Entscheidungsdatum
16.08.2019Norm
B-VG Art. 133 Abs4Spruch
W203 2209141-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gottfried SCHLÖGLHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (Erstbeschwerdeführerin) und XXXX (Zweitbeschwerdeführer) als Erziehungsberechtigte von XXXX (Drittbeschwerdeführerin), geboren am XXXX , alle vertreten durch RA Mag. Michael Ludwig LANG, 1010 Wien, Krugerstraße 13, gegen den Bescheid des Stadtschulrates für Wien vom 08.10.2018, GZ. 600.009/0072-R/2018, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Am 30. August 2018 (Datum des Einlangens beim Stadtschulrat für Wien) zeigten die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer dem Stadtschulrat für Wien mit dem dafür vorgesehenen Formular des Stadtschulrates für Wien die Teilnahme ihrer Tochter (der Drittbeschwerdeführerin) an häuslichem Unterricht im Schuljahr 2018/2019 für die erste Schulstufe der Schulart Volksschule an. In der Rubrik "Der häusliche Unterricht wird erteilt durch:" wurde angegeben: " XXXX
3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 08.10.2018 sprach der Stadtschulrat für Wien (nunmehr: Bildungsdirektion für Wien; im Folgenden: belangte Behörde) Folgendes aus:
"I. Die Anzeige der Teilnahme an häuslichem Unterricht der XXXX wird gemäß § 11 Abs. 2 Schulpflichtgesetz (SchPflG) abgewiesen.
II. XXXX hat gemäß § 5 Abs. 1 SchPflG ihre allgemeine Schulpflicht an einer öffentlichen oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule zu besuchen
III. Die Erziehungsberechtigten XXXX und XXXX haben gemäß § 24 Abs. 1 SchPflG für die Erfüllung der Schulpflicht durch XXXX im Sinne des Spruchpunktes II. zu sorgen."
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Erteilung des Unterrichts institutionell durch die XXXX -Schule zur Gänze erfolge. Diese Schule sei der belangten Behörde nicht als Privatschule angezeigt worden. Es finde somit kein Unterricht "im Zuhause des Kindes" an der Wohnadresse im familiären Umfeld statt. Voraussetzung für die Kenntnisnahme der Teilnahme an häuslichem Unterricht gemäß § 11 Abs. 3 SchPflG sei jedoch, dass der Unterricht "häuslich", also im privaten Zuhause des Kindes und in seinem familiären Umfeld stattfinde. Im gegenständlichen Fall solle hingegen "das Unterrichten des schulpflichtigen Kindes" ausschließlich in Form eines "privaten öffentlichen Unterrichts" an einem näher bezeichneten Standort erfolgen. Aus diesen Gründen sei die Anzeige der Teilnahme an häuslichem Unterricht "gemäß § 11 Abs. 2 Schulpflichtgesetz (SchPflG) abzuweisen" gewesen.
4. Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und beantragten u.a. die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
5. Mit Schreiben vom 07.11.2018, eingelangt beim Bundesverwaltungsgericht am 08.11.2018, übermittelte die belangte Behörde die Beschwerde samt Verwaltungsakt, ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die am XXXX geborene Drittbeschwerdeführerin ist seit dem 01.09.2018 schulpflichtig.
Einlangend bei der belangten Behörde am 30.08.2018 zeigten die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer der belangten Behörde rechtzeitig die Teilnahme ihrer Tochter (der Drittbeschwerdeführerin) an häuslichem Unterricht im Schuljahr 2018/2019 für die Schulart Volksschule an.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, dem Verfahren vor der belangten Behörde und der Beschwerde. Der Sachverhalt ist aktenkundig, unstrittig und deshalb erwiesen. Der verfahrensmaßgebliche Sachverhalt entspricht dem oben angeführten Verfahrensgang und konnte auf Grund der vorliegenden Aktenlage zweifelsfrei und vollständig festgestellt werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 i.d.F. BGBl. I Nr. 164/2013, erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Im gegenständlichen Verfahren liegt mangels einer anderslautenden Bestimmung Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt habe.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
3.2. Zu Spruchpunkt A) (Aufhebung des angefochtenen Bescheides)
3.2.1. Art. 17 StGG garantiert die Freiheit des häuslichen Unterrichts auf jedem theoretischen Wissensgebiet ohne jede Beschränkung (vgl. VfSlg. 4579/1963 und 4990/1965). Die Garantie des Art. 17 Abs. 3 StGG ist im Zusammenhang mit Art. 17 Abs. 2 StGG zu sehen. Es ist dem Gesetzgeber verwehrt, die Erteilung häuslichen Unterrichts irgendwelchen Beschränkungen zu unterwerfen (vgl. dazu etwa VfSlg. 2670/1954; VwGH 29.01.2009, 2008/10/0332). Die Regelungen des Schulpflichtgesetzes beziehen sich daher ausschließlich auf die Frage, ob ein Kind durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht bereits seine Schulpflicht erfüllt, oder ob es dazu des Besuches einer allgemeinen Pflichtschule bedarf (vgl. VwGH 29.01.2009, 2008/10/0332 m.w.N.).
Gemäß § 2 SchPflG beginnt die allgemeine Schulpflicht mit dem auf die Vollendung des sechsten Lebensjahres folgenden 1. September.
Gemäß § 3 SchPflG dauert die allgemeine Schulpflicht neun Jahre.
Gemäß § 11 Abs. 1 SchPflG kann die allgemeine Schulpflicht auch durch die Teilnahme am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 SchPflG genannten Schule mindestens gleichwertig ist.
Nach § 11 Abs. 2 SchPflG kann die allgemeine Schulpflicht ferner durch die Teilnahme an häuslichem Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule - ausgenommen den Polytechnischen Lehrgang - mindestens gleichwertig ist.
Gemäß § 11 Abs. 3 SchPflG haben die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten die Teilnahme ihres Kindes an einem im Abs. 1 oder 2 genannten Unterricht der Bildungsdirektion jeweils vor Beginn des Schuljahres anzuzeigen. Die Bildungsdirektion kann die Teilnahme an einem solchen Unterricht untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die im Abs. 1 oder 2 geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes nicht gegeben ist.
Die Untersagung der Teilnahme am häuslichen Unterricht im Sinne des § 11 Abs. 3 SchPflG ist eine Ermessensentscheidung (vgl. VwGH 25.02.1971, 2062/70). Als Ermessensentscheidung unterliegt sie nur insofern der Kontrolle durch das Verwaltungsgericht, als dieses zu prüfen hat, ob die belangte Behörde von dem ihr zustehenden Ermessen im Sinn des Gesetzes Gebrauch gemacht hat (vgl. Art. 130 Abs. 3 B-VG). Die Verwaltungsbehörde ist verpflichtet, in der Begründung ihrer Entscheidung die für die Ermessensübung maßgebenden Überlegungen und Umstände insoweit offen zu legen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien und für die Nachprüfung der Ermessensentscheidung auf ihre Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes durch das Verwaltungsgericht erforderlich ist (vgl. VwGH 29.04.2015, Ra 2015/05/0021, m.w.N.).
Das Gesetz räumt der Behörde die Befugnis ein, die Teilnahme an häuslichem Unterricht zu untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die in § 11 Abs. 1 oder 2 SchPflG geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes im Vergleich zu dem in einer öffentlichen Schule nicht gegeben ist.
Mit Wahrscheinlichkeit ist eine Tatsache als gegeben anzunehmen, wenn gewichtigere Gründe für ihr Vorhandensein sprechen als dagegen. Von großer Wahrscheinlichkeit kann daher nur dann gesprochen werden, wenn die Gründe, die dafürsprechen, gegenüber den andern, die dagegen anzuführen sind, weitaus überwiegen (vgl. VwGH 25.04.1974, 0016/74; vgl. darüber hinaus auch VwGH 25.02.1971, 2062/70).
3.2.2. Wie bereits der Wortlaut des § 11 Abs. 3 SchPflG deutlich macht, ist der einzige Grund, aus welchem die Schulbehörde die Anzeige der Teilnahme an häuslichem Unterricht nicht zur Kenntnis nehmen muss, sondern die Teilnahme an einem solchen Unterricht untersagen kann, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht vorliegende Gleichwertigkeit des Unterrichts.
Aus dem angefochtenen Bescheid geht jedoch nicht hervor, aus welchen Gründen die belangte Behörde der Ansicht ist, dass der gegenständliche Unterricht mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gleichwertig sein sollte. Sie rekurriert im angefochtenen Bescheid lediglich darauf, dass der Unterricht nicht "häuslich", sondern in einer nicht angezeigten "Privatschule" - also anstaltsmäßig - durchgeführt werden soll.
Sowohl bei einer Anzeige gemäß § 11 Abs. 1 SchPflG als auch bei einer Anzeige gemäß § 11 Abs. 2 SchPflG kann eine Untersagung durch die belangte Behörde nur dann erfolgen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichts nicht gegeben ist. Eine solche Abwägung der Gründe, die für oder gegen eine Teilnahme am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht bzw. die Teilnahme an häuslichem Unterricht sprechen, nahm die belangte Behörde jedoch nicht vor.
Abgesehen davon deutet nichts darauf hin, dass die für das Schuljahr 2018/2019 zu treffende ex-ante Prüfung negativ ausfallen müsste.
Die "Abweisung der Anzeige" der Teilnahme an häuslichem Unterricht erweist sich aus den genannten Gründen als rechtswidrig. Ebenso die in Spruchpunkt II angeordnete Erfüllung der Schulpflicht an einer öffentlichen oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule. Spruchpunkt III erweist sich auf Grund der Rechtswidrigkeit von Spruchpunkt I und Spruchpunkt II ebenfalls als rechtswidrig.
Folglich ist der angefochtene Bescheid aufzuheben.
3.2.3. Zur Unterlassung einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Im gegenständlichen Fall kann das Unterlassen einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG darauf gestützt werden, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erschien. (vgl. VwGH 17.10.2006, 2005/20/0329; 23.11.2006, 2005/20/0406, VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018).
Weder ist der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig noch erscheint er in entscheidenden Punkten als nicht richtig.
Das Bundesverwaltungsgericht hat vorliegend daher ausschließlich über eine Rechtsfrage zu erkennen (vgl. EGMR 20.6.2013, Appl. Nr. 24510/06, Abdulgadirov/AZE, Rz 34 ff).
Es ist daher ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Spruchpunkt A) zu entscheiden.
3.3. Zu Spruchpunkt B) (Unzulässigkeit der Revision)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass hier die Teilnahme an häuslichem Unterricht nicht zu untersagen ist, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Es ist daher gemäß Spruchpunkt B) zu entscheiden.
Schlagworte
Begründungsmangel, Ermessensübung, ersatzlose Behebung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W203.2209141.1.00Zuletzt aktualisiert am
27.02.2020