TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/5 W276 2202788-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.09.2019
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Entscheidungsdatum

05.09.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
VwGVG §29 Abs5

Spruch

W276 2202788-1/15E

W276 2202790-1/15E

W276 2202787-1/14E

Gekürzte Ausfertigung des am 16.08.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Gert Wallisch als Einzelrichter über die Beschwerden von 1) XXXX , geboren am XXXX , 2) XXXX, geboren am XXXX und 3) XXXX , geboren am XXXX , alle StA. Afghanistan, 3) vertreten durch 1) und 2), alle vertreten durch XXXX , dieser vertreten durch Dipl.-Iur. Predrag VLADIC, gegen die Spruchpunkte I. und II. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, ASt Leoben, vertreten durch Franz GRUBER, betreffend 1.) vom 09.07.2018 zu Zl. XXXX , betreffend 2.) vom 09.07.2018 zu Zl. XXXX , betreffend 3.) vom 09.07.2018 zu Zl. XXXX zu Recht:

A)

I.) Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.

II.) Den Beschwerden gegen die Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX , XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.) Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird den Beschwerdeführern eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 16.08.2020 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Wesentliche Entscheidungsgründe:

1. Feststellungen

1.1. Persönliche Daten der Beschwerdeführer

Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander verheiratet und die Eltern des mj Drittbeschwerdeführers. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, BF1 ist Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, BF2 jene der Tadschiken, alle bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Der Erstbeschwerdeführer wurde in der Provinz Nangahar, im XXXX , die Zweitbeschwerdeführerin in der der XXXX geboren. Der BF3 wurde in XXXX geboren.

Die Beschwerdeführer hielten sich bis zu Ihrer Reise nach Europa Anfang 2016 durchgehend in Afghanistan auf.

Der Erstbeschwerdeführer besuchte 12 Jahre die Schule und hat Erfahrungen als Verkäufer und Leiter eines Geschäftes zum Verkauf von Mobiltelefonen, Musik-CDs und von Liebes- bzw. Sexfilmen, die Zweitbeschwerdeführerin besuchte 6 Jahre die Schule, hat ansonsten aber keiner Berufserfahrungen.

Alle BF sprechen Dari.

Die Familien der Beschwerdeführer bestehen aus den jeweiligen Eltern, Geschwistern, Onkeln und Tanten, diese sind alle in Aghanistan aufhältig. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin stehen in Kontakt zu ihren Familien in Afghanistan. Die wirtschaftliche Situation der Familien der Beschwerdeführer ist durchschnittlich. Eine finanzielle Unterstützung der Beschwerdeführer durch ihre Familien ist bei einer Ansiedelung der Beschwerdeführer in Afghanistan nicht in ausreichendem Ausmaß zu erwarten.

Die Beschwerdeführer verfügen über familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Durch die Abwesenheit der beiden BF ist dieser Kontakt mittlerweile nicht mehr so intensiv wie in Afghanistan.

1.2. Zu den Fluchtgründen

Die Beschwerdeführer konnten eine Verfolgung durch die Taliban, als Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft oder der Tadschiken bzw der Paschtunen nicht glaubhaft machen, zumal ihre diesbezüglichen Angaben vage und unkonkret waren. Ihr Vorbringen war demnach nicht geeignet, eine mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung aus asylrelevanten Gründen darzutun, weshalb es den BF insgesamt nicht gelungen ist, eine konkret und gezielt gegen ihre Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, die ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Die konkret vorgetragene Fluchtgeschichte war insofern nicht glaubhaft, weil diese in mehrerlei Hinsicht unschlüssig war. Der BF1 konnte nicht erklären, warum die Tazkira von einem Datum stammt, an dem er sich nicht mehr im Heimatdorf befunden hat. Seine Erzählungen über die von ihm verkauften Liebes- bzw. Sexfilme waren gegenüber seinen früheren Aussagen erheblich gesteigert und insgesamt wenig glaubwürdig. Es ist weiters nicht nachvollziehbar, warum die Familie auch nach monatelangen Drohungen, die gegenüber Nachbarn und den Dorfältesten ausgesprochen wurden, im Heimatdorf geblieben sind. Weiters ist nicht nachvollziehbar, warum die Familie nach ihrer Flucht aus dem Heimatdorf weitere fünf Monate in XXXX verbrachte, obwohl, nach den Angaben der BF, die Taliban sie an jedem Ort in Afghanistan aufspüren hätten können. Weiters ergaben sich erhebliche Widersprüche betreffend der Geburtsdaten der Familienmitglieder, die auch nach mehrfachem nachfragen nicht aufgeklärt werden konnten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass es sich bei der Zweitbeschwerdeführerin um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau handelt, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist und dass der Zweitbeschwerdeführerin aufgrund dieser angenommenen Lebensweise in Afghanistan, insbesondere in ihrer Herkunftsregion XXXX bzw XXXX individuelle und konkrete Gefahr physischer oder psychischer Gewalt droht. Die BF2 spricht kaum Deutsch und macht auch sonst keinen wie immer gearteten "verwestlichten" Eindruck.

Den Beschwerdeführern droht nicht alleine wegen ihrer Zugehörigkeit zu Ihrer jeweiligen Volksgruppe oder zur sunnitischen Religion konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan.

Den Beschwerdeführern droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht alleine auf Grund der Tatsache, dass sie einen kleinen Teil ihres Lebens in Europa verbracht haben, konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan. Ebenso wenig ist jeder Rückkehrer aus Europa alleine aufgrund dieses Merkmals in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr nach Afghanistan

Eine Rückkehr in die Herkunfts- bzw Wohnsitzprovinz Nangahar ist den Beschwerdeführern aufgrund der dort herrschenden schlechten Sicherheitslage nicht zumutbar.

1.3.1 Zur Sicherheitslage in Kandahar (aus dem LIB 29.06.2018, letzte KI 04.06.2019, S 194 ff.)

Die Provinz Nangarhar liegt im Osten von Afghanistan. Im Norden grenzt sie an die Provinzen Kunar und Laghman, im Westen an die Hauptstadt Kabul und die Provinz Logar und an den Gebirgszug Spinghar im Süden (Pajhwok o.D.g). Die Provinzhauptstadt Jalalabad ist 120 Kilometer von Kabul entfernt (Xinhua 10.2.2017). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.573.973 geschätzt (CSO 4.2017).

Die Provinz Nangarhar besteht, neben der Hauptstadt Jalalabad aus folgenden Distrikten: Ghani Khil/Shinwar, Sherzad, Rodat, Kama, Surkhrod, Khogyani, Hisarak/Hesarak, Pachiragam/Pachir Wa Agam, DehBala/Deh Balah/Haska Mina, Acheen/Achin, Nazyan, Mohmand Dara/Muhmand Dara, Batikot, Kot, Goshta, Behsood/Behsud, Kuz Kunar/Kuzkunar, Dara-e Noor/Dara-e-Nur, Lalpora/Lalpur, Dur Baba/Durbaba und Chaparhar (UN OCHA 4.2014; vgl. EASO 12.2017).

Nangarhar zählte 2017 zu den Provinzen mit der höchsten Opium-Produktion (UNODC 11.2017).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

In den letzten Jahren hat sich die Sicherheitslage in der Provinz Nangarhar verschlechtert (Khaama Press 2.1.2018; vgl Reuters 14.5.2018); Nangahar war seit dem Sturz des Taliban-Regimes eine der relativ ruhigen Provinzen im Osten Afghanistans, jedoch versuchen bewaffnete Aufständische in den letzten Jahren ihre Aktivitäten in der Provinz auszuweiten (Khaama Press 11.3.2018; vgl. Khaama Press 4.3.2018, GT 22.1.2018). Begründet wird das damit, dass seit dem Fall des Talibanregimes von weniger Vorfällen berichtet worden war (Khaama Press 28.1.2018). In den letzten Jahren versuchen Aufständische der Taliban und des IS in abgelegenen Distrikten Fuß zu fassen (Khaama Press 11.3.2018; vgl. Khaama Press 4.3.2018, Khaama Press 3.2.2018, Khaama Press 5.10.2017, GT 22.1.2018, SD 22.2.2018). Befreiungsoperationen, in denen auch Luftangriffe gegen den IS getätigt werden, werden in den unruhigen Distrikten der Provinz durchgeführt (Pajhwok 16.3.2018; vgl. Khaama Press 14.1.2018a). Angriffe auch auf lokale Beamte und Sicherheitskräfte in der Provinz werden regelmäßig von Aufständischen der Taliban und dem IS durchgeführt (RFERL 12.3.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 795 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Nangarhar war die Provinz mit den meisten im Jahr 2017 registrierten Anschlägen (Pajhwok 14.1.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden in Nangarhar 862 zivile Opfer (344 getötete Zivilisten und 518 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 1% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Nangarhar

In der Provinz werden regelmäßig militärische Operationen ausgeführt (VoA 11.1.2018), um gewisse Distrikte von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 4.3.2018; vgl. Khaama Press 3.2.2018, Khaama Press 14.1.2018, Khaama 7.1.2018, Khaama Press 13.5.2017). Ebenso werden Luftangriffe durchgeführt (ABNA 16.3.2018; vgl. Khaama Press 11.3.2018, GT 22.1.2018, Khaama Press 1.3.2018, Khaama Press 14.1.2018a, Khaama Press 2.1.2018); in manchen Fällen wurden Aufständische getötet (Tolonews 26.5.2018; vgl. Khaama Press 11.3.2018, SD 22.2.2018, Khaama Press 1.3.2018, Khaama Press 2.3.2018, Khaama Press 7.1.2018, Khaama Press 13.5.2017); darunter auch IS-Kämpfer (Tolonews 31.5.2018; vgl. ABNA 16.3.2018, GT 22.1.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Nangarhar

Anhänger der Taliban, als auch des IS haben eine Präsenz in gewissen Distrikten der Provinz (Pajhwok 16.3.2018; vgl. Khaama Press 4.3.2018); zu diesen werden mehrere südliche Distrikte gezählt (VoA 11.1.2018). Nachdem die Grausamkeit des IS ihren Höhepunkt erreicht hat, sind die Taliban in Nangarhar beliebter geworden und haben an Einfluss gewonnen. Auch ist es dem IS nicht mehr so einfach möglich, Menschen zu rekrutieren (AN 6.3.2018).

Obwohl militärische Operationen durchgeführt werden, um Aktivitäten der Aufständischen zu unterbinden, sind die Taliban in einigen Distrikten der Provinz aktiv (Khaama Press 12.1.2018). In Nangarhar kämpfen die Taliban gegen den IS, um die Kontrolle über natürliche Minen und Territorium zu gewinnen; insbesondere in der Tora Bora Region, die dazu dient, Waren von und nach Pakistan zu schmuggeln (AN 6.3.2018). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und IS fanden statt, dabei ging es um Kontrolle von Territorium (UNGASC 27.2.2018). In einem Falle haben aufständische Taliban ihren ehemaligen Kommandanten getötet, da ihm Verbindungen zum IS nachgesagt wurden (Khaama Press 20.1.2018).

Seit dem Jahr 2014 tauchen immer mehr Berichte zu einem Anstieg von Aktivitäten des IS in manchen abgelegenen Teilen der Provinz - dazu zählt auch der Distrikt Achin (Pajhwok 16.3.2018; vgl. Khaama Press 14.1.2018, Khaama Press 20.1.2018). Der IS zeigte weiterhin große Widerstandsfähigkeit, wenngleich die afghanischen und internationalen Kräfte gemeinsame Operationen durchführten. Die Gruppierung führte mehrere Angriffe gegen die zivile Bevölkerung und militärische Ziele aus - insbesondere in Kabul und Nangarhar (UNGASC 27.2.2018).

Eine Anzahl Aufständischer der Taliban und des IS haben sich in der Provinz Nangarhar dem Friedensprozess angeschlossen (Khaama Press 5.10.2017; vgl. Khaama Press10.1.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Nangharhar IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen Zivilisten, Auseinandersetzungen mit den Streitkräften und Gewalt) gemeldet (ACLED 23.2.2018).

1.3.2 Zu einer möglichen Neuansiedlung in Afghanistan

Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin liefen bei einer Ansiedelung in Afghanistan, etwa in der Stadt Mazar-e-Sharif oder ähnlichen sicheren Gebieten Afghanistans, mangels sozialer und familiärer Anknüpfungspunkte sowie mangels ausreichender Unterkunftsmöglichkeiten und mangels der notwendigen Versorgung ihres minderjährigen Sohnes Gefahr, grundlegende Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft für sich und ihre Familie nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Die Zweitbeschwerdeführerin verfügt über keinerlei Berufserfahrung, sondern war stets als Hausfrau tätig und ist daher nicht selbsterhaltungsfähig. Beim Erstbeschwerdeführer ist zwar von einer grundsätzlichen Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben auszugehen, allerdings ist es ihm nicht möglich, alleine den Lebensunterhalt für seine Familie zu verdienen und für eine entsprechende Wohnmöglichkeit zu sorgen. Dies insbesondere wegen der Neuansiedlung in einem anderen Teil des Staatsgebietes Afghanistans, allenfalls in einer der großen afghanischen Städte, wie Mazar-e Sharif oder Herat mangels ausreichende Kenntnis der dortigen lokalen Gepflogenheiten und mangels ausreichender lokaler Vernetzung. Der mj Drittbeschwerdeführer ist auf die Versorgung durch seine Eltern angewiesen.

Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein werden, nach anfänglichen Schwierigkeiten in den Städten wie Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein relativ normales Leben ohne unangemessene Härten zu führen.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen zu den persönlichen Daten der Beschwerdeführer ergeben sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt und aus den dahingehend übereinstimmenden Angaben der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung.

Die Beschwerdeführer erstatteten kein substantiiertes Fluchtvorbringen in Bezug auf Afghanistan. Eine konkrete, die Beschwerdeführer treffende Verfolgung konnte aus diesem Grund nicht festgestellt werden.

Die Zweitbeschwerdeführerin betonte zwar den Wunsch, eigenständig zu leben, dies bezog sich aber auf Nachfrage auf die Sicherheitslage und die Ausbildungsmöglichkeiten ihres Sohnes. Die Ausführungen der Zweitbeschwerdeführerin zu ihrem Leben als "westliche" Frau und ihren Freizeitaktivitäten sowie ihrem Berufswunsch erweckten aufgrund ihrer Oberflächlichkeit nicht den Eindruck, einem verinnerlichten Wunsch der Beschwerdeführerin zu entsprechen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu den Spruchpunkten I:

Eine individuelle und konkrete Verfolgung der Beschwerdeführer als Paschtune bzw als Tadschikin wurde nicht festgestellt. Es blieb zu überprüfen, ob den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr wegen Zugehörigkeit zu einer dieser beiden Gruppen einer "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre. Eine solche ist nach der Judikatur des VwGH dann gegeben, wenn den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende Verfolgung droht, bei der jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund hat, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/20/0089; 29.04.2015, Ra 2014/20/0151 mwN). Beide BF gehören keiner Volksgruppe an, die regelmäßig asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt ist.

Auch eine von individuellen Aspekten unabhängige "Gruppenverfolgung" von Personen, die einen, im konkreten Fall ohnedies nur sehr kurzen Teil ihres Lebens im Europa verbracht haben und dann nach Afghanistan zurückkommen ist vor dem Hintergrund der in das Verfahren eingeführten Länderfeststellungen für das Bundesverwaltungsgericht nicht erkennbar:

Aus diesen geht im Wesentlichen zwar hervor, dass in Afghanistan generell eine negative Einstellung gegenüber "Rückkehrern" vorherrscht und diesen vorgeworfen wird, ihr Land im Stich gelassen zu haben, dem Krieg entflohen zu sein und im Ausland ein wohlhabendes Leben geführt zu haben und sozial ausgegrenzt werden sowie, dass Rückkehrer Diskriminierungen seitens der Bevölkerung ausgesetzt sind. Diese Diskriminierungen und Ausgrenzungen erreichen nach den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Länderberichten jedoch nicht jenes Ausmaß, das notwendig wäre, um eine spezifische Verfolgung aller afghanischen Staatsangehörigen, die einen Teil ihres Lebens im Europa verbracht haben, für gegeben zu erachten. Aus den vorhandenen Länderberichten ist auch nicht ableitbar, dass alleine ein Aufenthalt in Europa bei Männern bei einer Rückkehr nach Afghanistan bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würden; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt dafür nicht (so z.B. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

Da sich auch sonst keine konkrete gegen die Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung in ihrem Heimatstaat ableiten ließ, war im Ergebnis die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

3.2. Zu den Spruchpunkten II (Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten)

Den in das Verfahren eingebrachten aktuellen Länderberichten ist zu entnehmen, dass Nangahar eine volatile Provinz ist. Eine Rückkehr in die Provinz Nangahar kann den Beschwerdeführern daher nicht zugemutet werden.

Die Beschwerdeführer können nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes - vor dem Hintergrund der oben angeführten höchstgerichtlichen Judikatur sowie unter Berücksichtigung der von UNHCR in seinen Richtlinien vom 30.08.2018 (Beilage ./3) und von EASO in seiner Country Guidance von Juni 2019 (Beilage ./4) aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan - nach den oben angeführten Länderberichten und unter Berücksichtigung des sonstigen ins Verfahren eingebrachten Länderberichtsmaterials in Zusammenschau mit den von den Beschwerdeführern glaubhaft dargelegten persönlichen Lebensumständen aus folgenden Gründen auch nicht in zumutbarer Weise auf die Ansiedlung in anderen Landesteile Afghanistans, insbesondere in die Städte Kabul und Mazar-e Sharif, verwiesen werden:

Laut den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 ist eine interne Schutzalternative u.a. nur dann zumutbar, wenn die betroffene Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hat und man sich vergewissert hat, dass diese willens und in der Lage sind, die betroffene Person tatsächlich zu unterstützen. Die einzige Ausnahme von diesem Erfordernis stellen alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne besondere Gefährdungsfaktoren dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen.

EASO prüft in seiner Country Guidance von Juni 2019 spezielle Personenprofile im Hinblick auf die Frage der Zumutbarkeit einer internen Schutzalternative in den afghanischen Städten Mazar-e Sharif, Herat und Kabul. Dabei kommt EASO für das Personenprofil von Familien mit Kindern und von Personen, welche außerhalb von Afghanistan geboren sind bzw. über einen sehr langen Zeitraum im Ausland gelebt haben, zum Ergebnis, dass diesen eine interne Schutzalternative in diesen Städten dann nicht zumutbar sein könnte, wenn sie dort über keinerlei Unterstützungsnetzwerk verfügen, das ihnen bei der Bestreitung ihres Lebensunterhalts behilflich sein könnte. Diesbezüglich ist bei der Prüfung auf folgende Teilaspekte Bedacht zu nehmen: Vorhandensein eines Unterstützungsnetzwerks, Ortskenntnisse und sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund des Antragstellers.

Im Hinblick auf diese Ausführungen betonen sowohl UNHCR als auch EASO, dass diese immer vor dem Hintergrund einer Einzelfallprüfung zu verstehen sind.

Die Beschwerdeführer fallen als Familie mit einem kleinen Kind unter mehrere der von EASO angegebenen Personenprofile. Dabei sind im konkreten Einzelfall folgende Umstände insbesondere zu berücksichtigen:

-

Der Erstbeschwerdeführer hat zwar 12 Jahre die Schule besucht. Er hat aber nur Erfahrungen als Verkäufer in seinem eigenen Geschäft und dagegen keinerlei Erfahrungen als Angestellter in einem von andere geführten Geschäftsbetrieb. Es ist daher von erhöhten Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche auszugehen ist.

-

Der Erstbeschwerdeführer spricht Dari als Muttersprache. Er ist zwar mit den lokalen Gegebenheiten in Jalalabad, nicht aber in einer anderen afghanischen Großstadt, wie etwa Herat oder Mazar-e Sharif näher vertraut und hat in diesen Städten auch keine konkreten Ortskenntnisse.

-

Den Beschwerdeführern stehen in Afghanistan nur eingeschränkte soziale Anknüpfungspunkte zur Verfügung, weshalb auch deren Unterstützungsnetzwerk nicht sehr stark ausgeprägt ist. Eine finanzielle Unterstützung durch ihre Verwandte ist aufgrund deren wirtschaftlicher Lage nur sehr eingeschränkt zu erwarten.

-

Es ist aufgrund dieser Umstände davon auszugehen, dass der Erstbeschwerdeführer in der angespannten Arbeitsmarktsituation in afghanischen Großstädten erhebliche Schwierigkeiten hätte, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen, die den alleinigen Erhalt der gesamten Familie dauerhaft garantieren könnte. Die dauerhafte wirtschaftliche Versorgung der Familie, insbesondere des mj Sohnes, wäre nicht sichergestellt.

-

Die Zweitbeschwerdeführerin hat zwar sechs Jahre die Schule besucht, sie hat aber nie gearbeitet und muss überdies allein die Betreuung des mj. Viertbeschwerdeführers sicherstellen.

-

Der Erst- und die Zweibeschwerdeführerin wären somit aufgrund ihrer, aufgrund ihrer Abwesenheit nur mehr eingeschränkten Kenntnis der sozialen Gepflogenheiten jedenfalls in bestimmten afghanischen Großstädten, wie Mazar e- Sharif oder Herat, der nur eingeschränkten Kenntnis der infrastrukturellen Gegebenheiten, des geringen Unterstützungsnetzwerkes, der fehlenden insb berufsbezogenen Bildung, und ihrer Sorgepflichten für den mj. Sohn mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage, in einer der für eine innerstaatliche Fluchtalternative überhaupt in Betracht kommenden Großstädte Fuß zu Fassen und dort ein relativ normales Leben ohne unangemessene Härten zu führen (vgl. dazu VwGH 23.01.2018/Ra 2018/18/0001).

-

Der Drittbeschwerdeführer ist als Minderjähriger auf die Versorgung durch seine Eltern angewiesen. Da schon den volljährigen Erst- und Zweitbeschwerdeführern eine Ansiedelung in Afghanistan nicht zumutbar ist, gilt dies umso mehr für den Drittbeschwerdeführer.

Im Ergebnis können die Beschwerdeführer nicht auf die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den grundsätzlich in Betracht kommenden Großstädten in Afghanistan verwiesen werden.

Den Beschwerdeführern würde vor dem Hintergrund der dargelegten Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der sie betreffenden individuellen Umstände bei einer Rückkehr nach Afghanistan die reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohen, wobei eine innerstaatliche Fluchtalternative aus den dargelegten Erwägungen nicht in Betracht kommt. Es ist damit dargetan, dass ihre Abschiebung eine Verletzung in seinen Rechten nach Art. 3 EMRK darstellen würde.

Es sind im Verfahren keine Ausschlussgründe nach § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorgekommen.

Der Beschwerde war daher hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 stattzugeben.

3.3 Zur Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Fall des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Das Bundesverwaltungsgericht erkannte den Beschwerdeführern mit vorliegendem Erkenntnis den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu, sodass eine befristete Aufenthaltsberechtigung in der Dauer von einem Jahr zu erteilen war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist - soweit diese nicht unvertretbar ist - nicht revisibel (z.B. VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0002, mwN). Auch bei Gefahrenprognosen im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 handelt es sich letztlich umeinzelfallbezogene Beurteilungen, die im Allgemeinen nicht revisibel sind (z.B. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0482, mwN).

Schlagworte

befristete Aufenthaltsberechtigung, gekürzte Ausfertigung, mangelnde
Asylrelevanz, subsidiärer Schutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W276.2202788.1.00

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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