TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/16 W167 2179625-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.09.2019
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Entscheidungsdatum

16.09.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W167 2179625-1/18E

W167 2179623-1/18E

W167 2179574-1/17E

W167 2179615-1/17E

W167 2179618-1/17E

W167 2179620-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daria MACA-DAASE als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX alle StA. Afghanistan, die minderjährigen Kinder vertreten durch den Vater, alle vertreten durch XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I des jeweiligen Bescheides werden als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerden gegen die Spruchpunkte II. bis IV. der angefochtenen Bescheide wird XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 und XXXX gemäß § 34 Asylgesetz 2005 in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gültig bis 16.09.2020 erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer stellten nach illegaler Einreise in Österreich am XXXX für sich und die minderjährigen Dritt-, Fünft- und Sechstbeschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gab der Zweitbeschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass seine Familie und er Drohbriefe von den Taliban erhalten hätten. Sie hätten auch seinen Bruder mitgenommen und gedroht, dass sie ihn töten würden, wenn der Zweitbeschwerdeführer nicht seine Arbeit für eine ausländische Organisation aufgebe. Als er das versprochen habe, hätten sie seinen Bruder freigelassen. Der Zweitbeschwerdeführer sei dann mit seiner Familie nach Kabul weitergereist und von dort aus Afghanistan ausgereist.

Die Erstbeschwerdeführerin bestätigte diese Angaben des Zweitbeschwerdeführers und brachte weder für sich noch für ihre Kinder eigene Fluchtgründe vor.

1.2. Der Viertbeschwerdeführer wurde in Österreich geboren. Die Erstbeschwerdeführerin stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz für den Viertbeschwerdeführer.

1.3. Bei seiner Einvernahme am XXXX gab der Zweitbeschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, dass er Afghanistan aufgrund der Bedrohungen wegen seiner Tätigkeit für eine ausländische Firma verlassen habe. Außerdem sei sein Bruder, der für die afghanische Armee gearbeitet habe, von den Taliban entführt worden. Weiters habe er Alkohol produziert, verkauft und konsumiert, weshalb er Probleme mit den Mullahs bekommen habe.

Die Erstbeschwerdeführerin gab bei ihrer Einvernahme am selben Tag an, dass sie keine eigenen Fluchtgründe habe und nahm im Wesentlichen Bezug auf den Fluchtgrund des Zweitbeschwerdeführers, nämlich dessen Probleme aufgrund seiner Arbeit und der Herstellung von Alkohol.

2. Mit den angefochtenen Bescheiden des BFA vom XXXX wurden die Anträge der Beschwerdeführer/innen auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführer/innen nicht erteilt, es wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkte III., IV. und V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.). Zusätzlich stellte das BFA den Beschwerdeführer/innen einen Rechtsberater für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite.

3. Gegen diese Bescheide richten sich die rechtzeitig eingebrachten und zulässigen Beschwerden, in denen im Wesentlichen die Verfolgung des Zweitbeschwerdeführers durch die Taliban und die Mullahs geltend gemacht wurde sowie eine existentielle Bedrohung aufgrund der Sicherheits- und Versorgungslage im Falle eine Rückkehr.

4. Mit Eingabe vom XXXX wurde in Ergänzung der Beschwerde diverse Integrationsbestätigungen dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

5. Am XXXX fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, an welcher die Beschwerdeführer/innen in Begleitung ihrer Rechtsvertreterin teilnahmen. Das BFA verzichtete auf die Teilnahme an einer Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Feststellungen zu den Beschwerdeführer/innen

1.1.1. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind volljährig und miteinander traditionell verheiratet. Sie und die Dritt-, Viert-, Fünft- und Sechstbeschwerdeführer/innen, ihre leiblichen Kinder, sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, schiitische Moslems und Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken. Die Muttersprache der Beschwerdeführer/innen ist Dari.

1.1.2. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer wurden im XXXX , Provinz Kabul, Afghanistan, geboren und lebten dort bis zu ihrer Ausreise. Der Zweitbeschwerdeführer arbeitete XXXX , auf Baustellen und als Taxifahrer. Die Erstbeschwerdeführerin war Hausfrau. Beide verfügen über keine Schulbildung.

Die Eltern, ein Bruder und eine Schwester der Erstbeschwerdeführerin, sowie die Eltern, zwei Brüder und eine Schwester des Zweitbeschwerdeführers leben nach wie vor im Heimatdorf. Die finanzielle Situation der Familien der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers ist sehr gut, XXXX . Die Beschwerdeführer stehen in Kontakt zu ihren Familien. Außerdem leben noch weitere Verwandten der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers im Herkunftsstaat.

Die Dritt- und Fünftbeschwerdeführerinnen sowie der Sechstbeschwerdeführer wurden in Afghanistan geboren. Der Viertbeschwerdeführer wurde in Österreich geboren.

Die XXXX besuchten in Afghanistan die Schule.

1.1.3. Die Erst- und Drittbeschwerdeführerin, sowie der Zweitbeschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten. Der Viert- und Sechstbeschwerdeführer und die Fünftbeschwerdeführerin sind strafunmündig.

1.1.4. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind gesund und arbeitsfähig. Die Drittbeschwerdeführerin ist gesund und eine mündige Minderjährige. Die Fünftbeschwerdeführerin und der Sechstbeschwerdeführer sind gesund und unmündige Minderjährige. Der Viertbeschwerdeführer wurde wegen XXXX operiert und hat sich aufgrund dessen regelmäßigen Kontrollen zu unterziehen. Er leidet unter keiner lebensbedrohlichen Erkrankung.

1.1.5. Die Erst-, Zweit, Dritt-, Fünft- und Sechstbeschwerdeführer/innen verließen Afghanistan im Jahr 2015, reisten illegal nach Österreich ein und stellten Anträge auf internationalen Schutz. Für den Viertbeschwerdeführer wurde nach seiner Geburt in Österreich ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer/innen

1.2.1. Die Erst-, Dritt- und Fünftbeschwerdeführerinnen sind im Herkunftsstaat allein aufgrund ihres Geschlechts keiner Verfolgung ausgesetzt.

1.2.2. Die Erstbeschwerdeführerin konnte nicht darlegen, dass sie eine selbstbestimmte Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt.

1.2.3. Die Dritt-, Viert- Fünft- und Sechstbeschwerdeführer/innen würden auch im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan altersbedingt weiterhin im Familienverband mit ihren Eltern leben und werden nicht allein aufgrund der Tatsache, dass sie Kinder sind, in Afghanistan verfolgt oder bedroht. Den Kindern, insbesondere auch den XXXX , wäre ein Schulbesuch in Afghanistan im Heimatort möglich. Die XXXX haben bereits vor der Ausreise im Heimatort die Schule besucht.

1.2.4. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind in ihrem Herkunftsstaat Afghanistan nicht vorbestraft und werden auch nicht gesucht. Sie haben sich nicht politisch betätigt, waren nicht Mitglied einer politischen Partei und hatte auch sonst keine über das Antragsvorbringen hinausgehenden Probleme in Afghanistan.

1.2.5. Die Beschwerdeführer/innen waren in ihrem Herkunftsstaat Afghanistan keiner psychischen oder physischen Gewalt aus Gründen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, Religion, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt, noch haben sie eine solche, im Falle seiner Rückkehr zu befürchten.

Die Beschwerdeführer/innen wurden in Afghanistan nie persönlich bedroht oder angegriffen, es droht ihnen auch künftig keine psychische und/oder physische Gewalt von staatlicher Seite, und/oder von Aufständischen, und/oder von sonstigen privaten Verfolgern in ihrem Herkunftsstaat.

Auch sonst haben sich im gesamten Verfahren keine Hinweise für eine den Beschwerdeführer/innen in Afghanistan individuell drohende Verfolgung ergeben.

1.3. Zur Rückkehrmöglichkeit der Beschwerdeführer/innen

Die Beschwerdeführer/innen selbst verfügen in Afghanistan über keine eigenen Besitztümer und finanzielle Ressourcen. Bis zur Ausreise aus Afghanistan hat der Zweitbeschwerdeführer die damals fünfköpfige Familie erhalten. Die mündige Minderjährige und die unmündigen minderjährigen Kinder, leben im Familienverband mit ihren Eltern und verfügen weder über eigenes Vermögen noch über eine eigene Möglichkeit der Existenzsicherung.

Unter Beachtung der Informationen zur Situation von Kindern in Afghanistan, insbesondere im Hinblick auf die hohe Zahl an minderjährigen zivilen Opfern (1.4.5.), wird festgestellt, dass der unmündige minderjährige Viertbeschwerdeführer bei einer Ansiedelung gemeinsam mit seinen Eltern (Erstbeschwerdeführerin und Zweitbeschwerdeführer) und seinen Geschwistern in Afghanistan derzeit einem realen Risiko ausgesetzt wäre, in eine existenzbedrohende (Not-)Lage zu geraten.

1.4. Zur aktuellen Situation in Afghanistan werden folgende Feststellungen getroffen

Die Feststellungen basieren auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 26.03.2019 (LIB), der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan betreffend Frauen in urbanen Zentren vom 18.09.2017 (Frauen in urbanen Zentren), dem ACCORD-Bericht Afghanistan: Das Schulsystem in Afghanistan und Dezember 2016 (Schulsystem in Afghanistan).

1.4.1. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren.

1.4.1.1. Die Stadt Kabul

Kabul-Stadt ist die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan. Die Stadt Kabul ist immer wieder von Angriffen und Anschlägen durch Aufständische betroffen, wobei es immer wieder auch zu zivilen Opfern kommt. Die Anschläge und Angriffe finden aber überwiegend in Regierungs- und Botschaftsnähe, also mit möglichst hoher medialer Reichweite statt. Überdies ist die Vorfallshäufigkeit nicht so groß, dass gleichsam jede in der Stadt anwesende Person mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Vorfall betroffen wäre. Die Regierung ist in der Lage, die Sicherheit abseits dieser High-Profile Attentate zu gewährleisten.

1.4.1.2. Die Provinz Kabul

Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten.

Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014;vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018).

Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018). Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt.

Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

1.4.1.3. Provinz Balkh mit der Hauptstadt Mazar-e Sharif

Bei der Provinz Balkh, mit deren Hauptstadt Mazar-e Sharif, handelt es sich laut EASO um einen jener Landesteile, wo willkürliche Gewalt ein derart niedriges Ausmaß erreicht, dass für Zivilisten im Allgemeinen keine reelle Gefahr besteht, von willkürlicher Gewalt im Sinne von Art 15 (c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen zu sein.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte. Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt. Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben.

1.4.1.4. Provinz Herat mit der Hauptstadt Herat-Stadt

Auch bei Herat-Stadt handelt es sich laut EASO um einen jener Landesteile, wo willkürliche Gewalt ein derart niedriges Ausmaß erreicht, dass für Zivilisten im Allgemeinen keine reelle Gefahr besteht, von willkürlicher Gewalt im Sinne von Art 15 (c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen zu sein.

Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand.

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans, liegt im Westen des Landes und grenzt an den Iran. In der Provinz leben auch tausende afghanische Binnenflüchtlinge.

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen (abgelegenen) Distrikten der Provinz aktiv. In der Provinz werden militärische Operationen inklusive Luftangriffe durchgeführt. Es finde auch Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen statt. Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

1.4.2. Sichere Einreise

Die Städte Kabul-Stadt, Mazar-e Sharif und Herat-Stadt sind über internationale Flughäfen sicher erreichbar, auch die Befahrung der Straßen von den Flughäfen in die jeweilige Stadt ist untertags im Allgemeinen sicher.

1.4.3. Wirtschafts- und Versorgungslage

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu.

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden.

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag.

In Kabul und in großen Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten. Dies ist billiger als eine Wohnung zu mieten. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden.

Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul. In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen.

Mazar-e Sharif ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region.

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, ist eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden. Herat nimmt eine Vorreiterrolle in der Safran-Produktion ein, die mit nationaler und internationaler Unterstützung eine Alternative zum Mohnanbau werden soll. Darüber hinaus wurde im Dezember 2017 mit Usbekistan ein Abkommen über den Bau einer 400 km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat unterzeichnet. Mitte März 2018 wurde mit dem Bau der TAPI-Leitung (internationale Pipeline zur Versorgung mit turkmenischem Erdgas) in Afghanistan begonnen.

In Mazar-e Sharif und Herat-Stadt besteht laut EASO grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Als Alternative dazu stehen ferner günstige Unterkünfte in "Teehäusern" zur Verfügung. In diesen beiden Städten haben die meisten Leute laut EASO Zugang zu erschlossenen Wasserquellen sowie auch zu besseren Sanitäreinrichtungen. Schulische Einrichtungen sind ebenfalls vorhanden.

Den Berichten ist trotz der im Umland bis vor kurzem herrschenden Dürre, keine Lebensmittelknappheit in Mazar-e Sharif und Herat-Stadt zu entnehmen.

Aufgrund der Dürre wird die Getreideernte geringer ausfallen, als in den vergangenen Jahren. Da die Getreideernte in Pakistan und im Iran gut ausfallen wird, kann ein Defizit in Afghanistan ausgeglichen werden. Die Preise für Getreide waren im Mai 2018 verglichen zum Vormonat in den meisten großen Städten unverändert und lagen sowohl in Herat-Stadt als auch in Mazar-e Sharif etwas unter dem Durchschnitt der Jahre 2013-2014. Das Angebot an Weizenmehl ist relativ stabil. Aufgrund der Dürre wurde bisher kein nationaler Notstand ausgerufen.

Für die Landflucht spielen die Sicherheitslage und die fehlende Beschäftigung eine Rolle. Durch die Dürre wird die Situation verstärkt, sodass viele Haushalte sich in städtischen Gebieten ansiedeln. Diese Personen - Vertriebene, Rückkehrer und Flüchtlinge - siedeln sich in informellen Siedlungen an. Dort ist die größte Sorge der Vertriebenen die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, diese sind jedoch mit der Menge und der Regelmäßigkeit des Trinkwassers in den informellen Siedlungen und den erhaltenen Hygienesets zufrieden. Viele Familien, die Bargeld für Lebensmittel erhalten, gaben das Geld jedoch für Schulden, für Gesundheitsleistungen und für Material für provisorische Unterkünfte aus. Vielen Familien der Binnenvertriebenen gehen die Nahrungsmittel aus bzw. können sich diese nur Brot und Tee leisten. Arme Haushalte, die von einer wassergespeisten Weizenproduktion abhängig sind, werden bis zur Frühjahrsernte sowie im nächsten Jahr Schwierigkeiten haben, den Konsumbedarf zu decken. Es werden, um die Folgen der Dürre entgegen zu treten, nationale und internationale Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen gesetzt.

Die Abnahme der landwirtschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten zusammen mit der steigenden Migration sowie der hohen Anzahl an Rückkehrerin und Binnenvertriebenen führt zu einer Senkung der Löhne für Gelegenheitsarbeit in Afghanistan und zu einer angespannten Wohnraum- und Arbeitsmarktlage in urbanen Gebieten.

Von Mai bis Mitte August 2018 sind ca. 12.000 Familie aufgrund der Dürre aus den Provinzen Badghis und Ghor geflohen um sich in der Stadt Herat anzusiedeln. Dort leben diese am westlichen Stadtrand von Herat in behelfsmäßigen Zelten, sodass am Rand der Stadt Herat die Auswirkungen der Dürre am deutlichsten sind. Mittlerweile sind 60.000 Personen nach Herat geflohen. Es ist besonders die ländliche Bevölkerung, insbesondere in der Provinz Herat, betroffen. Personen die von der Dürre fliehen, siedeln sich in Herat-Stadt, in Qala-e-Naw sowie in Chaghcharan an, dort wurden unter anderem Zelte, Wasser, Nahrungsmittel sowie Geld verteilt.

Während das Lohnniveau in Mazar-e Sharif weiterhin über dem Fünfjahresdurchschnitt liegt, liegt dieses in Herat-Stadt 17% unter dem Fünfjahresdurchschnitt. Es gibt keine signifikante dürrebedingte Vertreibung bzw. Zwangsmigration nach Mazar-e Sharif. Im Umland der Stadt Mazar-e Sharif kommt es zu Wasserknappheit und unzureichender Wasserversorgung.

1.4.4. Frauen

Die konkrete Situation von Frauen in Afghanistan ist erheblich von Faktoren wie Herkunft, Familie, Bildungsstand, finanzieller Situation und Religiosität abhängig. Obwohl sich die Lage afghanischer Frauen in den letzten Jahren erheblich verbessert hat, kämpfen viele weiterhin mit Diskriminierung auf einer Vielzahl von Ebenen, wie rechtlich, beruflich, politisch und sozial. Gewalt gegen Frauen bleibt weiterhin ein ernsthaftes Problem. Frauen im Berufsleben und in der Öffentlichkeit müssen oft gegen Belästigung und Schikane kämpfen und sehen sich oft Drohungen ausgesetzt.

Frauenkleidung umfasst in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung - diese unterscheiden sich je nach Bevölkerungsgruppe. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten "Manteau shalwar" tragen, d.h. Hosen und Mantel mit verschiedenen Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservativere Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka (in Afghanistan Chadri genannt) weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten.

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt. Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung. Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. Sowohl Männer als auch Frauen schließen Hochschulstudien ab - derzeit sind etwa 300.000 Student/innen an afghanischen Hochschulen eingeschrieben - darunter 100.000 Frauen.

Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sind in einer Vielzahl von beruflichen Feldern aktiv. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. Sie sind jedoch mannigfaltigen Schwierigkeiten im Berufsleben ausgesetzt, die von Diskriminierung in der Einstellung und im Gehalt, über Schikane und Drohungen bis zur sexuellen Belästigung reichen. Frauen der Mittel- und Unterschicht kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit. Dazu müssen Frauen unverhältnismäßig oft unbezahlte Arbeit leisten. Trotzdem finden sich viele Beispiele erfolgreicher junger Frauen in den verschiedensten Berufen.

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent, weshalb viele Frauen im ländlichen Afghanistan, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nachgehen.

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord. Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden).

Was die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung für Frauen in afghanischen Städten betrifft, so gibt es auch hier, eine Vielzahl von Beispielen: So existiert etwa ein "Familienkino", das in Kabul zu bestimmten Tageszeiten Vorstellungen ausschließlich für Frauen anbietet. Es gibt auch einen sogenannten "Frauen-Garten" in Kabul - ein öffentlicher Park für Frauen mit verschiedenen Unterhaltungs-, Bildungs- und Sportmöglichkeiten. Der Garten, der sich über 13 Hektar Land streckt und vom Frauenministerium verwaltet wird, erlebt täglich einen großen Ansturm, vor allem am Wochenende. Er wurde nach der Taliban-Herrschaft durch finanzielle Unterstützung des US Entwicklungsministeriums und mit Hilfe von mehr als 600 afghanischen Arbeiterinnen und Arbeitern (großteils Frauen aus armen Verhältnissen) wiederaufgebaut. Neben den Gartenanlagen zählt auch ein Fitnesscenter, Buchgeschäft und Internetlokal zu den Einrichtungen des Gartens. Frauen können dort Computer benutzen und kostenfrei Sprachkurse belegen. Außerdem wird der Garten 24 Stunden am Tag von einem Sicherheitsteam bewacht.

1.4.5. Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika). Landesweit gehen in den meisten Regionen Mädchen und Buben in der Volksschule in gemischten Klassen zur Schule; erst in der Mittel- und Oberstufe werden sie getrennt.

Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zur Unterstufe der Sekundarbildung Pflicht (die Grundschule dauert sechs Jahre und die Unterstufe der Sekundarbildung drei Jahre). Das Gesetz sieht kostenlose Schulbildung bis zum Hochschulniveau vor.

Aufgrund von Unsicherheit, konservativen Einstellungen und Armut haben Millionen schulpflichtiger Kinder keinen Zugang zu Bildung - insbesondere in den südlichen und südwestlichen Provinzen. Manchmal fehlen auch Schulen in der Nähe des Wohnortes. Jedoch wird durch UNICEF in Dorfgemeinschaften, die mehr als drei Kilometer von einer ordentlichen Schule entfernt sind eine Dorfschule mit lediglich einer Klasse errichtet um auch diesen Kindern Zugang zu Bildung zu ermöglichen. In von den Taliban kontrollierten Gegenden sind gewalttätige Übergriffe auf Schulkinder, insbesondere Mädchen, ein weiterer Hinderungsgrund beim Schulbesuch. Taliban und andere Extremisten bedrohen und greifen Lehrer/innen sowie Schüler/innen an und setzen Schulen in Brand.

In Afghanistan gibt es eine hohe Zahl an minderjährigen zivilen Opfern. Zudem sind vor allem Kinder unter fünf Jahren besonders von Unterernährung betroffen. Auch besteht für Minderjährige die Gefahr, dass sie Kinderarbeit leisten müssen. In solchen Fällen sind Kinder bei der Arbeit zahlreichen Gesundheits- und Sicherheitsrisiken ausgesetzt. Es gibt auch Berichte, wonach Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt sind.

1.4.6. Medizinische Versorgung

Medizinische Versorgung ist in Afghanistan, insbesondere auch in Kabul, grundsätzlich verfügbar.

Die Verfügbarkeit und Qualität der medizinischen Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Sie ist in Afghanistan - insbesondere in Kabul mit 10 staatlichen Krankenhäusern - jedoch grundlegend gegeben. Das afghanische Gesundheitsministerium bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an:

das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS). Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken. Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten, diese Kosten müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden.

Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw. der Tazkira erforderlich.

1.4.7. Ethnische Minderheiten - Tadschiken

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan. Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten:

In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pajshir) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

1.4.8. Religion

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten.

1.4.9. Rückkehrer

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück.

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück.

IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden.

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten.

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen.

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass Rückkehrer allein aufgrund ihres Aufenthaltes in Europa in Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt sind.

1.4.10. Terroristische und aufständische Gruppierungen

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte grundsätzlich vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus. Die Taliban haben hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweiswürdigung betreffend die Feststellungen zu den Beschwerdeführer/innen

2.1.1. Die getroffenen Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer/innen (1.1.) stützen sich auf folgende Beweiswürdigung:

Mangels Vorlage von Identitätsdokumenten konnten keine Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer/innen erfolgen, die im Einleitungssatz angeführten Namen sowie das (angenommene) Geburtsdatum wurden bereits vom BFA angenommen und ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführer/innen. In der Verhandlung sind keine Umstände hervorgekommen, die daran zweifeln ließen. Die Angaben dienen ausschließlich für die Identifizierung der Beschwerdeführer/innen im Asylverfahren.

Die Feststellung zur Staats-, Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit, zum Familienstand und den Verwandtschaftsbeziehungen (1.1.1.) sowie zur Herkunftsprovinz der Beschwerdeführer/innen, der Berufstätigkeit des Zweitbeschwerdeführers und den Verwandten in Afghanistan (1.1.2.) beruhen auf ihren diesbezüglich gleichbleibenden und glaubwürdigen Angaben im gesamten Verfahren. Die Angabe zu ihrer Muttersprache bestätigten sie zuletzt in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, in welcher ein Dolmetsch für die angegebene Sprache beigezogen wurde und weder seitens der Beschwerdeführer/innen noch seitens des Dolmetsch Verständigungsschwierigkeiten angemerkt wurden. Auch daran, dass die Dritt-, Fünft und Sechstbeschwerdeführer in Afghanistan geboren wurden, ergaben sich keine Zweifel. Die Geburt des Viertbeschwerdeführers in Österreich ist aktenkundig.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit der Erst- und Drittbeschwerdeführerinnen und des Zweitbeschwerdführers (1.3.) ergibt sich aus den aktuellen Auszügen aus dem Strafregister, die Strafunmündigkeit der Viert-, Fünft- und Sechstbeschwerdeführer/innen (1.3.) aufgrund ihres Alters.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführer/innen gesund sind (1.1.4.), folgt aus ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung. Dass der Viertbeschwerdeführer operiert wurde und sich regelmäßigen Kontrollen zu unterziehen hat, ergibt sich aus dem angefochtenen Bescheid und den damit übereinstimmenden Aussagen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers. Es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Viertbeschwerdeführer an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidet. Auch betreffend die übrigen Beschwerdeführer/innen ergeben sich weder aus dem Verwaltungs- noch Gerichtsakt Hinweise darauf, dass sie nicht gesund sind. Es ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass keine Arbeitsfähigkeit der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers vorliegt (1.1.4.).

2.1.2. Die Feststellungen zum Zeitpunkt der Ausreise aus Afghanistan und der illegalen Einreise nach Österreich (1.1.5.) ergeben sich aus der Erstbefragung und wurden von den Beschwerdeführer/innen im weiteren Verfahren nicht bestritten.

2.2. Beweiswürdigung betreffend die Feststellung zum Nichtvorligen einer Verfolgungs- und Bedrohungsgefahr:

2.2.1. Aus den Feststellungen zur Situation von Frauen in Afghanistan und dem Vorbringen im Verfahren ergeben sich keine Hinweise darauf, dass die Erst,- Dritt- und Fünftbeschwerdeführerin allein aufgrund der Tatsache, dass sie weiblich sind, in Afghanistan verfolgt oder bedroht werden (1.2.1).

2.2.2. Zu Aufgrund der Angaben der Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung zu ihrem Leben in Afghanistan und in Österreich sowie dem Eindruck, den die Richterin von ihr in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, ist nicht davon auszugehen, dass die Erstbeschwerdeführerin während ihres Aufenthalts in Österreich eine selbstbestimmte Lebensweise angenommen und verinnerlicht hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt (1.2.2).

Die Erstbeschwerdeführerin war weder in Afghanistan noch ist sie in Österreich erwerbstätig. Sie besucht in Österreich keine Deutschkurse und hat auch keine Deutschprüfung abgelegt. Das Gespräch ohne Dolmetsch in der mündlichen Verhandlung zeigte, dass eine sehr einfache Unterhaltung mit der Erstbeschwerdeführerin möglich ist, sie aber Schwierigkeiten hat, längere Sätze zu verstehen (VHS erste Verhandlung S. 14). Der nächste Deutschkurs in der Umgebung ihres Wohnortes findet wöchentlich am Freitag statt. Der Zweitbeschwerdeführer besucht laut übereinstimmenden Angaben diesen Kurs (VHS erste Verhandlung S.15). Die Dritt- und Fünftbeschwerdeführerinnen besuchen die Schule und der Sechstbeschwerdeführer geht in den Kindergarten. Dazu befragt, weshalb die Erstbeschwerdeführerin selbst keinen Deutschkurs besucht und ob sie selbst ein Problem dabei sehen würde, den Deutschkurs zu besuchen, meinte die Erstbeschwerdeführerin, dass ihr Mann zwar nichts dagegen habe, aber sie aufgrund der Betreuung ihrer beiden jüngsten Kinder keine Zeit habe. Ihr Mann könne ihrer Meinung nach nicht auf die beiden kleinen Kinder aufpassen, da eine Mutter mehr für die Kinder tun könne, als ein Vater. Ein Vater könne nicht für die Kinder kochen, waschen, den Haushalt führen und Windeln wechseln (VHS erste Verhandlung S. 15). Über Nachfrage, wer entschieden habe, dass ihr Mann den Kurs besuchen kann und sie nicht, meinte sie, dass anfangs ihre Unterkunftgeberin auf ihren Sohn aufgepasst habe und sie zweimal den Deutschkurs besucht habe. Als ihre Unterkunftsgeberin jedoch schwanger geworden sei, habe die Erstbeschwerdeführerin entschieden, dass sie zuhause bleibe und ihr Mann den Kurs besuchen solle, da er bereits arbeite (VHS erste Verhandlung S.16). Aus all diesen Angaben ergibt sich zwar, dass der (zumindest zeitweise) Besuch eines Deutschkurses durch die Erstbeschwerdeführerin wohl mit einem gewissen Organisationaufwand verbunden, jedoch nicht unmöglich wäre, wenn sie z.B. dazu bereit wäre ihre beiden jüngsten Kinder für ein paar Stunden durch den Zweitbeschwerdeführer oder eine sonstige Person betreuen zu lassen. In Zusammenschau dieser Aussagen der Erstbeschwerdeführerin entsteht somit insgesamt der Eindruck, dass sie keine besonderen Bemühungen angestellt hat, um einen Deutschkurs zu besuchen. Auch ihr Hinweis darauf, dass der Besuch des Deutschkurses aufgrund ihrer Betreuungspflichten für ihre Kinder bzw. dass eine Fremdbetreuung des jüngsten Sohnes nicht möglich ist, überzeugt im Hinblick darauf nicht, dass eine zeitweise Betreuung durch Zweitbeschwerdeführer bzw. andere Personen grundsätzlich möglich wäre. Auch wegen einer Arbeit habe sie sich nach eigenen Angaben bisher noch nicht einmal erkundigt. Sie gab lediglich vage an, dass sie zwar arbeiten wolle (z.B. in einem Bekleidungsgeschäft oder einem Supermarkt), sie sich jedoch um die Kinder kümmern müsse (VHS erste Verhandlung S. 18). Nachhaltige Bemühungen um eine Integration und insbesondere eine selbstbestimmte Lebensweise im Sinne der Verfolgung von eigenen (beruflichen) Zielen sind darin nicht zu erkennen. Vielmehr verfestigte sich der Eindruck, dass die aktuelle Lebensweise der Erstbeschwerdeführerin nicht im Gegensatz zu den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen/Mütter in Afghanistan steht.

Festzuhalten ist auch, dass sich die von der Erstbeschwerdeführerin vor dem BFA geschilderten typischen Tagesabläufe in Österreich bzw. in Afghanistan kaum voneinander unterscheiden (BFA Einvernahmeprotokoll BF1 S. 6f). Sowohl in Afghanistan als auch in Österreich besteht der Alltag der Erstbeschwerdeführerin primär darin, den Haushalt zu führen und die Kinder zu betreuen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass sie sich in Österreich ab und zu mit Freund/innen trifft, wobei sie in der mündlichen Verhandlung betonte, dass sie sich öfter als ihr Mann mit Freunden treffe, da ihr Mann arbeite (VHS erste Verhandlung S.16). Über Vorhalt der nahezu übereinstimmenden Tagesabläufe, erklärte die Erstbeschwerdeführerin, da

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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