Entscheidungsdatum
10.09.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W175 2185081-1/18E
W175 2184977-1/10E
W175 2185084-1/12E
W175 2185071-1/10E
W175 2185077-1/16E
W175 2185074-1/11E
W175 2185082-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichter über die Beschwerden 1.) der XXXX , geboren am XXXX auch XXXX , 2.) der XXXX auch XXXX , geboren am XXXX , 3.) des XXXX , geboren am XXXX , 4.) des XXXX auch XXXX , geboren am XXXX auch XXXX , 5.) der XXXX auch XXXX , geboren am XXXX auch XXXX , 6.) der XXXX auch XXXX , geboren am XXXX auch XXXX und 7.) der XXXX , geboren am XXXX auch XXXX , afghanische Staatsangehörige, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2017, Zahlen: 1.) 11397333009-170025248, 2.) 1139732306-170025485, 3.) 1139732404-170025558, 4.) 1139732502-170025388, 5.) 1139732807-170025434, 6.) 1139732905-170025507, und 7.) 1139733109-170025337 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Die Beschwerden werden hinsichtlich Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX ,
XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 werden XXXX , XXXX , XXXX , XXXX ,
XXXX , XXXX und XXXX befristete Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 10.09.2020 erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG (jeweils) nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Erstbeschwerdeführerin (BF1), die Mutter und gesetzliche Vertreterin der sechs anderen minderjährigen BF, stellte am 08.01.2017 nach illegaler Einreise für sich und ihre Kinder die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG) im Familienverfahren.
Bei der Erstbefragung am 01.01.2017 gab die BF1 an, aus der Provinz Logar zu stammen. Sie sei seit 01.01.2002 verheiratet und Hausfrau. Ihre Eltern, ihr Mann und acht Geschwister hielten sich noch in Afghanistan auf.
Dokumente könnte sie nicht vorlegen, Pässe und Geburtsurkunden habe der Schlepper. Sie hätten Afghanistan vor 22 Tagen verlassen und seien über die Türkei (Flug) und andere ihr unbekannte Länder nach Österreich gelangt. Die von der Familie organisierte Reise habe 40.000,- US Dollar gekostet. Das Verlassen des Herkunftsstaates begründete die BF1 damit, dass ihr Mann aufgrund seiner Tätigkeit im Straßenbau von den Taliban aufgefordert worden sei, Minen zu platzieren, um amerikanische Fahrzeuge zu zerstören. Nachdem er sich geweigert habe, sei er vier Tage vor ihrer Flucht mitgenommen worden und seither verschollen. Die BF1 fürchte daher um ihr Leben und das ihrer Kinder.
Die BF1 zeichnete mit ihrem Daumenabdruck.
2. Am 08.11.2017 fand eine niederschriftliche Einvernahme der BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) statt. Die BF1 legte Tazkiras für sich und die Kinder vor (ausgestellt am 28.12.2016). Sie wisse nicht, wann die Dokumente ausgestellt worden seien, sie sei absolute Analphabetin und habe in Österreich erstmals einen Kugelschreiber in der Hand gehabt. Die Tazkiras hätten sie für die Schulbesuche benötigt, die BF2 habe drei Jahre die Schule besucht, bis es aufgrund der Taliban nicht mehr möglich gewesen sei. Auch der BF3 und der BF4 hätten die Schule besucht. Die BF gab in Folge auch an, sie hätten die Tazkiras benötigt, um nach Pakistan für eventuelle medizinische Behandlungen zu fahren, oder um die Kinder identifizieren zu können, falls etwas passiere oder für die Ausstellung der Reisepässe. Für den Schulbesuch der BF2 habe sie keine gebraucht. Auf die Frage, weshalb sie die Tazkiras erst 2016 ausstellen habe lassen, gab sie an, sie hätten sie für die Pässe für die Ausreise gebraucht, diese habe nun der Schlepper. Die Tazkiras habe ihr Bruder besorgt, die Ausstellung habe zwei Tage gedauert. Fünf oder sechs Tage, nachdem sie die Tazkiras bekommen hätten, hätten sie und ihr Bruder die Pässe besorgt. Sie hätten 10 Tage auf die Pässe warten müssen. Fünf Monate später hätte der Bruder in Kabul für sie türkische Visa beantragt, die sie nach acht Tagen bekommen hätten. Auf die Frage ob sie also vorgehabt hätten, mit ihrem Mann Afghanistan zu verlassen, gab die BF an, es sei nicht mit dem Mann geplant gewesen, sie seien 10 Tage nach dem Verschwinden ausgereist. Die Pässe hätten sie schon vorher gehabt. Auf Vorhalt, dass sie dann Afghanistan doch mit dem Mann verlassen hätten wollen, gab sie an, die Pässe hätten sie ausstellen lassen, falls die Kinder krank würden und sie nach Pakistan oder Indien gehen müssten. Der Ehemann hätte etwa den BF3 sechs Monate vor der Ausreise nach Pakistan gebracht. Sie sei mit den Kindern sieben Tage in Kabul bei ihrer Schwägerin gewesen und dann abgeflogen.
Die Reise habe einen Monat gedauert.
Sie sei Sunnitin, wisse jedoch nicht, welcher Volksgruppe sie angehöre. Sie denke, sie sei Paschtunin, spreche aber Dari. Ihre Eltern würden in der Provinz Kabul leben, eine verheiratete Schwester in Pakistan, drei Schwestern seien in Logar verheiratet, eine Schwester lebe mit ihrem Ehemann in der Provinz Kabul, alle Brüder würden in Kabul-Stadt leben. Eine Schwägerin lebe in Kabul-Stadt, eine in der Provinz Kabul bei den Eltern der BF1, eine Schwägerin lebe im Heimatdorf der BF1. Sie habe noch Kontakt zu den meisten, es gehe ihnen gut. Vor der Ausreise sei es auch den BF finanziell gut gegangen, die BF1 habe den Haushalt geführt, sie hätten von der Arbeit des Mannes gelebt. Die $ 40.000,- hätten sie in bar zu Hause gehabt, der Mann habe gut verdient.
Die BF1, ihr Mann und zwei Kinder seien zu Hause gewesen, als um Mitternacht zehn Taliban gekommen seien und den Mann mitgenommen hätten. Sie seien von einer Hochzeit in Kabul früher nach Hause gekommen. Man habe der BF1 eine Pistole an die Schläfe gehalten und sie aufgefordert still zu sein. Sie hätten dem Mann etwas über das Gesicht gezogen. Dann sei die BF1 mit den Kindern zu ihrem Onkel geflohen, der auch im Dorf lebe. Der Bruder habe die anderen Kinder von Kabul zu ihr gebracht. Die Nacht hätten sie in ihrem Haus verbracht.
In der nächsten Nacht sei an ihr Tor geklopft worden, zwei Männer seien in den Hof gesprungen und hätten das Tor geöffnet. Die BF1 habe geschrien und Schüsse im Dorf gehört, dann seien die beiden Männer weggelaufen. Später hätten Soldaten nach dem Rechten gesehen. Am nächsten Tag sei sie mit den Kindern nach Kabul gefahren. Sie seien sieben Tage in Kabul gewesen. Es gebe dort auch keine Sicherheit, wie hätte sie in Afghanistan ohne Mann leben sollen. Die Verwandten hätten sich nicht dauernd um sie kümmern können.
Auf die Frage, was die Leute von ihrem Mann gewollt hätten, gab die BF1 an, er habe der Regierung mitgeteilt, dass auf der Straße Minen gelegt worden seien, sodass diese entfernt worden wären. Dass hätten sie ihm bei der Entführung vorgehalten.
Auf Vorhalt, dass sie bei der Erstbefragung angegeben habe, dass sie nach vier Tagen ausgereist seien, gab sie an, sie habe sich am heutigen Tag geirrt, sie sei vergesslich. Sie seien drei Tage im Dorf gewesen und einen Tag in Kabul. Auf Vorhalt, dass sie zweimal angegeben habe, sieben Tage in Kabul gewesen zu sein, korrigierte sich die BF1 neuerlich, die vier Tage würden nicht stimmen, sieben seien richtig.
Auf Vorhalt, dass sie bei der Erstbefragung angegeben habe, dass der Mann nicht mit den Taliban habe zusammenarbeiten wollen, gab sie an, dass sie damals gemeint habe, dass die Taliban zu ihm gesagt hätten, dass sie Minen verlegen würden, aber weder der Mann noch seine Arbeiter dürften der Regierung sagen, wo. Sie hätten das dem Mann vorher sagen wollen, damit der Mann nicht den Ort verrate, wo die Minen lägen.
Die Tazkiras hätten sie von ihrem Bruder aus Afghanistan, dieser habe sie einem Freund geschickt, der sie zu den BF gebracht habe. Auf der Reise hätten sie sie nicht mitgehabt.
Sie habe nicht in Afghanistan bleiben können, da sie ohne Mann dort nicht leben könne. Die Kinder würden von den Taliban entführt und als Selbstmordattentäter ausgebildet werden. Wenn sie zurückkehren würden, würde man sogar sie selbst als Selbstmordattentäter ausbilden. Die Verwandten könnten sie ein paar Tage aufnehmen, sie aber nicht vor den Taliban schützen. Der Vater würde sie nicht aufnehmen.
Zu ihrem Leben in Österreich befragt gab die BF1 an, sie sei Hausfrau und kümmere sich um die Kinder. Sie trage in der Öffentlichkeit immer einen religiösen Hijab. Sie besuche zweimal wöchentlich einen Deutschkurs und werde vom Staat versorgt.
3. Mit obgenannten Bescheiden vom 16.11.2017, zugestellt am 22.11.2017, wies das BFA die Anträge der BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel gemäß
§ 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die BF Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
4. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Moniert wurde, dass die BF den Dolmetscher nicht ausreichend verstanden habe, dieser sei nicht auf ihr Unverständnis eingegangen. Verwiesen wurde auf die Lage von verwitweten alleinerziehenden Frauen in Afghanistan, mit der sich die Behörde nicht auseinandergesetzt habe, sowie auf die schlechte Sicherheitslage in Kabul.
5. Am 24.07.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher die BF1 ausführlich zu ihren persönlichen Lebensumständen in Afghanistan und in Österreich sowie zu ihren Fluchtgründen befragt wurde. Als gesetzliche Vertreterin der minderjährigen BF wurde die BF1 auch zu deren persönlichem Umfeld und den Fluchtgründen befragt.
Die BF1 war traditionell in einen Hijab gekleidet, die BF2 blieb trotz Schulferien zu Hause, die anderen Kinder nahm die BF1 zur Verhandlung mit. Die BF1 gab an, immer zu Hause zu sein und sich um Kinder und Haushalt zu kümmern. Sie war der deutschen Sprache nicht mächtig.
Ihre Familie würde sich in Afghanistan aufhalten (Logar und Kabul), sie habe noch Kontakt. Über den Verbleib des Ehemannes wisse sie nichts. Die Brüder würden als Bauern arbeiten und könnten die BF nicht erhalten. Die Familien würden ein traditionelles Leben führen, die Mädchen könnten nicht zur Schule gehen. Die Familie würde sich freuen, dass die Kinder in Österreich zur Schule gingen. Sie selber wolle Deutsch lernen und Arbeit finden, welche, sei ihr egal. Sie wünsche sich auch für die Kinder gute Berufe.
Zu ihrem vorgebrachten Fluchtgrund befragt gab die BF1 an, dass der Ehemann die Arbeit an der Straße Logar-Khost fast beendet habe, als zehn Taliban zu ihm gekommen seien und ihm mitgeteilt hätten, dass sie am nächsten Tag weder ihn noch seine Leute an dem Platz sehen wollten, an dem das Eröffnungsfest für die Straße stattfinden werde. Sie hätten Minen und Bomben unter der Erde platzieren wollen. In der Nacht vor der Veranstaltung habe der Ehemann die Polizei informiert, die die Sprengkörper entfernt hätten. Die Veranstaltung habe normal stattfinden könne.
Nach einer Hochzeit in Kabul sei die BF1 mit ihrem Mann und den beiden jüngsten Kindern nach Hause gefahren, die andere wären noch bei der Feier geblieben. Nach Mitternacht seien sie wach geworden, da sie laute Geräusche gehört hätten. Die Taliban wären in ihr Haus eingedrungen, hätten die Hände des Mannes mit einem Schal auf den Rücken gebunden und ihm etwas über das Gesicht gezogen. Die BF1 sei mit einer Waffe bedroht worden, leise zu sein. Sie hätten den Mann geschlagen und mitgenommen. Zwei Nächte später seien die Taliban in der Nacht erneut gekommen, hätten geklopft und seien über die Mauer in den Hof gesprungen. Die Kinder hätten geschrien, danach seien im Dorf Schüsse gefallen, worauf die Taliban es mit der Angst zu tun bekomme hätten und geflüchtet seien. Nach einer halben Stunde sei die Polizei zu ihnen gekommen. Mehr hätten diese aber nicht tun könne.
Auf die Frage, was die Taliban gewollt hätten, gab die BF1 an, sie hätten wahrscheinlich ihre Söhne mitnehmen wollen. Sie würden sie umerziehen und zu Selbstmordattentätern ausbilden. Sie wüsste, dass dies Taliban gewesen seien, diese hätten geklopft, seien reingekommen und hätten gesagt, dass sie Taliban wären und dass sie sie gewarnt hätten und sie hätten nicht auf diese Warnung reagiert. Nach dem Inhalt der Warnung befragt gab die BF an, dass sie den Mann gewarnt hätten, er solle den Job aufgeben, und zweitens, warum der Mann die Informationen den Sprengstoff betreffend weitergegeben hätte. Sie hätten gewollt, dass er aufhöre die Straßen und Brücken immer wieder aufzubauen und sie seien gegen ihren Mann gewesen. Auf die Frage, weshalb sie bei der Erstbefragung gesagt habe, die Taliban hätten vom Mann verlangt, er solle die Minen legen, gab die BF1 an, dass sie das gewollt hätten und der Mann habe das abgelehnt. Sie hätten auch gewollt, dass er für sie arbeite und der Mann habe das abgelehnt (nach der Rückübersetzung korrigierte sich die BF1 dahingehend, dass die Taliban die Minen selber legen hätten wollen). 10 Tage vor der Veranstaltung oder auch vor seiner Entführung hätten sie von ihm verlangt, Minen zu legen. Er habe das abgelehnt. Auf die Frage, wie oft denn nun die Taliban Kontakt aufgenommen hätten, gab die BF1 an, zweimal, als sie dem Mann sagten, er solle nicht zur Veranstaltung gehen und als sie ihn mitgenommen hätten.
Im Rahmen einer zweiten Verhandlung vor dem BVwG am 28.06.2019 erschienen sowohl die BF1 als auch die BF2 in einem traditionellen Hijab, der nur das Gesicht freiließ. Sie wurden vom nicht geladenen ältesten Sohn der BF1 begleitet, dem im Anschluss an die Verhandlung eine Anwesenheitsbestätigung für die Schule ausgestellt werden musste.
Die BF1 gab an, noch immer nichts über ihren Mann zu wissen. Sie sei im letzte Jahr mit dem Haushalt beschäftigt gewesen und habe sich um die Kinder gekümmert. Sie besuche keinen Deutschkurs und spreche nicht Deutsch.
Die BF2 sprach recht gut Deutsch und gab an, dass sie die Schule besuche, danach fahre sie nach Hause und lerne, zeichne oder beschäftige sich sonstwie. Nach der Matura wolle sie Ärztin werden. In ihrer Freizeit helfe sie der Mutter, treffe sich mit Freundinnen oder gehe mit den Geschwistern spazieren. Sie zeichne auch gerne. In Afghanistan wäre das Leben schwer und unsicher, sie könnte dort nicht zur Schule gehen, hier könne sie zur Schule gehen und sei frei, sie könne sich mit Freundinnen treffen und der Mutter im Haushalt helfen. Auf Frage des Vertreters gab sie an, dass sie sich aus freier Entscheidung so kleide. Es sei für sie ganz normal, wenn sie das nicht tragen würde, würde sie sich selber schämen. Sie könne sich vorstellen, einmal einen Burschen der Familie vorzustellen, wenn auch die Mutter damit einverstanden sei. Die Meinung der Mutter bedeute ihr sehr viel. Die BF1 gab an, sie würden sehr tief an die Ehe glauben, wenn sie von dem Jungen annehme, dass er ein guter und gläubiger Mensch sei, wäre auch sie damit einverstanden. Die BF1 gab an, dass sie die BF als religiös bezeichnen würde.
Der Sohn der BF1 legte im Anschluss an die Verhandlung noch eine Liste mit den "richtigen" Namen und Geburtsdaten vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der BF:
Die BF1 ist die Mutter der anderen sechs minderjährigen BF. Sie sind afghanische Staatsangehörige, der Volksgruppe der Paschtunen zugehörig und bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.
Die BF stammen aus der Provinz Logar, wo sie bis zu ihrer Ausreise aus Afghanistan lebten. Sie haben Verwandte in Afghanistan (Eltern und Geschwister der BF1, Familie des Ehemannes der BF1), diese leben in Logar und in der Provinz Kabul beziehungsweise in der Stadt Kabul. Es besteht nach wie vor Kontakt.
Der Aufenthalt des Ehemannes der BF1 ist nicht geklärt.
Die BF stellten nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 08.01.2017 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.
Die BF1 ist Analphabetin und hat keine Schulbildung; die BF1 spricht Dari, die anderen BF sprechen Dari und Paschtu. Die BF2 und die Brüder der BF2 haben in Afghanistan die Schule besucht. Die BF1 war im Haushalt tätig.
In Österreich besuchen die minderjährigen BF die Schule, soweit sie das entsprechende Alter erreicht haben. Die BF2 und der BF3 sprechen recht gutes Deutsch, die BF1 spricht nicht Deutsch. Die BF1 geht keiner Beschäftigung nach, die BF sind in der Grundversorgung.
Der BF3 und der BF4 spielen in ihrer Freizeit Fußball, die BF1 hilft der Mutter im Haushalt, zeichnet und trifft sich mit Freundinnen. Besondere soziale Anknüpfungspunkte wurden nicht konkret vorgebracht.
Die BF brachten keine gesundheitlichen Probleme vor.
Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen der BF:
Weder bei der BF1 noch bei der BF2 handelt es sich um auf Eigenständigkeit bedachte Frauen, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert sind. Beide sind religiös und tief in der afghanischen Tradition verwurzelt. Die BF1 spricht zum Entscheidungszeitpunkt kein Deutsch, kümmert sich in Österreich primär um den Haushalt und die Kinder, wie sie es auch in Afghanistan getan hat, und zeigt keine Intentionen, ihre Lebensweise zu ändern. Die BF2 orientiert sich am Willen zumindest der Mutter, und spricht zwar gut Deutsch, beschränkt sich jedoch ebenfalls auf ein Leben innerhalb des Hauses. Ein konkreter Versuch der Selbstbestimmung etwa hinsichtlich Berufs- oder Partnerwahl ist nicht erkennbar.
Den BF droht keine Verfolgung durch die Taliban oder andere extremistische Gruppierungen aufgrund einer allenfalls unterstellten religiös/politischen Neigung die von den in Afghanistan gelebten Traditionen abweicht.
Es droht ihnen auch keine konkrete Verfolgung aufgrund der Tätigkeit des Ehemannes der BF1 oder aus anderen Gründen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass es den BF unmöglich oder unzumutbar wäre, sich in das afghanische Gesellschaftssystem (neuerlich) zu integrieren, da sie dieses Gesellschaftssystem in Österreich weiter leben. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass den minderjährigen BF auf Grund ihres Alters beziehungsweise vor dem Hintergrund der Situation der Kinder in Afghanistan physische und/oder psychische Gewalt droht und sie deswegen einer Verfolgung ausgesetzt wären.
Das Vorliegen anderer Verfolgungsgründe auf Grund von Religion, Nationalität, politischer Einstellung, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder ethnischer Zugehörigkeit wurde nicht vorgebracht; Hinweise für eine solche Verfolgung sind auch amtswegig nicht hervorgekommen.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat:
Den BF würde bei einer Rückkehr in ihre Herkunftsprovinz mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit drohen.
Bei einer Ansiedelung in der Stadt Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat kann die BF1 als alleinerziehende Frau die grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft, für sich und ihre sechs minderjährigen Kinder nicht in ausreichendem Maße befriedigen. Die BF würden daher in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation geraten. Die BF können auch nicht mit Unterstützung durch ihre in Afghanistan lebenden Familienangehörigen rechnen.
1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der BF getroffen (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan (Gesamtaktualisierung 29.06.2018) inkl. des Updates von 26.03.2019 (eine weitere Aktualisierung am 04.06.2019 ergab keine fallrelevanten Neuerungen), die UNHCR Guidelines zu Afghanistan von 30.08.2018 sowie der ESAO Bericht zu Sozioökonomischen Kennzahlen vom 20.04.2019):
Sicherheitslage
KI vom 1.3.2019, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2018
Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).
Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).
Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independent Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).
Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).
Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).
Zivile Opfer
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;
1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).
Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).
Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).
Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).
Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).
Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).
Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).
Anschläge beziehungsweise Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele
Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).
Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).
Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).
Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018). Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).
Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).
Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)
Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).
Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).
Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten
Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)
Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).
Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)
Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).
Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018).
Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).
Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:
Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018).
Zivilisten
KI vom 29.10.2018, UNAMA-Update zu zivilen Opfern
Insgesamt wurden im Berichtszeitraum Jänner bis September 2018 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018). Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert: davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018).
Regierungsfreundliche Gruppierungen waren für 1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).
Quellen:
AAN - Afghanistan Analysts Network (26.10.2018): Before Election Day
Three: Looking at Kandahar's upcoming vote, https://www.afghanistan-analysts.org/before-election-day-three-looking-at-kandahars-upcoming-vote/, Zugriff 29.10.2018
AAN - Afghanistan Analysts Network (21.10.2018a): Election Day One (Evening Update): Voter determination and technical shambles, https://www.afghanistan-analysts.org/election-day-one-evening-update-voter-determination-and-technical-shambles/ Zugriff 22.10.2018
AAN - Afghanistan Analysts Network (21.10.2018b): Election Day Two:
A triumph of administrative chaos, https://www.afghanistan-analysts.org/election-day-two-a-triumph-of-administrative-chaos/, Zugriff 22.10.2018
AAN - Afghanistan Analysts Network (20.10.2018): Election Day One: A rural-urban divide emerging,
https://www.afghanistan-analysts.org/election-day-one-a-rural-urban-divide-emerging/, Zugriff 22.10.2018
AFP - Agence France Presse (20.10.2018): Nearly 170 casualties as violence rocks chaotic Afghan elections, https://www.afp.com/en/news/15/nearly-170-casualties-violence-rocks-chaotic-afghan-elections-doc-1a599v9, Zugriff 22.10.2018
AJ - Al Jazeera (19.10.2018): Afghanistan: Kandahar elections delayed by a week after killings, https://www.aljazeera.com/news/2018/10/afghan-election-polls-kandahar-delayed-week-181019082632025.html Zugriff 22.10.2018
CNN - Cable News Network (27.10.2018): Kandahar goes to the polls in Afghan parliamentary vote delayed by violence, https://edition.cnn.com/2018/10/27/asia/afghan-elections-kandahar-intl/index.html, Zugriff 29.10.2018
LS - La Stampa (21.10.2018): Ancora sangue sul secondo giorno di voto in Afghanistan,
http://www.lastampa.it/2018/10/21/esteri/ancora-sangue-sul-secondo-giorno-di-voto-in-afghanistan-quhK2AP00HBuCKGBEHU8TN/pagina.html, Zugriff 22.10.2018
RN - Rainews (21.10.2018): Chiusi I seggi in Afghanistan, 4 milioni al voto nonostante gli attacchi dei Talebani, http://www.rainews.it/dl/rainews/articoli/Chiusi-i-seggi-in-Afghanistan-4-milioni-al-voto-nonostante-gli-attacchi-52f120d0-cda8-4c1c-b469-363549cb767c.html, Zugriff 22.10.2018
UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (10.10.2018),
https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_protection_of_civilians_in_armed_conflict_3rd_quarter_report_2018_10_oct.pdf, Zugriff 25.10.2018
KI vom 19.10.2018, Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018
Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:
Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).
Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptstädte von den Taliban angegriffen: Farah-Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).
Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).
Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).
Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).
Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).
Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen:
Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:
das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).
Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).
Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).
Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).
Taliban
Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).
Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (