TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/24 G314 2218724-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.2019
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Entscheidungsdatum

24.09.2019

Norm

AsylG 2005 §57
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G314 2218724-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der XXXX, geboren am XXXX, serbische Staatsangehörige, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 03.04.2019, Zl. XXXX, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (BF) wurde am XXXX.02.2019 im Rahmen einer fremdenrechtlichen Kontrolle vorübergehend festgenommen. Am nächsten Tag wurde sie zunächst vor der Polizeiinspektion XXXX zur Frage der Rechtsmäßigkeit ihres Aufenthalts und anschließend vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung vernommen.

Mit Schreiben vom 12.02.2019 forderte das BFA die BF auf, sich bei der zuständigen Behörde einen neuen Reisepass ausstellen zu lassen.

Am 04.03.2019 teilte die Landespolizeidirektion XXXX in Beantwortung einer entsprechenden Anfrage des BFA mit, dass in diesem Fall der Tatbestand des Menschenhandels nicht vorliege. Es sei keine Gewalt und keine Drohung angewendet worden; ebensowenig habe sich die BF in einer Zwangslage befunden, zumal sie mehrmals zwischen Österreich und Serbien hin- und hergereist und selbständig wieder nach Österreich zurückgekehrt sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der BF kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilt (Spruchpunkt I.), eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und XXXX, einen Freund der BF, als Zeugen zu ihrem Privatleben und ihrer Integration zu vernehmen, festzustellen, dass die Abschiebung nach Serbien auf Dauer unzulässig sei, und die Rückkehrentscheidung zu beheben. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Dies wird zusammengefasst damit begründet, dass die Behörde wichtige Ermittlungen unterlassen und den Sachverhalt nicht vollständig erhoben habe. Die BF sei aufgrund ihrer Tätigkeit als XXXX selbsterhaltungsfähig und habe nie eine staatliche Unterstützung in Anspruch genommen. Der von ihr gepflegte Mann sei auf die Betreuung durch die BF angewiesen. Aufgrund ihrer intensiven Freundschaft zu XXXX bestünde ein ausgeprägtes Privatleben in Österreich. Die Feststellung, dass sie kein Familienleben im Bundesgebiet habe, sei falsch; sie habe jahrelang bei ihrer Schwester gelebt und sei von dieser finanziell abhängig gewesen. Die BF sei auch bestens in Österreich integriert, spräche hervorragend Deutsch und habe zahlreiche Freunde und Bekannte. Die Beweiswürdigung der Behörde sei nicht nachvollziehbar. Die vorzunehmende Interessenabwägung hätte zugunsten der BF ausgehen müssen, zumal bei einem über zehnjährigen Aufenthalt eines Fremden in Österreich regelmäßig vom Überwiegen seiner persönlichen Interessen an einem Verbleib in auszugehen sein und die BF ihren Aufenthalt genutzt habe, um sich zu integrieren. Sie habe keine Bindungen mehr zu Serbien und wäre dort aufgrund ihrer langen Abwesenheit nicht in der Lage, für ihren Lebensunterhalt aufzukommen und sich eine Existenz aufzubauen. In Österreich habe sie vor, eine Ausbildung zur Pflegerin zu machen und so ihr Leben zu finanzieren.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor und beantragte, diese abzuweisen.

Feststellungen:

Die BF ist serbische Staatsangehörige. Sie wurde am XXXX in der Stadt XXXX im heutigen Serbien geboren. Ihre Muttersprache ist Serbokroatisch. Sie besuchte in ihrer Heimat die Schule und machte dort anschließend eine Ausbildung zur Friseurin.

1992 reiste die BF erstmals in das Bundesgebiet ein. Bis 2007 hielt sie sich abwechselnd in Österreich und in Serbien auf; zwischendurch war sie auch für einige Zeit in der Schweiz erwerbstätig. Von März 1992 bis zu ihrer amtlichen Abmeldung im April 2006 war sie in XXXX mit Hauptwohnsitz gemeldet. Zuletzt besaß sie einen am XXXX.07.1997 ausgestellten und bisXXXX07.2007 gültigen serbischen Reisepass; für den Zeitraum XXXX.12.1997 bis XXXX12.1997 wurde ihr von der Österreichischen Botschaft Belgrad ein Schengen-Visum C für die einmalige Einreise erteilt. Seit dem Ablauf der Gültigkeit dieses Reisepasses im Juli 2007 besitzt die BF kein gültiges Reisedokument mehr. Sie hält sich seither kontinuierlich ohne Aufenthaltstitel oder Visum im Bundesgebiet auf. Zuletzt war sie 2008 bei der Beerdigung ihres Vaters in Serbien.

Die BF ist gesund und arbeitsfähig. Sie ist ledig und kinderlos. Sie beherrscht die deutsche Sprache jedenfalls ausreichend zur Verständigung im Alltag. Ihre Eltern sind bereits verstorben. Ihre drei Brüder leben in Serbien.

Die Halbschwester der BF, XXXX, lebt in Österreich, ebenso deren Töchter XXXX, XXXX und XXXX (früher: XXXX) mit ihren Kindern. Zwischen 1990 und ungefähr 2006 hielt sich auch ein Bruder der BF, XXXX, in Österreich auf. Bis Juni 2018 lebte die BF abwechselnd bei einer dieser Familien und unterstützte sie gegen Kost und Logis bei der Hausarbeit und bei der Kinderbetreuung. Außerdem arbeitete sie als Friseurin, ohne über eine arbeitsmarktbehördliche Bewilligung zu verfügen.

Seit Juni 2018 wohnt die BF in XXXX im Haushalt des pflegebedürftigen XXXX, für den sie (ohne arbeitsmarktbehördliche Bewilligung) Hausarbeiten und Betreuungs- bzw. Pflegeleistungen gegen ein wöchentliches Entgelt von ca. EUR 200 erbringt. Seit XXXX.02.2019 ist sie an derselben Adresse wie er mit Hauptwohnsitz gemeldet. Davor war sie in Österreich seit April 2006 melderechtlich nicht erfasst. Sie ist nicht krankenversichert und war im Bundesgebiet nie legal erwerbstätig oder zur Sozialversicherung angemeldet.

Bis vor ungefähr zwei Jahren nahm die BF regelmäßig an einem Gebetskreis in XXXX teil. Sie betätigt sich nicht ehrenamtlich und ist in keinen Vereinen aktiv. Sie ist strafgerichtlich unbescholten. Sie hat im Bundesgebiet Freunde und Bekannte; mit dem in XXXX lebenden Österreicher XXXX verbindet sie eine besonders enge Freundschaft.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich ohne entscheidungswesentliche Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und der Gerichtsakten des BVwG.

Die Feststellungen zur Identität der BF beruhen auf ihren übereinstimmenden Angaben bei den Einvernahmen durch BFA und Polizei. Kopien aus ihrem abgelaufenen serbischen Reisepass (mit dem 1997 erteilten Visum) liegen vor, aus dem sich auch ihr Geburtsort ergibt. Die BF schilderte ihre Schul- und Berufsausbildung vor dem BFA schlüssig und nachvollziehbar, ebenso ihre erstmalige Einreise in das Bundesgebiet und die zunächst wechselnden Aufenthalte in Österreich und in Serbien. Vor dem BFA gab sie auch an, sie habe in der Schweiz in einer Küche und bei einer Gebäudereinigung gearbeitet. Sie bezeichnete Serbokroatisch als ihre Muttersprache, was im Einklang mit ihrer Herkunft und der in ihrer Heimat absolvierten Schulbildung steht.

Die Wohnsitzmeldungen der BF werden anhand des Zentralen Melderegisters (ZMR) festgestellt. Zwischen April 2006 und Februar 2019 lag demnach keine Wohnsitzmeldung vor, was die BF gar nicht in Abrede stellt. Es ist nicht entscheidungserheblich, ob sie zwischen 1992 und 2006 bei ihrer (Halb-)Schwester (wie von der BF behauptet) oder bei ihrem Bruder (wie im angefochtenen Bescheid festgestellt) gewohnt hat. Aus dem ZMR ergibt sich jedenfalls, dass XXXX, ein Bruder der BF, zwischen 1990 und 2006 mit Hauptwohnsitz in XXXX an derselben Adresse wie die BF gemeldet war. Da die BF vor der Polizei erklärte, ihre Brüder würden in Serbien leben, ist davon auszugehen, dass er mittlerweile dorthin zurückgekehrt ist.

Die BF gab zu, weder über ein Reisedokument noch über einen Aufenthaltstitel oder ein Visum zu verfügen. Auch im Fremdenregister (IZR) ist weder eine Aufenthaltsgenehmigung noch ein entsprechender Antrag oder ein Visum dokumentiert. Vor dem BFA gab die BF an, sie sei zuletzt 2008 beim Begräbnis ihres Vaters in Serbien gewesen, als ihr Reisepass schon abgelaufen war. Dieser Darstellung kann gefolgt werden, zumal sie unumwunden schilderte, wie Bestechungsgelder in dem Bus, mit dem sie reiste, gesammelt wurden, um die Grenzkontrollen zu umgehen.

Es gibt keine aktenkundigen Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme oder Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit der 52-jährigen BF, zumal sie vor dem BFA angab, gesund zu sein, keine Medikamente zu benötigen und als Pflegerin zu arbeiten. Da sie vor der Polizei und vor dem BFA ohne Dolmetscher vernommen werden konnte, ist (auch vor dem Hintergrund ihres langen Inlandsaufenthalts) davon auszugehen, dass sie ausreichend Deutsch kann, auch wenn sie weder Zeugnisse noch Bestätigungen über Deutschkurse vorlegen konnte.

Die Feststellungen zu den in Österreich und in Serbien lebenden Angehörigen der BF basieren auf ihren Angaben vor der Polizei und vor dem BFA, wo sie auch ihre Tätigkeit als Haushaltshilfe und Kindermädchen bei ihren Verwandten sowie als Friseurin und Pflegerin schilderte. Schon mangels eines entsprechenden Aufenthaltstitels ist vom Fehlen einer arbeitsmarktbehördlichen Bewilligung für diese Tätigkeiten auszugehen, für deren Vorliegen auch keine anderen Hinweise bestehen. Die BF gab die illegale Erwerbstätigkeit offen zu und räumte auch das Fehlen einer Krankenversicherung ein.

Die Feststellungen zur (mittlerweile beendeten) Teilnahme der BF an einem Gebetskreis, zum Fehlen eines Engagements in einem Ehrenamt oder bei einem Verein sowie zu ihrem Freundeskreis beruhen auf ihren Angaben vor dem BFA und in der Beschwerde. Aufgrund ihres langen Inlandsaufenthalts ist glaubhaft, dass sie hier entsprechende Sozialkontakte geknüpft hat. Da das Gericht ihrem Vorbringen zum Bestehen einer intensiven Freundschaft mit XXXX folgt, ist seine Einvernahme dazu im Rahmen einer mündlichen Verhandlung entbehrlich.

Anhaltspunkte für über die Feststellungen hinausgehende familiäre oder private Bindungen der BF im Bundesgebiet oder in anderen Staaten oder für weitere konkrete Integrationsbemühungen bestehen nicht.

Rechtliche Beurteilung:

Die BF ist als Staatsangehörige von Serbien Drittstaatsangehörige iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG.

Da sie keinen biometrischen Reisepass besitzt und sich seit weit mehr als 90 Tagen durchgehend in Österreich aufhält, ist ihr Aufenthalt nicht rechtmäßig iSd § 31 Abs 1a FPG, weil kein Fall des § 31 Abs 1 FPG vorliegt.

Da sich die BF nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ist zunächst gemäß § 58 Abs 1 AsylG von Amts wegen die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG zu prüfen. Gemäß § 58 Abs 3 AsylG ist darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen. Gemäß § 57 Abs 2 erster Satz AsylG ist vor der Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" an Zeugen oder Opfer strafbarer Handlungen oder Gewaltopfer eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen.

Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG sind nicht erfüllt, weil der Aufenthalt der BF nie geduldet iSd § 46a FPG war und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie Zeugin oder Opfer strafbarer Handlungen oder Opfer von Gewalt wurde. Nach der Stellungnahme der Landespolizeidirektion XXXX vom 04.03.2019 ist sie jedenfalls nicht als Opfer von Menschenhandel anzusehen. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist vor diesem Hintergrund nicht korrekturbedürftig.

Da die BF nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG ("Zurückweisung, Transitsicherung, Zurückschiebung und Durchbeförderung", §§ 41 bis 45c FPG) fällt, ist die Entscheidung über die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG nach § 10 Abs 2 AsylG und § 52 Abs 1 Z 1 FPG mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden.

Die Rückkehrentscheidung greift zwar nicht in das Familienleben der BF ein, weil sich keine Angehörigen ihrer Kernfamilie im Bundesgebiet aufhalten und aktuell jedenfalls kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis mehr zu ihren entfernteren hier lebenden Verwandten besteht, wohl aber in ihr Privatleben. Eine Rückkehrentscheidung ist daher gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dabei ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen der BF, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (siehe VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041).

Art 8 Abs 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs laut Art 8 Abs 1 EMRK nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist hier gemäß § 9 Abs 2 Z 1 BFA-VG zu berücksichtigen, dass sich die BF seit mehr als zehn Jahren kontinuierlich im Bundesgebiet aufhält. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist im Rahmen einer Interessenabwägung nach Art 8 EMRK bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt einer Fremden in der Regel von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen (siehe z.B. VwGH 28.02.2019, Ra 2018/01/0409). Allerdings ist auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend von einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken oder die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. Es ist daher auch in Fällen eines mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthaltes eine Gesamtabwägung unter Einbeziehung aller fallbezogen maßgeblichen Aspekte vorzunehmen, wenn auch unter besonderer Gewichtung der langen Aufenthaltsdauer (vgl. VwGH 29.08.2018, Ra 2018/22/0180). Gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen und für ein größeres öffentliches Interesse an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme können z.B. Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften und die Missachtung melderechtlicher Vorschriften in Anschlag gebracht werden (siehe VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005).

Zugunsten der BF ist hier zu berücksichtigen, dass sie Deutsch spricht und Bezugspersonen (ihre Halbschwester und deren Töchter samt Familien sowie einen besonders guten Freund) im Inland hat. Ihr Privatleben wird jedoch gemäß § 9 Abs 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich dadurch relativiert, dass es in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die BF ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war. Die BF kann den Kontakt zu ihren Verwandten, Bekannten und Freunden im Inland auch nach der Ausreise nach Serbien weiterhin durch Telefonate, andere Kommunikationsmittel (E-Mail, soziale Medien) und wechselseitige Besuche pflegen.

Ihre in der Beschwerde hervorgehobene Selbsterhaltungsfähigkeit und die Tatsache, dass sie bisher keine staatlichen Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen musste, sind ausschließlich darauf zurückzuführen, dass sie im Inland jahrelang ohne arbeitsmarktbehördliche Bewilligung, ohne einen entsprechenden Aufenthaltstitel und ohne Anmeldung zur Sozialversicherung erwerbstätig war, wobei die Tätigkeit für ihre Halbschwester und deren Töchter nach Art, Umfang und Zeitdauer weit über Leistungen im Rahmen einer familiären Beistands- und Mitwirkungspflicht hinausging und daher nach dem AuslBG bewilligungspflichtig gewesen wäre, zumal die langfristige Leistung von Kost und Logis als Entgelt anzusehen ist. Die Beschäftigung als Friseurin und Pflegerin bzw. Personenbetreuerin erfolgte ebenfalls ohne die erforderlichen Bewilligungen und ohne Anmeldung zur Sozialversicherung.

Die BF hat aufgrund der langen Abwesenheit geschwächte, aber doch ausreichend vorhandene Bindungen an ihren Heimatstaat iSd § 9 Abs 2 Z 5 BFA-VG, wo sie die prägenden Jahre ihrer Kindheit und Jugend verbrachte und eine Schul- und Berufsausbildung absolvierte. Sie spricht die Landessprache und hat in Serbien lebende Angehörige. Sie wird daher in der Lage sein, dort trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation für ihren Lebensunterhalt aufzukommen und sich ohne größere Probleme wieder in die dortige Gesellschaft zu integrieren, zumal sie die vorhandenen (wenn auch bescheidenen) Sozialleistungen in Anspruch nehmen und - jedenfalls in der ersten Zeit - mit der Unterstützung durch ihre Brüder rechnen kann.

Die nach § 9 Abs 2 Z 6 BFA-VG maßgebliche strafrechtliche Unbescholtenheit der BF vermag weder ihr persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (vgl. VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253). Durch den jahrelangen nicht rechtmäßigen Aufenthalt, die unerlaubte Erwerbstätigkeit und die Missachtung melderechtlicher Vorschriften liegen schwerwiegende Verstöße gegen die öffentliche Ordnung iSd § 9 Abs 2 Z 7 BFA-VG vor. Es bestehen keine den Behörden zurechenbare überlange Verzögerungen iSd § 9 Abs 2 Z 9 BFA-VG.

Dem insbesondere aus der langen Aufenthaltsdauer und dem hier begründeten Privatleben resultierenden Interesse der BF an einem Verbleib im Inland steht das große öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen und an einem geordneten Vollzug fremdenrechtlicher Vorschriften gegenüber, denen im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt. Außerdem widerspricht die persistente unerlaubte Erwerbstätigkeit dem ebenfalls gemäß Art 8 Abs 2 EMRK maßgeblichen wirtschaftlichen Wohl des Landes. Eine Rückkehrentscheidung gegen die BF ist trotz ihres über zehnjährigen Inlandsaufenthalts und gewisser integrationsbegründender Umstände zulässig, weil sie über viele Jahre hinweg melde- und aufenthaltsrechtliche Vorschriften missachtete und einer unerlaubten Erwerbstätigkeit nachging. Bei der gemäß § 9 BFA-VG vorzunehmenden Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung gegen das gegenläufige persönliche Interesse der BF am Maßstab des Art 8 EMRK ist das Ergebnis der vom BFA vorgenommenen Interessenabwägung, wonach Ersteres überwiegt, daher nicht zu beanstanden. Durch die Rückkehrentscheidung wird Art 8 EMRK im Ergebnis nicht verletzt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen oder wurden in der Beschwerde behauptet, die eine Rückkehrentscheidung (vorübergehend oder auf Dauer) unzulässig erscheinen lassen. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. der Beschwerde ist damit als unbegründet abzuweisen.

Für die gemäß § 52 Abs 9 FPG von Amts wegen gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (siehe VwGH 05.10.2017, Ra 2017/21/0157). Demnach ist die Abschiebung unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für den Betreffenden als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben oder die Freiheit aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).

Da keine dieser Voraussetzungen hier zutrifft, ist die Abschiebung der BF in ihren Herkunftsstaat zulässig. Serbien gilt als sicherer Herkunftsstaat gemäß § 19 Abs 5 Z 2 BFA-VG iVm § 1 Z 6 HStV, was für die Annahme einer grundsätzlich bestehenden staatlichen Schutzfähigkeit und -willigkeit der dortigen Behörden spricht, zumal bei der Festlegung sicherer Herkunftsstaaten insbesondere auf das Bestehen oder Fehlen von staatlicher Verfolgung, Schutz vor privater Verfolgung und Rechtsschutz gegen erlittene Menschenrechtsverletzungen Bedacht zu nehmen ist (so VwGH 10.08.2017, Ra 2017/20/0153).

In Anbetracht der vorrangigen Funktion der Feststellung nach § 52 Abs 9 FPG, (lediglich) den Zielstaat der Abschiebung festzulegen, ist es nicht Aufgabe des BFA oder des BVwG, im Verfahren zur Erlassung einer fremdenpolizeilichen Maßnahme letztlich ein Verfahren durchzuführen, das der Sache nach einem Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz gleichkommt (VwGH 07.03.2019, Ra 2019/21/0044).

Konkrete Gründe für die Unzulässigkeit der Abschiebung werden in der Beschwerde nicht behauptet. Unter Berücksichtigung der stabilen Situation in Serbien sowie der Lebensumstände der gesunden, arbeitsfähigen BF, die dort eine Schul- und Berufsausbildung abgeschlossen und familiäre Anknüpfungen hat, ist Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids nicht zu beanstanden.

Zugleich mit einer Rückkehrentscheidung wird gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt, die grundsätzlich 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheids beträgt. Da hier keine besonderen Umstände nachgewiesen wurden, die die BF bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte und die eine längere Frist erforderlich machen, beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 2 FPG 14 Tage. Vor diesem Hintergrund ist auch Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids zu bestätigen.

Da der entscheidungswesentliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt werden konnte, unterbleibt eine Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG. Davon ist keine weitere Klärung dieser Angelegenheit zu erwarten, zumal das Gericht ohnedies von den in der Beschwerde behaupteten Anknüpfungen der BF im Bundesgebiet ausgeht und auch bei einem positiven Eindruck von ihr bei einer mündlichen Verhandlung keine andere Entscheidung möglich wäre.

Die im Zusammenhang mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessenabwägung, die das Schwergewicht der Beschwerde bildet, kann jeweils nur im Einzelfall erstellt bzw. vorgenommen werden. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Interessenabwägung, öffentliche Interessen, Resozialisierung,
Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2218724.1.00

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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