Sachverständige XXXX zusammenfassend fest, eine Hauptsozialisierung des Beschwerdeführers in Sierra Leone sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, ebenso sei der Beschwerdeführer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Nigeria hauptsozialisiert worden; positive Hinweise auf eine Haupt- oder Teilsozialisierung außerhalb Nigerias lägen nicht vor.
In der Einvernahme durch die belangte Behörde am 21.12.2015 erklärte der Beschwerdeführer nach Vorhalt des Gutachtens von XXXX erneut, aus Sierra Leone zu stammen.
Mit Bescheid vom 21.12.2015, Zl.XXXX wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr.100/2005 (AsylG) (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab; zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) erlassen. Weiters wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist. Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß § 18 Absatz 1 AsylG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.) Gemäß § 13 Absatz 2 AsylG hat er sein Recht auf Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 17.05.2014 verloren (Spruchpunkt V.) und zugleich gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF über ihn ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).
Mit Verfahrensanordnung vom 21.12.2015 stellte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH und die Volkshilfe Flüchtlings- und MirgantInnenbetreuung GmBH in 1170 Wien, Wattgasse 48/3. Stock, als Rechtsberater amtswegig zur Seite.
Mit Eingabe vom 05.01.2016 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch RA Edward W. Daigneault, gegen den vorangeführten Bescheid der belangten Behörde vollumfänglich Beschwerde. Zur Herkunft des Beschwerdeführers wurde ausgeführt, "meine grundsätzliche Abstammung aus Nigeria war insofern nie anzuzweifeln, weil aus meinem Familiennamen XXXX die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der XXXX hervorgeht, und zwar auch, wenn mir selbst eine derartige Zugehörigkeit gar nie bewusst war. Schließlich hatte ich keine Papiere und wuchs ohne Eltern auf. In wieweit anhand meiner sonstigen Aussagen der Aufenthalt in Sierra Leone zurecht angezweifelt werden darf, erscheint nicht wichtig."
Mit Beschluss vom 10.02.2016 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als verspätet zurück.
Mit Erkenntnis vom 09.06.2016 behob der Verfassungsgerichtshof diesen Beschluss, da im Gegensatz zur Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichtes die Beschwerdefrist im gegenständlichen Fall vier Wochen betrage und die Beschwerde daher rechtzeitig eingebracht worden sei.
Mit Schreiben vom 18.04.2019 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat zum rechtlichen Gehör sowie Fragen zu seiner persönlichen Situation.
Mit Stellungnahme vom 07.05.2019 brachte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers vor, die menschenrechtliche sowie wirtschaftliche Lage im Herkunftsstaat sei entsprechend den Länderberichten prekär und brachte weiters zur persönlichen Situation des Beschwerdeführers vor, dieser habe sich bestens integriert und sei ehrenamtlich tätig, befinde sich in der Grundversorgung und verfüge über einen Arbeitsvorvertrag.
Am 28.05.2019 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.
Der Beschwerdeführer blieb dieser unentschuldigt fern.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Soweit er namentlich genannt wird, dient dies lediglich seiner Identifizierung als Verfahrenspartei, nicht jedoch einer Vorfragebeurteilung im Sinn des § 38 AVG.
Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsbürgerschaft und Herkunft.
Im Strafregister der Republik Österreich scheint folgende Verurteilung auf:
01) LG F.STRAFS.XXXX vom 20.05.2014 RK 24.05.2014
§§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (3) SMG
Datum der (letzten) Tat 17.05.2014
Freiheitsstrafe 7 Monate, davon Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Vollzugsdatum 17.06.2014
zu LG F.STRAFS.XXXX RK 24.05.2014
Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 17.06.2014
LG F.STRAFS.XXXX vom 18.06.2014
zu LG F.STRAFS.XXXX RK 24.05.2014
(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig
Vollzugsdatum 17.06.2014
LG F.STRAFS.XXXX vom 05.03.2018
Der Beschwerdeführer hat am 04.08.2016 die B1-Prüfung für Deutsch abgelegt.
Der Beschwerdeführer verfügt über mehrjährige Schulbildung im Herkunftsstaat und verfügt dort über einen Bruder und damit über familiäre Anknüpfungspunkte, in Österreich machte er keine familiären Anknüpfungspunkte geltend.
Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung und verfügt über einen Arbeitsvorvertrag.
1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer hat eine asylrelevante Verfolgung nicht vorgebracht und hat auch im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mit einer solchen zu rechnen.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat
Sicherheitslage
Es gibt in Nigeria keine Bürgerkriegsgebiete und keine Bürgerkriegsparteien (AA 28.11.2014). In drei Gebieten herrschen Unsicherheit und Spannungen: im Nordosten (islamistische Gruppe Boko Haram); im Middle Belt (v.a. im Bundesstaat Plateau); und im Nigerdelta. Während Spannungen und Gewalt im Nordosten und im Middle Belt in den vergangenen Jahren zugenommen haben, gingen sie im Nigerdelta seit 2009 zurück (DACH 2.2013).
Es besteht aufgrund wiederholter Angriffe und Sprengstoffanschläge militanter Gruppen (Boko Haram, Ansaru) derzeit ein sehr hohes Anschlagsrisiko insbesondere für Nord- und Nordostnigeria, einschließlich für die Hauptstadt Abuja. In mehreren Städten Nord- und Nordostnigerias finden immer wieder Gefechte zwischen Sicherheitskräften und militanten Gruppen statt. Angehörige der Sicherheitskräfte, Regierungsstellen, christliche Einrichtungen - aber auch Einrichtungen gemäßigter Moslems - sowie Märkte, Wohnviertel und internationale Organisationen sind Anschlagsziele der militanten Gruppen. Drohungen bestehen gegen moslemische Einrichtungen im Süden (BMEIA 16.6.2015).
Das deutsche Auswärtige Amt warnt vor Reisen in die nördlichen Bundesstaaten Borno, Yobe, Adamawa, Bauchi, in den nördlichen Teil von Plateau State (Jos und Umgebung) sowie nach Kano, Kaduna, Katsina, Gombe, Jigawa, Zamfara, Kebbi, Sokoto und Kogi (AA 8.5.2015). Auch das österreichische Außenministerium warnt vor Reisen in die Bundesstaaten Borno, Yobe, Adamawa, Plateau sowie den südlichen Landesteil von Bauchi und Kano. Mit Gewaltausbrüchen in allen zwölf nördlichen Bundestaaten ist jederzeit zu rechnen (BMEIA 16.6.2015). Das britische Außenministerium warnt zusätzlich noch vor Reisen in die Flussgegenden der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Akwa Ibom und Cross River States sowie in die Stadt Warri (UKFCO 16.6.2015).
Das österreichische Außenministerium hat für folgende Bundesstaaten eine partielle Reisewarnung ausgesprochen: Abia, Akwa Ibom, Anambra, Bayelsa, Delta, Ebonyi, Edo, Ekiti, Enugu, Imo, Kaduna, Kano, Oyo, Ondo, Rivers, einschließlich Port Harcourt und die vorgelagerten Küstengewässer (BMEIA 16.6.2015). Das britische Außenministerium warnt vor unnötigen Reisen nach: Kano, Kaduna, Jigawa, Katsina, Sokoto, Zamfara, Kebbi, die Stadt Jos und die LGAs Riyom und Barkin (Plateau), die Region Okene (Kogi), die restlichen Gegenden der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers und Akwa Ibom sowie in nach Abia (UKFCO 16.6.2015). In Nigeria können in allen Regionen meist kaum vorhersehbar lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe dafür sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Meist sind diese Auseinandersetzungen von kurzer Dauer (wenige Tage) und örtlich begrenzt (meist nur einzelne Orte, in größeren Städten nur einzelne Stadtteile) (AA 8.5.2015).
In Lagos kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen verschiedenen Ethnien, politischen Gruppierungen aber auch zwischen Militär und Polizeikräften (BMEIA 16.6.2015) bzw. zu Problemen (u.a. Mobs, Plünderungen) durch die sogenannten "Area Boys". Der Einsatz von Schlägertruppen und privaten Milizen zur Erreichung politischer oder wirtschaftlicher Ziele ist weit verbreitet (AA 28.11.2014).
Gemäß den Zahlen des Council on Foreign Relations stechen folgende 9 nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl (< 500 in 48 Monaten) an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Adamawa, Benue, Borno, Kaduna, Kano, Nasarawa, Plateau, Taraba, Yobe. Folgende 14 Bundesstaaten stechen mit einer relativ niedrigen Zahl (>100 in 48 Monaten) hervor: Akwa Ibom, Cross River, Ebonyi, Ekiti, Enugu, Imo, Jigawa, Kebbi, Kwara, Niger, Ondo, Osun, Oyo, Sokoto (CFR 2015). Beim OSAC werden die Bundesstaaten Adamawa, Bauchi, Borno, Gombe, Kaduna, Kano, Plateau, Taraba, Yobe und das FCT als von der Gewalt durch Boko Haram betroffen geführt. Ethnische Gewalt betrifft v.a. Plateau, Bauchi, Benue, Kaduna und Nasarawa. Für folgende 25 Bundesstaaten wird weder ethnische Gewalt noch Gewalt durch Boko Haram berichtet: Abia, Akwa Ibom, Anambra, Bayelsa, Cross River, Delta, Ebonyi, Edo, Ekiti, Enugu, Imo, Jigawa, Katsina, Kebbi, Kogi, Kwara, Lagos, Niger, Ogun, Ondo, Osun, Oyo, Rivers, Sokoto, Zamfara (OSAC 21.7.2014).
Quellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (28.11.2014): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria
-
AA - Auswärtiges Amt (8.5.2015): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/NigeriaSicherheit.html, Zugriff 8.5.2015
-
BMEIA - Außenministerium (16.6.2015): Reiseinformationen - Nigeria,
http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/buergerservice/reiseinformation/a-z-laender/nigeria-de.html, Zugriff 16.6.2015
-
CFR - Council on Foreign Relations (2015): Nigeria Security Tracker, http://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 18.6.2015
-
DACH - Asylkooperation Deutschland-Österreich-Schweiz (27.2.2013):
D-A-CH Factsheet zu Nigeria,
http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1361973048_dach-nigeria-factsheet-gr-2013-02.doc, Zugriff 8.5.2015
-
OSAC - Overseas Security Advisory Council (21.7.2014): Nigeria 2014 Crime and Safety Report - Abuja, https://www.osac.gov/pages/ContentReportDetails.aspx?cid=16032, Zugriff 18.6.2015
-
UKFCO - United Kingdom Foreign and Commonwealth Office (16.6.2015): Foreign Travel Advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 16.6.2015
Nigerdelta
Das Nigerdelta, welches die Bundesstaaten Ondo, Edo, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo, Abia, Akwa Ibom und Cross River umfasst, sorgt mit seinen Öl- und Gasreserven für 95 Prozent der Exporterlöse Nigerias (DACH 2.2013).
Die Lage im Nigerdelta ist derzeit relativ stabil; die Bedrohung der dort angesiedelten Öl- und Gasförderung durch militante Gruppen und Piraten bleibt aber ein Risiko(AA 6.2015b). Entführungen sind besonders häufig im Nigerdelta und südöstlichen Bundesstaaten Abia, Imo und Anambra. Politiker, Reiche und Ausländer waren die häufigsten Opfer (FH 28.1.2015).
Von 2000 bis 2010 entwickelten sich im Nigerdelta militante Gruppen, die den Anspruch erhoben, die Rechte der Deltabewohner zu verteidigen und die Forderungen auf Teilhabe an den Öleinnahmen auch mittels Gewalt gegenüber der Regierung durchzusetzen. Die wichtigsten Gruppierungen wurden die Niger Delta People's Volunteer Force (NDPVF) und die Movement for the Emancipation of the Niger Delta (MEND) (AA 28.11.2014). Bis zum Amnestieangebot im Jahr 2009 hat vor allem die MEND in der Region den bewaffneten Kampf gegen die Regierung geführt. Die MEND verübte selbst noch im Oktober 2010 Angriffe und Attentate (DACH 2.2013).
Mit dem im Juli 2009 vom damaligen Präsidenten Yar'Adua verkündeten Amnestieangebot für die Militanten im Nigerdelta ist seiner Regierung bei der Lösung des Konflikts ein bedeutender Schritt und ein überraschender Erfolg gelungen: Alle bekannten Milizenführer nahmen das Amnestieangebot an. Ein Reintegrationsprogramm für 20.000 ehemalige Kämpfer hat Mitte 2010 begonnen. Der ehemalige Präsident Jonathan, selbst aus dem Ölstaat Bayelsa stammend, setzt das Amnestieprogramm fort. Allerdings kündigten die Milizenführer Henry Okah und John Togo die Amnestie 2010 wieder auf. Der mutmaßliche MEND-Führer Henry Okah, sitzt derzeit in Südafrika in Haft und wurde dort im Januar 2013 verurteilt. Als Reaktion auf seine Verurteilung drohte MEND in drastischen Worten mit Anschlägen in ganz Nigeria (AA 28.11.2014). Bislang wird die Amnestievereinbarung aber weitgehend eingehalten, so dass Kriminalität und Gewalt im Süden merklich zurückgegangen sind. Allerdings steigen Kriminalität und Gewalt im Süden in letzter Zeit wieder an (AA 6.2015a). Bis Ende 2012 haben
26.368 ehemalige Militante vom Amnestieprogramm profitiert. Viele der ehemaligen Militanten haben eine Arbeitsausbildung oder Stipendien erhalten (USDOS 19.4.2013).
Bei den bewaffneten Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelt es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen und der Staatsgewalt, als auch um Rivalitäten zwischen den unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Interessen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen. Abgelegene Gebiete im Nigerdelta sind bis heute teils unter Kontrolle von separatistischen und kriminellen Gruppen. Teile des unzugänglichen Gebiets stellen weiterhin einen weitgehend rechtsfreien Raum dar, in dem die Einflussmöglichkeiten staatlicher Ordnungskräfte begrenzt sind (AA 28.11.2014). Das UK Home Office berichtet, dass laut DefenceWeb ein Joint Task Force (JTF) errichtet wurde, um den Terrorismus und andere Bedrohungen im Niger-Delta zu bekämpfen (UKHO 9.6.2015).
Das kostspielige Amnestieprogramm im Nigerdelta hat zwar die Gewalt reduziert, die strukturellen Probleme (Armut, Korruption, Umweltverschmutzung, Straffreiheit bei politischer Gewalt) wurden aber nicht angegangen (BS 2014; vgl. HRW 21.1.2014). Im Juni 2013 hat die Regierung angekündigt, dass das Amnestieprogramm im Jahr 2015 endgültig beendet werde. Sie hat auch zugegeben, dass ihre eigene Unfähigkeit, für die ausgebildeten ehemaligen Rebellen eine Arbeit zu finden oder einen anderen Plan zu erstellen, die Region potentiell gefährlicher machen werde (HRW 21.1.2014). Es gibt jedoch Berichte, dass Präsident Buhari angekündigt hat, dass das Amnestieprogramm weiter fortgeführt werden soll (TG 4.6.2015; vgl. Punch 5.6.2015).
Quellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (28.11.2014): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria
-
AA - Auswärtiges Amt (6.2015b): Nigeria - Wirtschaft, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Wirtschaft_node.html, Zugriff 19.6.2015
-
AA - Auswärtiges Amt (6.2015a): Nigeria - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html, Zugriff 19.6.2015
-
BS - Bertelsmann Stiftung (2014): BTI 2014 - Nigeria Country Report,
http://www.bti-project.de/fileadmin/Inhalte/reports/2014/pdf/BTI%202014%20Nigeria.pdf, Zugriff 19.6.2015
-
DACH - Asylkooperation Deutschland-Österreich-Schweiz (27.2.2013):
D-A-CH Factsheet zu Nigeria,
http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1361973048_dach-nigeria-factsheet-gr-2013-02.doc, Zugriff 19.6.2015
-
FH - Freedom House (28.1.2015): Freedom in the World 2015 - Nigeria, http://www.ecoi.net/local_link/295273/430280_de.html, Zugriff 19.6.2015
-
HRW - Human Rights Watch (21.1.2014): World Report 2014 - Nigeria, http://www.ecoi.net/local_link/267713/395047_de.html, Zugriff 19.6.2015
-
Punch (5.6.2015): Buhari'll sustain Niger Delta amnesty programme, says NNPC,
http://www.punchng.com/business/business-economy/buharill-sustain-niger-delta-amnesty-programme-says-nnpc/, Zugriff 19.6.2015
-
TG - The Guardian (4.6.2015): Buhari pledges commitment to amnesty programme in Niger-Delta,
http://www.ngrguardiannews.com/2015/06/buhari-pledges-commitment-to-amnesty-programme-in-niger-delta/, Zugriff 19.6.2015
-
UKHO - UK Home Office (9.6.2016): Country Information and Guidance
-
Nigeria: Background information, including actors of protection, and internal relocation,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1433946172_nigeria-cig-background-information-v1-0-15-06-09-pdf-version.pdf, Zugriff 19.6.2015
USDOS - U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices 2012 - Nigeria, http://www.ecoi.net/local_link/245102/368550_de.html, Zugriff 19.6.2015
Middle Belt inkl. Jos/Plateau
Die ethnischen Gegensätze in Nigeria werden durch religiös-konfessionelle Trennlinien verstärkt, die aufgrund historischer Entwicklungen und moderner Binnenmigration viel komplizierter verlaufen, als es das vereinfachte Bild einer Nord-Süd-Teilung Nigerias in einen überwiegend muslimischen Norden und einen stärker christlich geprägten Süden nahelegt. Immer wieder kommt es zu lokalen Konflikten zwischen einzelnen ethnischen, sozialen und religiösen Gruppen (AA 6.2015a). Die Vorkommnisse werden zwar oft als ethnisch-religiöse Konflikte aufgrund von Spannungen zwischen muslimischen und christlichen Einwohnern interpretiert (KAS 12.7.2013; vgl. Reuters 26.5.2015). Bei derartiger Gewalt liegt der Ursprung gewöhnlich jedoch darin, dass in einem sehr heterogenen und ethnisch vielfältigen Teil Nigerias eine Gruppe die Kontrolle des Staatsapparates gegenüber einer anderen Gruppe beansprucht (KAS 12.7.2013; vgl. WWR 20.3.2015).
Obwohl kommunale Auseinandersetzungen in nahezu allen Regionen des Landes vorkommen, sind Intensität und Opfer in der Region des "Middle Belt? gravierender. Dies gilt v.a. für die Bundesstaaten Kaduna und Plateau, wo zahllose Menschen, vornehmlich Frauen und Kinder, auf brutalste Weise ermordet werden (KAS 12.7.2013; vgl. WWR 20.3.2015). Der Middle Belt bildet eine Brücke zwischen dem vorwiegend muslimischen Nordnigeria und dem hauptsächlich christlichen Süden (DACH 2.2013; vgl. WWR 20.3.2015). Die Region wird von kleinen christlichen Ethnien dominiert, die eine lange Tradition des Widerstandes gegen die muslimischen Ethnien aus dem Norden haben. Die Spannungen im Middle Belt sind mit dem Problem der "Indigenität" verbunden: Jeder Bundesstaat und jede LGA in Nigeria unterteilt seine Bevölkerung in "indigene" und "nicht-indigene" Bürger, oder "Gastgeber" und "Siedler". Im Middle Belt genießen vorwiegend die o.g. kleinen christlichen Ethnien den Status der Indigenen, während die muslimischen Hausa und Fulani als Siedler eingestuft werden (DACH 2.2013; vgl. WWR 20.3.2015).
Die kommunale Gewalt, die seit vielen Jahren in den Bundesstaaten Plateau und Kaduna des Middle Belts herrscht, hat sich in andere Bundesstaaten, nämlich Benue, Nasarawa, Taraba, Katsina, und Zamfara ausgebreitet. Die anhaltende Gewalt in diesen Bundesstaaten hat seit 2010 den Tod von über 4.000 Menschen herbeigeführt und 120.000 Einwohner vertrieben. Das Scheitern der Bundes- und Bundesstaatsbehörden hinsichtlich einer Untersuchung und Verfolgung dieser Straftaten hat dazu beigetragen, den Kampf der ethnischen Gruppen um politische Macht zu verstärken (HRW 29.1.2015).
Bei einem Vorfall im Mai 2015 wurden mindestens 96 Menschen im Bundesstaat Benue umgebracht. Fulani-Hirten wurden verdächtigt, einige Dörfer angegriffen zu haben. Ein Polizeisprecher berichtete, dass eine Polizeieinheit in das Gebiet entsandt worden ist (Reuters 26.5.2015).
Quellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (6.2015a): Nigeria - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html, Zugriff 18.2.2014
-
DACH - Asylkooperation Deutschland-Österreich-Schweiz (27.2.2013):
D-A-CH Factsheet zu Nigeria,
http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1361973048_dach-nigeria-factsheet-gr-2013-02.doc, Zugriff 19.6.2015
-
HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - Nigeria, http://www.ecoi.net/local_link/295453/430485_de.html, Zugriff 19.6.2015
-
KAS - Konrad Adenauer Stiftung (12.7.2013): Unsicherheit in Nigeria,
http://www.kas.de/wf/doc/kas_34967-544-1-30.pdf?130716165200, Zugriff 18.2.2014
-
Reuters (26.5.2015): Herdsmen kill at least 96 people in Nigeria's Benue state,
http://uk.reuters.com/article/2015/05/26/uk-nigeria-violence-idUKKBN0OB17120150526, Zugriff 19.6.2015
-
WWR - World Watch Research (30.3.2015): Migration and Violent Conflict in Divided Societies, Non-Boko Haram violence against Christians in the Middle Belt region of Nigeria, https://www.worldwatchmonitor.org/research/3777637, Zugriff 19.6.2015
Nordnigeria - Boko Haram
Im Nordosten und im Zentrum Nigerias kommt es seit Mitte 2010 gehäuft zu Anschlägen der islamistischen Gruppe Boko Haram, die im ersten Quartal 2014 noch einmal signifikant zugenommen haben (AA 28.11.2014). Die Rebellion der militanten Sekte Boko Haram (auch Jama'atu Ahlis Sunna Lidda'awati Wal-Jihad) dauert also weiter an (USDOS 25.6.2015). In der Folge wurde im Mai 2013 über die Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa der Ausnahmezustand verhängt, dieser dauert bis heute an (USDOS 25.6.2015; vgl. AA 28.11.2014). In diesen Bundesstaaten kommt es fortlaufend zu militärischen Operationen (UKFCO 3.6.2015). Im ganzen Land kommt es auch weiterhin zu Angriffen auf staatliche und zivile Ziele (USDOS 25.6.2015). Das nigerianische Militär verlegt sein Hauptquartier nach Maiduguri, damit Boko Haram besser bekämpft werden kann. Boko Haram hat die Stadt Maiduguri bereits mehrfach angegriffen (BBC 8.6.2015)
Boko Haram verübt immer wieder Anschläge aus dem Untergrund (Schuss- und Sprengstoffattentate) (AA 28.11.2014; vgl. USDOS 25.6.2015). Die zwischenzeitlich erfolgreiche Eindämmung des Aktionsradius' der Terroristen auf den Nordosten Nigerias und ihre Vertreibung aus den städtischen Zentren von Borno und Yobe durch die nigerianischen Sicherheitskräfte beantworteten die Islamisten mit einer Reihe von strategischen und taktischen Änderungen: Ausweichen und Ausbau neuer Stützpunkte im Grenzgebiet der drei Nachbarstaaten Niger, Kamerun und Tschad, blutige Angriffe auf "weiche" Ziele wie Dörfer und Schulen in ländlichen und unbewachten Regionen (AA 28.11.2014; vgl. Reuters 30.5.2015). Die betroffenen Staaten haben sich im Februar 2015 auf die Aufstellung einer 8.700 Mann starken Multinational Joint Task Force zur gemeinsamen Bekämpfung von Boko Haram verständigt. Bis diese etabliert ist, kämpfen die Armeen auf der Basis bilateraler Vereinbarungen abgestimmt gegen Boko Haram und erzielten erste Erfolge: Bis Ende März 2015 konnte Boko Haram aus allen von ihr kontrollierten Städten im Nordosten Nigerias vertrieben werden. Mit Selbstmordanschlägen und Angriffen auf einzelne Orte verbreitet sie jedoch weiterhin Angst und Schrecken (AA 6.2015a). Möglicherweise breiten sich die Aktivitäten von Boko Haram aus bzw. fusionieren kommunale und terroristische Gewalt. Bei einem Angriff von Fulani auf mehrere Dörfer im Bundesstaat Benue sollen etwa auch Kämpfer der Boko Haram beteiligt gewesen sein (ALL 26.3.2014a; vgl. TJF 16.5.2015; PT 12.1.2015).
Boko Haram tötet Sicherheitskräfte und Zivilisten, darunter lokale Behördenvertreter, religiöse Führer und Politiker. Es kommt zu Anschlägen auf Polizeistationen, Armeeeinrichtungen, Gefängnisse, Banken und Schulen (USDOS 25.6.2015), auch Kirchen, gemäßigte islamische Geistliche und Besucher von Lokalen mit Alkohol-Ausschank sind betroffen. Anders als in den Anfangsjahren der Organisation erklärte Boko Haram inzwischen auch traditionelle muslimische Führer und zunehmend Christen zu legitimen Anschlagszielen (AA 28.11.2014). Ebenfalls ins Visier der Boko Haram geraten sind die Mitglieder der Bürgerwehr Civilian Joint Task Force (HRW 21.1.2014; vgl. AI 28.1.2015; AI 13.4.2015). Boko Haram forciert auch Entführungen, diese treffen auch Frauen (USDOS 25.6.2015). Laut Amnesty International wurden seit Anfang 2014 mindestens 2.000 Frauen und Mädchen von Boko Haram entführt. Viele von ihnen werden sexuell versklavt oder zu Kämpferinnen ausgebildet (AI 14.4.2015). Außerdem setzt Boko Haram Kindersoldaten ein (USDOS 25.6.2015).
Im Jahr 2014 wurden die Gewalttaten der Boko Haram organisierter, häufiger und extremer (AI 4.2015). Die Gruppe greift Menschen schon alleine aufgrund der Religion oder eines Berufes an, tötet oder verletzt andere völlig willkürlich. Die Gruppe hat Häuser, Kirchen, Krankenhäuser zerstört (OHCHR 14.3.2014; vgl. AI 4.2015). Zwischen 2012 und 2014 wurden bei Angriffen auf Schulen im Nordosten Nigerias mindestens 196 Lehrer und 314 Schüler getötet sowie mehr als 300 Schulen zerstört oder schwer beschädigt. Sie haben Kinder in ihren Betten ermordet, Frauen und Mädchen verschleppt und vergewaltigt. 2014 hat Boko Haram mehr als 4.000 Menschen getötet, obwohl geschätzt wird, dass die tatsächliche Anzahl wesentlich höher ist. In den ersten drei Monaten des Jahres 2015 hat Boko Haram mindestens
1.500 Zivilpersonen getötet. Im Februar 2015 kontrollierte Boko Haram einen Großteil der Bundesstaaten Borno, Adamawa und Yobe. Im gleichen Monat hat das nigerianische Militär mit Unterstützung von Kamerun, Tschad und Niger Boko Haram aus einigen größeren Städten vertrieben und befreite viele Zivilisten aus der Hand von Boko Haram. Boko Haram machte Gebrauch von improvisierten Sprengsätzen (IEDs), einschließlich Autobomben und Selbstmordattentäter, um Zivilpersonen bei Märkten, Verkehrsknotenpunkten, Schulen und andere öffentlichen Einrichtungen zu töten. Bei 46 Sprengstoffanschlägen im Zeitraum Jänner 2014 und März 2015 tötete die Gruppe mindestens 817 Personen. Boko Haram verübte auch Angriffe auf Dörfer und Städte im Nordosten Nigerias und terrorisiert die Bevölkerung. Einige Angriffe wurden nur von zwei oder drei Bewaffneten auf einem Motorrad durchgeführt, während andere Angriffe mit hunderten von Kämpfern ausgerüstet mit Panzern und Flakgeschütz durchgeführt wurden. Die Angreifer plündern die Vorräte in Häusern, Geschäften und Märkten und zünden danach die Gebäude an. Trotz der Stationierung von Truppen im Nordosten und wegen der Intensität der Angriffe durch Boko Haram auf die Bevölkerung, haben Nigerias Sicherheitskräfte es wiederholt nicht geschafft, die Bevölkerung vor Angriffe zu schützen. Boko Haram hat öfters Tage oder Stunden vor den Angriffen die Bevölkerung gewarnt, entweder durch Briefe an die Stammesoberhäupter oder durch verbale Warnungen. Jedoch wurden die Appelle für die Entsendung von Truppen oder für Verstärkung der vorhandenen militärischen Truppen ignoriert (AI 4.2015).
Die verfügbare Literatur zu Boko Haram gibt über das eigentliche Motiv für deren Gründung, Existenz und Herkunft keinen Aufschluss (KAS 12.7.2013). Insgesamt wollen die Islamisten eine strikte Auslegung der Scharia durchsetzen und die Korruption in Nigeria beenden (HRW 21.1.2014; vgl. SD 17.1.2015). Zwar haben Boko-Haram-Führer immer wieder ihre Anlehnung an die großen islamistischen Terrornetzwerke bekundet, doch die Gruppe hat weniger mit radikalem Islam zu tun, als sie selbst zugibt. Ihre Anschläge richten sich nicht vorrangig gegen Christen - die meisten Opfer sind Muslime. Boko Harams Wurzeln liegen in der Armut Nordnigerias, zusätzlichen Auftrieb erhält die Miliz durch die Ignoranz der Regierung (SD 17.1.2015). Auch wenn offensichtlich ist, dass Boko Haram eine ernste Bedrohung für die Sicherheit in Nord- und Zentralnigeria darstellt, ist es schwierig herauszufinden, wer heute überhaupt unter diesem Namen agiert und welche Bedrohungsarten von der Gruppe ausgehen. Die Gruppe ist weder homogen, noch verfügt sie über eine klare Hierarchie (DACH 2.2013). Zu Boko Haram zählen diverse Splittergruppen; einige von ihnen kämpfen seit mehreren Jahren im Namen des Islam. Der Chef von Boko Haram ist seit 2010 Abubakar Shekau. Wie viel Kontrolle Shekau über die diversen Gruppierungen von Boko Haram hat, ist fraglich. Boko Haram soll in untergeordneten, lokalen Zellen organisiert sein. Zudem soll es einen Rat geben, der das oberste Entscheidungsorgan der Gruppe ist und auf dessen Zustimmung der Anführer bei Entscheidungen angewiesen ist (Zeit 26.6.2015).
Während des Jahres 2014 begangen die Sicherheitskräfte unter dem Kommando der 7. Division der nigerianischen Armee, die Polizei, das Department of State Service (DSS) und andere Kräfte zahlreiche Morde (USDOS 25.6.2015). Schwere Menschenrechtsverletzungen werden den im Norden agierenden Sicherheitskräften angelastet (USDOS 25.6.2015). Im Zuge der militärischen Operationen gegen Boko Haram im Nordosten Nigerias, haben die Sicherheitskräfte mehr als 1.200 Menschen außergerichtlich hingerichtet, mindestens 20.000 Menschen - meist junge Männer und Buben - willkürlich verhaftet und unzählige Folterungen begangen. In militärischer Haft starben mindestens 7.000 Menschen infolge von Hunger, extremer Überbelegung und der Verweigerung von medizinischer Unterstützung (AI 6.2015). In einigen Regionen eskaliert die Auseinandersetzung zunehmend, insbesondere in Borno und Yobe, wo - neben Adamawa - seit Mai 2013 der Ausnahmezustand besteht und die Sicherheitskräfte massiv gegen Boko Haram vorgehen (AA 28.11.2014). Die Bewohner der betroffenen Bundesstaaten und der sich zwischenzeitlich im Norden des Landes aufhaltenden Menschen aus den benachbarten Staaten Nigerias fliehen vor diesen Auseinandersetzungen in Tausenden in den Niger, Tschad und nach Kamerun (AA 28.8.2013; vgl. Reuters 13.1.2015). Trotz verschiedener Berichte in sowohl lokalen als auch internationalen Medien über die Vorwürfe des weit verbreiteten Missbrauchs der Sicherheitskräfte wurde diesbezüglich kaum jemand strafrechtlich verfolgt (KAS 12.7.2013; vgl. AI 6.2015).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (28.8.2013): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria
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AA - Auswärtiges Amt (28.11.2014): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria
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AI - Amnesty International (13.4.2015): 'Our Job is to Shoot, Slaughter and Kill' Boko Haram's Reign of Terror in North-East Nigeria,
http://www.amnestyusa.org/research/reports/our-job-is-to-shoot-slaughter-and-kill-boko-haram-s-reign-of-terror, Zugriff 25.6.2015
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AI - Amnesty International (14.4.2015): Nigeria: Abducted women and girls forced to join Boko Haram attacks, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2015/04/nigeria-abducted-women-and-girls-forced-to-join-boko-haram-attacks/, Zugriff 25.6.2015
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AI - Amnesty International (6.2015): Stars on their shoulders.
Blood on their hands: War crimes committed by the Nigerian military, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1433746540_afr4416572015english.pdf, Zugriff 23.6.2015
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ALL - All Africa/This Day (26.3.2014a): Yet Another Bloody Herdsmen Attack Claims 25 Lives, http://allafrica.com/stories/201403260277.html, Zugriff 26.3.2014
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BBC (8.6.2015): Boko Haram: Nigeria military moves HQ to Maiduguri, http://www.bbc.com/news/world-africa-33048511, Zugriff 29.6.2015
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DACH - Asylkooperation Deutschland-Österreich-Schweiz (27.2.2013):
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http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1361973048_dach-nigeria-factsheet-gr-2013-02.doc, Zugriff 19.6.2015
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HRW - Human Rights Watch (21.1.2014): World Report 2014 - Nigeria, http://www.ecoi.net/local_link/267713/395047_de.html, Zugriff 19.6.2015
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Humanitarian response gap grows in northern Nigeria, http://www.ecoi.net/local_link/271781/400460_de.html, Zugriff 19.6.2015
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SD - Süddeutsche Zeitung (17.1.2015): Die Wahrheit ist der Tod, http://www.sueddeutsche.de/politik/boko-haram-terror-in-nigeria-die-wahrheit-ist-der-tod-1.2306182, Zugriff 29.6.2015
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