TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/24 W126 2138436-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.2019
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Entscheidungsdatum

24.09.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W126 2138436-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Sabine FILZWIESER-HAT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.10.2016, Zl. 1118563703/160820962, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 12.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er wurde hierzu am 13.06.2016 von der Polizei erstbefragt und am 04.10.2016 niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen (in der Folge BFA) einvernommen.

2. Mit angefochtenem Bescheid vom 06.10.2016 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status als Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 (Spruchpunkt II.) ab und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 (Spruchpunkt III). Unter Spruchpunkt IV. wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 06.10.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater zur Seite gestellt.

3. Am 27.04.2017 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch einen Rechtsberater, Beschwerde in vollem Umfang.

4. Am 30.05.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Kurzbrief, ein Abschlussbericht, eine Beschuldigtenvernehmung sowie die Zeugenvernehmung des Beschwerdeführers vom 12.05.2017 ein. Laut Abschlussbericht vom 17.05.2017 werde ein afghanischer Asylwerber beschuldigt, den Beschwerdeführer am 12.05.2017 nach einem Streit in der Unterkunft durch einen Schlag mit einer Flasche auf den Kopf verletzt zu haben.

5. Am 25.04.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und eine Vertrauensperson des Beschwerdeführers teilnahmen. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers und ein Vertreter der belangten Behörde nahmen nicht an der Verhandlung teil.

In der Verhandlung legte der Beschwerdeführer sein ÖSD Zertifikat A1, eine Vereinbarung über eine gemeinnützige Beschäftigung des Beschwerdeführers bei einem Magistrat vom 14.08.2017 über Hilfstätigkeiten des Beschwerdeführers, einige Übernahmebestätigungen für gemeinnützige Hilfstätigkeiten des Beschwerdeführers bei einem Magistrat, eine Teilnahmebestätigung an einem Museumsbesuch, eine Bestätigung über die ehrenamtliche Mithilfe des Beschwerdeführers bei einer Gartenarbeit eines Vereins, eine Bestätigung über die Mitarbeit des Beschwerdeführers an einer Laufveranstaltung, eine Volunteersbestätigung über die freiwillige Mitarbeit des Beschwerdeführers bei einer Sportveranstaltung, eine Teilnahmebestätigung an einem Integrations- und Wertevermittlungskurs, diverse Teilnahmebestätigungen über die Teilnahme an Informationsveranstaltungen des Österreichischen Integrationsfonds, eine Anmeldebestätigung an einem Vertiefungskurs des Österreichischen Integrationsfonds sowie mehrere Deutschkursbestätigungen vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, schiitischer Muslime und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken. Er stammt aus der Stadt XXXX in der gleichnamigen Provinz. Er ist ledig und hat keine Kinder.

1.2. Im Jahr 2013 kam es zwischen dem Vater und dem Onkel des Beschwerdeführers zu einem Streit wegen des Grundstücks des Großvaters väterlicherseits des Beschwerdeführers. Noch bevor der Beschwerdeführer geboren wurde, verstarb sein Großvater und vererbte dem Vater und dem Onkel des Beschwerdeführers, einem Mullah, sein Haus. Der Onkel des Beschwerdeführers lebte in diesem Haus, während der Vater des Beschwerdeführers gemeinsam mit seiner Familie in einem Mietshaus wohnte. Als die Mietkosten höher wurden und der Vater des Beschwerdeführers die Mietkosten für dieses Haus nicht mehr bezahlen konnte, ging der Vater des Beschwerdeführers zu dem Onkel des Beschwerdeführers und forderte seinen Anteil des Hauses. Der Onkel des Beschwerdeführers war nicht dazu bereit, dem Vater des Beschwerdeführers dessen Anteile herauszugeben, weshalb der Vater des Beschwerdeführers zur Polizei ging, um Anzeige zu erstatten. Die Polizei nahm die Anzeige des Vaters nicht entgegen. In weitere Folge gab es eine Ältestenversammlung, eine sogenannte Jirga, in welcher zugunsten des Onkels des Beschwerdeführers entschieden wurde. Der Vater des Beschwerdeführers akzeptierte diese Entscheidung nicht.

In den nächsten Wochen an einem Freitag brachten der Beschwerdeführer und seine Brüder ihrem Onkel und dessen Familie Essen aufgrund eines Brauches zum Gedenken an die Opfer, die im Krieg gefallen sind. Die Ehefrau ihres Onkels nahm das Essen an und der Onkel wies den Beschwerdeführer und seine Brüder fort. Auf dem Heimweg wurden der Beschwerdeführer und seine Brüder von zehn Personen überfallen. Der Beschwerdeführer wurde geschlagen und mit einem Messer am Bein verletzt, weshalb er auf den Boden fiel. Die Angreifer drohten, dass sie sie "auslöschen" würden, wenn sie noch einmal über die Grundstücke sprechen würden. Als der Beschwerdeführer aufwachte, konnte er sehen, wie sein zweiältester Bruder mit einem Messer am Bauch verletzt wurde. Er starb infolge dieser Verletzung. Sein ältester Bruder wäre fast zu Tode geprügelt worden und wurde schwer am Rücken verletzt. Dieser leidet nach wie vor unter seiner Verletzung und kann aus diesem Grund auch nicht arbeiten.

Nach diesem Vorfall blieb die Familie des Beschwerdeführers noch eine kurze Zeit in Afghanistan, damit sich sein ältester Bruder von seinen Verletzungen erholen konnte. Der Beschwerdeführer verließ in dieser Zeit das Haus der Familie nicht. Danach verließen der Beschwerdeführer, sein Vater, sein ältester Bruder und seine Schwester Afghanistan und zogen in den Iran. Die Mutter des Beschwerdeführers ist bereits im Jahr 2000 verstorben.

Die Cousins des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Afghanistan. Der Onkel des Beschwerdeführers lebt in Kabul.

1.3. Zur maßgeblichen Lage in Afghanistan im konkreten Fall:

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Kandahar

Die südliche Provinz Kandahar ist als kommerzielles Zentrum des Landes bekannt. Im Norden grenzt Kandahar an die Provinz Uruzgan, im Süden an Pakistan, im Osten an die Provinz Zabul und im Westen an die Provinz Helmand (Pajhwok o.D.u). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.279.520 geschätzt (CSO 4.2017). Die Provinz besteht aus folgenden Distrikten: Kandahar Stadt/City, Dand, Zherai, Daman, Arghandab, Arghestan, Panjwai, Maroof, Spin Boldak, Maiwand, Shawalikot, Takhta Pul, Khakriz, Nish, Ghorak, Rigistan, Mianshin, und Shoraba (Pajhwok o.D.u.). Die Provinzhauptstadt Kandahar City wird als eine der strategisch wichtigsten und vielschichtigsten Städte Afghanistans erachtet (TN 22.1.2017). In Kandahar gibt es einen internationalen Flughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.). In der Provinz leben neben Paschtunen auch Belutschen, Tadschiken, Hindus und Hazara (Pajhwok o. D.u).

Auch in der Provinz Kandahar wurde eine Steigerung des Mohnanbaus um 37% (+ 7.500 Hektar) registriert; insgesamt 28.010 Hektar, gleichzeitig wurden in der Provinz 48 Hektar vernichtet, im Jahr 2016 waren es noch vier Hektar (UNODC 11.2017). Im Rahmen von Bemühungen der afghanischen Regierung, Alternativen für afghanische Bauern, die Drogen anbauen, zu finden, werden diese Pistazienfelder erhalten; so werden z.B. in Kandahar 250 Felder zur Verfügung gestellt (Tolonews 4.3.2018).

Durch die Provinz Kandahar verläuft die 557 km lange Kabul-Kandahar-Autobahn (Tolonews 1.6.2018). Anrainer/innen zufolge ist der Autobahnabschnitt in Kandahar wegen der intensiven Nutzung in den letzten Jahren, der gesunkenen Wartung und der Angriffe von Aufständischen in schlechtem Zustand (Tolonews 14.3.2018; vgl. Tolonews 1.6.2018). Die Provinz Kandahar verfügt über einen internationalen Flughafen (KIA o.D.; vgl. Reuters 9.3.2018).

Auch soll hinkünftig die Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-India (TAPI) Gaspipeline, neben vier weiteren Provinzen (Herat, Farah, Nimroz und Helmand), auch durch die Provinz Kandahar gehen (Tolonews 14.3.2018a; vgl. AF 14.3.2018). Diese Provinzen sind weitgehend unter Kontrolle der Taliban und die Sicherheitslage in ihnen ist problematisch. Für den Bau der Pipeline ist es daher günstig, dass die Taliban und das Nachbarland Pakistan ihre Kooperation für das TAPI-Projekt gezeigt haben (AF 14.3.2018; vgl. NYT 23.2.2018). Diese Pipeline wird Erdgas von Turkmenistan nach Pakistan und Indien via Afghanistan transportieren (BFA Staatendokumentation 4.2018). Die Pipeline soll in Afghanistan entlang des Autobahnteils Kandahar-Herat errichtet werden; um Sicherheit für das TAPI-Projekt zu gewähren sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (Tolonews 14.3.2018a).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage, die sich Quellen zufolge in den letzten Jahren verbessert hatte, verschlechterte sich im Mai 2017 und in den Anfangsmonaten des Jahres 2018 wieder, nachdem die Taliban ihre Aktivitäten in der Provinz verstärkten (Khaama Press 11.3.2018; vgl. Xinhua 11.3.2018, Khaama Press 26.1.2018, Dawn 26.5.2017, Khaama Press 22.2.2017, Khama Press 16.5.2017, Khaama Press 23.5.2017). Insbesondere die abgelegenen Distrikte der Provinz waren davon betroffen, da sich die Taliban auf die südlichen Provinzen im Rahmen ihrer Frühlingsoffensive konzentrierten (Khaama Press 15.9.2017).

Im Berichtszeitraum 15.12.2017-15.2.2018 haben laut Vereinten Nationen (UN) regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Kandahar verübt wurden (UNGASC 27.2.2018; vgl. MF 12.3.2018, Tolonews 7.3.2018, LWJ 28.2.2018, AJ 1.3.2018, Khaama Press 28.9.2017, Dawn 26.5.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 186 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Kandahar war im Jahr 2017 die Provinz mit der viert-höchsten Anzahl registrierter Anschläge in Afghanistan (Pajhwok 14.1.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden in Kandahar 716 zivile Opfer (271 getötete Zivilisten und 445 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgängern/Landminen. Dies deutet einen Rückgang von 18% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Kandahar:

Im März 2018 wurde verlautbart, dass die Sicherheitskräfte im vorangegangenen Monat Operationen in der Provinz ausgeführt haben (Tolonews 16.3.2018; vgl. Xinhua 11.3.2018, PT 18.2.2018, PL 25.2.2018, Khaama Press 2.9.2017, Khaama Press 23.5.2017).

Luftangriffe werden durchgeführt (SD 19.3.2018; vgl. PQ 18.3.2018, MF 12.3.2018, PT 18.2.2018); dabei wurden Aufständische getötet (SD 19.3.2018; vgl. PQ 18.3.2018, MF 12.3.2018). Des Weiteren kam es zu Zusammenstößen zwischen Talibanaufständischen und Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018).

Auch Polizistinnen helfen an der Front mit: Rund 110 weibliche Offiziere dienen Kandahar-weit an verschiedenen Orten, inklusive dem Flughafen. Frauen spielen eine essentielle Rolle in Gegenden und Situationen, die Männern nicht zugänglich sind - wie z.B. die Interaktion mit Frauen an Kontrollpunkten (Reuters 9.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Kandahar:

Kandahar ist eine ehemalige Festung der Taliban (Xinhua 11.3.2018), nachdem die Provinz als Gründungsort der Gruppierung erachtet wird, gilt sie als strategisch wichtig für die Taliban. Als wichtige Einnahmequelle der Taliban ist in der Provinz Kandahar die Opiumproduktion. Die Provinz grenzt an Pakistans Belutschistan an, eine Provinz die der Gruppierung als sicherer Rückzugsort und generelles Rekrutierungszentrum dient (LWJ 19.1.02017; vgl. CN 7.3.2018). Einer Quelle vom Oktober 2017 zufolge haben die Taliban - wie bereits erwähnt - ihre Angriffe auf die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkt. Sie haben außerdem versucht, in Kandahar Gebiete zurückzugewinnen, die sie vor Jahren verloren hatten (LWJ 19.10.2017).

Zwischen 1.1.2017 und 15.7.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Kandahar registriert (ACLED 23.2.2018).

Auszug aus den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018:

Gemäß althergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Vergeltungsakte die Mitglieder einer anderen Familie. In Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Paschtunwali verwurzelt, kommen jedoch Berichten zufolge auch unter anderen ethnischen Gruppen vor. Blutfehden können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Taten wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum. Blutfehden können zu langanhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Paschtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Berichten zufolge Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt, doch soll der Brauch baad, eine stammesübliche Form der Streitbeilegung, in der die Familie des Täters der Familie, der Unrecht geschah, ein Mädchen zur Heirat anbietet, vor allem im ländlichen Raum praktiziert werden, um eine Blutfehde beizulegen. Wenn die Familie, der Unrecht geschah, nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann, wie aus Berichten hervorgeht, die Blutfehde erliegen, bis die Familie des Opfers sich für fähig hält, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters im Rahmen des formalen Rechtssystems schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus. Sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde, kann Berichten zufolge davon ausgegangen werden, dass die Familie des Opfers auch dann noch Rache gegen den Täter verüben wird, wenn dieser seine offizielle Strafe bereits verbüßt hat.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zu seiner Herkunft basieren auf den Aussagen des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren.

2.2. Der Sachverhalt in Bezug auf die Gründe für das Verlassen Afghanistans sowie die Rückkehrbefürchtung des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem widerspruchsfreien, gleichbleibenden und vor dem Hintergrund der afghanischen Verhältnisse plausiblen Vorbringen des Beschwerdeführers während des Verfahrens, insbesondere in der mündlichen Verhandlung. Die Schilderungen des Beschwerdeführers in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht waren stimmig und schlüssig und er machte in der Gesamtschau einen persönlich glaubhaften Eindruck. Der Beschwerdeführer war in der Lage nachvollziehbare Angaben zur Grundstückstreitigkeit seines Vaters mit seinem Onkel und der darauffolgenden Bedrohungen zu machen. Die vom BFA im Bescheid angeführten Widersprüche in den Angaben des Beschwerdeführers konnten nicht als solche erkannt werden. In der Beschwerde wurde zudem nachvollziehbar dargelegt, dass sich die zeitlich ungenauen Angaben daraus ergeben, dass Daten allgemein in der afghanischen Bedeutung nicht die gleiche Bedeutung wie in Österreich haben. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung war der Beschwerdeführer in der Lage, hinreichende zeitliche Angaben zu machen, welche nachvollziehbar und in Einklang mit seinen bisherigen Aussagen waren.

Das Kernvorbringen des Beschwerdeführers war sowohl in der Einvernahme beim BFA als auch in der Verhandlung dasselbe und der Beschwerdeführer war in der Lage, sein Fluchtvorbringen kohärent und detailliert zu schildern. Die Darstellung der Ereignisse entspricht auch der Berichtslage und der Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts. Der Beschwerdeführer konnte glaubhaft darlegen, dass er aufgrund des Streits seines Vaters mit seinem Onkel in den Fokus seines Onkels und dessen Söhnen gelangt ist und von diesen bedroht und verfolgt wird.

Der Quellenlage entsprechend sind Streitigkeiten um Land in Afghanistan weit verbreitet und nehmen häufig gewaltsame Formen an. Auch können dadurch Blutfehden ausgelöst werden, bei der die Mitglieder einer Familie als Akte der Vergeltung die Mitglieder einer anderen Familie töten. Blutfehden können zu lang anhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen, da - wenn die Familie des Opfers nicht in der Lage ist, sich zu rächen - die Blutfehde so lange ruhen kann, bis die Familie des Opfers sich in der Lage sieht, Racheakte auszuüben. Die Blutrache wird, wenn der Täter bzw. die Täter von den geschädigten Personen nicht erwischt werden, auch auf männliche Familienmitglieder, in erster Linie die Söhne der Täter, ausgedehnt.

In Anbetracht der derzeitigen Sicherheitslage in Afghanistan und aufgrund des sich aus den Berichten ergebenden Umstandes, dass Menschenrechtsverletzungen wegen des schwachen Verwaltungs- und Rechtswesens häufig ohne Sanktionen bleiben, kann nicht angenommen werden, dass die staatlichen Stellen in der Lage sind, dem Beschwerdeführer ausreichend Schutz zu gewähren. Dies wird auch durch die Erzählungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung bestätigt.

Vor diesem Hintergrund ist auch in diesem individuellen Fall eine innerstaatliche Relokationsalternative aufgrund der bereits erfolgten Bedrohungen auszuschließen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, dass sein Onkel derzeit in Kabul lebt. Der Beschwerdeführer schilderte glaubhaft, dass sein Onkel Mullah ist und legte plausibel dar, dass dieser in Kontakt mit den Behörden steht, was erklärt, wieso die Anzeige des Vaters des Beschwerdeführers bei der Polizei nicht aufgenommen wurde. Der Beschwerdeführer gab im erstinstanzlichen Verfahren an, dass sein Onkel die Polizei dafür bezahlt hat. Diese Schilderungen lassen auf einen gewissen Einfluss seines Onkels schließen, sodass gegenständlich nicht mit hinreichender Sicherheit angenommen werden kann, dass sich der Beschwerdeführer der Verfolgung durch seinen Onkel in einem anderen Landesteil nachhaltig und auf Dauer entziehen kann.

Somit ist im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers von einer aktuellen Verfolgungsgefahr auszugehen.

2.3. Die fallbezogenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan stützen sich auf das dem Parteiengehör unterworfene Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, mit Kurzinformation vom 01.03.2019 und 26.03.2019 sowie die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, und beruhen auf einer Vielzahl von verschiedenen, voneinander unabhängigen Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen. In ihrer Kernaussage bieten diese Dokumentationen ein stimmiges und einheitliches Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche und besteht daher für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der darin getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.

Der Beschwerdeführer ist den Länderberichten nicht substantiiert entgegengetreten.

Auch hat sich insbesondere seit der Verhandlung auf Basis der aktuellen Quellenlage, vor allem der letzten Kurzinformation vom 04.06.2019, die Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers nicht wesentlich verändert beziehungsweise nicht in einer Weise verändert, die für die Frage der Asylgewährung entscheidungswesentlich wäre.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn 1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder 2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die "begründete Furcht vor Verfolgung". Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. (vgl. jüngst VwGH 05.08.2015, Ra 2015/18/0024, mit Verweis auf VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0069).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. jüngst 13.09.2016, Ra 2016/01/0054). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, die Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt; sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein. Für die Asylgewährung ist entscheidend, ob der Asylwerber im Zeitpunkt der Entscheidung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen muss (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; jüngst VwGH 22.02.2017, Ra 2016/19/0238, mit Verweis auf den Beschluss des VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005, mwN).

Eine Verfolgung, d.h. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann weiters nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen oder privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (vgl. etwa VwGH 21.04.2011, 2011/01/0100, mwN). Eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat hingegen nur dann asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. etwa VwGH 26.11.2014, Ra 2014/19/0059, mwN). (VwGH 18.11.2015, Ra 2014/18/0162)

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; VwGH 06.07.2011, 2008/19/0994, mit Verweis auf VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).

3.2. Für den gegenständlichen Fall ist zunächst festzuhalten, dass ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen dann zur Flüchtlingseigenschaft führt, wenn er an einen in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Der Anknüpfungspunkt zu einem Konventionsgrund liegt in der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu einer sozialen Gruppe, nämlich zur sozialen Gruppe der Familie. Die Asylrelevanz einer Verfolgung wegen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe "Familie" wurde in der Rechtsprechung schon wiederholt klargestellt (vgl. etwa VwGH 11.11.2009, Zl. 2008/23/0366, auch VwGH 26.02.2002, Zl. 2000/20/0517). Ein Kausalzusammenhang zwischen der Verfolgung durch den Onkel des Beschwerdeführers und dessen Söhne und der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie seines Vaters ist beim Beschwerdeführer gegeben. In seinem Fall richtet sich die drohende Verfolgung gegen einen unbeteiligten Dritten, den Beschwerdeführer, bloß wegen dessen gemeinsamer Abstammung, sodass der in der GFK genannte Verfolgungsgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie im Zusammenhang erfüllt ist (vgl. VwGH vom 07.09.2000, 2000/01/0153).

Aus dem oben festgestellten Sachverhalt, unter Berücksichtigung der aktuellen Situation in Afghanistan ergibt sich somit bezogen auf gegenständlichen Fall, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auf Grund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie individueller Verfolgung und damit einem erheblichen Verfolgungsrisiko für seine persönliche Sicherheit und physische Integrität ausgesetzt ist.

Es liegt genau ein Fall vor, in welchem wegen individueller Verfolgung gezielte Menschenrechtsverletzungen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen können. Die hinreichende Schwere dieser möglichen Menschenrechtsverletzungen ist durch die Berichtslage sowie die bereits erfolgten Bedrohungshandlungen eindeutig indiziert.

Verfolgungshandlungen, welche nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sind im Hinblick auf die Genfer Flüchtlingskonvention nur relevant, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden. Wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, besteht im konkreten Fall keine Schutzfähigkeit des Staates, die drohenden Menschenrechtsverletzungen können infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden (vgl. VwGH vom 22.03.2003, Zl. 99/01/0256 mwN).

In Zusammenhalt mit dem Umstand, dass ihm vor diesem drohenden Eingriff in seine physische Unversehrtheit weder durch staatliche Behörden noch durch andere private Schutzmechanismen - etwa durch Familienmitglieder oder Dorfälteste - Schutz gewährt wurde bzw. wird bzw. werden kann, ist davon auszugehen, dass die reale Gefahr besteht, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seine Heimatprovinz eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person erleiden würde. Diese Gefährdung bezieht sich zudem auf das gesamte afghanische Staatsgebiet, da aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers unter Einbeziehung der Länderberichte hervorgeht (s. dazu die Ausführungen in der Beweiswürdigung), dass sein Verfolger sowohl das Interesse als auch die Möglichkeiten hat, ihn auch über die Grenzen der Heimatprovinz hinaus zu verfolgen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative kommt daher nicht in Betracht.

Somit befindet sich zusammengefasst der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht asylrelevant verfolgt zu werden außerhalb Afghanistans und ist im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt, in dieses Land zurückzukehren.

Es liegen keine der in § 6 Abs. 1 AsylG genannten Ausschlussgründe vor.

Dem Beschwerdeführer war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.3. Wurde ein Antrag auf internationalen Schutz mit oder nach dem 15. November 2015 gestellt, kommt gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") iVm mit § 75 Abs. 24 AsylG 2005 einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu.

Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.

Der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz wurde am 12.06.2016 und damit nach dem 15.11.2015 gestellt. Ein Ausspruch betreffend die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung durch das Verwaltungsgericht hat jedoch zu unterbleiben (vgl. dazu VwGH vom 03.05.2018, Zl. Ra 2017/19/0374).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Entscheidungsfindung im gegenständlichen Fall war nicht von der Lösung einer grundsätzlichen Rechtsfrage abhängig, sondern zum einen von der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und der Würdigung der individuellen Situation vor dem Hintergrund der Lage in Afghanistan, zum anderen erging sie in Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur asylrelevanten Verfolgungsgefahr.

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, befristete
Aufenthaltsberechtigung, private Verfolgung, Schutzunfähigkeit,
soziale Gruppe, wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W126.2138436.1.00

Zuletzt aktualisiert am

28.02.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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